Hintergrund und Fragestellung

Die benigne Prostatahyperplasie (BPH) wird durch Vermehrung der Epithel-, Bindewebe- und Muskelzellen der Prostata verursacht. Die genauen Ursachen dieser gutartigen Gewebeveränderung bleiben weiterhin ungeklärt, die Wahrscheinlichkeit nimmt jedoch mit dem Lebensalter von Männern zu. Eine vermehrte Zellproliferation und Überexpression von antiapoptotischen Faktoren mit konsekutivem Ungleichgewicht von Proliferation und Apoptose zugunsten der Zellproliferation wurde als wesentlicher Mechanismus in der BPH entdeckt [6, 14]. Auch wird eine entzündliche Komponente bei der Entstehung der BPH und Symptomatik diskutiert [27]. Betroffene können eine Prostatavergrößerung, Blasenauslassobstruktion und/oder Symptome des unteren Harntraktes entwickeln. Bei symptomatischen Patienten mit BPH stehen in erster Linie Medikamente zur Verfügung, die die Symptomatik aufgrund α-Rezeptorblockade oder 5α-Reduktaseinhibition lindern. Aufgrund von Nebenwirkungen, einer nicht immer adäquaten Symptomlinderung und zunehmender Zahl von alternden Männern wäre eine Erweiterung des konservativen Therapiespektrums wünschenswert.

Das Neuropeptid Urocortin (Ucn), welches aus 40 Aminosäuren aufgebaut ist und in die Gruppe des Corticotropin-releasing-Faktors (CRF) eingeordnet wird, wurde erstmals im Hypothalamus der Ratte nachgewiesen. Später wurde Ucn auch aus mehren zentralen und peripheren Organen von Säugetieren und Nagern isoliert [26]. Die Wirkung von Ucn in der Zelle wird über 2 verschiedene G-Protein-Rezeptoren vermittelt, dem CRF-Rezeptor 1 (CRFR1) und dem CRF-Rezeptor 2 (CRFR2). Die extrazelluläre Bindung von Ucn an die CRFR erfolgt mit einer hohen Affinität, was in der Folge zur Stimulation der cAMP-Produktion und Aktivierung der Proteinkinase A (PKA) führt [7, 26]. Auch wurde nachgewiesen, dass Ucn mit hoher Affinität an ein CRF-bindendes Protein (CRFBP) gebunden wird – die Bedeutung dieser Bindung ist allerdings bisher unbekannt [12].

Die einzelnen Funktionen des Ucn/CRFR2-Systems sind bisher weitestgehend ungeklärt, jedoch scheinen mit Hilfe dieses Neuropeptids und der damit verbundenen Rezeptorstimulation zahlreiche Funktionen im zentralen Nervensystem und in verschieden peripheren Organen reguliert zu werden [8]. In vivo und in vitro konnte gezeigt werden, dass Ucn und CRFR2 an der Zellproliferation und Apoptose beteiligt sind [4, 5, 9, 24, 25]. Auch scheint Ucn und CRFR2 antiinflammatorische Effekte zu besitzen [10]. Untersuchungen mehrerer Arbeitsgruppen weisen darauf hin, dass das Ucn/CRFR2-System die glatte Muskulatur relaxieren kann [15, 17, 20, 22].

Im Prostatagewebe von Patienten mit BPH wurde erst kürzlich mRNA und Peptid von Ucn nachgewiesen [2, 26]. Da die genauen Ursachen der BPH und die Pathophysiologie von Prostatavergrößerung, Blasenauslassobstruktion und Blasensymptomatik weiterhin ungeklärt sind, der glattmuskuläre Tonus in der Prostata und im Blasenhals ein wichtiger therapeutischer Ansatzpunkt ist und auch eine entzündliche Komponente bei der Entstehung der BPH und von Symptomen diskutiert wird, erscheint die weiterführende Abklärung des Ucn/CRFR2-Systems in der humanen Prostata interessant.

Unseres Wissens liegen bisher keine Untersuchungen hinsichtlich des Vorhandenseins von CRFR2 in der humanen Prostata vor, die die Basis für weiterführende funktionelle und präklinische Untersuchungen sein könnten. Unsere Untersuchung sollte daher klären, ob CRFR2 in humanem Prostatagewebe nachweisbar ist und in welcher Gewebekomponente der Prostata dieser Rezeptor exprimiert wird.

Material und Methoden

Gewebeproben

Für die Untersuchung wurde humanes Prostatagewebe von 8 Patienten mit BPH verwendet (Alter: 59–77 Jahre, durchschnittlich 70 Jahre). Transitionalzonengewebe der Prostata wurde bei 5 Männern im Rahmen einer offenen Prostataadenomenuklation und bei 3 Männern im Rahmen einer radikalen Zystektomie bei lokal begrenztem, muskelinfiltrierenden Blasenkarzinom archiviert. Das durchschnittlich entfernte Prostatagewicht betrug 77 g. Alle Probenentnahmen erfolgten mit Genehmigung der örtlichen Ethikkommission. Das frisch entnommene Prostatagewebe wurde mit 5%iger, neutral gepufferter Formalinlösung fixiert, in Paraffin eingebettet und später in Schnitten mit einer Dicke von 5 µm immunhistochemisch untersucht. Als Positivkontrolle wurde menschliches Herzgewebe (Biochain, Heidelberg) verwendet [13].

„Reverse transcriptase polymerase chain reaction“ (RT-PCR)

Es wurde die RNA der humanen Prostata und des Herzens (Biochain, Heidelberg) mit reverser Transkription (RT) unter Verwendung von Superscript II RT und dem „Random Hexamers“ (Invitrogen, Carlsbad, USA) nach Angaben des Herstellerprotokolls verwendet. Negativkontrollen beinhalteten das Weglassen der RT in der ersten Strangkomplementierung der DNA-Synthese. Die RT-PCR wurde mit Hilfe eines spezifischen Primers des humanen CRFR2 und β-Tubulins (TubA1b, interne Kontrolle) durchgeführt (Primersequenzen s. Tab. 1). RT-PCR wurde jeweils 2-mal durchgeführt unter Verwendung von 2 µl des RT-Reaktionsprodukts, 0,4 µM des Primers, einer Einheit Taq-Polymerase (Quiagen, Hilden), 0,2 mM dNTPs und 5,5 µl des Reaktionspuffers in einem absoluten Volumen von 25 µl. Nach Denaturierung bei 95°C und Primerextension bei 72°C wurden die PCR-Produkte mittels Gelelektrophorese in 10%igen Polyacrylamidgelen analysiert.

Tab. 1 Sequenz der in den RT-PCR-Experimenten verwendeten Oligonukleotidprimer

Immunhistochemie

Die immunohistochemischen Untersuchungen erfolgten mit polyklonalen CRFR2-Antikörpern von Menschen und polyklonalen Anti-CRFR2-Antikörpern von Ziegen in einer Verdünnung von 1:100 (sc-20550; Santa Cruz, USA). Ein blockierendes Peptid (sc-20550-P, Santa Cruz, USA) wurde verwendet, um die Spezifität der Signale zu untersuchen. Das paraffineingebettete Gewebe wurde mittels Inkubation in einem Mikrowellenofen bei 600 W für 2-mal 3 min in einem 10 mM-Zitratpuffer (pH=6,0) demaskiert. Die endogene Peroxidase wurde mit einem Avidin-Biotin-Kit blockiert (Vector Laboratories, Burlingame, USA). Objektträger und Gewebe wurden über Nacht bei Raumtemperatur mit dem CRFR2-Antikörper inkubiert und anschließend mit dem Standard-Avidin-Biotin-System nach Angaben des Herstellerprotokolls gefärbt. Die Gegenfärbung der Gewebeschnitte erfolgte mit Hämatoxilin-Eosin. Die Negativkontrolle erfolgte in allen Fällen durch nächtliche Inkubation mit Anti-CRFR2-Antikörpern und Koinkubation des CRFR2-Antikörpers mit dem blockierenden Peptid.

Ergebnisse

RT-PCR-Analyse

Die RT-PCR-Analyse wurde durchgeführt, um in der humanen Prostata das Vorhandensein von mRNA des CRFR2 mit 163 Basenpaaren und von mRNA des TubA1b mit 128 Basenpaaren zu ermitteln. Als Positivkontrolle wurde die mRNA von humanem Herzmuskel verwendet. Sowohl in der Prostata, als auch im Herzmuskel wurde die mRNA des CRFR2 hochgradig exprimiert (Abb. 1). Als Negativkontrollen dienten alle einzelnen Reagenzien, für welche kein Signale gefunden wurden.

Abb. 1
figure 1

Spezifische Banden, welche die Länge von 163 Basenpaaren der mRNA des CRFR2 (a) und von 128 Basenpaaren der mRNA des TubA1b (b) vorhersagen (M Marker, P Prostata, H Herz)

Immunhistochemie

CRFR2 wurde im Zytoplasma der luminalen Epithelzellen und in den Basalzellen des Epithels dargestellt. Auch in den flachen Epithelzellen von zystischen Drüsen wurde CRFR2 angefärbt (Abb. 2 a). In den Bereichen der glatten Muskulatur des Stromas zeigte sich eine ausgedehnte und intensive Färbung für CRFR2 (Abb. 2 b). Ebenfalls wurden endotheliale Zellen der Prostatagefäße immunhistochemisch angefärbt (Abb. 2 c).

Abb. 2
figure 2

CRFR2 wurde intensiv in den luminalen Epithelzellen und in geringer Ausprägung in den Basalzellen und den Epithelzellen zystisch veränderter Prostatadrüsen exprimiert (a). Die glatte Muskulatur des Stromas zeigte eine ausgeprägte Anfärbung von CRFR2 (dicker Pfeil, b). Endotheliale Zellen der Gefäße zeigten ebenfalls eine positive Anfärbung von CRFR2 (dünner Pfeil b, c)

Diskussion

Ucn wurde bisher in den epithelialen und lymphoiden Zellen sowie in der glatten Muskulatur der Prostata nachgewiesen [2]. Die von uns durchgeführte Untersuchung zeigte eine Expression des CRFR2 in den Epithel- und Endothelzellen sowie in den glatten Muskelzellen des Stromas der humanen Prostata. Somit wurde erstmalig eine weitestgehende Übereinstimmung der Ucn- und CRFR2-Expression im humanen Prostatagewebe nachgewiesen. Weiterhin konnten wir CRFR2 in den Gefäßwänden der Prostata beobachten. Die Expression von Ucn/CRFR2 in den Endothelzellen der Prostatagefäße war jedoch bisher unbekannt. Die gleiche Gewebeverteilung von Ucn und CRFR2 deutet auf einen gemeinsamen funktionellen Effekt hin und spricht dafür, dass die Wirkung von Ucn in der Prostata über den CRFR2 vermittelt wird.

Aus Untersuchungen anderer Gewebetypen ist bekannt, dass Ucn die Proliferation von Zellen und den Tonus der glatten Muskulatur beeinflusst [4, 5, 9, 11, 24, 25]. So konnte nachgewiesen werden, dass Ucn den Beclin-1- (bcl-1-)vermittelten autophagischen Zelltod im Herzmuskel inhibiert und auf diese Weise das Überleben der Kardiomyozyten sichert [25]. Chatzaki et al. [5] konnten zeigen, dass CRFR2 die Regeneration der humanen Magenschleimhaut durch Hemmung der Apoptose mittels parakriner Aktivierung von lokal exprimiertem Ucn fördert. In diesem Zusammenhang wurde darüber spekuliert, ob CRFR1-Antagonisten oder CRFR2-Agonisten möglicherweise therapeutisch bei entzündlichen Erkrankungen des oberen oder unteren gastrointestinalen Traktes eingesetzt werden könnten [10]. In der Lunge bewirkt eine Stimulation von CRFR2 eine Bronchorelaxation, die zur Hemmung pulmonaler Entzündungen im Mausmodell führt [17].

Die Relaxation von Arterien und Venen in Säugetieren mittels Ucn ist von mehreren Autoren beschrieben worden [20, 21, 22]. Der Mechanismus der CRFR2-vermittelten Relaxation der Gefäßmuskulatur scheint geschlechtsspezifisch reguliert zu werden. Obwohl bisher die glatten Muskelzellen der Prostata nicht ausführlich untersucht worden sind, ist der Aufbau vermutlich sehr ähnlich im Vergleich zu glatten Muskelzellen anderer Organe [23].

Die Rolle von Ucn und CRFR2 in der Physiologie und Pathophysiologie der menschlichen Prostata und bei Patienten mit BPH bleibt spekulativ, da bisher nur einige wenige Untersuchungen hierzu durchgeführt worden sind. Es ist allerdings bekannt, dass die humane Prostata Produktionsort von anderen Neuropeptiden ist (z. B. „calcitonin gene regulierted peptide“, Neuropeptide Y, Gn-RH oder Endothelin), denen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der BPH zugeschrieben wird [1, 3, 16, 19].

Kyrpianou et al. [14] postulierten, dass es bei Abweichungen von der normalen Apoptose zum Prostatawachstum der BPH käme – die beobachtete Überexpression von bcl-2 in den Epithelzellen der BPH veränderten Prostata sei ein möglicher Grund für eine verminderte Anzahl von apoptotischen Zellen. Auch wäre es für die Prostata denkbar, dass, ähnlich wie in anderen Organsystemen, der glattmuskuläre Tonus reduziert und die Proliferation von Zellen durch das Ucn/CRFR2-System gehemmt werden könnte. Beide Effekte hätten positive Auswirkungen auf die Prostatagröße oder Blasenauslassobstruktion und möglicherweise auch auf die Blasensymptomatik von Betroffenen. Da auch im menschlichen BPH-Gewebe stets Entzündungszellen gefunden werden und Ucn entzündungshemmende Eigenschaften aufweist, könnte Ucn oder eine CRFR2-Stimulation auch diese Komponente günstig beeinflussen [18, 27].

Fazit für die Praxis

Unsere Ergebnisse und bereits publizierte Studie ermutigen zur weiterführende Forschung im Ucn/CRFR2-System. Allerdings beweist das Vorhandensein von Ucn oder CRFR2 im menschlichen Prostatagewebe keinesfalls, dass dieses Neuropeptid und der dazugehörige Rezeptor auch tatsächlich funktionell relevant sind. Weitere In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen sind daher erforderlich, um die Relevanz des Ucn/CRFR2-Systems bei der Pathophysiologie und Therapie der BPH zu ermitteln.