Das Harnblasenkarzinom ist nach dem Prostatakarzinom der zweithäufigste Tumor im Urogenitaltrakt und macht bei Männern etwa 8% und bei Frauen 3% aller bösartigen Neubildungen aus [6]. Im Rahmen der Erstdiagnose sind ca. 75% aller Blasenkarzinome nicht muskelinvasiv [9].

Niedrigrisikotumoren, welche den Großteil aller Läsionen ausmachen, bedürfen nach transurethraler Resektion und perioperativer Gabe von Mitomycin C lediglich einer engmaschigen Nachkontrolle, weil deren Rezidivfrequenz zwar hoch ist, aber eine Progression zu höheren Tumorstadien selten vorkommt [25]. Bei Tumoren mittleren Risikos sollte zusätzlich nach ca. 2–6 Wochen eine Nachresektion und adjuvante Mitomycin-C-Therapie erfolgen und im Falle von Hochrisikotumoren empfiehlt sich 2–3 Wochen nach der 2. Resektion der Beginn einer intravesikalen Immuntherapie mit Bacillus Calmette-Guérin (BCG).

BCG ist ein abgeschwächter Stamm von Mycobacterium bovis und führt zu einer lokalen Entzündungsreaktion der Blase, welche einen antikanzerogenen Effekt hat und neben einer Verringerung der Rezidivrate wahrscheinlich auch den gefährlicheren Tumorprogress verlangsamt [10, 24]. Aggressive Tumoren, die sich trotz dieser Therapie innerhalb kurzer Zeit weiterentwickeln, sollten in der Regel radikal mittels Zystektomie und Harnableitung saniert werden [12].

Als Second-line-Therapie für diejenigen Patienten, die trotz BCG kurzfristig Rückfälle erleiden oder BCG-resistente Tumoren haben, aber entweder eine radikale Zystektomie ablehnen oder diese große Operation nicht tolerieren, besteht die Möglichkeit, BCG mit der Gabe von Interferon zu kombinieren [14]. Die Heilungsaussichten unter dieser Therapie sind allerdings nur gering, weil insbesondere sehr aggressive Tumoren eine hohe Resistenz gegenüber einer Behandlung mit Interferon aufweisen [2, 16, 19]. Solch eine Eigenschaft verleiht den Tumorzellen einen Wachstumsvorteil gegenüber normalem Gewebe und macht sie bis zu einem gewissen Grad für die immunologische Tumorabwehr „unsichtbar“, aber gleichzeitig beeinträchtigt es ihre Fähigkeit, auf virale Infektionen zu reagieren [5, 22]. Um nun eben diesen „wunden Punkt“ hochmaligner Blasenkrebszellen besser zu charakterisieren und therapeutisch auszunutzen, haben wir verschiedene Blasentumorzelllinien mit neuartigen onkolytischen Viren behandelt, welche gezielt diejenigen Tumoren angreifen, deren Interferonsignaltransduktionswege defekt sind [8].

Vesikular-Stomatitisviren

Onkolytische Viren i. Allg. werden speziell konstruiert oder dahingehend ausgesucht, genetische Unzulänglichkeiten von Tumorzellen gezielt auszunutzen, wodurch eine hohe Spezifität gewährleistet wird [17]. Im Gegensatz zur konventionellen Gentherapie, in der Viren nur als Vektoren für eine gezielte „Genzustellung“ verwendet werden [2, 15], sind onkolytische Viren replikationskompetent, d. h. in der Lage, sich zu vermehren. Innerhalb von infizierten Tumorzellen (nicht in normalem Gewebe) werden so lange virale Partikel produziert, bis die Zelle platzt und dadurch mehr infektiöse Viren freigesetzt werden. Theoretisch vermehren sich onkolytische Viren aktiv im Tumorgewebe, bis dieses vollständig beseitigt ist. In den letzten Jahren ist eine Vielzahl verschiedener onkolytischer Viren beschrieben worden, die unterschiedlichste Defekte in Krebszellen ausbeuten [17]. Von diesen wiederum sind einige auch als intravesikale Agenzien getestet worden [4, 11, 20].

Im Unterschied zu den bislang untersuchten Viren bieten die von uns verwendeten Vesikular-Stomatitisviren (VSV) sowohl einen einzigartigen Wirkmechanismus, der darauf beruht, dass sich die ausgesprochen Interferon-sensiblen Viren v. a. in Interferon-resistenten Zellen vermehren, als auch eine sehr hohe Infektionseffizienz, die den Einsatz spezieller transduktionsverstärkender Reagenzien überflüssig macht [22]. VSV sind RNA-Viren der Familie der Rhabdoviridae und führen bei Huftieren zu einer Mundschleimhautentzündung mit Bläschenbildung, welche der Maul- und Klauenseuche ähnelt und insbesondere in der Karibik auftritt.

Die intrinsische Tumorzellspezifität von VSV wurde von der Gruppe um Prof. Dr. John Bell am „Centre for Cancer Therapeutics“ in Ottawa in einem genetisch veränderten Subtyp von VSV (AV3) weiter gesteigert, indem diese Virusvariante die für normales Gewebe protektiv wirkende endogene Bildung von Interferon fördert, anstatt sie wie der Wildtypvirus zu blockieren [23]. Interferone sind körpereigene Proteine, die v. a. antivirale, aber auch immunstimulierende und antitumorale Wirkungen entfalten [21]. Das von AV3-VSV stimulierte und auch in der oben genannten intravesikalen Interferon-Therapie eingesetzte Typ-I-Interferon aktiviert umliegende virusinfizierte sowie nicht infizierte Zellen und regt in diesen die Expression von „Interferon-stimulierten Genen“ an. Dadurch werden in den Zellen verschiedene Proteine gebildet, welche einerseits eine weitere (Virus-)Proteinsynthese hemmen und andererseits einen Abbau viraler RNA bewirken. Die antitumorale Wirksamkeit der Typ-I-Interferone beruht zum einen auf ihrer antiproliferativen Wirkung und zum anderen auf einer Aktivierung von Immunzellen, die Tumorzellen als Fremdgewebe erkennen und töten [5].

Basierend auf vorangegangenen Studien mit Wildtyp-VSV und der noch tumorselektiveren Variante AV3 in anderen Tumormodellen, in denen sowohl intratumorale Injektionen als auch eine systemische Gabe von VSV erfolgreich getestet wurden [1, 22, 23], haben wir erstmals die Wirksamkeit von VSV als intravesikale Instillationstherapie untersucht [8]. Eine intravesikale Administration bietet deutliche Vorteile gegenüber der systemischen Gabe von Viren, da weder zirkulierende Antikörper und Komplementproteine noch Leber und Milz die Viruseffizienz beeinträchtigen [18].

In vitro wurden zunächst 4 unterschiedlich aggressiv wachsende Blasentumorzelllinien dem Wildtypvirus oder der gentechnisch modifizierten Variante AV3 ausgesetzt, um deren antiproliferative Wirkung zu testen (Abb. 1 oben, Mitte). Während RT4- und MGH-U3-Zellen aus hoch differenzierten papillären Blasentumoren gewonnen wurden, sind UM-UC3- und KU-7-Zellen weitgehend entdifferenziert. Sowohl Wildtyp-VSV als auch der attenuierte Stamm AV3 konnten das Wachstum der 2 aggressiven Zelllinien (UM-UC3, KU-7-luc) schon in sehr niedriger Dosierung stoppen. RT4- und MGH-U3-Zellen jedoch reagierten weniger sensibel auf eine Infektion mit dem Wildtypen und waren insbesondere AV3 gegenüber nahezu unempfindlich.

Dieser Unterschied zwischen den einzelnen Zelllinien beruht am ehesten darauf, dass RT4- und MGH-U3-Zellen noch Interferon-sensibel sind und intakte Interferonsignaltransduktionswege besitzen. Dies ließ sich u. a. dadurch bestätigen, dass diese Zellen nach exogener Zufuhr von Interferon langsamer wuchsen [8]. Außerdem konnten wir demonstrieren, dass UM-UC3- und KU-7-Zellen durch eine exogene Zugabe von Typ-I-Interferon schlechter vor einer tödlichen Wildtyp-VSV-Infektion (20 pfu/Zelle) zu bewahren waren als die beiden anderen Zelllinien (Abb. 1 unten). Da AV3 eine endogene Interferonproduktion anregt, kann der hierdurch hervorgerufene antivirale Schutz erklären, warum normale Zellen wie auch gut differenzierte Tumorzelllinien vor den zytotoxischen Effekten von AV3 gefeit sind (Abb. 1 Mitte).

Abb. 1
figure 1

Antitumoraktivität von Wildtyp-VSV (WT-VSV) und der attenuierten Variante AV3 gegenüber verschiedenen Blasentumorzelllinien, sowie Schutz derselben vor einer WT-VSV-Infektion durch vorherige Interferongabe (Quelle: [8])

Orthotopes Blasentumorwachstum in der Maus

Tierexperimentelle Studien wurden anschließend in einem von uns kürzlich validierten orthotopen Blasentumormausmodell durchgeführt [7]. Die technischen Möglichkeiten der Bildgebung kleiner Tiere haben sich in den letzten Jahren erheblich verbessert [13]. Neben Fortschritten z. B. in der Ultraschall-, Röntgen- und Kernspintechnik erlauben auch auf Biolumineszenz basierende Verfahren, Tumorwachstum longitudinal im lebenden Tier zu verfolgen.

In der Natur tritt Biolumineszenz bei Tiefseeorganismen oder auch bei Käfern wie dem Glühwürmchen auf. Im Rahmen von Laborexperimenten benötigen Biolumineszenzsysteme im Gegensatz zur Fluoreszenz die Zugabe eines Substrates (Luziferin), welches von vitalen Zellen, die das Enzym Luziferase exprimieren, ATP-abhängig oxydiert wird. Hierbei kommt es zur kalten Emission von Photonen, die mit Hilfe hochsensibler Detektoren quantifiziert werden können. Der Nachteil der Variabilität, die durch die Verwendung eines Substrates entsteht, wird dadurch ausgeglichen, dass sich durch Biolumineszenz erzeugtes Licht besser vom Hintergrund des Tieres abhebt als Fluoreszenzsignale.

Basierend auf Vorarbeiten am „MD Anderson Cancer Center“ (Houston, TX) haben wir in Kooperation mit der dortigen Urologie ein lumineszierendes Blasentumormodell in der Maus beschrieben [7, 27]. Um in diesem System neue Therapieoptionen an menschlichen Tumorzellen testen zu können, wurden zunächst humane KU-7-Blasentumorzellen mittels eines Lentivirus infiziert, um stabil Luziferase zu exprimieren. Nach Zugabe von Luziferin emittieren diese Zellen (KU-7-luc) proportional zu ihrer Anzahl Licht (Abb. 2 a). KU-7-luc-Blasentumorzellen wachsen sehr schnell und invasiv und bieten den Vorteil, dass sie als bislang einzige humane Zellart nach intravesikaler Instillation in athymische Nacktmäuse auch dann verlässlich in der Blase angehen, wenn das Urothel nicht zuvor chemisch oder elektrisch verletzt wurde. Vier Tage nach der initialen Tumorinokulation können die nun angewachsenen KU-7-luc-Tumorzellen unter Narkose mittels Biolumineszenzbildgebung erfasst werden.

Im Anschluss an die Randomisierung der Tiere in verschiedene Therapiearme wird das Tumorwachstum in der Regel alle 4–7 Tage erneut quantifiziert (Abb. 2 b). Nach ungefähr 1 Monat beginnen die meist multifokal wachsenden KU-7-luc-Tumoren, die Muscularis propria zu infiltrieren, sodass es zu metastatischen Absiedlungen und/oder Harnstau kommen kann. Da solch invasives Wachstum systemischer Therapie bedürfte, beenden wir unsere Versuchsreihen im Schnitt nach 3–4 Wochen.

Abb. 2
figure 2

a, b In-vitro-Biolumineszenz von KU-7-luc-Tumorzellen und deren In-vivo-Wachstum als orthotope Blasentumorxenografts (Quelle: [7])

Auf die Optimierung unseres Tumormodells folgte dessen Validierung durch Vergleichen der Biolumineszenzmesswerte sowohl mit histopathologischen Tumorvolumina als auch mit MRT-Daten (Abb. 3 a). Hierzu wurden die Mäuseblasen in toto exzidiert und in einem speziellen 7-Tesla-Kleintier-MRT-Scanner (Bruker, Karlsruhe) in 3 Ebenen untersucht, um das Gesamttumorvolumen anhand der Fläche auf den einzelnen Schnitten zu berechnen. Weil keine narkotisierten Mäuse, sondern nur deren Blasen gescannt wurden, konnten Bewegungsartefakte vermieden und eine sehr hohe Auflösung ermöglicht werden. Im Anschluss wurden die Präparate in Paraffin eingebettet und 5 µm starke Schnitte des gesamten Blockes einer jeden Blase angefertigt, welche wiederum im Hinblick auf die Tumorfläche manuell am Computer vermessen wurden.

Sowohl die MRT-Tumorvolumina als auch die Volumina im histologischen Präparat korrelierten exzellent mit den Biolumineszenzmessungen (Abb. 3 bc), sodass hiermit erstmals ein validiertes orthotopes Blasentumormodell geschaffen wurde, welches eine unkomplizierte longitudinale Beobachtung von Behandlungseffekten in der lebenden Maus mittels Biolumineszenz ermöglicht [7].

Abb. 3
figure 3

a–c Korrelation von Biolumineszenzmessungen mit Tumorvolumina im MRT und histologischen Präparat (Quelle: [7])

Onkolytische Viren als intravesikale Therapeutika

Um die antikanzerogene Potenz der beiden von uns ausgewählten VSV-Stämme zu testen, wurden insgesamt 3 Gruppen von Mäusen mit jeweils einem der beiden Viren oder mit durch UV-Bestrahlung inaktivierten Viren intravesikal behandelt (Abb. 4). Die Instillationen erfolgten hierbei an den Tagen 4, 9 und 14 nach der KU-7-luc-Tumorinokulation. Drei Wochen später wurden zwei Drittel aller Mäuse getötet, um deren Blasen histologisch zu untersuchen und gleichzeitig eine systemische Replikation von Viren auszuschließen [8]. Die verbliebenen Tiere wurden weitere 3 Monate regelmäßig untersucht, damit weder eine Langzeittoxizität der viralen Therapie noch Tumorrezidive übersehen wurden. Verglichen mit der Kontrollgruppe verlangsamten sowohl der Wildtyp als auch AV3-VSV das Tumorwachstum deutlich (Abb. 4). Am Ende der Studie betrug die Tumorbiolumineszenz in der Wildtypgruppe 2% und in den mit AV3 behandelten Mäusen 10% des Durchschnittswertes der Tiere, denen abgetötete Viren instilliert worden waren.

Abb. 4
figure 4

Intravesikale Therapie orthotoper KU-7-luc-Blasentumoren mit Wildtyp-VSV und AV3 (Quelle: [8])

Obwohl in unserem Tumormodell immunkompromittierte Nacktmäuse verwendet werden, traten erstaunlicherweise in beiden Verumbehandlungsarmen über den gesamten Beobachtungszeitraum keine systemischen Nebenwirkungen der intravesikalen Virusgabe auf. Thymusaplastische Nacktmäuse können virale Infekte an sich nur unzureichend bekämpfen und sterben innerhalb kurzer Zeit nach einer systemischen Infektion mit Wildtyp-VSV [23]. Der attenuierte Subtyp AV3 dagegen wird gut vertragen, weil er sich aufgrund der viral induzierten Interferonproduktion superselektiv vermehrt [23]. Da VSV neben seiner direkten onkolytischen Wirkung auch eine starke tumorhemmende Immunantwort auslösen kann [3] und bereits in zahlreichen syngenen Tumormodellen erfolgreich getestet wurde [26], ist es wahrscheinlich, dass eine intravesikale Therapie mit VSV auch in immunkompetenten Tiermodellen bzw. im Menschen wirksam sein wird.

Fazit für die Praxis

Patienten, deren Hochrisikoblasentumoren nicht auf eine BCG-Immuntherapie ansprechen, stellen eine große therapeutische Herausforderung dar. Neben einer Zystektomie oder optimierter Chemotherapie wird heutzutage häufig eine Kombination aus BCG plus Interferon empfohlen. Da jedoch ein Großteil aggressiv wachsender Tumoren nicht sensibel auf Interferon reagiert, käme anstatt dessen der Einsatz onkolytischer Viren in Betracht, die gezielt Interferon-refraktäre Tumorzellen töten. In präklinischen Studien wurde deren viel versprechende antikanzerogene Aktivität sowohl nach systemischer als auch intravesikaler Gabe eindrucksvoll demonstriert.

Das von uns validierte, auf Biolumineszenz basierende orthotope Blasentumormodell bietet urologischen Forschergruppen die Möglichkeit, verschiedenste Therapien an humanen Ta/T1-Blasentumoren effizient und unter geringem Einsatz von Versuchstieren zu testen. Mit Hilfe dieses Systems und neuartiger Therapieansätze werden Blasentumorpatienten in Zukunft hoffentlich mehr und wirksamere intravesikale Therapien angeboten werden können, sodass die Rezidivhäufigkeit und der Progress von nicht muskelinvasiven Tumoren sinken.