Hintergrund und Fragestellung

Bei 9–14% der männlichen Bevölkerung wird weltweit eine chronische Prostatitis angenommen [1]. Eine bakterielle Prostatitis konnte nur in 5–10% als wahrscheinliche Ursache nachgewiesen werden. In der Mehrzahl (90–95%) handelt es sich um ein chronisches Schmerzsyndrom des Beckens [2].

Die verschiedenen Prostatitisarten werden vom NIH in 4 Kategorien eingeteilt. Die chronische abakterielle Prostatitis (CAP) bzw. das chronische Beckenschmerzsyndrom (CPPS) wird Kategorie III genannt. Dieses wird unterteilt in IIIa (entzündliches CP-CPPS) und III b (nicht entzündliches CP-CPPS [22]).

Die Ätiologie der CP-CPPS ist unklar. In der Literatur werden verschiedene Theorien diskutiert, deren Validität aber bis heute nicht belegt werden konnte [1, 3, 4, 5]. Vermehrt werden in Studien auch psychische Ursachen dem organischen Ursprung entgegen gestellt [6]. Neuestens werden multifaktorielle Ursachen diskutiert, z. B. ein organübergreifendes Wechselspiel zwischen psychologischen Faktoren und Störungen des immunologischen, neurologischen sowie endokrinen Systems [7].

Die Symptome sind oft so stark ausgeprägt, dass eine erhebliche Einschränkung der Teilhabe resultiert. Die Krankheit wird in vielen Studien als berühmt, berüchtigt [8], kopfzerbrechend, verblüffend [9], wenig verstanden [10], obskur [11], verwirrend und frustrierend für Behandler und Patient charakterisiert [12].

Das fehlende Wissen um Ätiologie und Pathogenese der Erkrankung spiegelt sich auch darin wieder, dass es sich bei der Diagnose CP-CPPS im Wesentlichen um eine Ausschlussdiagnose handelt mit ebenfalls wenig spezifischen und bestenfalls ansatzweise evidenzbasierten Therapieansätzen wie z. B dem Einsatz von Antibiotika (ohne Keimnachweis), Antiphlogistika, Analgetika und α-Blockern. Als alternative Therapien gibt es z. B. psychologische Behandlungen [17], Akupunktur [18] und Beckenbodengymnastik [19].

Über die osteopathische Behandlung der CP-CPPS liegen derzeit unseres Wissens keine Ergebnisse aus randomisiert kontrollierten Studien vor. Viele Osteopathen berichten aber von guten klinischen Erfolgen bei osteopathischer Behandlung von Patienten mit Problemen an der Prostata. In dieser Studie sollte deshalb in einer randomisierten kontrollierten Studie der Frage nachgegangen werden, ob die osteopathische Behandlung im Rahmen dieses Krankheitsbildes tatsächlich eine effektive Therapieform darstellen kann. Primäre Fragestellung war, ob eine individuell adaptierte osteopathische Therapie die Symptome einer CP-CPPS beeinflussen kann und dabei einer Scheinbehandlung überlegen ist. Untersucht werden sollte, ob es:

  • zu einer Verbesserung der spezifischen Symptome und der Lebensqualität kommt und

  • ob sich der subjektiv empfundene Schmerz verringert.

Patienten und Methode

Patienten

Studiendurchführung

Gesucht wurden Probanden aus der Bevölkerung in Deutschland (Großraum Stuttgart) in der Zeit von 2003–2005. Die Rekrutierung erfolgte durch Überweisung von Urologen, über Zeitungsartikel, Aushängen in Apotheken sowie Vorträgen zu diesem Thema.

Ein- und Ausschlusskriterien

Zur Studienteilnahme zugelassen waren Patienten im Alter zwischen 18 und 70 Jahren nach vorausgegangener fachärztlich-urologischer Untersuchung. Einschlusskriterien waren eine ausgeprägte Beschwerdesymptomatik ohne wegweisenden Befund in der urologischen Untersuchung, d. h. ein unauffälliger klinischer Befund einschließlich digitale rektale Untersuchung (DRU) ein unauffälliger sonographischer Befund einschließlich transurethrale Sonographie (TRUS) und Messung der Detrusordicke (<5 mm), Prostatagröße <45 cm3, Restharn <100 ml, negative Urin- und Ejakulatbakteriologie und PSA <4 μg/l.

Ausschlusskriterien waren Grunderkrankungen wie Autoimmunerkrankungen, neurologische oder neoplastische Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, BPH, chronische Zystitiden sowie Operationen im Unterbauch. Therapien jeglicher Art, mit oder ohne konkreten Bezug auf das Beschwerdebild, waren während der Zeit der Studiendurchführung nicht erlaubt. Erlaubt war die unveränderte Einnahme von Medikamenten, die schon vor dem Auftreten der Beschwerden des Urogenitalbereichs eingenommen wurden.

Randomisierung

Die Randomisierung in die beiden Gruppen im Verhältnis 4:3 in „Interventions-“ und „Shamgruppe“ erfolgte extern durch den Statistiker, der eine vom Computer generierte Zufallszahlenliste erzeugt hatte. Die Zuordnung wurde nach telefonischer Übermittlung von Geburtsdatum und Initialen bekannt gegeben und in der Liste durch namentliche Abzeichnung bestätigt.

Ethikvotum

Eine Anfrage der Akademie für Osteopathie (AFO) beim Bundesgesundheitsministerium im Jahr 2002 ergab, dass es in Deutschland derzeit keine institutionalisierten Ethikkommissionen für Studien gibt, die primär durch nichtärztliche medizinische Fachberufe durchgeführt werden. Hilfsweise wurde deshalb das Protokoll der vorliegenden Studie von der Forschungskommission der AFO in Anlehnung an die Regularien amerikanischer organisationsinterner Ethikkommissionen (Institutional Review Board, IRB) begutachtet und genehmigt.

Zielparameter

Hauptzielparameter waren die „lower urinary tract symptoms“ (LUTS), gemessen mit dem Internationalen Prostatasymptomenscore (IPSS), der ein validiertes, weltweit empfohlenes Symptomenbeurteilungssystem für Patienten mit einem chronischen Prostataleiden darstellt. Er umfasst 7 Fragen, die Miktionsprobleme betreffen. Die Symptomatik wurde mit einer Likert-Skala erfasst, die von 0 („niemals“) bis 5 („fast immer“) Punkten reicht. Somit konnte der Gesamtscore maximal 35 Punkte erreichen. Eine Einteilung der Symptomenschwere erfolgt dabei in die Kategorien: leichtgradig (0–7 Punkte), mittel- bzw. mäßiggradig (8–19 Punkte) und hochgradig symptomatisch (20–35 Punkte). Da sich der IPSS aber fast ausschließlich mit Miktionsproblemen beschäftigt und nicht nach den Schmerzen fragt, wurden als weiterer primärer Zielparameter die Schmerzen im Urogenitaltrakt erfasst. Hierzu wurde der von den US-amerikanischen „National Institutes of Health“ (NIH) entwickelte „Chronic Prostatitis Symptom Index“ (CPSI) benutzt. Ziel dieses Instruments ist es, die CP-CPPS messbar zu kontrollieren. Der Test beinhaltet 9 Fragen, wobei 3 unterschiedliche Auswertungsbereiche (Schmerz, Wasserlassbeschwerden, Lebensqualität) zu berechnen sind. Die Auswertung aller Fragen in Addition ergibt eine Punktzahl von 0–43. In der erweiterten Ausführung des IPSS (identisch mit letzter Frage des NIH) findet sich auch eine Frage zur „quality of life“ (QOL), die gesondert ausgewertet wurde (0–6 Punkte).

Intervention

Osteopathische Behandlung

Die Patienten wurden nach den osteopathischen Grundsätzen ganzheitlich untersucht, d. h. es wurden die osteopathisch auffälligen Strukturen („Dysfunktionen“) auf kranialer, viszeraler und parietaler Ebene ohne Beschränkung auf den Bereich der körperlichen Symptomatik erfasst. Detailliert wurden bei jedem Patienten Os coccygis, Os sacrum, Iliosakralgelenk (ISG), Os pubis, Wirbelsäule (WS), Articulatio coxae, Dünndarm, Kolon, Rektum, Niere, Blase, Ureter, Urethra, Prostata und die entsprechenden Ligamente und Muskeln untersucht.

Bei jeder osteopathischen Behandlung wurden diejenigen Strukturen behandelt, bei denen Auffälligkeiten (Dysfunktionen) gefunden wurden. Der behandelnde Therapeut wählte die Techniken entsprechend den osteopathischen Prinzipen, die in den Lehrplänen der anerkannten Osteopathieschulen dokumentiert sind. Die osteopathischen Techniken beinhalten sowohl direkte Techniken (Manipulationen, Mobilisation, Muskelenergietechniken, myofasziale Techniken) als auch indirekte Techniken (z. B. funktionelle Techniken, viszerale und kranielle Techniken, „balanced ligamentous tension“). Dysfunktionen am Rectum, am Os coccygis und der Prostata wurden sowohl intern (rektal) als auch extern behandelt [20, 21].

Kontrollgruppe

Die Shambehandlung bestand aus einem einfachen Übungsprogramm mit den folgenden 5 Elementen:

  • einem allgemeinen Durchblutungs- und Erwärmungsteil mit typischen gymnastischen Übungen wie Federn und Hüpfen auf der Stelle, Skippings und Beckenkreisen,

  • Dehnübungen v. a. der Halte- und Stützmuskulatur von Becken und untererer Extremität gefolgt von

  • Loslassübungen von Armen, Rumpf und Beinen und

  • Atemübungen in verschiedenen Positionen sowie abschließend

  • typischen Übungen aus der Beckenbodengymnastik (stufenweises Anspannen bzw. Entspannen der Beckenbodenmuskulatur).

Die Patienten wurden ebenso taktil berührt, angeleitet und die Übungen korrigiert. Sie bekamen jeweils ein Übungsblatt ausgeteilt, damit sie die Übungen zu Hause konstant durchführen konnten.

Studienverlauf

Nach der fachärztlichen Untersuchung durch den Urologen und umfassender Information über die Studie einschließlich Unterzeichnen einer Einwilligungserklärung wurde der Patient in eine der beiden Gruppen randomisiert. Unmittelbar danach zum Zeitpunkt t0 wurden die Fragebögen für die Symptomscores ausgefüllt und eine erweiterte osteopathische Anamnese erhoben. Der Fragebogen zum chronischen Beckenschmerzsyndrom (NIH-CPSI) wurde bei jeder der insgesamt 5 therapeutischen Sitzungen wiederholt, der IPSS und QOL nur zu Beginn (t0) und am Ende der Behandlungsserie (t5) als auch beim Kurzzeit-Follow-up nach 6 Wochen (t6) und 1,5 Jahre später (t7).

Die Patienten der Interventionsgruppe wurden 5-mal osteopathisch behandelt. Dauer ca. 45 min. Der Zeitraum zwischen den Therapiezeitpunkten war nicht konstant. Der Abstand zwischen den ersten 3 Behandlungen (Zeitpunkt t1, t2, t3) betrug eine Woche (Woche 1, 2, 3), dann 2 Wochen bis zur 4. Behandlung (t4, Woche 5) und weitere 3 Wochen bis zur 5. Behandlung (t5, Woche 8). Die Patienten der Kontrollgruppe wurden zu denselben Zeitpunkten 5-mal 30 min einbestellt. Ein Follow-up (t6) erfolgte 6 Wochen nach Therapieende, wobei alle Fragebögen von allen Patienten erneut auszufüllen waren. Nach 1,5 Jahren wurde erneut ein Follow-up (t7) durchgeführt, wo abermals alle Bögen ausgefüllt wurden. Zu diesem Zeitpunkt wurden nur Patienten der Interventionsgruppe einbestellt.

Statistik

In der konfirmatorischen Analyse wurden die Veränderungen der verschiedenen Aspekte des primären Zielparameters (Wasserlassbeschwerden, Schmerzen im Becken und Lebensqualität) im Behandlungsverlauf bzw. zwischen Ausgangswert und Follow-up-Wert in den beiden Gruppen verglichen. Dabei kamen je nach Skalenniveau und Verteilung der t-Test und nichtparametrische Tests (Mann-Whitney- und Wilcoxon-Test) zum Einsatz. In die Analyse des Behandlungsverlaufs einbezogen wurden jeweils alle Patienten, für die gültige Werte vorlagen (sog. per Protokollanalyse). Für die Darstellung der Ausgangswerte kamen die üblichen Verfahren der deskriptiven Statistik zum Einsatz.

Ergebnisse

Die Patientenrekrutierung und deren Randomisierung ist in Abb. 1 dargestellt. 35 Patienten erfüllten die Kriterien und konnten in die Studie aufgenommen werden: 20 in die Verumgruppe (osteopathische Intervention), 15 in die Shamgruppe. In der Kontrollgruppe waren 2 Studienabbrecher zu verzeichnen. Da hier nur Daten vom Zeitpunkt t0 existierten, wurden diese Patienten statistisch nicht berücksichtigt.

Abb. 1
figure 1

Patientenrekrutierung

Anamnestische Daten

Das Alter der Patienten lag zwischen 29 und 70 Jahren. Der Mittelwert lag bei 47 Jahren. Die Dauer der Beschwerden variierten von 0,5–15,0 (im Mittel 3–4) Jahren. Die Stärke der „lower urinary tract symptoms“, gemessen mit dem IPSS, betrug im Mittel 19,5 Skalenpunkte, was entsprechend der üblichen Schweregradeinteilung die Grenze zwischen mittelgradig und hochgradig symptomatisch bedeutet. Im ähnlichen Bereich lagen die Eingangswerte des CPPS, gemessen mit dem NIH-CPSI und der Lebensqualität (QOL). Die demographischen Daten beider Gruppen zeigt Tab. 1. Es lagen keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen vor.

Tab. 1 Ausgangswerte der 33 Patienten

Primärer Zielparameter

IPSS (Vergleich Osteopathie/Sham)

Der IPSS verbesserte sich in der osteopathisch behandelten Gruppe nach 5 Behandlungen (t5) im Mittel um 9,4 Punkte, nämlich von 19,7 auf 10,3 Punkte, das entspricht einem Rückgang um 48% (p<0,0005). Die Kontrollgruppe blieb unverändert (Rückgang um 0,5 Punkte bzw. 3%; p=0,797) siehe Tab. 2. Sechs Wochen nach Ende der Behandlung (t6) blieben die Werte in beiden Gruppen stabil auf dem Niveau des Therapieendes. Im Vergleich der Veränderungen der beiden Gruppen zwischen Beginn der Therapie und dem Follow-up 6 Wochen nach Ende der Therapie schnitt die osteopathisch behandelte Gruppe hochsignifikant besser ab (p<0,0005; Tab. 3). Beim Follow-up 1,5 Jahre später (t7) zeichnet sich nochmals eine leichte Verbesserung, nämlich ein Rückgang von 11,65 Punkten (Tab. 3).

Tab. 2 Vergleich beider Gruppen vor Beginn der Behandlung (t0) gegenüber dem Ende der Behandlung (t5)
Tab. 3 Vergleich beider Gruppen vor Beginn der Behandlung gegenüber dem 1. Follow-up 6 Wochen nach der letzten Behandlung (t6) bzw. (t7) 1,5 Jahre später

NIH-CPSI (Vergleich Osteopathie/Sham)

Der NIH-CPSI verbesserte sich in der osteopathisch behandelten Gruppe im Therapieverlauf von 25,9 auf einen Wert von 11,9, das entspricht einer Verbesserung um 54% (p<0,0005). Die numerische Veränderung in der Kontrollgruppe von 22,8 auf 21,6 (5%) war statistisch nicht signifikant (p-Wert = 0,285; s. Tab. 2). Beim statistischen Vergleich der Veränderungen der beiden Gruppen zwischen Beginn der Therapie und dem Follow-up 6 Wochen nach Ende der Therapie waren die Ergebnisse der osteopathisch behandelten Gruppe hochsignifikant besser (p<0,0005). Im Follow-up 6 Wochen nach Therapieende stabilisierten sich die Ergebnisse in der Interventionsgruppe im Vergleich zum Therapieende weiter, während in der Kontrollgruppe eine leichte Tendenz zur Verschlechterung zu beobachten war (p=0,105; Tab. 3). Der Rückgang um 17,75 Punkte 1,5 Jahre später zeigt nochmals eine deutliche Verbesserung (Tab. 3).

QOL (Vergleich Osteopathie/Sham)

Die osteopathische Behandlungsgruppe verbesserte sich zum Zeitpunkt t5 im Mittel um 2,5 Punkte nämlich von 4,4 auf 1,8 Punkte (58%; p<0,0005). Die Kontrollgruppe blieb demgegenüber unverändert (p=1,000; Tab. 2). Die Veränderungen des QOL zwischen Beginn der Therapie und dem Follow-up 6 Wochen nach Ende der Therapie waren in der osteopathisch behandelten Gruppe (Verbesserung um 60% von 4,4 auf 1,7) hochsignifikant besser als in der Kontrollgruppe, in der der QOL weitgehend unverändert blieb (p<0,0005; s. Tab. 3). Das Follow-up 1,5 Jahre später (t7), ergab für die Behandlungsgruppe eine weitere Verbesserung gegenüber t0 von 2,75 Punkten (Tab. 3).

Ernsthafte Nebenwirkungen waren während des gesamten Behandlungszeitraums nicht zu verzeichnen. Gelegentlich wurde über eine gewisse Müdigkeit am Tag der Behandlung berichtet. Außerdem war es nicht angenehm rektal behandelt zu werden, was jedoch allen Probanden zunehmend leichter fiel. Das Alter, die Dauer der Beschwerden als auch die Lokalisation der Symptome spielten hinsichtlich der Verbesserung durch eine osteopathische Behandlung keine Rolle.

Diskussion

Die CP-CPPS stellt nach wie vor für den behandelnden Urologen ein Problem dar [22]. Die Diagnostik der CP-CPPS beschränkt sich bei Einsatz der üblichen Untersuchungsmethoden der Prostata, z. B. digitorektale Untersuchung, rektale und abdominale Sonographie, CT/MNR, urodynamische Untersuchungen, Blutbild oder die 2-/3-/4-Gläser-Probe auf den Ausschluss einer bakteriellen Prostatitis. Ein positiver diagnostischer Nachweis ist offensichtlich derzeit nicht möglich [13, 14], die Diagnose wird häufig bei fehlenden objektiven Befunden nur aufgrund der Symptome bzw. der Schmerzen, die der Patient beschreibt, gestellt. Für die vorliegende Studie war dies insofern wichtig, als grundsätzlich angenommen werden konnte, dass im Rahmen einer differenzierten Diagnostik im Vorfeld bereits alle wesentlichen anderen, spezifischen Ursachen für die Symptomatik ausgeschlossen waren. Durch die Forderung nach einer aktuellen urologischen Untersuchung vor Aufnahme in die Studie sollte u. a. das Risiko minimiert werden, dass ein Patient wegen seiner Teilnahme an der Studie eine spezifische Therapie nicht oder verspätet erhalten würde.

Insgesamt ist die Therapie der CP-CPPS schwierig, da keine Therapie sicher anspricht [9]. Angewendet werden hauptsächlich Antibiotika, α-Adrenorezeptorenblocker, NSAR und Phytopharmaka. Neuere Studien zeigen, dass die Wirksamkeit dieser Mittel nach den Kriterien der „evidence based medicine“ nicht zufrieden stellend belegt ist [3, 15]. Darüber hinaus werden intraprostatische Injektionen oder Thermotherapie bzw. Hyperthermieverfahren eingesetzt. Operationstechniken, wie z. B. die TUR-Prostata werden bei CP-CPPS nur selten angewandt [16]. Vor diesem Hintergrund erschien es vertretbar, einem Teil der Patienten eine Therapie mutmaßlich ohne spezifischen Therapieeffekt anzubieten (Shamkontrolle). Die Tatsache, dass in dieser Gruppe die Beschwerden im Verlauf der Studie im Wesentlichen unverändert blieben, stützt die Annahme, dass es sich bei der CP-CPPS um eine chronische Problematik mit wenig ausgeprägter Tendenz zur Selbstheilung in einem kurzen Zeitraum wie dem der Beobachtungsdauer in der Studie handelt. Die Konstanz der beobachteten Veränderungen im Follow-up nach 6 Wochen spricht dafür, dass es sich in der Interventionsgruppe nicht um passagere Veränderungen handeln dürfte. Dafür spricht auch die nachhaltige Verbesserung in der Interventionsgruppe nach 18 Monaten (trotz der Einschränkung, dass dieses Follow-up bei der Kontrollgruppe nicht durchgeführt wurde).

Nach osteopathischem Verständnis sind viele Erkrankungen, Symptome und Syndrome die Folge von sog. „Dysfunktionen“ einer eingeschränkten Beweglichkeit jeglichen Gewebes auf viszeraler (z. B. Rektum, Blase, Prostata), parietaler (z. B. Beckentorsionen, Wirbelblockierungen, Fehlstellung des Femurs) und/oder kraniosakraler Ebene (z. B. Protrusionen, die die Dura einengen) [23]. Häufig bestehen Fehlspannungen wie Hypo- oder Hypertension von quergestreiften und/oder glatten Muskeln. Darüber hinaus interessiert den Osteopathen die Position eines Gewebes innerhalb des Ganzen, also in Beziehung zur Schwerkraft und zu seinen Nachbarorganen oder -gelenken.

Jedes Organ hält durch den sog. Turgoreffekt seine Position im Körper. Wird dieser Organturgor mechanisch, neurohormonell, vaskulär oder metabolisch gestört kommt es zur Änderung der Position, der Spannung und der freien Beweglichkeit. Ein blockierter Wirbel ist leicht zu manipulieren bzw. zu deblockieren, die Wirbelsäule erhält ihre freie Beweglichkeit zurück. Ein hypertoner Muskel, der durch Fehlbelastung überbeansprucht wurde ist durch muskuläre Dehntechniken einfach zu dekontrahieren, die Muskelfasern entspannen, der Schmerz vergeht. Ähnlich verhält es sich mit den inneren Organen.

Jedes Organ ist durch Hüllen (Faszien) umgeben, diese liegen verschieblich aneinander. Jedes Organ muss mobil eingebettet sein im Gesamtorganismus, um an seinem Platz seine Funktion verrichten zu können. Manche Organe pumpen wie z. B. das Herz, andere Organe dehnen und kontrahieren sich wie z. B. die Lunge und die Blase, wieder andere haben eine Peristaltik, wie der Darm. Allen gemeinsam ist Bewegung. Würden die angrenzenden Flächen nicht Platz machen, entstünde Spannung, Druck, Stauung und eingeschränkte Funktion, welche nach osteopathischem Verständnis mit der Zeit zu Krankheit oder chronischen Schmerzsyndromen führt. Osteopathen versuchen an Organen und Gelenken die größte mögliche Mobilität wieder herzustellen, was als Vorrausetzung für eine optimale Vaskularisation und Drainage verstanden wird [24].

Die vorliegende Studie war nicht darauf ausgerichtet, dieses Modell grundsätzlich zu untersuchen. Sie zielte auch nicht darauf ab, die spezifische Wirksamkeit einzelner Techniken zu untersuchen. Vielmehr sollte die anektotische empirische Evidenz von Osteopathen mit geeigneter Methodik im Sinne der Bedeutung für die Praxis kritisch überprüft werden. Die aktuelle Fallzahl von insgesamt 35 Teilnehmern beschränkt die Aussagekraft der Ergebnisse, bewegt sich aber in der typischen Größenordnung von klinischen Studien, die ohne externe Forschungsförderung durch engagierte Akteure zu realisieren sind. Durch die externe (telefonische) Randomisierung sollten und konnten Verzerrungen durch Fehlallokation ausgeschlossen werden, durch das Angebot einer Shambehandlung in der Kontrollgruppe dürften die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen eher der osteopathischen Therapie als „unspezifischen“ Effekten zuzuschreiben sein.

Die Ergebnisse scheinen als Basis für weitere (und größere) Studien hinreichend, in denen primär die qualitative und quantitative Reproduzierbarkeit der Ergebnisse untersucht werden sollte. Danach könnten ggf. weitere Fragestellungen in den Fokus gelangen, z. B. die nach der Bedeutung einzelner Techniken für die Veränderung der klinischen Symptomatik („spezifische Wirksamkeit“) oder die nach den zugrunde liegenden Mechanismen („mode of action“).

Fazit für die Praxis

Die vorliegende prospektive, randomisierte und Sham-kontrollierte Studie gibt einen viel versprechenden Hinweis auf eine klinische relevante Effektivität einer Serie osteopathischer Behandlungen von Patienten mit CP-CPPS. In Anbetracht der Tatsache, dass die Behandlungsergebnisse bei Patienten mit CP-CPPS derzeit nicht selten unbefriedigend sind eröffnen die Ergebnisse dieser Studie eine interessante zusätzliche Therapieoption, ergänzend oder alternativ zu üblichen konventionellen Therapien. Da die osteopathischen Techniken typischerweise sensibel und ohne großen mechanischen Krafteinsatz angewendet werden, dürfte, einen gut ausgebildeten und erfahrenen Osteopathen vorausgesetzt, das damit inhärent verbundene Risiko gering sein.