Nach radikalen Interventionen im Bereich des kleinen Beckens [z. B. radikaler Prostatektomie (RPE) und Zystektomie mit Neoblasenbildung] kommt es nahezu unvermeidlich zu Störungen der Blasenfunktion. Die Inzidenz einer postoperativen Inkontinenz (z. B. ein Jahr nach RPE) wird in der Literatur jedoch nach wie vor mit einer erheblichen Streubreite zwischen ca. 6% [18] und 40% [10, 11] angegeben. Ursächlich hierfür sind sicherlich unterschiedlich angewandte Definitionen der Harninkontinenz ebenso, wie die subjektiven Bewertungen durch therapiebeteiligte und -unbeteiligte Beobachter [19]. Daneben werden Defizite in der Funktion von externem Sphinkter und Beckenboden ebenso diskutiert wie Detrusorhyperaktivität, Reduktion der Blasenkapazität und neurovaskuläre Läsionen bzw. kombinierte Ursachen [1]. Unbestritten konnten, insbesondere durch zunehmend früher erkannte Tumorstadien und subtilere Operationstechniken unter weitgehender Schonung neurovaskulärer Strukturen, die langfristigen Ergebnisse nicht nur für die erektile Potenz sondern auch die Belastungsinkontinenz verbessert werden. Dennoch leidet ein nicht unerheblicher Teil der Patienten (v. a. in den ersten Monaten postoperativ) unter einer mitunter erheblich beeinträchtigten Kontinenz. Therapie der ersten Wahl sollten nicht erneut „minimal-invasive Inkontinenzoperationen“ sein, sondern ein qualifiziert durchgeführtes multimodales Kontinenztraining [20].

Im Rahmen einer prospektiv randomisierten offenen Therapiestudie wurden die therapeutische Wirksamkeit, Akzeptanz und Verträglichkeit eines physiotherapeutisch geleiteten Kontinenztrainings durch den zusätzlichen Einsatz entweder eines apparativen Kombinationstrainings (Myo 420®) oder einer Ganzkörpervibrationstherapie (FitVibe medical®) im Rahmen einer fachspezifisch urologischen Rehabilitationsbehandlung untersucht.

Ursache der (postoperativen) Belastungsinkontinenz

Eine der häufigsten Ursachen der Belastungsinkontinenz bei beiden Geschlechtern findet sich in einer Insuffizienz des Blasenverschlussapparats (Sphincter externus urethrae, muskulärer und bindegewebiger Anteil des Beckenbodens). Wesentlich für die Kontinenz unter Ruhebedingungen (z. B. unbewegtes Sitzen und Liegen) ist dabei der tonisierte Sphincter externus, mit einer Verschlusskraft von ca. 50–80 cmH20 (Abb. 1 a). Urodynamisch nachweisbares Korrelat hierfür ist das Urethradruckprofil unter Ruhebedingungen (Abb. 2 a).

Für die funktionelle Erklärung einer meist im Vordergrund stehenden Belastungsinkontinenz hat sich das Transmissionskonzept der Kontinenz bewährt. Bei intraabdomineller Druckerhöhung (z. B. Husten, Heben, Aufstehen, Hinsetzen) wird Kontinenz dadurch erreicht, dass dieser Druck über die Strukturen des Beckenbodens passiv komprimierend auf die Urethra übertragen wird (Transmissionsdruck). Eine zusätzliche, aktiv reflektorische Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur verstärkt diese passive Drucktransmission (Abb. 1 b). Gemessen werden können aktive und passive Drucktransmission im Urethradruckprofil (z. B. unter Hustenbelastung, Abb. 2 b). Nach Entfernung der Prostata fehlt ein wesentlicher Faktor der Drucktransmission. Zusätzlich besteht häufig, ebenso wie bei Frauen, eine begleitende Beckenbodeninsuffizienz. Diese resultiert sowohl aus einer inadäquaten Koordination der Muskelkontraktion unter Belastung, als auch aus einem Mangel an Kraft und Ausdauer.

Abb. 1
figure 1

a Physiologie der Kontinenz unter Ruhebedingungen, b Physiologie der Kontinenz unter Belastung

Abb. 2
figure 2

Urethradruckprofil: a unter Ruhebedingungen, b bei Belastung

Unter Belastung übersteigen intraabdomineller und konsekutiv auch intravesikaler Druck den aus passiver Drucktransmission und aktiv reflektorischer Muskelkontraktion resultierenden Urethraverschlussdruck. Es kommt zu ungewolltem Urinverlust (Abb. 3). Typischerweise berichten betroffene Patienten über (nahezu) vollständige Kontinenz unter Ruhebedingungen und die Fähigkeit zur Unterbrechung des Harnstrahls, jedoch sofortigen Urinverlust unter Belastungsbedingungen.

Abb. 3
figure 3

(Postoperative) Belastungsinkontinenz bei Beckenbodeninsuffizienz

Kontinenztraining mit Biofeedback – kausale Therapie der Belastungsinkontinenz

Ziel eines qualifizierten Kontinenztrainings, nicht nur nach radikaler Entfernung von Prostata und Blase, ist das Erlernen einer koordinierten Beckenbodenkontraktion unter Belastung, neben einem konsequenten Kraft- und Ausdauertraining der Beckenbodenmuskulatur.

Voraussetzung für ein erfolgreiches Training ist, dass der Patient seinen Beckenboden korrekt und willkürlich kontrahieren kann. Studien und Alltagserfahrung bestätigen jedoch, dass nur wenige Patienten über ein ausreichendes Körperbewusstsein verfügen. Der überwiegende Teil kann seinen Beckenboden – auch nach verbaler Instruktion – nicht selektiv kontrahieren [6]. Häufig werden, meist unbemerkt, artifizielle Muskelgruppen (v. a. Abdominal-, Glutäal- und Beinmuskulatur) angespannt. Zusätzlich wird bei dieser (meist mit hohem Kraftaufwand) durchgeführten Anspannung vergessen zu atmen. Dadurch wird das Training nicht nur als sehr anstrengend empfunden, sondern kann auch nicht zielführend sein.

Mitunter wird noch immer der Nutzen einer Kombinationstherapie aus Physiotherapie und apparativem Kontinenztraining kontrovers diskutiert. Dennoch drängen ständig neue apparative Kontinenztrainingsverfahren auf den Markt. Oft haben sie ihre Wertigkeit ebenfalls noch nicht hinreichend nachweisen können, erfreuen sich dennoch aber einer Anwendung in nicht zu geringer Häufigkeit.

Material und Methodik

Nach Aufklärung, schriftlicher Einverständnis und Prüfen der Ein- und Ausschlusskriterien wurden insgesamt 75 Patienten nach RPE bei einem Prostatakarzinomstadium ≤T2M0N0R0 prospektiv in 3 standardisierte Behandlungsgruppen randomisiert (Tab. 1). Als Kontrollgruppe (Gruppe S) diente ein definierter Behandlungsstandard aus physiotherapeutischer Einzel- und Gruppentherapie (Tab. 2). Behandlungsgruppe G erhielt zusätzlich zu diesem Behandlungsstandard ein apparatives Kombinationstraining (Elektrostimulation und apparatives Biofeedback) mit dem Myo 420® über Rektalsonde (Abb. 4, Abb. 5). Bei Therapiegruppe F wurde der Behandlungsstandard durch eine Ganzkörpervibration (FitVibe medical®) mit definierten Übungen ergänzt. Zusätzlich indizierte Begleitbehandlungen wurden ebenfalls dokumentiert und in der Auswertung berücksichtigt (Abb. 6).

Tab. 1 Ein- und Ausschlusskriterien
Tab. 2 Standardtherapieprogramm während stationärer Rehabilitation
Abb. 4
figure 4

Kombiniertes Biofeedbackelektrotherapietrainingsgerät Myo 420

Abb. 5
figure 5

Bedienelemente und Anzeigen des Trainingsgeräts Myo 420

Abb. 6
figure 6

Kontinenztraining mit dem Ganzkörpervibrationsgerät (FitVibe medical®)

Erfasst wurden neben den demographischen Daten, „International Prostate Symptom Score“ (IPSS), standardisierter Windelstresstest (PAD-Test) und Dokumentation von Art (klein, mittel, groß) und Anzahl verwendeter aufsaugender Hilfsmittel, jeweils zu Beginn und am Ende der 3- bis 4-wöchigen Behandlung im Rahmen der stationären Anschlussrehabilitation. Zusätzlich wurde bei allen Patienten zu Beginn und am Ende der Behandlung die Beckenbodenkontraktionskraft mittels Rektalsonde gemessen.

Myo 420-Training

Mit dem Myo 420-Gerät wird eine kombinierte Elektrostimulations- und Biofeedbacktherapie des Beckenbodens durchgeführt (Abb. 4, Abb. 5). Eine rektale Sonde wird in den After eingeführt, über die ein nicht schmerzhafter elektrischer Impuls den Beckenboden zur Kontraktion stimuliert. Dadurch soll die Wahrnehmung des Beckenbodens und seine willkürliche Steuerung verbessert werden. Gleichzeitig führt die elektrisch ausgelöste Kontraktion zu einer kontinuierlichen Kraftsteigerung. Nach der Elektrostimulation erfolgt eine Pause zur Erholung der Muskelfasern. Im Anschluss soll der Patient isoliert den Beckenboden selbständig möglichst maximal anspannen, wie es im Rahmen der Physiotherapie geschult wurde. Die erreichte Kraft wird auf einem Lichtband aus Dioden visualisiert (Abb. 5). Je nach individuell erreichter Beckenbodenkraft wird die Empfindlichkeit des Diodenansprechens [Skala 1 (gering) – 10 (hoch)] vorgewählt. Der Lichtbalken soll möglichst hohe Werte erreichen. Ein mögliches „faulty feedback“ [19] durch den kontraproduktiven Einsatz von Bauch-, Gesäß- oder Oberschenkelmuskulatur wird über einen zweiten EMG-Kanal über Hautelektroden visualisiert (Abb. 5). Bei erfolgreichem Abtrainieren des Hilfsmuskeleinsatzes werden lediglich noch geringe oder keine Balkenausschläge erzeugt und damit ein isolierter Einsatz der Beckenbodenmuskulatur konditioniert. Die Kontraktionsphase wird gefolgt von einer Behandlungspause zur Muskelerholung. Danach beginnt ein neuer Behandlungszyklus durch Elektrostimulation. Die Zyklen wurden täglich für jeweils insgesamt 20 min wiederholt.

FitVibe medical®

Bei der Vibrationsbehandlung (Ganzkörperschwingungen) werden sämtliche Muskeln des Körpers unbewusst reflektorisch angespannt. Durch definierte Übungen, die von einem Therapeuten angeleitet wurden, sollen v. a. die Muskeln des Beckenbodens trainiert und gekräftigt werden. Der Patient steht oder sitzt an oder auf einer Schwingungsplatte, die vertikale sinusoidale Schwingungen mit einer Frequenz zwischen 20–60 Hz erzeugt. Da es zum Zeitpunkt der Untersuchung keine evidenzbasierten Langzeittrainingsanweisungen gab, wurde ein moderates Trainingsprogramm aus täglich 5 Übungen mit einer konstanten Frequenz von 20 Hz gewählt. Damit war die Behandlung auch frisch operierter Patienten (mindestens 3 Wochen postoperativ!) möglich. Die Muskulatur versucht die erzeugten Schwingungen durch eine Gegenbewegung auszugleichen und kontrahiert mit der gleichen Frequenz. Während bei einem herkömmlichen Fitnesstraining etwa 40% aller Muskelfasern angesteuert werden, können durch die Vibration 100% der Muskeln angesprochen werden. Dadurch soll eine rasche Kräftigung erreicht werden. Das gezielte Training der Beckenbodenmuskulatur soll die Beckenbodenfunktion optimieren und zu einem schnelleren Erreichen der Kontinenz beitragen.

Testosteronbestimmung

Nachdem es in der Literatur Hinweise darauf gibt, dass es durch ein Vibrationstraining zu einer Steigerung von Hormonwerten (v. a. Testosteron) kommen kann, wurde der Testosteronwert zu Beginn und am Ende der Behandlung gemessen [5]. Damit es durch eine tatsächliche Erhöhung der Werte nicht zu einer möglichen Wachstumsbeschleunigung eines Prostatakarzinoms kommen kann, wurden in die Studie nur Patienten aufgenommen, bei denen der Tumor lokal begrenzt war (≤T2), nicht metastasiert hatte (N0, M0) und eine vollständige operative Entfernung gelungen war (R0).

Um nachzuweisen, dass eine etwaige Hormonveränderung tatsächlich durch die spezifische Vibrationstherapie (FitVibe) hervorgerufen wird, werden die Testosteronkontrollen auch bei den anderen Behandlungsgruppen durchgeführt.

Blutzuckerscreening

Durch die kräftige Muskelaktivität während der Behandlungen (v. a. der Vibrationstherapie) wird reichlich Energie (Glukose) verbraucht. Um eine denkbare relevante Hypoglykämie zu vermeiden, wurden vor und nach der jeweiligen Therapie an definierten Behandlungstagen die Veränderungen in den 3 Behandlungsgruppen gemessen.

Statistische Auswertungen

Die Einflüsse der verschiedenen Behandlungsprotokolle auf beide physikalischen Parameter wie maximale Harnflussrate und Miktionsvolumen auf den PAD-Test oder die Fragebögen wurden mit dem einseitigen t-Test für verbundene Stichproben ausgewertet. Die Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mit dem zweiseitigen t-Test für unverbundene Stichproben analysiert. Alle Analysen wurden mit den Statistikfunktionen des Programms Microsoft Excel durchgeführt. Das Signifikanzniveau wurde mit p<0,05 festgelegt.

Ergebnisse

Es konnten 75 Patienten ausgewertet werden (25 Patienten erhielten den definierten Behandlungsstandard, 25 Patienten erhielten zusätzlich die kombinierte Myo 420- und 25 Patienten die Vibrationstherapie).

Zwischen den 3 Behandlungsgruppen bestanden hinsichtlich Alter, Zeit nach der Operation und Gleason-Score keine Unterschiede. Lediglich in der Standardbehandlungsgruppe S waren Gewicht und Größe im Vergleich zu Gruppe G statistisch signifikant höher. Ebenso war der „Body Mass Index“ (BMI) in der Gruppe F im Vergleich zu der Gruppe S statistisch signifikant niedriger.

Tab. 3 zeigt, dass hinsichtlich aller vor der Behandlung erhobenen Befunde (IPSS, LQ-Score, PAD-Test, Anzahl verwendeter Vorlagen, Beckenbodenkraft, maximaler Harnflussrate, Miktionsvolumen, Flusszeit, Serumtestosteron, Blutzuckerspiegel) keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den 3 Behandlungsgruppen bestanden.

Tab. 3 Ergebnisse der Behandlungsgruppen S, F und G

Internationaler Prostata-Symptom-Score (IPSS) und Lebensqualität (LQ)

In allen 3 Behandlungsgruppen konnte eine signifikante Verbesserung des Gesamtscores erreicht werden. Während sich die Kontrollgruppe S um durchschnittlich 5,9 Punkte verbesserte, reduzierte sich der Score unter Vibration (Gruppe F) um durchschnittlich 6,6 Punkte. Durch kombinierte Elektrobiofeedbacktherapie (Gruppe G) kam es im Schnitt zu einer Verbesserung um 4,2 Punkte. Die Unterschiede waren für alle Gruppen statistisch signifikant (p<0,0001; Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

IPSS vor und nach Therapie

In allen 3 Behandlungsgruppen kam es zu einer Verbesserung der Bewertung der Lebensqualität. Gruppe S verbesserte sich um 1,8, Gruppe F um 1,7 und Gruppe G um 1,4 Punkte. Auch diese Verbesserungen waren für alle 3 Behandlungsgruppen statistisch signifikant (p<0,0001, Abb. 8).

Abb. 8
figure 8

IPSS-Lebensqualität vor und nach Therapie

Windelstresstest (PAD-Test)

Während die Unterschiede der bei Belastung verlorenen Urinmenge in den Gruppen S und G vor und nach Therapie statistisch nicht signifikant besser waren (S=23,2±31,0 ml; G=41,3±40,5 ml; jeweils p>0,5), zeigte sich in der Vibrationsgruppe eine statistisch signifikante Volumenreduktion (Fpr ä=40,7 g, Fpost=10,9 g; p<0,0001; Abb. 9).

Abb. 9
figure 9

PAD-Test vor und nach Therapie (n.s. nicht signifikant)

Maximale Harnflussrate und Miktionsvolumen

Der maximale Harnfluss und das Miktionsvolumen haben sich lediglich in der Vibrationsgruppe F statistisch signifikant verbessert (ΔQmax=4,3 ml/s; V=41,2; jeweils p<0,05). In den Behandlungsgruppen S (ΔQmax=17,0±12,4 ml/s; V=202±111 ml), und G (ΔQmax=21,0±11,1 ml/s; V=233±111 ml) waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant (Abb. 10, Abb. 11).

Abb. 10
figure 10

Maximale Harnflussrate vor und nach Therapie (n.s. nicht signifikant)

Abb. 11
figure 11

Miktionsvolumen vor und nach Therapie (n.s. nicht signifikant)

Testosteron

Die Testosteronwerte in der Kontroll (S)-, Vibrations (F) und Myo 420-Gruppe lagen vor der Therapie bei 4,61±1,75; 3,99±1,25 und 4,22±1,38 ng/ml. In allen 3 Behandlungsgruppen haben sich die Werte nach der Therapie (3,71±1,65; 3,42±1,47; 3,85±1,59) statistisch signifikant, jedoch klinisch unbedeutend reduziert (S: p<0,001; F und G: p<0,05; Abb. 12).

Abb. 12
figure 12

Testosteronspiegel vor und nach Therapie

Blutzuckerwerte

Die wöchentlich einmal jeweils vor und nach der Therapie bestimmten Blutglukosewerte in der Kontroll-, FitVibe- und Myo 420-Gruppe haben sich innerhalb der Gruppe und zwischen den Gruppen statistisch nicht signifikant verändert (jeweils p>0,05; Abb. 13).

Abb. 13
figure 13

Blutzuckerspiegel vor und nach Therapie

Diskussion

Trotz modernster Operationstechniken lässt sich v. a. in der frühen postoperativen Phase nach RPE ein ungewollter Urinverlust nicht bei allen Patienten sicher vermeiden. Im Rahmen einer offenen, randomisierten, kontrollierten Therapiestudie wurden die Ergebnisse einer standardisierten Rehabilitationsbehandlung unter isolierter physiotherapeutischer Anleitung mit den Ergebnissen einer additiven Anwendung entweder einer kombinierten Elektrostimulation mit apparativem Biofeedback oder einer Ganzkörpervibrationstherapie verglichen. Eine unbehandelte Kontrollgruppe ist unter den Bedingungen einer stationären Rehabilitation weder ethisch vertretbar noch wirtschaftlich gegenüber den Kostenträgern der Maßnahme zu rechtfertigen. In allen 3 Therapiegruppen konnte die Wirksamkeit der Behandlung, gemessen mit dem IPSS, der Lebensqualität (IPSS) und der Beckenbodenkraft statistisch signifikant nachgewiesen werden.

In unserer Studie betrug der ungewollte Urinverlust prätherapeutisch im PAD-Test zwischen 0 und 254 g (im Median 22,6 g), die korrespondierende Anzahl aufsaugender Hilfsmittel unterschiedlicher Saugstärke lag zwischen 1 und 16 (im Median bei 5).

Konservative Therapiemethoden (z. B. ein physiotherapeutisch geführtes „Beckenbodentraining“) werden zur Behandlung der (postoperativen) Belastungsharninkontinenz leitlinienkonform stets als Therapie der ersten Wahl empfohlen. Dennoch werden sie noch immer weitgehend nicht als multimodales Therapiekonzept eingesetzt und oftmals werden die Maßnahmen von mehr oder weniger qualifizierten Therapeuten vorgenommen. Häufig finden sich kontraproduktive Therapieanleitungen im Sinne eines „faulty feedback“ [19]. Auch bestehen, nicht zuletzt aufgrund der unbefriedigenden Datenlage [1], unverändert Zweifel an der nachhaltigen Wirksamkeit therapieunterstützender apparativer Behandlungsverfahren (z. B. apparativem Biofeedback, Elektrostimulation u. a.). Konsequenz ist eine immer restriktivere Kostenübernahme der apparativen Therapieunterstützung durch die Kostenträger. Demgegenüber werden die Therapieergebnisse von erfahrenen Pragmatikern in der täglichen Praxis sehr positiv bewertet.

In vielen Bereichen der Medizin haben sich Biofeedbacktechniken bereits als fester Therapiebestandteil etabliert, z. B. zur Stressbewältigung und Entspannungstherapie, in der Schmerztherapie, zur Behandlung von Durchblutungsstörungen etc. Prinzip ist es, durch zeitgleiche Rückmeldung normalerweise unbewusst ablaufender Körperfunktionen, die bewusste Kontrolle dieser Funktionen zu ermöglichen, durch konsequentes Training zu verbessern und Fehlsteuerungen („faulty feedback“) zu reduzieren oder zu verhindern. Physiologische Grundlage sind Afferenzen (z. B. Muskel-, Sehnen-, Gelenkspindeln), die den aktuellen Funktionszustand der Muskulatur an das zentrale Nervensystem (u. a. den motorischen Kortex) melden. Biofeedbacktraining bewirkt die (optische, akustische und/oder taktile) Aktivierung zusätzlicher Afferenzen. Dadurch wird die trainierte Muskulatur besser wahrgenommen und gleichzeitig werden neuronale Regelkreise bei verbesserter zentralnervöser Kontrolle optimiert [3]. Eine Verbesserung der Kontinenz durch Biofeedbacktraining erfolgt im Verlauf durch die Optimierung des regelrechten Einsatzes der Beckenbodenmuskulatur unter Belastung. Werden mehrkanalige Systeme für die gleichzeitige Darstellung sowohl der Beckenboden- als auch der Hilfsmuskulatur verwendet, kann ein kontraproduktives „faulty feedback“ durch zeitgleiche Kontraktion artefizieller Muskelgruppen (z. B. Gesäß- Oberschenkel-, Bauchmuskulatur) abtrainiert und langfristig vermieden werden.

Multimodales Kontinenztraining – Biofeedback für den Beckenboden

Für die Beurteilung der spontanen postoperativen Kontinenzrate wird in der Literatur eine postoperative Latenz von 12–18 Monaten veranschlagt. Durch ein qualifiziertes multimodales Kontinenztraining (einer Kombination aus qualifizierter Physiotherapie, Elektrostimulation und/oder apparativem Biofeedback und Anwendungstraining unter Alltagsbedingungen) lässt sich für die Mehrzahl der Patienten diese Zeit auf wenige Wochen bis Monate verkürzen. Durch konsequentes Training der insuffizienten Beckenbodenmuskulatur wird neben der Koordinationsfähigkeit andererseits die muskuläre Ausdauer und Kraft gestärkt.

Personelles Biofeedback: Physiotherapie

Dem Patienten müssen zunächst basale anatomische und physiologische Kenntnisse vermittelt werden. Die taktile Begleitung des Patienten (Tastung des Beckenbodens durch den Patienten selbst und fortlaufende Korrektur durch den Therapeuten während des aktiven Trainings) sind für einen gezielten Abbau des „faulty feedback“ wegweisend. Unter qualifizierter therapeutischer Anleitung trainiert der Patient kontinuierlich den bewussten, isolierten Einsatz der Beckenbodenmuskulatur unter Belastung (z. B. Husten, Heben, Aufstehen, Springen, Treppensteigen etc.). Dies verbessert oft bereits nach kurzer Zeit spürbar seine Kontinenz unter Alltagsbedingungen (Koordinationsoptimierung). Daneben führt ein gezieltes Muskeltraining zu Muskelhypertrophie und steigert konsekutiv Ausdauer und Kraft, indem die Anzahl rekrutierter Motoreinheiten und die Exzitationsfrequenz erhöht werden (neurale Adaption [9, 14]).

Elektroneurostimulation

Die intermittierende anale, vaginale oder oberflächliche kutane Elektrostimulation des N. pudendus führt zu einer wiederholten Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur. Diese nimmt der Patient bewusst wahr und kann so ihren Einsatz isolierter trainieren. Daneben wird die Elektrostimulation für ein gezieltes Krafttraining eingesetzt.

Um die Beckenbodenmuskulatur zu kräftigen, ist eine maximale, erschöpfende Kontraktion, gefolgt von einer ausreichend langen Erholungsphase nötig. Nur so können die intramuskulären Energiespeicher aufgefüllt und die Funktion der motorischen Endplatte wieder hergestellt werden. Eine (physiologische) Stimulationsfrequenz um 50 Hz wird als ausreichend angesehen. Höhere Frequenzen führen zu einer rascheren Ermüdung. Um eine Depolarisation und damit eine Kontraktion auszulösen, müssen Impulsdauer und -stärke einen Mindestwert überschreiten. Die Steigerung eines oder beider Parameter verstärkt die Muskelkontraktion. Abhängig von der Ausbildung des Unterhautfettgewebes (Isolation!) werden bei Stromstärken von etwa 100 mA alle motorischen Einheiten angesprochen. Bei noch höherer Stromstärke nimmt die Kraft nicht mehr wesentlich zu [2, 4, 7]. Daneben kann die Elektroneuromodulation über eine Reflexinhibition wirksam einer begleitenden Detrusorhyperaktivität entgegenwirken [12, 15].

Apparatives Biofeedbacktraining

In unserer Studie konnten wir bestätigen, dass der Patient, sobald er seinen Beckenboden sicher und selektiv kontrahieren kann, durch ein apparatives Biofeedbacktraining in seinem Kontinenztraining effektiv unterstützt werden kann. Bei dem Myo 420-Gerät wird über eine rektale Sonde die EMG-Aktivität der Beckenbodenmuskulatur und über Oberflächenelektroden die EMG-Aktivität der artifiziellen Hilfsmuskulatur abgeleitet. Je nach individuellem Trainingszustand des Patienten kann die Signalstärke entsprechend verstärkt und als vertikales Lichtband visualisiert und quantitativ (in Millivolt) ausgewertet werden. Dabei verdeutlicht die Höhe des Lichtbandes (Anzahl aktivierter Leuchtdioden) die Beckenbodenkontraktionskraft. Zeitgleich erhält der Patient damit eine Rückmeldung über den Funktionszustand seines Beckenbodens und lernt im Lauf des Trainierens, ihn zunehmend sicher zu kontrollieren. Im Vergleich zu alleiniger Physiotherapie und bei Kombination mit Ganzkörpervibration lässt sich der größte Kraftzuwachs der Beckenbodenmuskulatur durch das apparative Biofeedbacktraining in Kombination mit Physiotherapie erreichen (Abb. 14).

Abb. 14
figure 14

Spannung Beckenboden-EMG vor und nach Therapie (n.s. nicht signifikant)

Ganzkörpervibration

Bereits frühere Untersuchungen konnten zeigen, dass die Ganzkörpervibration ein aktives Muskeltraining [17] mit positiven Effekten auf Kraft und Ausdauer der Muskulatur einhergeht [8, 16]. Lauper et al. [13] konnten zeigen, dass sich durch die Ganzkörpervibration die Beckenbodenaktivierung v. a. bei Frauen mit Beckenbodeninsuffizienz statistisch signifikant verbessern ließ.

In der frühen postoperativen Phase verlieren nur vereinzelt Patienten auch im Liegen und bei körperlicher Ruhe ungewollt Urin. Erst bei körperlicher Anstrengung führen die (noch) fehlende koordinierte Aktivierung, die fehlende Kraft und Ausdauer des muskulären Beckenbodens zu ungewolltem Urinverlust.

Voraussetzung für ein erfolgreiches Kontinenztraining ist zu Beginn, dass der Patient seinen Beckenboden korrekt und willkürlich kontrahieren kann. Häufig werden jedoch, meist unbemerkt, artifizielle Muskelgruppen (v. a. Abdominal-, Glutäal- und Beinmuskulatur) angespannt. Zusätzlich wird bei dieser meist mit hohem Kraftaufwand durchgeführten Anspannung vergessen zu atmen. Dadurch wird das Training nicht nur als sehr anstrengend empfunden, sondern kann auch nicht zielführend sein. Durch den Einsatz von Biofeedbacktechniken lässt sich das therapeutische Ergebnis optimieren.

Durch intensive Aufklärung und Schulung sowie permanente Rückmeldung durch den tastenden Therapeuten kann der Betroffene sehr schnell den bewussten koordinierten Einsatz der Beckenbodenmuskulatur erlernen und innerhalb kurzer Zeit seinen Kontinenzgrad verbessern. Voraussetzung ist allerdings die stete und bewusste Aktivierung des Beckenbodens bei Belastung. Einigen Patienten gelingt es allerdings trotz intensiver Anleitung nicht oder nicht vollständig, diese Koordinationsoptimierung umzusetzen.

In unserer Untersuchung konnten wir nachweisen, dass sich durch die Ergänzung des physiotherapeutischen Trainings mittels Ganzkörpervibration eine signifikante Verbesserung der Koordination, d. h. der gezielten Aktivierung des Beckenbodens in Belastungssituationen, erzeilen lässt. Dadurch kann bereits nach kurzer Trainingsdauer eine signifikante Reduktion des Urinverlusts, gemessen an der Zahl verwendeter Vorlagen (Abb. 9), eine signifikante Verbesserung der maximalen Harnflussrate (Abb. 10) bei signifikanter Zunahme des Miktionsvolumens (Abb. 11) nachgewiesen werden. Damit hat sich auch die Ganzkörpervibration als effektive, gut akzeptierte, nebenwirkungsfreie und innerhalb kurzer Zeit wirksame apparative Ergänzung in dem Konzept eines multimodalen Kontinenztrainings bestätigen lassen.

Neben der raschen Kontinenzverbesserung durch Koordinationsoptimierung gilt als weiteres wichtiges Therapieziel, die insuffiziente Beckenbodenmuskulatur zu kräftigen und die Ausdauer zu steigern. Nur dadurch kann Kontinenz über den gesamten Tagesverlauf, v. a. auch nachmittags und abends (zunehmende Erschöpfung!), erreicht werden.

Wie aus der Trainingsphysiologie bekannt, erfordert dieses Muskelaufbautraining Mindestzeiten und kann durch alleinige Physiotherapie innerhalb der relativ kurzen Phase der Rehabilitation (3–4 Wochen) noch nicht erreicht werden. Durch den zusätzlichen Einsatz sowohl einer kombinierten Elektro- und apparativen Biofeedbackbehandlung als auch einer Ganzkörpervibration lässt sich eine signifikante Verbesserung der Muskelkraft (gemessen an der elektrischen Spannung der aktivierten Beckenbodenmuskulatur) im Vergleich zu isolierter Physiotherapie bereits nach 3–4 Therapiewochen nachweisen (Abb. 14). Im Vergleich zu der Vibration war der Kraftzuwachs in der kombinierten Elektrostimulations- und Biofeedbackgruppe deutlich größer. Entscheidend für eine kontinuierliche Verbesserung der Kontinenz und einen nachhaltigen Therapieerfolg ist daher die konsequente Fortsetzung des Trainings auch unter häuslichen Bedingungen.

Training unter Alltagsbedingungen

Entscheidend für einen dauerhaften Behandlungserfolg ist die Integration der erlernten Beckenbodenkoordination in Alltagssituationen. Wenig sinnvoll ist die Konzentration auf wenig realitätsnahe Bewegungsabläufe, z. B. Hüpfen auf Bällen und Turnübungen auf dem Boden. Es gilt, den ungewollten Urinverlust unter den Belastungsbedingungen des Alltags (z. B. Treppen steigen, Heben von Gegenständen oder sportlicher Betätigung) zu vermeiden. Durch entsprechende Ausrichtung des Trainings in Einzel- und Gruppentherapie im Rahmen einer stationären fachspezifischen Rehabilitation lernt der Patient dieses Verhalten zunehmend weniger bewusst als vielmehr reflektorisch erfolgreich in den Alltag zu überführen. Durch die weitgehend unbewusste reflektorische Anwendung im Alltag ist dann auch der kontinuierliche und damit nachhaltige Trainingseffekt auf die Beckenbodenmuskulatur sichergestellt.

Die Akzeptanz der Therapie war in allen Behandlungsgruppen hoch. Es sind keine Nebenwirkungen oder Komplikationen aufgetreten. Insbesondere kam es, im Gegensatz zu dem in der Literatur [5] unter einer Ganzkörpervibration beschriebenen Testosteronanstieg, in allen 3 Behandlungsgruppen zu einem statistischen Abfall (Abb. 12).

Zur Abschätzung eines potentiellen Hypoglykämierisikos wurde die prä- und posttherapeutische Blutzuckerkonzentration gemessen. In allen 3 Behandlungsgruppen konnte kein statistisch signifikanter Unterschied nachgewiesen werden (Abb. 13).

Mit unserer Untersuchung konnten wir unter kontrollierten Bedingungen die Wirksamkeit, Akzeptanz und Verträglichkeit eines standardisierten Kontinenztrainings unter den Bedingungen einer stationären urologischen Rehabilitation bestätigen. Durch den zusätzlichen Einsatz einer kombinierten Elektro- und mehrkanaligen Biofeedbackbehandlung oder einer Ganzkörpervibration konnten die Behandlungsergebnisse weiter verbessert werden. Aufgrund der unterschiedlichen kausalen therapeutischen Ansätze und Wirkungen sind wir, vorbehaltlich einer entsprechenden wissenschaftlichen Überprüfung, überzeugt, dass sich durch die Kombination aller 3 Behandlungskomponenten daher eine weitere Optimierung der Kontinenzergebnisse erzielen lassen sollte.

Fazit für die Praxis

  • Trotz zunehmender Verbesserung neuroprotektiver Operationstechniken bei der radikalen Prostatektomie kommt es noch immer zu einer für die Betroffenen subjektiv belastenden Störung der (Früh-)Kontinenz, die über mehrere Monate anhalten kann.

  • Als kausale Therapie in der Hand des qualifizierten Therapeuten ist die qualifizierte Physiotherapie anerkannt.

  • Im Rahmen einer offenen, randomisierten und kontrollierten Studie wurde die Effizienz einer standardisierten Rehabilitationsbehandlung mit physiotherapeutisch geführtem Kontinenztraining (n=25) als Kontrollgruppe verglichen mit einem zusätzlichen apparativen Training (Myo 420®) mittels kombinierter Elektrostimulation und apparativem Biofeedbacktraining (n=25) oder Ganzkörpervibration (FitVibe medical®, n=25).

  • Prä- und posttherapeutisch ausgewertet wurden IPSS, IPSS-LQ, PAD-Test, Beckenbodenspannung, maximale Harnflussrate, Miktionsvolumen, Serumtestosteron und Blutzuckerspiegel. Innerhalb der Behandlungsdauer von 3–4 Wochen kam es in allen 3 Behandlungsgruppen zu einer statistisch signifikanten Verbesserung von IPSS und IPSS-LQ. Für die Gruppe mit Ganzkörpervibration waren die Ergebnisse für die Reduktion des Urinverlusts (PAD-Test), die Zunahme des Miktionsvolumens und der maximalen Harnflussrate statistisch signifikant.

  • Während sich für die isolierte Physiotherapie innerhalb der kurzen Behandlungsdauer ein Trend für die Verbesserung der Beckenbodenkraft nachweisen ließ, war der Unterschied für beide apparativen Behandlungsgruppen statistisch signifikant. Dadurch wird deutlich, dass für eine kontinuierliche Verbesserung der Kontinenz und einen nachhaltigen und Therapieerfolg die konsequente Fortsetzung des Trainings auch unter häuslichen Bedingungen entscheidend ist.

  • Wir konnten unter kontrollierten Bedingungen die Wirksamkeit, Akzeptanz und Verträglichkeit eines standardisierten Kontinenztrainings unter den Bedingungen einer stationären urologischen Rehabilitation bestätigen. Durch den zusätzlichen Einsatz einer kombinierten Elektro- und mehrkanaligen Biofeedbackbehandlung oder einer Ganzkörpervibration konnten die Behandlungsergebnisse zusätzlich verbessert werden.

  • Aufgrund der unterschiedlichen kausalen therapeutischen Ansätze und Wirkungen sollte der Frage einer weiteren Therapieoptimierung durch die Kombination aller 3 Behandlungskomponenten im Rahmen einer kontrollierten Studie nachgegangen werden.