Unkomplizierte, bakterielle, ambulant erworbene Harnwegsinfektionen (HWI) gehören zu den häufigsten Infektionen im ambulanten Bereich. Zu den unkomplizierten HWI zählen die akute unkomplizierte Zystitis sowie die akute unkomplizierte Pyelonephritis.

Nach dem aktuellsten GERMAP-Bericht 2015, der eine Zusammenfassung von Daten über den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland zur Verfügung stellt, gehören Antibiotika zu den umsatzstärksten Wirkstoffgruppen der ambulanten GKV-Arzneimittelverordnungen (Gesetzliche Krankenversicherung). Das höchste Antibiotikaverordnungsvolumen (nach Tagesdosen) pro Arzt zeigten HNO- und Kinderärzte, gefolgt von Urologen, Haut- und Hausärzten [1]. Bei den Urologen entfielen alleine 25 % der verordneten Antibiotika-defined-daily-Dose auf Chinolone, die einen hohen negativen Effekt auf das menschliche Mikrobiom aufweisen (Kollateralschaden; [1]).

Antibiotikaresistenzen sind ein steigendes globales Problem, dass zu erheblichen Herausforderungen und Kosten im Gesundheitssystem führt [14]. Das Resistenzniveau von Erregern unkomplizierter HWI hat sich in den letzten Jahren signifikant erhöht. Bekannt ist zudem, dass verschiedene Antibiotikasubstanzen einen unterschiedlichen Selektionsdruck auf die an der Infektion beteiligten bakteriellen Erreger ausüben, aber auch auf die nicht an der Infektion beteiligte Standortflora.

Dieser Artikel fasst die wesentlichen Punkte der aktualisierten und neu erschienenen AWMF S3-Leitlinie zu unkomplizierten HWI zusammen (s. Infobox 1).

FormalPara Infobox 1 Die Leitlinienarbeitsgruppe setzte sich aus Vertretern der beteiligten Fachgesellschaften zusammen
  • Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU)

  • UroEvidence@Deutsche Gesellschaft für Urologie, Berlin

  • Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM)

  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)

  • Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN)

  • Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM)

  • Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI)

  • Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie (PEG)

  • Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF)

  • Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL)

  • ICA-Deutschland e.V., Förderverein Interstitielle Zystitis

  • Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF

  • Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA)

Antibiotikaresistenzen sind ein steigendes globales Problem

Ziel dieser Überarbeitung der 2010 erstellten AWMF S3-Leitlinie ist die Erstellung von Handlungsempfehlungen und Statements, welche in der klinischen Praxis zur Diagnostik, Therapie, Prävention und Nachsorge von erwachsenen Patienten mit unkomplizierten, bakteriellen, ambulant erworbenen HWI herangezogen werden können und welche auf aktueller wissenschaftlicher Evidenz sowie konsentierter Expertenmeinung basieren.

Spezifische Ziele dieser Leitlinie sind der rationale Einsatz antimikrobieller Substanzen, die Reduktion eines unangemessenen Einsatzes bestimmter Antibiotikaklassen und damit die Vermeidung der Entwicklung von Resistenzen.

Die Empfehlungen und Statements richten sich an alle Berufsgruppen, die sich mit der Diagnose, Therapie und Prävention akuter unkomplizierter HWI bei erwachsenen Patienten befassen: Allgemeinärzte/Hausärzte, Apotheker, Gynäkologen, Infektiologen, hausärztlich tätige Internisten, Laborärzte, Mikrobiologen, Nephrologen und Urologen.

Die DGU war federführend bei der Aktualisierung der S3‑Leitlinie

Die DGU war federführend bei der Aktualisierung der AWMF S3-Leitlinie. Die Finanzierung der Leitlinie erfolgte über die beteiligten Fachgesellschaften. Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe arbeiteten ehrenamtlich. Auf eine Finanzierung durch die pharmazeutische Industrie wurde bewusst verzichtet, Themen und Inhalte der Leitlinie wurden so in keiner Weise beeinflusst.

Die vollständige konsentierte S3-Leitlinie hat eine Gültigkeit bis 2022 und wird auf der Webseite der AWMF und anderen beteiligten Gesellschaften zum kostenlosen Herunterladen in Kurz- und Langversion zur Verfügung stehen.

Die wesentlichen inhaltlichen Änderungen der überarbeiteten S3-Leitlinie umfassen:

  • Die Empfehlungen zur antibiotischen Therapie unkomplizierter HWI wurden überarbeitet. Diese erweitern einerseits das therapeutische Spektrum durch die Aufnahme neuer Antibiotika, gleichzeitig verstärken sie die Empfehlungen gegen den unkritischen Einsatz nicht indizierter Reserveantibiotika (insbesondere der Fluorchinolone und Cephalosporine).

  • Die Empfehlung zur symptomatischen Behandlung unkomplizierter HWI konnte aufgrund neuer Evidenz bestärkt werden.

  • Mögliche Kollateralschäden durch unterschiedliche Antibiotika sind umfangreicher dargestellt und wurden in den Empfehlungen explizit berücksichtigt.

  • Die Bedeutung einer asymptomatischen Bakteriurie bei Schwangeren konnte durch neue Studien differenzierter dargestellt werden.

  • Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Prävention (nicht-antibiotische und antibiotische Maßnahmen) rezidivierender HWI wurden implementiert.

Methodik

Methodisch wurde die Leitlinie erstmalig von UroEvidence@Deutsche Gesellschaft für Urologie, dem Wissenstransferzentrum der DGU, unterstützt. UroEvidence war für die Selektion der gefundenen Literatur, das Literaturmanagement und die Bewertung des Evidenzgrades und des Risikos für Bias der Therapiestudien verantwortlich. Basis der Evidenzbewertung waren die Ergebnisse aus der systematischen Literaturrecherche zu den Themen Diagnostik und Therapie unkomplizierter HWI sowie zur Prävention rezidivierender HWI. Hierzu wurden die Datenbanken Cochrane Library, Medline und Embase in dem Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.12.2015 durchsucht.

Die Ergebnisse der Literatursuche wurden nach thematischer Relevanz sortiert und den Arbeitsgruppen zugeteilt. Einschlusskriterium war neben dem hier definierten Patientenkollektiv das Studiendesign: Randomisierte kontrollierte Studien und systematische Übersichtsarbeiten mit oder ohne Metaanalyse wurden berücksichtigt. Ergebnisse der Literatursuche können entsprechend dem PRISMA-Schema („preferred reporting items for systematic reviews and meta-analyses“) der Abb. 1 entnommen werden [5].

Abb. 1
figure 1

Ergebnisse der Literatursuche entsprechend dem PRISMA-Schema

Bei allen eingeschlossenen Studien wurde das Risiko für Bias bewertet. Für randomisierte Studien wurde dafür das „Cochrane Risk of Bias Tool“ verwendet, für systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen die „Scottish Intercollegiate Guideline Network-“ (SIGN-)Bewertung [6, 7]. Die Bewertung des Evidenzlevels erfolgte nach den „Oxford Centre for Evidence-based Medicine“-Kriterien von 2009 [8].

Zusätzlich wurde im Rahmen einer Leitliniensynopse nach aktuellen relevanten Leitlinien gesucht. Eingeschlossene Leitlinien (n = 19) wurden unabhängig durch zwei Leitlinienautoren nach den AGREE-Kriterien („Appraisal of Guidelines for Research and Evaluation“) bewertet [9]. Die Aussagen der eingeschlossenen Leitlinien wurden den vorab formulierten Schlüsselfragen der Leitlinie in einer Synopse zugeordnet.

Wurden bei Empfehlungen und Statements mehrere Literaturstellen berücksichtigt, so wurde der jeweils höchste Evidenzgrad angegeben. Die Empfehlungsgrade (je nach Stärke der Empfehlung: soll/soll nicht, sollte/sollte nicht, kann) wurden von den Mitgliedern der Leitliniengruppe unter Bezugnahme auf die Einteilung nach Abb. 2 ausgesprochen.

Abb. 2
figure 2

Von der Evidenz zur Empfehlung: Visualisierung der klinischen Beurteilung als Prozess der kriteriengestützten Konsensusentscheidung

Im Rahmen von 17 Konsensus- bzw. Telefonkonferenzen wurden die evidenzbasierten Aussagen und Empfehlungen erstellt. Die formale Konsensusfindung erfolgte als nominaler Gruppenprozess unter Leitung einer externen Moderatorin der AWMF (Prof. Dr. Kopp) mit den Vertretern der beteiligten Fachgesellschaften. Die Konsultationsfassung der Leitlinie wurde über die Fachgesellschaften und die Homepage der AWMF veröffentlicht. Eine Vielzahl von Stellungnamen sind durch die Leitliniengruppe bearbeitet und in der Endfassung so weit wie möglich berücksichtigt worden.

Definitionen in dieser Leitlinie

Unkomplizierte HWI

Eine HWI wird als unkompliziert eingestuft, wenn im Harntrakt keine relevanten funktionellen oder anatomischen Anomalien, keine relevanten Nierenfunktionsstörungen und keine relevanten Begleiterkrankungen/Differenzialdiagnosen vorliegen, die eine HWI bzw. gravierende Komplikationen begünstigen.

Zystitis

Eine untere HWI (Zystitis) wird angenommen, wenn sich die akuten Symptome nur auf den unteren Harntrakt beziehen, z. B. neu aufgetretene Schmerzen beim Wasserlassen (Algurie), imperativer Harndrang, Pollakisurie, Schmerzen oberhalb der Symphyse.

Pyelonephritis

Eine obere HWI (Pyelonephritis) sollte dann angenommen werden, wenn sich bei den akuten Symptomen, z. B. Flankenschmerz, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und/oder Fieber (>38 °C) finden.

Asymptomatische Bakteriurie

Bei der asymptomatischen Bakteriurie wird in der Regel eine Kolonisation, nicht aber eine Infektion angenommen. Eine klinisch symptomatische HWI muss von einer asymptomatischen Bakteriurie unterschieden werden, was sowohl für das diagnostische als auch therapeutische Vorgehen wichtig ist. Deshalb soll ein Begriff wie „asymptomatische HWI“ nicht mehr verwendet werden, da er missverständlich ist und nicht zwischen beiden Formen unterscheidet.

Rezidivierende HWI

Eine rezidivierende HWI wird angenommen, wenn ≥2 symptomatische Episoden innerhalb von 6 Monaten oder ≥3 symptomatische Episoden innerhalb von 12 Monaten vorliegen.

Patientengruppen

Patientengruppen mit unkomplizierten HWI sollten hinsichtlich Diagnostik, Therapie und Prävention unterschieden werden. Die Einteilung bleibt wie in der Version von 2010 erhalten:

  • nicht-schwangere Frauen in der Prämenopause ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen (Standardgruppe),

  • Schwangere ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen,

  • Frauen in der Postmenopause ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen,

  • jüngere Männer ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen,

  • Patienten mit Diabetes mellitus und stabiler Stoffwechsellage ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen.

Diagnostik

Mit den Methoden der Diagnostik soll geklärt werden, ob eine HWI vorliegt, gegebenenfalls aber auch, durch welche Ätiologie (Erreger) diese ausgelöst wird und wie diese behandelt werden kann.

Die korrekte Diagnose einer HWI stellt eine schwierige Aufgabe dar

Trotz ihrer Häufigkeit und Bedeutung in der täglichen Praxis stellt die korrekte Diagnose, ob eine HWI vorliegt, eine schwierige Aufgabe dar. Die Sicherung der Diagnose allein aufgrund klinischer Kriterien ist mit einer Fehlerquote von bis zu einem Drittel behaftet [10, 11]. Nur die grundsätzliche Durchführung einer Urinkultur mit Bestimmung auch niedriger Erregerzahlen, Differenzierung und Empfindlichkeitsprüfung könnte in der Zusammenschau mit den klinischen Symptomen die diagnostische Ungenauigkeit verringern (Goldstandard). Eine solche Maximaldiagnostik bei nicht-selektierten Patienten ist jedoch weder ökonomisch sinnvoll, noch im Alltag praktikabel [12].

Da sich Art und Häufigkeit von Komplikationen in einzelnen Patientengruppen unterscheiden können, sollten gruppenspezifische diagnostische Strategien angewendet werden.

Nicht-schwangere Frauen in der Prämenopause (Standardgruppe)

Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis

Bei Frauen, die keine Risikofaktoren für komplizierte HWI aufweisen, typische Symptome (Schmerzen beim Wasserlassen, Pollakisurie, imperativer Harndrang) beklagen, keine vaginalen Beschwerden (Juckreiz, veränderter Ausfluss) haben, bei denen kein Fieber und kein Flankenschmerz vorliegen, kann das Vorliegen einer unkomplizierten Zystitis mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden (IIa). Eine Urinkultur ist bei Frauen mit eindeutiger klinischer Symptomatik einer unkomplizierten, nicht rezidivierenden oder therapierefraktären Zystitis nicht erforderlich. Bei der Erstmanifestation einer akuten HWI oder, falls die Patientin dem Arzt nicht bekannt ist, sollte eine symptombezogene ärztliche Untersuchung mit Anamnese erfolgen (V-B). Mit dem validierten Fragebogen ACSS („Acute Cystitis Symptom Score“) kann aufgrund klinischer Kriterien die Diagnose einer unkomplizierten Zystitis mit hoher Sicherheit gestellt, der Schweregrad der Beschwerden eingeschätzt, der Verlauf beobachtet und der Therapieeffekt messbar gemacht werden (IIb; [13, 14]).

Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis

Bei der Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis folgt die Anamnese den allgemeinen Grundsätzen. Zusätzlich soll eine körperliche Untersuchung und Urinuntersuchung einschließlich Kultur durchgeführt werden (V-A). Zudem sollen zum Ausschluss von komplizierenden Faktoren weitergehende Untersuchungen (z. B. Sonographie) erfolgen (V-A).

Diagnostik der asymptomatischen Bakteriurie

Bei nicht-schwangeren Frauen ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen soll kein Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie erfolgen (Ia-A).

Diagnostik rezidivierender HWI

Bei Patientinnen mit rezidivierenden HWI sollte eine Urinkultur und einmalig eine Sonographie erfolgen. Eine weitere invasive Diagnostik sollte nicht erfolgen (Ib-B). Jedoch sollten bei Patientinnen mit einer persistierenden Hämaturie oder persistierendem Nachweis von anderen Erregern als Escherichia coli weitere Untersuchungen (z. B. Urethrozystoskopie sowie eine weitere Bildgebung) erfolgen (V-B).

Schwangere Frauen

Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis

Die Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis bei Schwangeren ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen erfolgt bezüglich der Anamnese genauso wie bei nicht-schwangeren Patientinnen. Allerdings sollen in jedem Fall eine körperliche Untersuchung und eine Urinuntersuchung einschließlich Kultur erfolgen (V-A). Nach der Antibiotikatherapie einer akuten unkomplizierten Zystitis soll in der Schwangerschaft die Erregereradikation durch Urinkultur verifiziert werden (V-A).

Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis

Die Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei Schwangeren erfolgt analog der bei nicht schwangeren Patientinnen (V). In jedem Fall soll eine körperliche Untersuchung und eine Urinuntersuchung einschließlich Kultur erfolgen (V-A). Bei Verdacht auf Pyelonephritis soll zusätzlich eine Ultraschalluntersuchung der Nieren und Harnwege erfolgen (V-A). Nach der Antibiotikatherapie einer Pyelonephritis soll in der Schwangerschaft die Erregereradikation durch Urinkultur verifiziert werden (V-A).

Diagnostik der asymptomatischen Bakteriurie

Ein systematisches Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie sollte in der Schwangerschaft nicht durchgeführt werden (Ib-B). Die in der Praxis durchgeführten Streifentests haben nur eine geringe Sensitivität von 14–50 % für eine asymptomatische Bakteriurie in der Schwangerschaft [1517]. Der alleinige Einsatz von Streifentests ist zur Diagnose einer asymptomatischen Bakteriurie in der Schwangerschaft nicht ausreichend (IV).

Diagnostik rezidivierender HWI

Die diagnostischen Überlegungen bei rezidivierenden HWI Schwangerer ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen entsprechen generell denen bei jüngeren Frauen ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen (s. Standardgruppe).

Frauen in der Postmenopause

Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis

Die Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis bei Frauen in der Postmenopause erfolgt nach entsprechender Anamnese genauso wie bei nicht-schwangeren Frauen in der Prämenopause (Standardgruppe; V). Inwieweit in dieser Gruppe zusätzliche diagnostische Maßnahmen (z. B. körperliche Untersuchung oder Urinuntersuchung einschließlich Kultur) erforderlich sind, ist durch aussagekräftige Studien bislang nicht schlüssig untersucht (V). Bei der Erstmanifestation einer akuten HWI, oder falls die Patientin dem Arzt nicht bekannt ist, sollte eine symptombezogene ärztliche Untersuchung mit Anamnese erfolgen (V).

Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis

Bei der Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei Frauen in der Postmenopause folgt die Anamnese den allgemeinen Grundsätzen. Zusätzlich soll eine körperliche Untersuchung und Urinuntersuchung einschließlich Kultur durchgeführt werden (V-A). Bei diesen Patientinnen sind die Beschwerden einer HWI (Zystitis oder Pyelonephritis) jedoch oft untypisch. Bei Verdacht auf Harntransportstörungen (z. B. vermehrter Restharn) ist durch weitergehende Untersuchungen (z. B. Sonographie) der Ausschluss von komplizierenden Faktoren notwendig (V).

Diagnostik der asymptomatischen Bakteriurie

Ein systematisches Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie soll bei Frauen in der Postmenopause ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen nicht durchgeführt werden (Ia-A).

Diagnostik rezidivierender HWI bei Frauen in der Postmenopause

Bei Patientinnen mit rezidivierenden HWI in der Postmenopause sollte eine Urinkultur und einmalig eine Sonographie erfolgen. Eine weitere invasive Diagnostik sollte nicht erfolgen (Ib-B).

Jüngere Männer

Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis/Pyelonephritis

Die Diagnose einer unkomplizierten HWI (Zystitis oder Pyelonephritis) beim Mann ist nur nach Ausschluss komplizierender Faktoren zulässig (IIb). Neben der Anamnese soll bei jüngeren Männern ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen eine körperliche (inklusive einer rektalen) Untersuchung durchgeführt werden (V-A). Die Diagnose einer HWI soll bei Männern durch eine Urinuntersuchung einschließlich Kultur bestätigt werden (V-A).

Diagnostik der asymptomatischen Bakteriurie

Ein systematisches Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie soll bei jüngeren Männern ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen nicht durchgeführt werden (V-A).

Diagnostik rezidivierender HWI

Bei Männern mit rezidivierenden HWI sollten weitere urologische Untersuchungen erfolgen (IV-B).

Patienten mit Diabetes mellitus und stabiler Stoffwechsellage

Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis

Sind anhand der Anamnese eine Pyelonephritis und eine komplizierte HWI unwahrscheinlich, sollte auch bei diabetischen Frauen ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen mit stabiler Stoffwechsellage eine unkomplizierte akute Zystitis angenommen werden (V).

Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis

Bei der Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei diabetischen Frauen mit stabiler Stoffwechsellage folgt die Anamnese den allgemeinen Grundsätzen. Zusätzlich soll eine körperliche Untersuchung und Urinuntersuchung einschließlich Kultur durchgeführt werden (V-A). Zum Ausschluss von komplizierenden Faktoren sind weitergehende Untersuchungen (z. B. Sonographie) notwendig (V).

Diagnostik der asymptomatischen Bakteriurie

Bei diabetischen Patienten ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen mit stabiler Stoffwechselsituation sollte kein Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie erfolgen (Ia-B).

Diagnostik rezidivierender HWI

Die diagnostischen Überlegungen bei Patienten mit Diabetes mellitus und stabiler Stoffwechsellage ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen entsprechen generell denen bei jüngeren Frauen ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen mit rezidivierenden HWI.

Die Tab. 1 gibt eine Übersicht über die Grenzwerte zur Diagnose unterschiedlicher HWI und der asymptomatischen Bakteriurie. Näheres zur Urinuntersuchung (Uringewinnung, Urinteststreifen, Urinmikroskopie, Eintauchnährböden, Urinkultur, bildgebende Diagnostik und Endoskopie) ist der Leitlinie zu entnehmen.

Tab. 1 Grenzwerte zur Diagnose unterschiedlicher HWI und der asymptomatischen Bakteriurie

Therapie

Im Folgenden werden nur die Therapieempfehlungen für die Standardgruppe genannt (nicht-schwangere Frauen in der Prämenopause). Für die anderen definierten Patientengruppen sind die aktuellen Empfehlungen und Statements der Leitlinie zu entnehmen.

Behandlung der akuten unkomplizierten Zystitis (Standardgruppe)

Die Spontanheilungsraten der akuten unkomplizierten Zystitis sind hoch und liegen nach einer Woche bei etwa 30–50 %. Bei der Therapie geht es deshalb im Wesentlichen darum, die klinischen Symptome rascher zum Abklingen zu bringen und damit die Morbidität zu senken.

Die Spontanheilungsraten der akuten unkomplizierten Zystitis sind hoch

In den wenigen placebokontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass mit einer Antibiotikatherapie im Vergleich zu Placebo die Symptome signifikant rascher abklingen [18]. In einer aktuellen Studie von Gagyor et al. [19] wurde der Effekt einer primär symptomatischen Behandlung mit Ibuprofen mit einer sofortigen antibiotischen Behandlung verglichen. Etwa zwei Drittel der Patientinnen mit rein symptomatischer Behandlung haben kein weiteres Antibiotikum benötigt. Vor diesem Hintergrund kann Patientinnen mit einer akuten unkomplizierten Zystitis eine nicht-antibiotische Behandlung angeboten werden.

Bei der Entscheidung für eine Therapie sollten die Präferenzen der Patientinnen angemessen berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die primär nicht-antibiotische Behandlung, die mit der Inkaufnahme einer höheren Symptomlast einhergehen kann. Eine partizipative Entscheidungsfindung mit den Patienten ist notwendig.

Management der asymptomatischen Bakteriurie

Für die Therapie der asymptomatischen Bakteriurie ergeben sich folgende Aspekte: Bei Patienten, die sich einer erwartungsgemäß schleimhauttraumatisierenden Intervention im Harntrakt unterziehen müssen, erhöhen asymptomatische Bakteriurien das Infektionsrisiko. Deshalb soll in diesen Fällen nach einer asymptomatischen Bakteriurie gesucht und diese gegebenenfalls behandelt werden [20]. Die Evidenz liegt v. a. für die transurethrale Prostataresektion vor. Bei Eingriffen mit niedrigem Risiko, wie z. B. flexibler Urethrozystoskopie, gibt es keine Evidenz.

Kazemier et al. [21] zeigten, dass sich das Risiko für eine HWI bei Schwangeren mit einer nicht oder mit Placebo behandelten asymptomatischen Bakteriurie von ca. 7.9 % auf 20.2 % erhöht (Pyelonephritis von 0,6 % auf 2,4 %). Bei den nicht therapierten Patientinnen wurde das Risiko für eine Frühgeburt durch eine asymptomatische Bakteriurie jedoch nicht erhöht [21].

Aspekte der Antibiotikatherapie

Bei der Auswahl eines Antibiotikums sind folgende Kriterien zu berücksichtigen:

  • individuelles Risiko des Patienten,

  • Erregerspektrum und Antibiotikaempfindlichkeit,

  • Effektivität der antimikrobiellen Substanz,

  • unerwünschte Arzneimittelwirkungen,

  • Auswirkungen auf die individuelle Resistenzsituation beim Patienten (Kollateralschaden) und/oder die Allgemeinheit (epidemiologische Auswirkungen),

  • Beachtung der Grundprinzipien des „antibiotic stewardship“ (ABS).

Aus der Gruppe der für die Therapie der unkomplizierten Zystitis prinzipiell geeigneten oralen Antibiotika bzw. Antibiotikaklassen – Aminopenicilline in Kombination mit einem Betalaktamaseinhibitor, Cephalosporine der Gruppe 2 und 3, Fluorchinolone, Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam, Trimethoprim bzw. Cotrimoxazol – ist die Gefahr für mikrobiologische Kollateralschäden in Form von Selektion multiresistenter Erreger oder einem erhöhten Risiko für eine Clostridium-difficile-assoziierte Kolitis bei Fluorchinolonen und Cephalosporinen am höchsten.

Die klinische Konsequenz einer vermehrten Resistenz gegenüber Fluorchinolonen und/oder Cephalosporinen sollte im Hinblick auf die notwendige Verwendung dieser Substanzen auch bei anderen Indikationen zudem als gravierender eingestuft werden, als die der anderen genannten Antibiotika. Fluorchinolone und Cephalosporine sollen nicht als Antibiotika der ersten Wahl bei der unkomplizierten Zystitis eingesetzt werden (Tab. 2). Ärzte, die sich mit der Therapie von HWI befassen, sollten sich über das Erregerspektrum und die Resistenzentwicklung in ihrer Region informieren. Quellen dafür sind nationale Studien, Auswertungen des betreuenden Labors und eigene Auswertungen.

Tab. 2 Empfohlene empirische Antibiotikakurzzeittherapie der unkomplizierten Zystitis bei Frauen in der Prämenopause (Standardgruppe; Listung in alphabetischer Reihenfolge)

Bei der Entscheidung über die differenzierte Auswahl eines Antibiotikums zur Therapie der akuten unkomplizierten Zystitis sollen Eradikationsraten, Empfindlichkeit, Kollateralschäden und Besonderheiten im Hinblick auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen berücksichtigt werden (Tab. 2). Zusätzlich sollen patientenrelevante klinische Endpunkte (klinische Symptombesserung, Rezidive, aszendierende Infektionen) und das individuelle Risiko beachtet werden.

Behandlung der akuten unkomplizierten Pyelonephritis (Standardgruppe)

Es besteht Konsens, dass bei der akuten unkomplizierten Pyelonephritis in jedem Fall so früh wie möglich eine wirksame Antibiotikatherapie zum Einsatz kommen soll, da mögliche (wenn auch seltene) Nierenschädigungen können durch die Zeitdauer, die Schwere und die Häufigkeit solcher Infektionen begünstigt werden. Bei der Entscheidung über die differenzierte Auswahl eines Antibiotikums zur Therapie der akuten unkomplizierten Pyelonephritis sollen Eradikationsraten, Empfindlichkeit, Kollateralschäden und Besonderheiten im Hinblick auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen berücksichtigt werden (Tab. 3). Aufgrund der im Vergleich zur akuten unkomplizierten Zystitis deutlich niedrigeren Prävalenz der akuten unkomplizierten Pyelonephritis stellt der Faktor Kollateralschaden bei der Empfehlung der Antibiotikatherapie einen weniger wichtigen Faktor dar.

Tab. 3 Empfohlene empirische Antibiotikatherapie der unkomplizierten Pyelonephritis bei Frauen in der Prämenopause (Standardgruppe; Listung in alphabetischer Reihenfolge)

Prävention rezidivierender HWI (Standardgruppe)

Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau soll vor jeder medikamentösen Langzeitprävention eine ausführliche Beratung der Patientin zur Vermeidung von Risikoverhalten erfolgen (Ib-A). Wurden diese Präventionsmaßnahmen adäquat umgesetzt und bestehen weiterhin rezidivierende HWI, sollte vor Beginn einer antibiotischen Langzeitprävention das Immunprophylaktikum Uro-Vaxom® (OM-89) oral über 3 Monate eingesetzt werden (Ia-B), ebenfalls kann das Immunprophylaktikum StroVac® (vormals Solco-Urovac®) parenteral mit 3 Injektionen in wöchentlichen Abständen verwendet werden (Ib-C). Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau kann darüber hinaus Mannose empfohlen werden (Ib-C). Alternativ können verschiedene Phytotherapeutika (Präparate aus Bärentraubenblättern [maximal 1 Monat], Kapuzinerkressekraut/Meerrettichwurzel) erwogen werden (Ib-C).

Bei hohem Leidensdruck der Patientin sollte nach Versagen von Verhaltensänderungen und nicht-antibiotischen Präventionsmaßnahmen eine kontinuierliche antibiotische Langzeitprävention über 3 bis 6 Monate eingesetzt werden (IV-B; Tab. 4). Besteht ein Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr, sollte als Alternative zur antibiotischen Langzeitprävention eine postkoitale Einmalprävention erfolgen.

Tab. 4 Antibiotische Langzeitprävention bei rezidivierenden HWI. (Nach [22])

Fazit für die Praxis

  • Unkomplizierte, bakterielle, ambulant erworbene HWI bei Erwachsenen und deren antibiotische Therapie üben aufgrund ihrer Häufigkeit einen enormen Antibiotikaselektionsdruck auf die beteiligten Bakterien, aber auch auf die kollaterale Flora aus, woraus ein signifikanter Einfluss auf die Selektion antibiotikaresistenter Bakterien resultiert. Ein umsichtiger Umgang mit Antibiotika in diesem Bereich ist deswegen von außerordentlichem Interesse, um auf lange Zeit die Nachhaltigkeit der antibiotischen Therapie zu sichern.

  • Antimicrobial-stewardship-Aspekte haben wesentlich die therapeutischen Empfehlungen geprägt. Die evidenz- und konsensbasierten Empfehlungen der aktualisierten S3-Leitlinie bedürfen deswegen einer breiten Implementierung in alle mit HWI betrauten Fachgruppen, um eine Versorgungsverbesserung zu erreichen und damit eine vorausschauende Antibiotikapolitik gewährleisten zu können. Dies ist auch im Sinne der globalen Strategie der Antibiotic-stewardship-Bewegung.