Die Diskussion um die Zirkumzision nimmt kein Ende: Anfang 2014 wandte sich eine Anästhesistin aus Schleswig-Holstein an das Institut des Bewertungsausschusses in Berlin und wandte sich gegen einen Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, der darauf gerichtet war, die Dokumentationspflicht nach einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM) 31.2.2 für die Durchführung der Zirkumzision abzuschaffen bzw. den Eingriff in eine andere EBM-Gruppe einzugliedern. Wohl angetrieben durch diese Hinweise haben in jüngster Vergangenheit mehrere Kassenärztliche Vereinigungen anlassbezogene Plausibilitätsprüfungen nach den Regeln des Sozialgesetzbuches (SGB) V durchgeführt. Die Prüfungen haben sich darauf bezogen, ob im Zusammenhang mit der Gebührenordnungsposition (GOP) 31102 EBM die dem Wortlaute nach bestehenden Dokumentationsanforderungen durch die geprüften Vertragsärzte erfüllt worden sind. Wie dabei vorgegangen wurde und welchen Umfang diese Prüfungen hatten, wird aus folgenden Hinweisen deutlich:

Erst einmal wurden seitens der Krankenversicherungen (KVen) bundesweit stichprobenartige Abrechnungsprüfungen hinsichtlich der „korrekten“ Dokumentation vorgenommen [“korrekt“ meint hier eine medizinisch sinnfreie wörtliche Umsetzung der Dokumentationsanforderungen (Bilddokumentation des Befundes prä- und postoperativ oder Histologie)]. Diese Prüfungen fielen im Ergebnis, je nach Bundesland, sehr unterschiedlich aus. Es gab Bundesländer deren Stichprobe kaum Auffälligkeiten zeigte und das genügte, den betreffenden KVen, nicht weiter zu prüfen und an die Aufsichtsbehörden zu melden „alles in Ordnung“.

In anderen Bundesländern, so auch z. B. in Rheinland-Pfalz, war die Dokumentation in der Stichprobe lückenhaft, und man sah sich dann KV-seitig, auch durch medialen und ministeriellen Druck gezwungen, die gesamte Fachgruppe zu prüfen.

Sehr schnell war dann auch das Stichwort Abrechnungsbetrug im Raum und die Urologen in Rheinland-Pfalz sehen sich momentan mit einer Regresssumme von insgesamt 650.000 € konfrontiert, die sich auf über ein Dutzend Praxen verteilt. Die Regresse für die einzelnen Praxen liegen zwischen 10.000 und 120.000 €, also durchaus in Existenz gefährdenden Regionen.

In der Erkenntnis, dass eine größere Anzahl von BDU-Mitgliedern von der geschilderten Vorgehensweise betroffen sein könnte, haben sich Präsidium und Hauptausschuss des BDU mit dem Problem befasst und veranlasst, dass die Problematik rechtlich durch den Justiziar geprüft und gewürdigt wird. Eine Zusammenfassung dieser Prüfung kommt zu den nachfolgen dargestellten Ergebnissen.

1. In Bezug auf die Durchführung und Abrechnung von Zirkumzisionen ist unter 31.2.2 EBM unter der Überschrift

Definierte operative Eingriffe an der Körperoberfläche

unter Ziffer 1 folgende Abrechnungsbestimmung enthalten:

Die Berechnung dermato-chirurgischer Eingriffe setzt die obligate histologische Untersuchung entnommenen Materials und/oder eine Bilddokumentation des prä- und postoperativen Befundes voraus.

Anerkannt ist dabei, dass die Zirkumzision über die Ziffer 31101 abgerechnet werden kann und bei Vorliegen der Voraussetzungen auch über die Ziffer 31102. Die Ziffer 31101 steht im Anhang 2 EBM des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS-Code) 5-640.2

Operationen am Präputium: Zirkumzision

zugeordnet, die EBM Ziffer 31102 dem OPS-Code 5-640.3

Operationen am Präputium: Frenulum- und Präputiumplastik.

Als Rechtsgrundlage für diese Abrechnungsbestimmung kommt § 87 Abs. 2d) SGB V in Betracht. Diese Bestimmung ist darauf gerichtet, dass sichergestellt wird, dass bei der Ausführung vertragsärztlicher Leistungen die notwendigen Qualitätsstandards eingehalten werden und die abgerechneten Leistungen auf den medizinisch notwendigen Umfang begrenzt werden.

Hierum geht es in Bezug auf die Abrechnungsbestimmung für die Zirkumzision nicht. Die zitierten Dokumentationsanforderungen verfolgen vielmehr das Ziel, dass behandlungsbedürftige Zirkumzisionen von nur religiös begründeten Zirkumzisionen ohne Bestehen eines Behandlungsbedarfs abgegrenzt werden. Schon in der Entstehungsgeschichte der Abrechnungsbestimmung stand auf Seiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) außer Frage, dass die Dokumentationsanforderung einer Bilddokumentation und/oder einer histologischen Untersuchung in Bezug auf die Zirkumzision sicherstellen sollte, dass die Indikationsstellung zur Zirkumzision von medizinisch nicht indizierten Zirkumzisionen abgrenzbar ist. In entsprechender Weise soll sich nach der oben genannten Anzeige der Schleswig-Holsteinischen Anästhesistin auch der Gesundheitsminister Bahr in einem Schreiben vom 03.08.2012 an die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt geäußert haben wie folgt:

Zur Sicherung der Indikationsstellung erfolgte bereits mit der Reform der vertragsärztlichen Gebührenordnung, dem sog. Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), zum 01.04.2005 bei allen Eingriffen der Haut, somit auch bei einer Zirkumzision, durch den Bewertungsausschuss für ärztliche Leistungen die verbindliche Vorgabe einer indikationsbegründenden Dokumentation (vgl. allgemeine Bestimmungen des EBM zu dermato-chirurgischen Eingriffen des Kap. 31).

Diese Zusammenhänge belegen, dass es bei der im EBM formulierten Dokumentationspflicht für die Zirkumzision nicht um die in § 87 Abs. 2d) SGB V benannten Dokumentationsziele geht, sondern darum, einen Nachweis zu schaffen, ob eine behandlungsbedürftige Krankheit, die die Durchführung einer Zirkumzision nach den Regeln des SGB V rechtfertigt, vorliegt oder eine solche Krankheit nicht gegeben ist und eine Zirkumzision deshalb als GKV-Leistung nicht erbracht werden darf.

Auf eine solche Abgrenzung erstreckt sich indes der gesetzgeberische Auftrag nach § 87 Abs. 2d) SGB V nicht.

Dies spricht dafür, dass es in Bezug auf die für die Zirkumzision formulierten Dokumentationspflichten an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage fehlt und die Festlegung solcher Dokumentationspflichten bereits aus diesem Grunde rechtswidrig ist.

2. Auch wenn man diesen Standpunkt nicht teilt, erscheinen die für die Zirkumzision aufgestellten Dokumentationsanforderungen zur Indikationsbegründung ungeeignet und deshalb unrechtmäßig. Dies ergibt sich aus medizinischen Gründen. Derartige medizinische Gründe dürfen gegenüber der konkreten Abrechnungsbestimmung für die Zirkumzision entgegengehalten werden. Soweit in der Rechtsprechung vertreten wird, dass medizinische Argumente gegenüber einer im EBM enthaltenen Abrechnungsbestimmung nicht herangezogen werden dürfen, betrifft die Rechtsprechung hierzu nur solche Abrechnungsbestimmungen, die sich im Rahmen des § 87 Abs. 2d SGB V halten und/oder Bestandteil des Vergütungstatbestandes, der im EBM beschrieben ist, sind. Die Zielsetzung der Dokumentationspflichten für die Zirkumzision in Form einer histologischen Untersuchung und/oder einer Bilddokumentation ist eindeutig auf Indikationsbegründung gerichtet. Die Zielsetzung besteht nicht darin, die Vergütungskalkulation in der Weise zu begründen, dass die Dokumentation als ein Teil der vertragsärztlichen Leistung die Grundlage für die konkret bemessene Vergütung für die Zirkumzision im EBM darstellt.

Soweit es, wie hier, um die Frage der Indikationsbegründung geht, steht nicht der Umfang erbrachter Leistungen im Raum, sondern die Frage, ob aus medizinischen Gründen überhaupt eine Zirkumzision durchgeführt werden konnte oder nicht. Dies ist eine rein medizinische Frage, und genauso ist die Eignung von bestimmten Dokumentationsmitteln, die die Indikationsbegründung nachweisen sollen, der medizinischen Bewertung zugänglich. Insoweit aber gilt, dass anerkannt ist, dass in einer Vielzahl von medizinisch indizierten Zirkumzisionen eine histologische Untersuchung nichts für den Nachweis einer Indikationsbegründung hergibt. Entsprechendes gilt für eine Bilddokumentation. Eine nicht zurückschiebbare Vorhaut ist durch ein Bild nicht darstellbar, sondern nur erklärbar durch die zusätzliche Information des behandelnden Arztes, der das Bild aufgenommen hat, dass die Vorhaut eben nicht zurückschiebbar ist. Dies allerdings dokumentiert der behandelnde Arzt ohnehin. Die prä- und postoperative Bilddokumentation ist deshalb ebenfalls nicht geeignet, zur Indikationsbegründung beizutragen.

3. Selbst wenn Letzteres nicht der Fall wäre, würde allerdings die zitierte Dokumentationsbestimmung auch deshalb rechtswidrig sein, weil bei einer prinzipiell nicht geeigneten histologischen Untersuchung die zitierte Dokumentationsverpflichtung nicht den Normbefehl gibt und auch nicht geben kann, anstelle der nicht geeigneten histologischen Untersuchung auf jeden Fall eine Bilddokumentation durchzuführen. Anderenfalls wäre der Vertragsarzt verpflichtet, vorsorglich immer beide Dokumentationen zu erbringen.

4. Schließlich folgt eine Rechtswidrigkeit der für Vertragsärzte in Bezug auf die Zirkumzision formulierten Dokumentationsanforderungen auch aus einer Ungleichbehandlung im Verhältnis zu ambulant operierenden Krankenhäusern. Für diese wäre ein Verfahren, wie es jetzt eine Vielzahl von Vertragsärzten erleben muss, rechtlich ausgeschlossen. Dies folgt je nach juristischer Bewertung daraus, dass die für Vertragsärzte geltenden Dokumentationsanforderungen nach den Regeln des AOP-Vertrags (ambulantes Operieren und sonstige stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus) für ambulant operierende Krankenhäuser nicht gelten, wofür die Bewertung der Regelung im AOP-Vertrag spricht. Auch wenn insoweit von einer grundsätzlichen Geltung dieser Dokumentationsanforderung für ambulant operierende Krankenhäuser auszugehen wäre, würde diese nicht durchsetzbar sein. Dies liegt darin begründet, dass Krankenhäuser in Bezug auf die von ihnen erbrachten Leistungen des ambulanten Operierens nach den Regeln des AOP-Vertrages lediglich die Daten nach § 301 SGB V übermitteln müssen und weitergehende Einsichtsrechte nicht bestehen. Der Nachweis von Dokumentationsanforderungen ist nicht Bestandteil des genannten Datensatzes.

Da in Bezug auf das ambulante Operieren durch Vertragsärzte einerseits und Krankenhäuser andererseits anerkannt ist, dass grundsätzlich gleiche Wettbewerbsbedingungen bestehen müssen, spricht aufgrund dieser Erwägungen erhebliches dafür, dass die im EBM formulierten Dokumentationsanforderungen für Zirkumzisionen, die Vertragsärzte erbringen, auch aus diesem Grunde rechtswidrig sind.

5. Präsidium und Hauptausschuss des BDU weisen trotz des dargelegten Prüfungsergebnisses darauf hin, dass bis zur abschließenden Klärung bei der Durchführung von Zirkumzisionen die im EBM formulierten Dokumentationsanforderungen eingehalten werden müssen, um rechtliche und wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden. Zwischenzeitlich wird allerdings das Notwendige unternommen, um Rechtssicherheit für die Mitglieder herbeizuführen.