Gemäß Verlautbarung zum diesjährigen Demografiekongress in Berlin werden im Jahre 2050 in Deutschland – trotz aktueller hoher Zuwanderung – 12 Mio. Menschen weniger leben als heute. Insbesondere den ländlichen Regionen, so die Prognose, wird dadurch die Wirtschaftskraft genommen werden. Das Ausmaß sei dramatisch und führe in den betroffenen Regionen zu geringeren Steuereinnahmen und steigenden Kosten für Infrastruktur und Soziales. Trotz späterem Renteneintritt stagniert oder fällt das Rentenniveau, gleichzeitig verliert die als Altersvorsorge beliebte Immobilie in solchen Regionen an Attraktivität und auch an Wert, wird als Problem und Herausforderung unter Wert verramscht oder unverkäuflich sogar zur Belastung. Gleichzeitig steigen Pflegebedarf und Pflegekosten während die Pflegenden fehlen.

Experten und Beratern auf den immer zahlreicher werdenden Veranstaltungen wie dem zitierten Demografiekongress fällt in der Regel als „Lösung“ nur ein: „Was können Kommunen tun, um demografisch stabil zu bleiben und den Rückgang der Einwohnerzahl zu begrenzen?“ Ist es wirklich so, dass der prognostizierte Niedergang nur durch demografische Gegensteuerung geheilt werden kann oder birgt nicht gar die veränderte Demografie eine Chance zum notwendigen Wandel und zum Überdenken und evtl. in Frage stellen eingefahrener, vielleicht auch liebgewonnener, nichts desto trotz lediglich historischer Paradigmen; letztendlich geht es doch um die hinter allem stehende Frage: „Wie viele Alte und welche Alten verträgt ein Gemeinwesen?“

Um diese Frage in Zukunft besser beantworten zu können, sollte das Szenario einer veränderten Demografie in Hinblick auf die medizinischen Implikationen möglichst genau analysiert werden, um daraus die notwendigen medizinisch-organisatorisch, medizinisch-kommerziellen, sozialökonomischen und soziopsychologischen Szenarien und Kompensationen zu entwerfen. Wenden wir uns dazu dem Bild des sog. „demografischen Gebirges“ zu (Abb. 1).

Abb. 1
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Das „demografische Gebirge – die Rolle der Multimorbidität“ (nähere Erläuterungen s. Text)

Das „demografische Gebirge“

Mit zunehmender Lebenserwartung wächst die Wahrscheinlichkeit, an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall in Abhängigkeit von den zugrunde liegenden Risikofaktoren – Hypertonus, Diabetes mellitus u. a. – zu erkranken und/oder zu versterben. Es kommt dabei gleichzeitig zu einer Morbiditätsverdichtung und -verschiebung in das höhere und höchste Lebensalter, bedingt durch eine wirksame Medikation insbesondere zur Behandlung des Bluthochdruckes aber auch allgemeiner Präventionsmaßnahmen (bewusste Ernährung, besonders Sport und Bewegung). Diese Verschiebung bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird wiederum als eine entscheidende Ursache dafür angesehen, dass die statistisch später auftretenden Tumorerkrankungen überhaupt erlebt werden. Praktisch alle Massentumoren sind Tumoren, die eine kontinuierliche Zunahme hinsichtlich ihrer Inzidenz und auch Prävalenz mit dem wachsenden Lebensalter zeigen.

Tumorerkrankungen

Betrachtet man die epidemiologische Auswirkung des demographischen Wandels, so wird man leicht feststellen, dass wir vor einem auffälligen Wechsel unserer Morbiditätsstatistiken stehen. Zunehmen wird in erheblichem Ausmaß die Inzidenz und Prävalenz von Tumorerkrankungen. Das relative Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken, beträgt bei der 40-jährigen Frau etwa 1:3000, während die 80-jährige Frau ein Risikoverhältnis von 1:10 aufweist (Tab. 1). Ähnlich sind die Verhältnisse bei anderen Tumoren (Tab. 2). Deshalb wurde bereits 2011 anlässlich des DGHO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Geriatrie) in Basel die Losung ausgegeben: Seit letztem Jahr ist Krebs weltweit die Todesursache Nummer 1 [5].

Tab. 1 Die altersabhängige Gesamtinzidenz aller bösartigen Erkrankungen in den verschiedenen Altersstufen. (Nach [22])
Tab. 2 Nahezu alle häufigen Tumoren sind typische Alterskrankheiten (hier die 10 weltweit häufigsten Tumorerkrankungen). (Nach [28])

Somit wird es Frage einer vergleichsweise kurzen Zeit sein, bis die Tumorerkrankung sowohl die Letalitäts- als auch die Morbiditätsstatistik anführen werden. Die Rohinzidenz onkologischer Erkrankungen und damit gewissermaßen die onkologische Last einer ganzen Bevölkerung zeigt die Inzidenztafel der Tab. 3.

Tab. 3 Die inhomogene Risikoverteilung beim Mammakarzinom in Abhängigkeit vom Lebensalter. (Nach [22])

Die Frage, ob für derartige und andere, alternsbedingte Veränderungen unser Gesundheitswesen, unsere Krankenhausstrukturen oder unsere Vorsorgestrategien gerüstet sind, ist mit einem klaren nein zu beantworten.

Die besondere Rolle des (metastasierten) PCa des alten Mannes

Inzidenz und Prävalenz

Das Prostatakarzinom (PCa) spielt mit einem mittleren Erkrankungsalter von 70 Jahren eine bedeutende Rolle in der Altersmedizin. Sein Anteil an allen diagnostizierten männlichen Tumorerkrankungen beträgt 26,1 %. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen steigt kontinuierlich, für 2014 werden in Deutschland 70.100 Fälle geschätzt [24].

Die Prävalenz stieg im Verlauf der letzten 10 Jahre um > 25 % an. Der Grund für diese Entwicklung liegt nur z. T. in den höheren Überlebenschancen dank besserer Behandlungsmöglichkeiten. Neben der älter werdenden Gesellschaft spielt die vermehrte frühe Entdeckung eine entscheidende Rolle. Das spiegelt die Stadienverteilung wieder: T1- und T2-Kategorien haben zusammen einen Anteil von 77 % [24].

Überdiagnosen und Überbehandlungen haben schwerwiegende Folgen

Der früh erkannte Niedrig-Risiko-Krebs ist für die Lebenserwartung älterer Männer von geringer Relevanz; andere Erkrankungen stehen im Vordergrund. Wenn auch die Früherkennung die Inzidenz der fortgeschrittenen Tumoren und die Mortalität reduziert, haben Überdiagnosen und Überbehandlungen schwerwiegende Folgen. Im Alter wiegt die zu erwartende Belastung durch die eingeschränkte Lebensqualität schwer. Das betrifft die Früherkennung selbst, die Folgeuntersuchungen und v. a. die Behandlung, da – anders als im jüngeren Lebensalter – die Lebenserwartung nicht verbessert wird. Epidemiologische, klinische und Autopsiestudien schätzen die Zahl der Überdiagnosen auf 1,7–67,0 % [25].

Mit Blick auf die Folgen des demografischen Wandels werden zwei Fragen gestellt:

  • Wie können wir die durch die Früherkennung bedingte Inzidenzsteigerung so beeinflussen, dass nur die klinisch signifikanten (d. h. die für den Betroffenen bedrohlichen) Tumoren entdeckt werden bzw. wie lassen sich Überdiagnosen vermeiden?

  • Wie müssen wir mit diagnostizierten Niedrig-Risiko-Tumoren umgehen?

Durch Risikostratifikation Überdiagnosen vermeiden

Die früher von Urologen empfohlene jährliche PSA-Untersuchung (prostataspezifisches Antigen) machte auch vor den Alten nicht Halt. Deshalb blieb die altersstandardisierte Erkrankungsrate (jährliche Neuerkrankungen pro 100.000) seit 2006 nahezu konstant.

Trotz des geringen Nutzens und der eindeutigen Datenlage zum Schaden der PSA-Bestimmung im Rahmen der Früherkennung werden umfängliche Tumorbefunde „produziert“. Diese Entwicklung kann durch eine risikoadaptierte Früherkennung beendet werden. Sie orientiert sich an dem PSA-Basiswert. Er wird im Alter < 50 Jahren gemessen. Ist dieser Wert > 0,63 ng/ml, werden 81 % der Männer einen fortgeschrittenen Tumor innerhalb von 20–30 Jahren entwickeln. Umgekehrt haben Männer im Alter von 60 Jahren mit einem PSA < 1 ng/ml nur ein Risiko von 0,2 %, bis zum Alter von 85 Jahren an dem Tumor zu sterben [34]. Der risikoadaptierte PSA-Test kann ein wichtiger Schritt sein, um die weitere Inzidenzsteigerung im Alter abzuwenden. Eine am PSA-Wert orientierte Altersgrenze der Früherkennung sollte akzeptiert werden.

Durch aktive Überwachung Übertherapien vermeiden

Endlich setzt sich der Gedanke durch, nicht jeden entdeckten Tumor der Prostata zu bestrahlen oder zu operieren. Das „National Institute for Health and Clinical Excellence“ (NICE) empfiehlt seit 2014 in seiner Leitlinie die aktive Überwachung („active surveillance“, AS) als einzige Behandlung für das Niedrig-Risiko-PCa. Australische Experten fanden nach Literaturreview 13 Prozeduren mit unsicherer Indikation – darunter die radikale Prostatektomie [11]. Mit der Aussage „PCa – the time of overtherapie is over“ auf der DGU 2015 wird die 2005 eingeläutete AS-Ära in Deutschland hoffähig [17]. Grundlage für AS sind prospektive Kohortenstudien und vier systematische Reviews, die zwischen 2012 und 2015 erschienen sind [7, 29, 32, 33]. Wenn auch die Eingangskriterien und die Überwachungsprotokolle für AS unterschiedlich sind und die jeweilige Beobachtungsdauer noch nicht ausreichend ist, so besteht hinsichtlich folgender Aussagen eine ausreichende Sicherheit:

  • aus psychischen Gründen ist nicht jeder Betroffene für AS geeignet;

  • die Progressionsrate beträgt ca. 30 %.

  • bei beginnender Progression ist eine kurative Intervention Erfolg versprechend, indem 75 % der dann Operierten tumorfrei bleiben, so dass insgesamt nur 6 % der Gesamtkohorte eine Progression erleiden. Diese Zahl entspricht der Rezidivrate nach primärer Operation [18].

Die Gesamtmortalität ist unter AS mit 0–2 % sehr gering, was zu einem deutlichen Rückgang der Radikaloperation führen wird. Die Ergebnisse der HAROW-Studie (Hormontherapie, AS, Radiotherapie, Operation und WW) zeigen, dass die beteiligten niedergelassenen Urologen gut zwischen kurativen und palliativen Therapiestrategien differenzieren, wobei insbesondere die langfristige Beobachtung („watchful waiting“, WW) als eine Zukunftsstrategie für alte Betroffene zu gelten hat [35].

Das metastasierte PCa des älteren Mannes

Weil lediglich eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens gesichert ist, sind Lebensqualität und unerwünschte Wirkungen besonders bei alten Patienten zu berücksichtigen. Ist der metastasierte Tumor asymptomatisch, wird man im Alter mit der Androgendeprivation sehr zurückhaltend sein.

Beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) war bis 2011 die Chemotherapie mit Docetaxel die einzige Behandlungsmöglichkeit mit Überlebensvorteil. Derzeit stehen mit Abirateronacetat und Enzalutamid effektive und für alte Männer besser verträgliche Optionen für die Erstlinientherapie des mCRPC zur Verfügung.

Problematik der therapeutischen Belastbarkeit bei Kastrationsresistenz im Alter

Für behandelnde Ärzte sind Entscheidungen über Behandlungsstrategien in dieser Altersgruppe komplex, zumal die Klientel heterogen zusammengesetzt ist. Viele erreichen ohne deutlichen Verlust von Funktionalität ein hohes Alter, andere haben eine Vielzahl von Begleiterkrankungen. Deshalb hat die „International Society of Geriatric Oncology“ (SIOG) Empfehlungen für eine angemessene Indikation und Therapie des mCRPC bei älteren Patienten publiziert [9]. Danach soll die Gruppe der sehr kranken Patienten („too sick“) keine Chemotherapie, sondern eine symptomatische Behandlung erfahren. Diese Patienten sind multimorbide, bettlägerig, schlecht ernährt und kognitiv beeinträchtigt. Die Indikation für Abirateron oder Enzalutamid ist zu prüfen.

Die Standardprotokolle der Medikamente für das mCRPC sind nicht auf ältere Patienten ausgerichtet

Da die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands durch die alten Patienten fehlt, besteht die Gefahr subjektiver ärztlicher Entscheidungen. Die Nebenwirkungen sind bei älteren Patienten (> 70 Jahre) häufiger und schwerwiegender [5, 6]. Ungeeignete Patienten gilt es von der Behandlung auszuschließen und für die anderen die richtige Dosierung des Medikaments zu wählen, um einen maximalen Nutzen bei minimalen Nebenwirkungen zu erreichen. Die Standardprotokolle der Medikamente für das mCRPC sind nicht auf ältere Patienten ausgerichtet. Deshalb ist den Empfehlungen der SIOG zu folgen (Abb. 2).

Abb. 2
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Unterschiedlicher Gesundheitsstatus von über  70-Jährigen mit mCRPC

Demnach stehen der Gruppe der sehr Kranken die Gesunden („healthy“) gegenüber. Sie wird wie eine jüngere Altersgruppe mit voller Dosierung belastet. Dazwischen stehen die beiden wichtigsten Gruppen: vulnerable Patienten und die Gruppe „frail“ (Abb. 2). Vulnerable Patienten können durch allgemeinmedizinische Maßnahmen wieder in einen guten Gesundheitszustand überführt und dann voll belastet werden. Im Gegensatz dazu sind Frail-Patienten irreversibel geschädigt, die Dosis des Medikaments muss angepasst bzw. reduziert werden [8].

Die Datenlage stützt die Annahme, dass die Toxizität bei den verschiedenen Altersgruppen variiert und bei älteren Patienten (über 70 Jahre) größer ist [16, 23]. Individuelle Komorbidität und funktionelle Beeinträchtigungen erhöhen das Risiko für therapiebedingte Komplikationen [26, 31].

Das geriatrische Assessement

Um Behandlungsfehler zu reduzieren und für die Patienten die bestmögliche Therapie zu ermöglichen, fordern internationale Fachgesellschaften bei Patienten über 70 Jahre vor therapeutischen Maßnahmen ein „geriatrisches Assessment“ („comprehensive geriatric assessment“, CGA, [12]). Das CGA ist eine Evaluation, mit der multiple Probleme und Einschränkungen des älteren Menschen aufgedeckt und beschrieben werden. Auf dieser Grundlage können benötigte Hilfestellungen veranlasst werden [30]. Die SIOG definiert in ihren Richtlinien das geriatrische Assessment als einen dynamischen Prozess, der die Reserven und Bedürfnisse eines Patienten identifiziert und hilft, einen individualisierten Plan als Behandlungsempfehlung zu erstellen.

Bislang ist das Assessment nur an wenigen größeren Patientengruppen prospektiv geprüft worden, so dass sich damit noch nicht die individuelle Behandlungsfähigkeit abschätzen lässt. Soubeyran et al. [31] identifizierten vier Faktoren, die mit einem vorzeitigen Tod innerhalb der ersten 6 Monate nach Beginn der Chemotherapie korrelieren: schlechter Ernährungszustand, das männliche Geschlecht, beeinträchtigte Mobilität und ein fortgeschrittenes Tumorstadium. Die Korrelationen der Chemotherapietoxizität mit dem Mini-mental-Status sowie dem Ernährungszustand wurde aufgedeckt [13].

Die verschiedenen Instrumente des CGA untersuchen körperliche, kognitive und psychische Fähigkeiten.

Erkannt werden sollen vorhandene Komorbiditäten, der funktionelle Status, eine mögliche Depression, kognitive Beeinträchtigung und der Ernährungsstatus sowie eine notwendige soziale Unterstützung [2, 27]. Die Durchführung eines CGA dauert je nach Umfang 20–40 min und ist eine delegierbare Leistung. Am Schluss ist durch eine Punktbewertung eine Zuordnung gut möglich.

IBuTu-Studie

Die von der Stiftung Männergesundheit initiierte IBuTu-Studie (interdisziplinäre Behandlung urologischer Tumoren) prüft ein CGA, welches speziell auf Patienten mit einem mCRPC zugeschnitten ist. Hier werden die Einschätzung des Arztes und des Patienten mit den Ergebnissen eines CGA vor einer Chemo- oder Hormontherapie verglichen [3, 4]. Die Studie geht von der Hypothese aus, dass numerisches Alter und Tumorausdehnung nicht ausreichend sind, um den an einem mCRPC erkrankten alten Patienten zu beurteilen. Sie sollen durch ein CGA ergänzt werden.

In die Studie wurden 177 Patienten rekrutiert. Bei einer Zwischenauswertung waren 35 % der chemotherapierten und 44 % der unter sekundärer Hormontherapie stehenden Patienten Abbrecher. Das Ergebnis wird im Sommer 2016 vorliegen.

Demenzielle Erkrankungen

Die Prävalenz der demenziellen Erkrankungen (dargestellt in Abb. 3 an der Prävalenz der Demenz vom sog. Morbus-Alzheimer-Typ) nimmt aufgrund des Zuwachses an Hochbetagten dramatisch zu. Nach einer Untersuchung des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen (ZeS) haben wir in Deutschland (bezogen auf 2010) 1,2 Mio. dementiell erkrankte Personen. Für das Jahr 2030 wird ein Anstieg auf 1,8 Mio. und für 2060 auf 2,5 Mio. prognostiziert. Dies entspricht einer Erhöhung von 1,5 % aktuell an der Gesamtbevölkerung auf 3,8 % innerhalb von 50 Jahren.

Abb. 3
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Prävalenz der Demenz vom Alzheimer-Typ. (Nach [1])

Bezogen auf die bekannte Lebenserwartung bedeutet dies, dass jede zweite Frau und jeder dritte Mann demenziell erkranken wird, d. h. seine/ihre Demenz erlebt. Im bereits zitierten Barmer-GEK-Pflegereport 2010 sind das 29 % der männlichen und 47 % der weiblichen Versicherten, die 2009 im Alter von über 60 Jahren verstarben, die somit teilweise über Jahre mit der Diagnose oder der „Neben“-Diagnose Demenz belastet waren, mit gleichzeitig resultierendem erhöhten ambulanten und stationären Pflegebedarf.

Da bei (noch) fehlenden kurativen Maßnahmen, Pflege und Betreuung im Zentrum unserer Bemühungen stehen, müssen die Versorgungsstrukturen insbesondere im Bereich der niederschwelligen Versorgung ausgebaut werden. Die Voraussetzungen in den europäischen Ländern sind diesbezüglich völlig unterschiedlich. Während man in den Niederlanden versucht, mit Schulungs- und Unterstützungsprogrammen den Angehörigen von Demenzkranken Hilfen an die Hand zu geben, um die Pflege zuhause zu gewährleisten, geht man in anderen Ländern in der wie z. B. der Schweiz den Weg der vorherrschend institutionalisierten Versorgung. Auch im Bereich der Diagnostik gibt es große Unterschiede zwischen den Ländern. In Tab. 4 ist ein Vergleich der sog. Memory-Kliniken zwischen Deutschland und der Schweiz dargestellt.

Tab. 4 Die Existenz von Memory-Kliniken in Abhängigkeit von der Bevölkerungszahl – ein Vergleich zwischen Deutschland und der Schweiz. (Nach [1])

In Deutschland scheint die Neuetablierung von sog. Memory-Kliniken ohne dies seit einem gewissen „Hype“ zwischen Mitte bis Ende der 1990er Jahre wieder zu stocken. Während zwischen 1985 bis 1989 n = 5, 1990 bis 1994 n = 8 derartige Memory-Institutionen eingerichtet wurden, waren es zwischen 1995 bis 1999 n = 25, im Jahre 2000 und später nur noch einzelne [1]. Mittels einer Umfrage konnten wir feststellen, dass die meisten der Memory-Kliniken an Versorgungskrankenhäusern mit Geriatrien entstanden sind. Nicht, wie wir ursprünglich vermutet hatten, an entsprechend spezialisierten psychiatrischen Kliniken.

Ab etwa 2020 droht ein prekärer Fachkräftemangel im Bereich der Pflege und Altenpflege

Schon bald werden sich bei der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung Fragen stellen: Nicht nur wie die Kosten hierfür bereit gestellt werden können, sondern auch die Frage, wer bei schrumpfendem Anteil der Jüngeren in der Bevölkerung die Pflege und die Versorgung in Zukunft leisten wird, denn ab etwa 2020 droht ein prekärer Fachkräftemangel im Bereich der Pflege und Altenpflege. Nach einem Pflegereport aus dem Jahre 2010 werden bereits ab 2020 in Deutschland, nach Vollzeitstellen berechnet, nicht nur fast 56.000 Ärzte sondern auch 104.000 Pflege- und andere nichtärztliche Fachkräfte fehlen [15]. Laut einem Pflegereport der Barmer GEK haben Versicherte mit Demenzerkrankungen ab 60 Jahren eine Pflegebedürftigkeit zu rund 20 % der höchsten Pflegestufe 3. Im Vergleich: Unter allen Pflegebedürftigen im Alter ab 60 Jahren liegt dieser Anteil lediglich bei 12 %. 40–70 % der pflegebedürftigen Demenzerkrankten werden im Pflegeheim versorgt. Im Vergleich: Nur 28 % aller Pflegebedürftigen sind stationär, d. h. heimpflegebedürftig. Um eine entsprechende Qualität zu erhalten oder zu gewährleisten, muss die Attraktivität dieser Arbeit erhöht werden, sonst wird die Ökonomie obsiegen und in baldiger Zukunft wird unter dem Vorzeichen einer „Globalisierung“ eine Auslagerung von Pflege und Versorgung in Billiglohnländer erfolgen. Dies kann jedoch weder politisches noch gesellschaftliches Ziel sein.

Angemerkt sei an dieser Stelle, dass es durchaus Anbieter gibt, die teilweise sehr offensiv z. B. für eine günstige Pflege in Thailand werben. Jeder Interessierte kann über die Internetadresse: http://www.thailandcom.de Preislisten für die günstige Kostenversorgung seiner alten Angehörigen abfragen.

In Bezug auf den personalersetzenden Einsatz von Technik gibt es noch neben der rein im experimentellen Stadium sich befindenden Pflegerobotik sensorgestützte Überwachungs- und Alarmsysteme, die kritische Personen an der Grenze zur Pflegeabhängigkeit in ihrer häuslichen Unabhängigkeit supervidieren. Derartige Systeme gelangten beispielsweise im Rahmen des interdisziplinären Forschungsverbundes Gestaltung altersgerechter Lebenswelten (GAL) zu einer annähernd für den Routinebetrieb geeigneten Reife [36].

Der notwendige Strukturwandel: „Geriatrisierung der Medizin“

Krankenhäuser, die eigene geriatrische Abteilungen ausweisen, sind vergleichsweise gut gerüstet. Modelle der Kooperation zwischen den geriatrischen Fachabteilungen und anderen Fachdisziplinen münden bereits in zertifizierte beste Strukturen wie z. B. die sog. „Alterstraumatologie“ z. B. mit dem Vorteil einer Absenkung der peri- und postoperativen Delirmortalität, dadurch bedingt auch einer Senkung der Krankenhausletalität. Solche Modelle, wie sie für die Alterstraumatologie zusammen mit den Unfallchirurgen entwickelt wurden, wären auch für die Urologie sehr wohl denkbar.

Die Geriatrisierung ist aber auch ein notwendiger Prozess der Zukunftssicherung unseres Gesundheitswesens und damit auch unseres gesamten Gemeinwesens. So wurde mit Einführung der neuen Approbationsordnung, mit Aufnahme erstmals immerhin einiger Stunden Studentenunterricht zum Thema „Altern und Medizin des Alterns“ ein erster Schritt gemacht, Altersmedizin auch im Medizinstudium einzuführen, gleichzeitig wird mit Einführung der neuen Musterweiterbildungsordnung für Ärzte, genau genommen mit der Umsetzung der Weiterbildungsordnung auf Länderebene, der demographisch-medizinischen Wirklichkeit entgegen gewirkt. Mit der Abschaffung des Schwerpunktes Klinische Geriatrie durch die letzte Novelle der Approbationsordnung und der ersatzweisen Abstufung der Geriatrie als Zusatzbezeichnung, ist vor dem Hintergrund unserer Demographie ein unverständlicher Schritt passiert. Immerhin, zwei Bundesländer (Brandenburg und Sachsen-Anhalt) haben sich der Umsetzung dieser neuen Weiterbildungsordnung widersetzt und hielten am Schwerpunkt fest, nicht zuletzt auch um bestehende Landesgeriatriekonzepte nicht zu konterkarieren. Die anderen Bundesländer und die Sozialministerien jedoch blieben unentschlossen oder verhielten sich dem Problem gegenüber gleichgültig. Dabei ist unumstritten: Eine funktionierende medizinische Versorgung erfordert eine qualifizierte Fachweiterbildung der Ärzte. Eine Weiterbildung in Altersmedizin wird aufgrund der jetzigen und zukünftigen Demographie unverzichtbar. Spezialisierte Krankenhausabteilungen sind an entsprechende Facharztweiterbildungen gebunden.

Die Geriatrie hat sich immer wieder auch für die Erkennung der Chancen verwandt, die ein höherer Anteil von Älteren in einer Gesellschaft bedeuten kann. So sind die Lehrinhalte des von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) vorgeschlagenen Curriculums im Studentenunterricht Altersmedizin deutlich dadurch geprägt, die Ressourcen und nicht nur die Defizite älterer Patienten zu kennen, zu erfassen und zu nutzen. Wenn man die Alten einer Gesellschaft jedoch ausschließlich als Kostenfaktor betrachtet und durch vermeintliche Ausgrenzungen die Kosten vermeintlich zu reduzieren sucht, so wird man am Ende einen noch viel höheren Preis zu zahlen haben. Dann werden Krankheiten verschlimmert, Begleiterkrankungen verstärkt und v. a. die Pflegeabhängigkeit drastisch zunehmen. Insofern lohnt es sich, die Herausforderung anzunehmen und die aktuellen und zukünftigen demographischen Gegebenheiten als eine Chance zu verstehen.

Kostendiskussion

Moderne Therapien, die oft nebenwirkungsärmer aber teurer sind, kommen bei Alten deutlich seltener zum Einsatz als bei Jungen. Aus diesem Kontext stammt auch der Begriff „Altersrassismus“ („ageing-rassism“), mit dem in einer amerikanischen Studie Ende 1999 im New England Journal of Medicine publiziert festgestellt wurde, dass Alte qualitativ und quantitativ schlechter behandelt würden als beispielsweise sonstige üblicherweise als sozial benachteiligt bezeichnete Gruppen.

Es gibt kaum eine Indikationsgruppe von Arzneimitteln, bei denen in ausreichendem Maße ältere Patienten in klinische Zulassungsstudien eingeschlossen werden – diesem Blickwinkel betrachtet ist die Situation absurd. Es stellt sich die Frage, obwohl sie die Mehrzahl der potentiellen Anwender dieser Medikamente sind: „Are old patients not fit for clinical trials, or do clinical trials not fit to old patients?“ [20].

Verschärft wird dieses Problem durch die alles überlagernde Kostendiskussion. Das vor nahezu 15 Jahre flächendeckend eingeführte Vergütungssystem für Krankenhäuser, die sog. „diagnosis related groups“ (DRG), also Fallpauschalenvergütungen ist dem Grunde nach ebenfalls nicht mit der Situation älterer Patienten im Krankenhaus vereinbar, die sich aufgrund der Liegezeiten von jüngeren unterscheiden und natürlich aufgrund von Begleiterkrankungen und natürlich aufgrund ihrer Risiken im Fallpauschalenvergütungssystem eher als ein ökonomisches Risiko für das Krankenhaus darstellen [21]. Waren Krankenhäuser vorausschauend und weitblickend und haben Abteilungen für Altersmedizin eingerichtet, so wurden sie aufgrund der höheren Zahl älterer Patienten für ihr Engagement ökonomisch bestraft. Auch im ambulanten Versorgungssystem, d. h. in der Praxis des Hausarztes und des Facharztes, sind alte Patienten aufgrund ihres höheren Medikamentenverbrauchs bei gedeckeltem Budget nicht unbedingt beliebt. Ihr Anteil am Gesamtpatientengut einer Praxis ist demographisch begründet deutlich steigend.

In einer europäischen Erklärung zu den demografischen Herausforderungen, den damit verbundenen Problemen und ihren möglichen Lösungen wurden die vorzugsweise und in Bälde zu ergreifenden Maßnahmen zur Bewältigung der Herausforderungen und Probleme, die wir durch den demographischen Wandel erleben, aufgelistet. Danach sollten die Länder der Europäischen Union und ihre Regierungen zur Kenntnis nehmen, dass Gesundheit und Wohlfahrt der älteren Bürger am ehesten durch eine Unterstützung und Fortentwicklung der geriatrischen Medizin gewährleistet wird.

Es heißt im Einzelnen:

  • Geriatrisch medizinische Versorgung schließt ambulante und stationäre Pflege ebenso ein, wie sozial flankierende Maßnahmen.

  • Weiterhin sollte jedes Allgemeinkrankenhaus in Zukunft über eine Abteilung oder zumindest eine Station für Geriatrische Medizin verfügen und durch in geriatrischer Medizin ausgebildete Spezialisten versorgt werden.

  • Sollte jede medizinische Fakultät oder medizinische Hochschule in Europa sowohl hinsichtlich Lehre, Patientenversorgung als auch in Forschung in akademischer geriatrische Medizin ausgewiesen sein. Ergänzt muss dies werden durch Fort- und Weiterbildungsangebote in Theorie und Praxis.

  • Geriatrisch/medizinische Lerninhalte sollten zumindest ausgewählt in allen medizinischen Fächern, die mit älteren Patienten und Alterskrankheiten konfrontiert werden in das jeweilige Weiterbildungs- und Fortbildungscurriculum verbindlich aufgenommen werden [6].

Allerdings wird es entscheidend darauf ankommen, dass in Zukunft die Sicherstellung an geeignetem Nachwuchs für geriatrische Medizin gewährleistet ist. Zumindest in Deutschland, aber auch in anderen Europäischen Ländern stellt sich die Versorgung aufgrund eines bereits bestehenden oder zu erwartenden Mangels an in geriatrischer Medizin spezialisierten Medizinern als kritische Größe dar [14, 19]. Es gibt allerdings auch Ausnahmen wie z. B. Österreich, die in ihrer jüngsten Entwicklung in kürzester Zeit sowohl in Aus- und Weiterbildung als auch in der Schaffung von Krankenhausabteilungen nicht nur nachgeholt haben, sondern sich vorbildlich entwickelt haben. Aber auch hier scheint der kritische Punkt des Mangels die akademische Vertretung zu sein. Letzteres ist jedoch keine Luxusmedizin oder eine „Nice-to-have-Ergänzung“ für die Geriatrie, sondern die Voraussetzung für Fortbestand und Weiterentwicklung klinischer Strukturen, medizinischen Fortschritts und adäquater Versorgungsqualität [14].

Ärzte und Pflegende

Neben dem bereits berichteten Pflegemangel, den wir in absehbarer Zeit zu erwarten haben, ist die Fachgruppe der weitergebildeten Ärzte in Altersmedizin ausgesprochen überschaubar. In einer Analyse Deutschlands [14] und einer Reihe von europäischen Nachbarländern [10] konnte gezeigt werden, dass zum einen erhebliche Unterschiede der Facharztdichte in den Ländern selbst aber auch dort regional existieren. So sind überwiegend ländliche Regionen und Flächenstaaten mit einem größeren Fachärztemangel behaftet als z. B. die „attraktiven“ Ballungsgebiete und Großstädte.

Dem demografischen Wandel steht bislang kein ausreichender Wandel der Strukturen im Gesundheitswesen gegenüber

Betrachten wir die Altersstruktur der Weitergebildeten und der Weiterbildenden zumeist leitenden Ärzte in Deutschland, so steht zu befürchten, dass mittelfristig die mittlerweile (glücklicherweise) entstandenen Geriatrieabteilungen in unseren Krankenhäusern (wenn überhaupt) nur noch mit Schwierigkeiten nachbesetzt werden können. So steht dem demografischen Wandel bislang kein ausreichender Wandel der Strukturen im Gesundheitswesen gegenüber. Wir stehen vor einer doppelten Herausforderung.

Fazit für die Praxis

  • Die demografische Entwicklung fordert jede Fachgesellschaft heraus, bietet aber interessante Optionen für eine dem Alter angepasste Diagnostik und Therapie. Geriater und Urologen werden sich den auf sie zukommenden Herausforderungen mit z. T. neuen Konzepten stellen müssen.

  • Geriater werden die fachspezifische Versorgung ebenso ausweiten müssen, wie die Förderung des Nachwuchses. Sie werden die Kooperation mit den anderen etablierten Fachgesellschaften intensivieren müssen.

  • Bei den Urologen wird es nicht die exzessive Ausweitung der Handlungen sein, sondern der angemessene Umgang mit der Früherkennung und mit dem Niedrig-Risiko-Karzinom der Prostata. Bereits damit ließe sich das demographische Gebirge überschaubar halten.

  • AS und WW sind Zukunftsstrategien für geriatrische Patienten – je nach Lebenserwartung. Die Trennung von Risikogruppen durch ein CGA bedeutet für Urologen eine Entscheidungshilfe und für Patienten mit einem CRPC der Schutz vor einer Gefährdung durch Überbehandlung.