Mindestmengen werden in der medizinischen Versorgung als Instrument gesehen, um die Behandlungsqualität zu sichern und insgesamt zu verbessern. Eine besondere Relevanz hat diese Überlegung v. a. im Kontext komplexer operativer Eingriffe, da hier ein Zusammenhang zwischen den Fallzahlen einer Institution und dem Outcome recht gut belegt ist.

Dies gilt insbesondere für Morbidität und Mortalität, aber auch für funktionelle Ergebnisse und die Details der Indikationsstellung. Entsprechend wurden in einigen Gesundheitssystemen bestimmte Eingriffe zentralisiert. In Großbritannien beispielsweise fordern nationale Leitlinien, dass ausgedehnte operative Eingriffe bei urologischen Tumoren [13] oder beim Pankreaskarzinom [7] ausschließlich in spezialisierten Zentren mit hoher Fallzahl durchgeführt werden sollen. Andererseits wird das Thema Mindestmengen, deren Einführung und mögliche Auswirkungen seit langem kontrovers diskutiert [3, 16].

Um eine differenzierte Bewertung zu erreichen, sollen zunächst die Rahmenbedingen für die Umsetzung von Mindestmengen im deutschen Gesundheitswesen skizziert werden. Anschließend ist die Evidenz für Mindestmengen in der Uroonkologie zu prüfen, woraus sich Implikationen für die Forschung ergeben.

Mindestmengen in Deutschland

In Deutschland wurde mit der Erweiterung des § 137 SGB V zum 1. Januar 2004 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein Katalog planbarer stationärer Leistungen festgelegt, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist [5]. Dieser Katalog wurde im Laufe der Zeit mehrfach angepasst und erweitert. Aktuell finden sich darin 8 Prozeduren bzw. Leistungen, die mit den entsprechenden Mengenvorgaben in Tab. 1 dargestellt sind. Bei drei Viertel davon handelt es sich um operative Eingriffe, darüber hinaus existieren mit der Versorgung von Früh- und Neugeborenen und der Stammzellentransplantation auch für zwei nichtchirurgische Leistungen Mindestmengenregelungen. Für koronarchirurgische Eingriffe erfolgte eine Aufnahme in den Katalog ohne Festlegung einer konkreten Mindestmenge, weshalb daraus letztlich keine Konsequenzen für die Leistungserbringung resultieren. Die Mindestmengenregelung für die Kniegelenktotalendoprothetik wurde aufgrund eines Gerichtsurteils seit 2011 außer Kraft gesetzt.

Tab. 1 Aktuell in Deutschland geltende Mindestmengenregelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses. (Nach [5])

Der Mindestmengenkatalog betrifft dabei ausschließlich planbare stationäre Leistungen. Notfälle bleiben von den Vorgaben unberührt. Erreichen Krankenhäuser die erforderliche Mindestmenge bei planbaren Leistungen voraussichtlich nicht, dürfen sie diese ab dem Jahr des jeweiligen Inkrafttretens der Mindestmengenregelung nicht mehr erbringen. Falls jedoch die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung gefährdet sein sollte, kann die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde über die Nichtanwendung des Katalogs entscheiden [5].

Evidenz soll Grundlage sein, aber ist sie das auch?

Grundsätzlich sollen gesundheitspolitische Interventionen zur Steigerung der Behandlungsqualität auf einer starken Evidenzlage aufbauen. Ob dies für die in Deutschland eingeführten Mindestmengen für chirurgische Eingriffe tatsächlich der Fall ist, wurde kürzlich umfassend von einer Wittener Arbeitsgruppe untersucht [16, 17]. Die Autoren kritisieren, dass nicht jeder Entscheidung bezüglich der hiesigen Mindestmengenregelungen eine systematische Literaturrecherche zugrunde lag. Offenbar wurden die Regelungen häufig durch einen Expertenkonsens festgelegt, wobei die jeweils relevanten Entscheidungsgründe nicht transparent dargestellt wurden.

Gesundheitspolitische Interventionen zur Steigerung der Behandlungsqualität sollen auf einer starken Evidenzlage aufbauen

Die Literaturübersicht aller bis 2012 publizierten systematischen Übersichtsarbeiten zum Zusammenhang von Fallzahlen eines Krankenhauses und der Ergebnisqualität zeigte für die meisten operativen Eingriffe einen positiven Zusammenhang moderater Stärke [17]. Insgesamt erschien es jedoch problematisch, Mindestmengen im Sinne eines klaren Schwellenwertes abzuleiten, da für die Fallzahlen eine Vielzahl unterschiedlicher und mitunter willkürlich erscheinender Kategorien definiert wurde. Ein starker positiver Zusammenhang fand sich nur für die Pankreaschirurgie [17]. Auch für uroonkologische Eingriffe wie die radikale Prostatektomie, die radikale Zystektomie und die radikale Nephrektomie ließen sich moderate positive Zusammenhänge zwischen der Fallzahl des Krankenhauses und der Ergebnisqualität belegen [16].

Mindestmengen auch für die Uroonkologie?

Mit der Nierentransplantation findet sich allerdings nur ein urologischer Eingriff im Mindestmengenkatalog des G-BA, der aufgrund der hohen Anforderungen an Personal und Infrastruktur ohnehin nur an wenigen Kliniken durchgeführt wird. Andere Eingriffe sind trotz deutlich höherer Versorgungsrelevanz und vorliegender Evidenz nicht enthalten. So stellen urologische Malignome > 20 % aller onkologischen Neuerkrankungen dar [8] und die Qualität ihrer operativen Therapie beeinflusst die Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich. Daher stellt sich auch für die urologische Tumorchirurgie die Frage, ob eine Zentralisierung der Versorgung mit einer erhöhten Behandlungsqualität einhergeht. Insbesondere die radikale Prostatektomie, die radikale Zystektomie und die operative Therapie von Nierentumoren sind hierbei relevant.

Für die radikale Prostatektomie sind neben dem onkologischen Outcome v.  a. die funktionellen Ergebnisse bezüglich Harnkontinenz und Potenz entscheidend. In den vorliegenden Studien hat sich hier ein positiver Zusammenhang zwischen hohen Fallzahlen und einer verringerten postoperativen Morbidität herausgestellt [2]. Eine amerikanische Studie zeigte, dass Kliniken mit hoher Fallzahl häufiger roboterassistierte Eingriffe durchführen, bei ihnen weniger Komplikationen auftreten und die Liegezeit sowie die Kosten niedriger ausfallen [20]. Für Deutschland ist bislang nicht bekannt, wie sich die Zertifizierung einzelner Kliniken als Prostatakarzinomzentrum sowie die Etablierung der roboterassistierten Chirurgie auf die Fallzahlen, die Behandlungsqualität sowie Kosten und Liegedauern auswirkt. Ein gewisser Zentralisierungseffekt ist hierdurch jedoch sehr wahrscheinlich.

Auch für die radikale Zystektomie haben Studien in der Vergangenheit ergeben, dass ein indirekt proportionaler Zusammenhang zwischen Mortalitätsraten und Fallzahlen besteht [1, 6]. Bei der radikalen Zystektomie ist funktionell neben einer nervenschonenden Operationstechnik insbesondere die Art der Harnableitung relevant. Die Anlage eines Ileumconduits oder von Ureterokutaneostomien sind technisch einfacher und komplikationsärmer, dies darf aber nicht zu einer zu geringen Nutzung von kontinenten Formen der Harnableitung führen. Daher könnte hier der Anteil von Neoblasen als Surrogatparameter für die Versorgungsqualität gelten.

In Bezug auf das Nierenzellkarzinom wird in der Literatur häufig der Trend zu mehr organerhaltender Tumorresektion sowie zur minimal-invasiven Tumorresektionen beschrieben [4]. Bei T1-Nierenzellkarzinomen stellt der Anteil an nierenerhaltenden Eingriffen einen Qualitätsindikator dar. Ein organerhaltender Eingriff ist technisch anspruchsvoller, bedeutet aber für den Patienten aufgrund der erhaltenen Organfunktion höchstwahrscheinlich ein günstigeres Outcome [10]. Nierenteilresektionen werden in den USA v. a. an Zentren mit hohen Fallzahlen und ausgewiesener Expertise durchgeführt [18]. In Schweden führen Universitätskliniken einen deutlich höheren Anteil der Eingriffe bei T1-Nierenzellkarzinomen nierenerhaltend durch als mittlere und kleine Abteilungen; zusätzlich ließ sich für den Organerhalt ein verbessertes Gesamtüberleben nachweisen [9]. Auch hierzu fehlen Daten aus Deutschland weitgehend.

Versorgungsforschung ist notwendig

Über die Zusammenhänge zwischen der Leistungsmenge von Kliniken und der Ergebnisqualität in der Uroonkologie gibt es zwar international gute Daten, für Deutschland jedoch kaum. Lediglich zu anderen Krankheitsentitäten, wie beispielsweise zur stationären Versorgung bei akutem Apoplex [11, 12], zur Rate und Indikation bei Hysterektomien [19] oder zur Umsetzung der in den Mindestmengenvorgaben festgelegten Eingriffe [3, 14] wurden bereits vergleichbare Studien aus Deutschland publiziert. Hingegen sind die Verteilung und Qualität großer uroonkologischer Eingriffe deutschlandweit und im zeitlichen Verlauf nicht bekannt. Durch solche Daten zur Ist-Situation der Versorgung lässt sich jedoch die Sinnhaftigkeit struktureller Eingriffe in das System mit dem Ziel einer stärkeren Zentralisierung besser abschätzen.

Bei der Einführung von Mindestmengen handelt es sich um komplexe gesundheitspolitische Entscheidungen, die vielfältige Auswirkungen auf die Versorgung und die beteiligten Akteure haben können. Sie könnten neben positiven Folgen, wie sie in einigen Ländern gefunden wurden, auch negative Konsequenzen haben. So wäre es denkbar, dass eine definierte Fallzahlvorgabe v. a. an kleineren Kliniken zu einer Ausweitung der Indikationsstellung führt. Andererseits können Kliniken, die bestimmte Eingriffe nicht mehr erbringen dürfen, aus Sicht der Patienten und Zuweiser auch für andere Leistungen an Attraktivität verlieren. An den verbliebenen Zentren könnte es durch den Zentralisierungseffekt zu einer höheren Arbeitsbelastung kommen und möglicherweise müssen dann zumindest initial auch weniger erfahrene Operateure für diese Eingriffe rekrutiert werden.

Für Patienten kann eine starke Zentralisierung Wartezeiten und längere Anreisewege bedeuten.

Andererseits könnten in Deutschland im stationären Bereich Überkapazitäten abgebaut werden. Vor allem aber stellt sich letztlich die entscheidende Frage, ob solche Maßnahmen einen positiven Einfluss auf die Ergebnisqualität haben.

Diese beispielhaft aufgeführten Punkte unterstreichen die Notwendigkeit einer intensiven Versorgungsforschung, die Versorgungsprozesse und -strukturen sowie deren Ursachen und Wirkungen im deutschen Gesundheitssystem untersucht [15]. Eine Beschreibung und Analyse der Rahmenbedingungen und der bisherigen Versorgungssituation sowie der damit einhergehenden Versorgungsprobleme ist für jede der skizzierten Fragestellungen unentbehrlich. Erst danach sollten mögliche Interventionen wie eine Zentralisierung der Versorgung geplant und umgesetzt werden. Anschließend sind auch die daraus entstehenden Konsequenzen für die Versorgung zu untersuchen, um möglichst frühzeitig positive aber auch negative Folgen erkennen und entsprechend „nachjustieren“ zu können. So wurde beispielsweise kürzlich gezeigt, dass sich die Anzahl behandelter Patienten in Krankenhäusern mit einer Fallzahl unterhalb der Mindestmengenvorgabe nach ihrer Einführung gar nicht vermindert hat [3].

Fazit für die Praxis

  • Ein positiver Effekt höherer Fallzahlen auf das Outcome von komplexen Eingriffen ist auch in der Uroonkologie nachgewiesen. In Deutschland ist aktuell jedoch die Nierentransplantation als einziger urologischer Eingriff durch eine Mindestmengenvorgabe reguliert.

  • Eine Aufnahme von uroonkologischen Prozeduren in den Mindestmengenkatalog sollte in jedem Falle nur bei Vorliegen entsprechender Evidenz für das deutsche Gesundheitswesen erfolgen. Hier besteht zunächst dringender Bedarf für die Aufarbeitung der Ausgangssituation und aktueller Trends.

  • Abhängig hiervon könnten Mindestmengenvorgaben insbesondere für die radikale Prostatektomie, die radikale Zystektomie und die Nierentumorchirurgie sinnvoll erscheinen. Die wissenschaftliche Begleitung eines solchen steuernden Eingriffs mit kontinuierlicher Evaluation resultierender Effekte wäre hierbei essentiell.