Dieser Weiterbildungsartikel

- gibt Ihnen einen Überblick über die gegenwärtige epidemiologische Situation der Tuberkulose weltweit und die Neuerkrankungsraten an extrapulmonalen Tuberkulosen in Deutschland

- vermittelt Ihnen Wissen über das diagnostische Vorgehen bei Verdacht auf Urogenitaltuberkulose (UGT)

- zeigt die Bedeutung der verschiedenen Untersuchungsverfahren zur Frühdiagnose

- zeigt Ihnen, dass in Deutschland die Fallfindung der UGT im Mittelpunkt des klinischen und wissenschaftlichen Interesses steht, um durch frühzeitige Diagnose, eine adäquate medikamentöse Therapie und die Beseitigung von Harnabflusshindernissen den fortschreitenden Nierenfunktionsverlust zu verhindern

- weist Sie darauf hin, dass dabei das besonders häufige Auftreten der Tuberkulose bei Migranten und immunsupprimierten Personen (HIV/Aids und nach Organtransplantation) zu beachten ist.

Einleitung

Über 125 Jahre nach Entdeckung des Tuberkuloseerregers durch Robert Koch im Jahr 1882 ist die Tuberkulose (TB) auch heute noch eine der häufigsten Infektionskrankheiten [12, 18, 21]. Trotz Rückgangs der Neuerkrankungen in den Industrieländern ist nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa die Hälfte der Weltbevölkerung mit TB infiziert [30]. Weltweit gab es 2009 9,4 Mio. Neuerkrankungen, davon 3,6 Mio. Frauen, und 1,7 Mio. Todesfälle durch TB (4500/Tag). Von den neu an TB Erkrankten waren 1,4 Mio. und unter den 1,7 Mio. an TB Verstorbenen 380.000 mit HIV („human immunodeficiency virus“) koinfiziert [12, 30]. In mehr als 95% der Fälle sind Menschen in Ländern der sogenannten 3. Welt davon betroffen; hier sind Koinfektionen mit HIV besonders häufig.

In Europa ist die Neuerkrankungsrate an TB regional unterschiedlich, insbesondere jedoch in Osteuropa und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (NUS) sehr hoch. Insgesamt erkrankten 2009 329.391 Menschen neu an TB; 46.241 verstarben 2008 [6].

Nahezu 20% aller Neuerkrankten mit TB haben eine extrapulmonale TB . Der Anteil der Urogenitaltuberkulose (UGT) beträgt regional unterschiedlich 2–8% aller Neuerkrankten [7, 19]. Die UGT stellt gegenwärtig in den entwickelten Ländern aufgrund der geringen Inzidenz an Neuerkrankungen kein epidemiologisches Problem dar. Das eigentliche Problem ist aufgrund der geringen Fallzahl von TB die auf Seiten der Ärzte ungenügende Kenntnis des Krankheitsbilds, der klinischen Symptomatik, des Verlaufs und der Therapie dieser Erkrankung. Im Ergebnis einer Stichprobenuntersuchung (anonyme schriftliche Befragung von hausärztlich tätigen Ärzten) hatten 65,2% 1 bis 10 TB-Patienten, 17,4% mehr als 10 Patienten und die anderen Ärzte keinen an TB Erkrankten in ihrem Berufsleben gesehen. 2008 hatten sogar 78,6% der Befragten keinen TB-Patienten betreut. Dementsprechend waren die Kenntnisse abhängig von der Erfahrung in der Betreuung von TB-Erkrankten (33–58% Anteil der Teilnehmer mit >50% korrekten Antworten) sehr unterschiedlich und überwiegend nicht ausreichend vorhanden [2].

Auch die Diagnose einer UGT wird häufig erst spät gestellt, sodass diese Organtuberkulose durch ihren progressiven Verlauf zum Teil bereits weit fortgeschritten ist, bevor eine adäquate Therapie erfolgt (Tab. 1). Das führt bei der UGT nicht selten zum Verlust einer Niere und in Einzelfällen zur Niereninsuffizienz. Insofern muss in der derzeitigen epidemiologischen Situation die frühzeitige Fallfindung im Vordergrund des wissenschaftlichen und klinischen Interesses bei dieser Erkrankung stehen [19].

Tab. 1 Stadium* der UGT bei Fallfindung (eigenes Krankengut, n=764)

Epidemiologie

Durch intensive Tuberkulosekontrolle sind die Tuberkulosezahlen in Deutschland – wie in den meisten westeuropäischen Ländern – seit vielen Jahren rückläufig. Laut Bericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2009 (Erscheinungsdatum 21.03.2011) wurden bis Ende 2009 insgesamt 4444 Neuerkrankungen (Vorjahr 4512), also 68 TB-Fälle weniger als 2008, gemeldet [23]. Dies entspricht einer Inzidenz von 5,4/100.000 Einwohner (Vorjahr 5,5). 1980 der Neuerkrankten waren Ausländer bzw. im Ausland geboren. Die Inzidenz der in Deutschland lebenden ausländischen Bevölkerung (21,0/100.000 Ausländer) war 5,5-fach höher als bei der deutschen Bevölkerung (3,8/100.000 Deutsche).

Bei der Analyse der für 2009 gemeldeten Tuberkuloseneuerkrankungen nach betroffenem Hauptorgan (n=4340) lag in 3480 Fällen (80,2%) eine Lungentuberkulose vor. In 860 Fällen (19,8%) der Neuerkrankungen an TB 2009 handelte es sich um extrapulmonale Formen der TB (Inzidenz 1,0/100.000 Einwohner; Abb. 1), wobei die Inzidenz der Neuerkrankungen bei Ausländern hier deutlich höher war.

Abb. 1
figure 1

Organmanifestation der Tuberkulose in Deutschland 2009 (n=4340; Quelle: Robert-Koch-Institut 2011)

Der Anteil der UGT an allen extrapulmonalen Tuberkuloseformen betrug 2009 2,3% (Abb. 2) und steht damit in Deutschland nach der Tuberkulose der extrathorakalen Lymphknoten (7,6%), der Pleura (2,9%) und der intrathorakalen Lymphknoten an 4. Stelle der Häufigkeit unter den extrapulmonalen Tuberkulosen.

Abb. 2
figure 2

Extrapulmonale Tuberkulosen in Deutschland 2009 (n=860; Quelle: Robert-Koch-Institut 2011)

Die Inzidenz an UGT nimmt bei der deutschen Bevölkerung ab dem 5. Dezennium kontinuierlich zu. Das liegt am relativ hohen Tuberkulosedurchseuchungsgrad der älteren Jahrgänge in Deutschland. Im Gegensatz dazu treten Fälle mit UGT bei Ausländern bereits in den mittleren Lebensjahren auf, weil hier der hohe Befall an Tuberkulose in allen Altersgruppen, auch bei Kindern, eine entscheidende Rolle spielt [23].

Im Gegensatz zu den Ländern mit niedriger Tuberkuloseinzidenz (z. B. Deutschland) steht in Ländern mit hohen Neuerkrankungsraten an TB die UGT an 1. Stelle der extrapulmonalen Manifestationen [7, 8, 9, 17, 19].

Ätiologie und Pathogenese

Die Tuberkulose ist eine Infektionskrankheit, die durch Erreger des Mycobacterium-tuberculosis-Komplexes (M. tuberculosis, M. bovis, M. africanum, M. microti, M. canetti) hervorgerufen wird, wobei M. tuberculosis am häufigsten als Verursacher der Erkrankung nachgewiesen wird [9, 23]. Neuinfektionen mit M. bovis sind in den entwickelten Ländern ungewöhnlich. Hier erfolgt die Erkrankung durch Reaktivierung älterer, nicht vollständig ausgeheilter Infektionsherde, insbesondere als extrapulmonale TB. Etwa 25% aller TB-Fälle werden durch Reaktivierung von M.-bovis-Infektionen, u. a. auch tuberkulöse Erkrankungen des Urogenitalsystems (UGS), verursacht [19]. Der Primärbefall betrifft die Lunge oder den Darm. Die Streuung erfolgt im Rahmen der Generalisation in andere Organe (z. B. Nieren und Genitalsystem), um später zu exazerbieren und Krankheitssymptome hervorzurufen. Pathogenetisch handelt es sich bei der UGT um eine postprimäre Exazerbationstuberkulose entsprechend Stadium 3 der Tuberkuloseentwicklung nach Ranke (1916):

  • Primärkomplex,

  • Stadium der Generalisation,

  • tertiäre Organtuberkulose.

Die durch Nierentuberkulose bedingten Organveränderungen präsentieren sich meist einseitig; Post-mortem-Studien zeigten jedoch häufig einen beidseitigen tuberkulösen Organbefall [20].

Bei der Genitaltuberkulose des Mannes werden die Nebenhoden, gefolgt von der Prostata, befallen. Eine primäre tuberkulöse Erkrankung der Hoden ist selten; im Allgemeinen resultiert die Miterkrankung des Hodens durch Fortschreiten einer tuberkulösen Epididymitis. Während die tuberkulöse Prostatitis meist durch antegrade Infektion aus dem Harntrakt verursacht wird, kann die tuberkulöse Epididymitis sowohl fortgeleitet aus dem Harntrakt als auch hämatogen entstehen [17]. Das zeigen immer wieder Fälle mit durch TB verursachter Orchiepididymitis ohne Nachweis von tuberkulösen Harntraktveränderungen [1]. Andererseits gibt es einen hohen Anteil (50–75%) von Männern mit gesicherter tuberkulöser Orchiepididymitis, bei denen symptomlose röntgenologische Veränderungen im Harntrakt gefunden werden. Deshalb ist es wichtig, bei Nachweis einer primären tuberkulösen Erkrankung des Nebenhodens, immer den Harntrakt mit bildgebenden Verfahren zu untersuchen [1, 4].

Diagnose und Differenzialdiagnose

Die Diagnose der UGT ist schwierig, weil häufig (insbesondere im Frühstadium) die Symptome unspezifisch sind. Deshalb ist die Anamnese nach vorausgegangenen Erkrankungen an pulmonaler oder extrapulmonaler TB (Tuberkuloseanamnese ) besonders wichtig. Bei rund 40% der Patienten mit UGT in den entwickelten Ländern und 50% in den Entwicklungsländern ist eine früher durchgemachte TB bekannt [7]. Die Latenzzeit zwischen tuberkulöser Primärerkrankung und Auftreten der UGT beträgt bei der deutschen Bevölkerung durchschnittlich 30 Jahre [3, 18]. In Ländern mit hoher Durchseuchung mit TB kann die Latenzzeit deutlich kürzer sein, oder der tuberkulöse Befall von Nieren, ableitenden Harnwegen und/oder Genitalien wird im Rahmen einer disseminierten TB (insbesondere bei immunsupprimierten Patienten und/oder Medikamentenresistenz) mit nachgewiesen.

Die lange Latenzzeit in Deutschland und anderen Industriestaaten ist dadurch bedingt, dass noch zahlreiche früher an Tuberkulose Erkrankte leben, die keine oder nur eine unzureichende antituberkulotische Behandlung erhielten. Sie stellen nach wie vor eine mögliche Infektionsquelle dar und prädisponieren besonders für postprimäre Exazerbationstuberkulosen wie die UGT.

Verdächtig auf eine mögliche Erkrankung an UGT sind folgende Beschwerden;

  • chronisch-rezidivierende, therapieresistente Harnblasenbeschwerden;

  • unklare Flankenschmerzen;

  • chronisch verlaufende, z. T. fistelnde Nebenhodenentzündungen [4, 19].

In über 70% der Fälle wird neben diesen Symptomen eine sog. abakterielle Pyurie (massiver Nachweis von Leukozyten im Urin ohne Wachstum von Bakterien auf der Routinekultur) gefunden [19]. Weitere Hinweise auf das mögliche Vorliegen einer UGT geben Röntgenuntersuchungen der ableitenden Harnwege (Tab. 2).

Tab. 2 Röntgenologische Hinweise auf Urogenitaltuberkulose

Während in der Diagnostik der meisten urologischen Krankheitsbilder das Ausscheidungsurogramm (AUG) eher eine untergeordnete Rolle spielt und die Schnittbildverfahren (Computertomographie, CT; Magnetresonanztomographie, MRT) dominieren, sind bei entspechendem klinischem Verdacht (Anamnese, Symptomatik, Urinbefunde) insbesondere zur Frühdiagnostik der UGT das AUG und bei genitaler Beteiligung die retrograde Urethrographie nach wie vor die wichtigsten bildgebenden Verfahren [4, 11, 17, 19, 32]. Die im AUG nachweisbaren Veränderungen können völlig unspezifisch sein (Abb. 3); oft sind sie aber so typisch, dass sie den hochgradigen Verdacht auf das Vorliegen einer UGT nahelegen. Bei den auffälligen Veränderungen des Nierenbeckenkelchsystems handelt es sich um Destruktionen einzelner Kelche oder um multilokuläre Destruktionen , in deren Gefolge es zu Kelchhalsstenosen und Kavernenbildung kommt.

Abb. 3
figure 3

Ausscheidungsurogramm: diskrete Kelchveränderungen mittlere Kelchgruppe rechts bei Urogenitaltuberkulose

Vom sog. Gänsegurgelharnleiter spricht man, wenn bereits multiple Harnleiterstenosen vorliegen und diese im Röntgenbild des AUG entsprechend imponieren (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Ausscheidungsurogramm: schwere destruierende tuberkulöse Nierenveränderungen beidseits mit sogenanntem Gänsegurgelureter rechts

Die durch die Harnleiterstenose bedingte Harnstauung führt letztendlich neben der kavernösen Tuberkulose zum Nierengewebsuntergang bis hin zur Funktionslosigkeit.

Retrograde Pyelographie, Sonographie und CT können bei der Differenzialdiagnostik, insbesondere bei „funktionsloser Niere“ im AUG und bei Nierenabszessen hilfreich sein [5, 11].

Ein positiver Hauttest (z. B. Tuberkulintest ) kann auf eine aktive TB hinweisen; ein negativer Test schließt eine extrapulmonale TB nicht aus. Das gilt insbesondere auch für die UGT [4, 19]. Der alleinige mikroskopische Nachweis (Ziehl-Neelson-Färbung, Fluoreszenzmikroskopie) von Tuberkulosebakterien (sog. säurefeste Stäbchen) aus dem Urin ist nicht beweisend für das Vorliegen einer UGT, da hier Verwechslungen mit dem saprophytär wachsenden M. smegmatis oder mit anderen, sogenannten atypischen Mykobakterien möglich sind [4, 19].

Der kulturelle Erregernachweis erfolgt auf Eigelbnährböden (z. B. Löwenstein-Jensen-Medium . Dafür wird an 3 aufeinanderfolgenden Tagen eine Probe des ersten Morgenurins untersucht. Der positive Nachweis erfordert allerdings 3 bis 4 Wochen. Der Ausschluss einer Infektion kann erst nach 6 bis 9 Wochen erfolgen (bei M. bovis). Durch Verfahren mit Flüssigmedien (BACTEC MGIT, Becton Dickinson Diagnostic Systems, Heidelberg) kann die Zeitdauer auf etwa eine Woche verkürzt werden [14, 15]. Mithilfe eines radiometrischen Verfahrens (BACTEC, Johnston Laboratories, Towson/MD, USA) kann durch Freisetzung und periodische Messung von radioaktiv markiertem CO2 die Nachweiszeit einer positiven Kultur auf 2 Wochen verkürzt werden. Die Artbestimmung der Mykobakterien erfolgt entweder aus dem Wachstumsverhalten auf der Kultur oder durch biochemische Verfahren bzw. am effektivsten mittels Gensonden. Bei Nachweis von M.-tuberculosis-Komplex mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) kann ein Tuberkuloseverdacht insbesondere im Zusammenhang mit einer entsprechenden klinischen Symptomatik und evtl. vorliegendem mikroskopischem Mykobakteriennachweis am schnellsten (innerhalb von 1 bis max. 2 Tagen) bestätigt werden [13, 22, 31]. Die Diagnose einer TB kann auch histologisch aus operativ entnommenem Gewebe und durch Biopsie gestellt werden, wobei insbesondere in Kombination mit der PCR auf M.-tuberculosis-Komplex die diagnostische Treffsicherheit erhöht und bei der Differenzialdiagnose gegenüber anderen Infektionen des UGS und seltenen granulomatösen Erkrankungen des Urogenitaltrakts (xanthogranulomatöse Pyelonephritis, granulomatöse Prostatitis, granulomatöse Orchitis) hilfreich sein kann.

In 25–30% wird die Diagnose einer UGT auf der Basis des pathohistologischen Untersuchungsbefunds und/oder einer positiven PCR auf M.-tuberculosis-Komplex gestellt [13].

Medikamentöse Therapie

Die für die Lungentuberkulose erarbeiteten Behandlungsrichtlinien gelten auch für die extrapulmonalen Tuberkulosen, wobei für die UGT der Ausscheidungsmechanismus und der Grad der Nierenfunktionseinschränkung bedeutsam sind [4, 19, 28]. Die medikamentöse Behandlung der UGT erfolgt als Kombinationsbehandlung mit 3 bis 4 Antituberkulotika. Die wirkungsstärksten Antituberkulotika sind Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP) und Pyrazinamid (PZA). Streptomycin (SM), Ethambutol (EMB) und seltener Protionamid (PTH) werden zusätzlich mit den wirkungsstärksten Medikamenten in verschiedenen Therapieregimen kombiniert. Die Dosierung der Medikamente erfolgt nach dem Körpergewicht (Tab. 3). Insbesondere bei der UGT muss dabei auch die Nierenfunktion beachtet werden.

Tab. 3 Medikamentöse Therapie der UGT

Die Behandlungsdauer sollte 9 Monate nicht überschreiten, wobei meistens nur 6 Monate erforderlich sind [4, 19]. Nur bei Rezidiven kann in Einzelfällen ein 12-monatiges oder noch längeres Regime notwendig sein, insbesondere bei Komorbidität mit HIV/Aids und/oder bei Resistenzen gegen mehrere Antituberkulotika („multiple drug resistance“, MDR).

Zunehmend kommt es in den letzten Jahren insbesondere bei Patienten aus sog. Risikoländern (hohe Tuberkuloseinzidenz und -prävalenz), aber auch aus Ländern mit niedriger Neuerkrankungsrate wie Deutschland zur Resistenzentwicklung von Erregern der TB gegen einzelne oder mehrere wirkungsstarke Antituberkulotika, die zwingend andere Medikamentenkombinationen, eine längere Behandlungsdauer und eine effektive Tuberkulosekontrolle erfordern [26, 29]. Insgesamt wird jedoch bei unkomplizierten Fällen mit UGT ein 6-Monats-Regime angewandt [10, 25]. Besonders zu beachten sind die Nebenwirkungen der Antituberkulotika. Eine genaue prätherapeutische [Laborbefunde, Konsultation des Augen- (Ethambutol) und des HNO-Arztes (Streptomycin)] und im Behandlungsverlauf 6-wöchentliche Abklärung ist zur Vermeidung von Komplikationen unumgänglich.

Zu besonderen Komplikationen kann bei der UGT die Behandlung mit PZA führen, da durch Hyperurikämie sowie Hyperurikosurie und damit mögliche Steinbildung zusätzliche Probleme entstehen können. Entweder erfolgt die Therapie der UGT ohne PZA, oder die Behandlung muss mit der Gabe von Xanthinoxidasehemmern kombiniert werden [4, 19]. Die Anwendung des PZA soll nur in der Initialphase erfolgen (Tab. 4). Es wirkt nur gegen M. tuberculosis; gegen M. bovis ist es aufgrund von Resistenzen wirkungslos.

Tab. 4 Therapieverlauf bei Urogenitaltuberkulose (6-Monats-Regime)

Wichtig für den Therapieerfolg und die Vermeidung von Nebenwirkungen ist die Beachtung der möglichen Arzneimittelinteraktionen. Entsprechend der potenziellen Multimorbidität ist das Medikamentenspektrum zu eruieren und zu berücksichtigen (z. B. Antidiabetika, Antikoagulanzien, Immunsuppressiva).

Operative Therapie

Zusätzliche operative Eingriffe [3, 4, 18, 19] dienen bei der UGT heute überwiegend der Behandlung von Folgezuständen wie

  • Harnstauung,

  • fortgeschrittene Nierengewebsdestruktion,

  • Schrumpfnieren mit Hypertonus,

  • Schrumpfblasen,

  • mischinfizierten Pyonephrosen mit und ohne Harnsteinbildung.

Bei Harnstauung ist eine frühzeitige Harnableitung (Stent, perkutane Nephrostomie) wichtig, um ein weiteres Fortschreiten der durch die obstruktive Veränderung bedingten Nierenschädigung zu verhindern und möglicherweise eine Erholung der Nierenfunktion zu erreichen [24]. Der am häufigsten durchgeführte operative Eingriff (bei ca. 25% der Patienten mit UGT) ist die Nephrektomie [18]. Diese kann sowohl offen-chirurgisch, aber auch durch Laparoskopie bzw. ein minimal-invasives extraperitoneales Vorgehen durchgeführt werden [16]. Wichtigste Ursache des Nierenverlusts ist die histologisch nachweisbare fortgeschrittene Tuberkulose, also die zu spät gestellte Diagnose und somit die verzögerte antituberkulöse Therapie.

Unter der antituberkulotischen Therapie kommt es zusätzlich zu narbigen Veränderungen an Nierenbeckenkelchsystem und Harnleiter, die ohne Harnableitung den stauungsbedingten Druck in den oberen Harnwegen verstärken und somit zum weiteren Untergang des Nierengewebes beitragen können.

Operative Eingriffe im Genitalbereich (Orchiektomie, Epididymektomie) dienen heute in erster Linie zur Differenzialdiagnose unklarer krankhafter Prozesse in diesem Bereich.

Nachsorge

Für die weitere Verlaufskontrolle von Patienten mit UGT, insbesondere bei Restnieren nach Nephrektomie, ist in den ersten 2 Jahren eine halbjährliche Kontrolle (Urinsediment, Erreger- und Resistenzbestimmung, Urinkultur auf TB, Kreatinin im Serum, Harnsäure im Serum, Leberwerte) und für weitere 3 Jahre eine jährliche Kontrolle von Urinsediment und Kreatinin im Serum zu empfehlen [19]. Nur bei pathologischem Urinbefund (Leukozyturie) sind bakteriologische Harnkulturen und TB-Kulturen im weiteren Verlauf erforderlich.

Fazit für die Praxis

  • Über 125 Jahre nach Entdeckung des Erregers ist die Tuberkulose noch immer weltweit eine der häufigsten und bedeutendsten Infektionskrankheiten.

  • Das derzeitige Hauptproblem der TB-Bekämpfung besteht in der weit verbreiteten Komorbidität mit HIV und der zunehmenden Medikamentenresistenz der Erreger gegen die gebräuchlichsten Antituberkulotika.

  • Die UGT als postprimäre Exazerbationstuberkulose stellt in den entwickelten Ländern kein epidemiologisches Problem dar, sondern mangelhafte Kenntnisse der speziellen Problematik und des Erscheinungsbilds dieser Erkrankung verhindern häufig eine frühzeitige Diagnose und adäquate Therapie.

  • Somit steht bei der gegenwärtigen epidemiologischen Situation der UGT in Deutschland die Fallfindung im Mittelpunkt des klinischen und wissenschaftlichen Interesses, um die Erkrankung in einem frühen Stadium zu erkennen und zu behandeln, bevor eine fortgeschrittene Schädigung bis hin zum Organverlust (siehe die hohe Nephrektomierate) eingetreten ist.

CME-Fragen

2009 erkrankten weltweit 9,4 Mio. Menschen an Tuberkulose (TB). Dabei spielen Komorbiditäten eine wichtige Rolle. Welche andere Erkrankung wurde in Zusammenhang mit einer TB-Neuerkrankung am häufigsten registriert?

Diabetes mellitus

Leukämie

HIV/AIDS

Malaria

Tumoren

Die Urogenitaltuberkulose (UGT) stellt in den entwickelten Ländern kein epidemiologisches Problem dar. Was steht hier im Mittelpunkt des klinischen Interesses?

Eradikation der UGT

Mögliche Begleiterkrankungen

Medikamentennebenwirkungen

Frühzeitige Fallfindung

Verkürzung der Behandlungsdauer

Der Erreger der TB gehört zu den Mykobakterien. Welches Mykobakterium wird bei der UGT am häufigsten nachgewiesen?

M. tuberculosis

M. bovis

M. smegmatis

M. avium/intracellulare

M. kansanii

Pathogenetisch handelt es sich bei der UGT um eine …

bakterielle Primärinfektion.

postprimäre Exazerbation.

Pilzinfektion.

Virusinfektion.

opportunistische Infektion.

Was kann hinweisend auf eine mögliche Erkrankung an UGT sein?

Abakterielle Pyurie

Nachweis von E. coli

Hyperurikurie

Massive Leukozytose

Erniedrigter Hämatokrit

Welches bildgebende Verfahren gibt die besten Hinweise auf eine mögliche Erkrankung an UGT?

Ausscheidungsurogramm

Computertomographie

Magnetresonanztomographie

Ultraschall

Funktionszintigraphie

Der Erregernachweis bei Verdacht auf UGT erfolgt durch …

Urinsediment.

konventionelle Urinkultur.

Blutkultur.

Speichelprobe.

Eigelbkulturen (z. B. Löwenstein-Jensen-Kultur).

Die Erstbehandlung der gesicherten UGT erfolgt durch …

Gyrasehemmer.

Antituberkulotika.

Ketakonazole.

Kortikosteroide.

Penicilline.

Die medikamentöse Therapie der unkomplizierten UGT dauert normalerweise …

3 Monate.

12 Monate.

24 Monate.

9 Monate.

6 Monate.

Operative Eingriffe bei UGT sind heute insbesondere bei fortgeschrittener Erkrankung und/oder Komplikationen erforderlich. Welcher Eingriff wird in der gegenwärtigen epidemiologischen Situation der UGT am häufigsten durchgeführt?

Orchiektomie

Nierenbeckenplastik

Nephrektomie

Nierenteilresektion

Harnleiterneoimplantation