Die Neuerkrankungsrate maligner Erkrankungen in Deutschland steigt in den letzten Jahren fast kontinuierlich. In der Prognose des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Gesellschaft der Epidemiologischen Krebsregister in Deutschland (GEKID) wurde für das Jahr 2014 mit 500.000 neuen Patienten gerechnet [1]. Das ist allein gegenüber dem Jahr 2009 ein Anstieg um etwa 30.000 Neuerkrankungen. Für das Jahr 2050 wird mit etwa 625.000 Neuerkrankungen gerechnet, ein weiterer Anstieg von 25 % gegenüber den Zahlen von 2014. Die Urologie ist davon besonders, aber in den einzelnen Krankheitsentitäten mit unterschiedlicher Intensität, betroffen. In Tab. 1 sind die projizierten Zahlen der häufigsten urologischen Malignome für das Jahr 2050 den Fallzahlen des Jahres 2009 gegenübergestellt.

Tab. 1 Krebsneuerkrankungen im Bereich der Urologie für die Jahre 2010 und 2050. (Nach [2])

Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) hat 2012 das Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald mit der Erstellung eines Gutachtens zu den Herausforderungen des demografischen Wandels beauftragt. Die Ergebnisse wurden 2013 publiziert. Die wichtigsten Aussagen zur demographischen Entwicklung insgesamt und zur Entwicklung der Krebserkrankungen sind in den Abb. 1, Abb. 2 und Abb. 3 zusammengefasst.

Abb. 1
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Bevölkerungsentwicklung der Jahre 2008 und 2020. (Nach Landkreisen [3], mit freundl. Genehmigung Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine)

Abb. 2
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Entwicklung der Krebsneuerkrankungen 2008–2020. (Nach Landkreisen, Männer [3], mit freundl. Genehmigung Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine)

Abb. 3
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Entwicklung der Krebsneuerkrankungen 2008–2020. (Nach Landkreisen, Frauen [3], mit freundl. Genehmigung Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine)

Ohne Berücksichtigung der aktuellen Immigrationswelle war zunächst von einem Schrumpfen der Bevölkerung auszugehen, mit deutlichen regionalen Unterschieden. Während z. B. die Bevölkerungszahlen in Berlin im Zeitraum von 2008 bis 2020 steigen werden, sinken sie in Bereichen von Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen oder Hessen um > 20 %.

In den beiden kleinen Graphiken auf der linken Seite sind die absoluten Zahlen an Krebspatienten für das Jahr 2008 und projiziert für das Jahr 2020 dargestellt. Auf der rechten Seite wurden die Differenzen berechnet. In diesem Zeitraum ist bei Männern mit einem Anstieg der Neuerkrankungen um 18 % zu rechnen. Die Verteilung nach Landkreisen ist ungleichmäßig. Im besonderen Maße vom Anstieg der Krebskrankheiten sind die Landkreise mit älterer Bevölkerung betroffen, in denen langfristig die Einwohnerzahlen sinken werden.

Der Anstieg der Neuerkrankungen ist bei den Frauen nur etwa halb so hoch wie bei den Männern.

Hier zeigt sich die insgesamt niedrigere Krebsinzidenz bei älteren Frauen, verglichen mit den Männern. In der Tendenz zeigt sich aber dieselbe Verteilung mit überproportional starkem Anstieg in Landkreisen mit stärker alternder Bevölkerung.

Prävalenz

Vor allem der aktuelle Fortschritt in der medikamentösen Tumortherapie verlängert die Überlebenszeit von Patienten mit fortgeschrittenen Malignomen. Die Entwicklung beim Nierenzellkarzinom war paradigmatisch für viele andere Malignome. Die häufigen Formen des Nierenzellkarzinoms sind fast resistent gegenüber Zytostatika. Erste Erfolge wurden in den 1980er Jahren durch Immuntherapie erzielt. Darauf folgten gezielte Medikamente, die die Neoangiogenese und den mTOR-Signalübertragungsweg („mechanistic target of Rapamycin“) blockieren. In der Praxis werden viele der neueren, inzwischen zugelassenen Arzneimittel sequenziell eingesetzt.

Eine ähnliche Entwicklung trat einige Jahre später bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom ein. Abb. 4 zeigt den Einfluss der seit 2010 neu zugelassenen Arzneimittel auf die mittlere Überlebenszeit in den Zulassungsstudien.

Abb. 4
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Einfluss neu zugelassener Arzneimittel auf die mediane Überlebenszeit von Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom

Auch beim Prostatakarzinom wird die Mehrzahl dieser Arzneimittel heute sequenziell bei den betroffenen Patienten eingesetzt. Exakte Zahlen über den Einfluss auf die Prävalenz liegen noch nicht vor. Die ärztliche Erfahrung zeigt aber schon jetzt, dass sich das Krankheitsbild des metastasierten Prostatakarzinoms in den letzten 10 Jahren dramatisch geändert hat.

In dem Gutachten des Instituts für Community Medicine Greifswald wird der hohe Einfluss der Prävalenz auf die zukünftige onkologische Versorgung vor allem in dem projizierten Anstieg der Fallzahlen um mehr als 100.000 bei Männern bis zum Jahr 2020 deutlich (Abb. 5).

Abb. 5
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Entwicklung der Prävalenz 2008–2020. (Nach Landkreisen, Männer [3], mit freundl. Genehmigung Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine)

Komorbidität

Krebs ist nur eine der Erkrankungen, die im Alter vermehrt auftreten. Das Risiko von Multimorbidität, d. h. das Vorliegen von ≥ 2 gleichzeitig bestehenden, chronischen Erkrankungen liegt bei 40- bis 59-Jährigen bei etwa 30 %, bei über 60-Jährigen schon bei etwa 60 % [4]. Die häufigsten Erkrankungen betreffen (in absteigender Reihenfolge) Blutdruck, Augen, Herz, Glukosestoffwechsel, Knochen und Gelenke, Lunge, Gastrointestinaltrakt usw. [5].

Aus onkologischer Sicht sind Erkrankungen relevant, die einen direkten Einfluss auf die Therapie der malignen Erkrankung haben

Aus onkologischer Sicht sind v. a. die Erkrankungen relevant, die einen direkten Einfluss auf die Therapie der malignen Erkrankung haben. Bei der Ersttherapie können dies Faktoren sein, die das Risiko für Komplikationen eines operativen Eingriffs steigern. In der thoraxchirurgischen Versorgung von Patienten mit Lungenkarzinom wurden inzwischen eigene Risikoscores zur standardisierten Erfassung relevanter Komorbidität entwickelt [6]. Bei der medikamentösen Tumortherapie stehen v. a. die Erkrankungen als relevante Komorbidität im Vordergrund, die mit belastenden Nebenwirkungen der geplanten Arzneimittelgabe interferieren.

Ärztemangel

In dem oben erwähnten Gutachten für die DGHO wurde auch der Bedarf an ambulanter onkologischer Versorgung berechnet. Grundlagen waren zum einen die Daten zur Inzidenz und Prävalenz maligner Erkrankungen. Zum anderen wurde die Ärztestatistik der Länder in Bezug auf die Facharztgruppen mit Beteiligung an der onkologischen Versorgung ausgewertet. Neben den Hämatologen und internistischen Onkologen waren dies u. a. Dermatologen, Gastroenterologen, gynäkologische Onkologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Pneumologen, Strahlentherapeuten und Urologen. Der daraus resultierende Bedarf für das Jahr 2020 ist in Abb. 6 für die Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren (HNO-Ärzte) und für das Prostatakarzinom (Urologen) dargestellt.

Abb. 6
figure 6

Entwicklung der Prävalenz 2008–2020. (Nach Landkreisen, Männer [3], mit freundl. Genehmigung Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine)

In Abb. 6 auf der rechten Seite zeigt das Prostatakarzinom in fast allen Bundesländern einen deutlich steigenden Bedarf an onkologisch qualifizierten Ärzten.

Leuchttürme und Netzwerke

Die oben aufgeführten Zahlen und Projektionen sollen deutlich machen, welch hoher Bedarf an onkologisch qualifizierten Ärzten in relativ kurzer Zeit bestehen wird. Die Förderung von Forschungsvorhaben in der Grundlagenwissenschaft und in der Versorgung hat sich in den letzten 15 Jahren schwerpunktmäßig auf Zentren konzentriert. Dass diese Förderung in der Urologie zu einer längeren Überlebenszeit, einer besseren Lebensqualität und zu einer höheren Zufriedenheit der Patienten geführt hat, ist bisher flächendeckend nicht nachgewiesen. Verbessert wurden Strukturen. Um hochwertige, international kompetitive Forschung zu ermöglichen, ist die Förderung von Zentren unentbehrlich.

Versorgungsprobleme bestehen in den ländlichen Regionen

Gleichzeitig muss aber gewährleistet werden, dass der Fortschritt in den Regionen ankommt. Die oben abgebildeten Graphiken machen deutlich, dass die Versorgungsprobleme nicht in den Ballungsräumen sondern in den ländlichen Regionen bestehen. Gerade der ältere, weniger mobile Patient muss auch in dünn besiedelten Landkreisen Zugang zur fachlich hochqualifizierten Betreuung seiner Krebserkrankung haben. Die Werkzeuge wie elektronische Netzwerke und mobile Dienste haben wir.

Fazit für die Praxis

  • Die Zahl von Krebspatienten steigt in den nächsten Jahrzehnten stark an.

  • In der Urologie sind besonders Harnblasen- und Prostatakarzinom betroffen.

  • Präzisionsdiagnostik und zahlreiche neue Arzneimittel sind zusätzliche Herausforderungen.

  • Besonders die älteren Patienten bedürfen einer umfassenden, interdisziplinären Betreuung mit Zugang zu onkologischen Zentren und zu kompetenter Behandlung vor Ort.