Während 80% der Kinder mit Blasenfunktionsstörung eine Enuresis, ein alleiniges nächtliches Einnässen haben, leiden die übrigen 20% an einer kindlichen Harninkontinenz mit unterschiedlicher zugrunde liegender Pathophysiologie. Am häufigsten handelt es sich dabei auch im Kindesalter um eine überaktive Blase (overactive bladder, OAB) ohne anatomische, neurologische, metabolische oder lokale Pathologie.

Symptomatik

Typische Symptome sind neben dem nächtlichen Einnässen sog. Tagsymptome wie imperativer Harndrang, Pollakisurie, kleine Miktionsvolumina, Haltemanöver mit und ohne Einnässen am Tag. Häufig sind die Tagsymptome am Tag kompensiert und fallen erst bei vermehrtem Trinken, Müdigkeit, schulischem oder psychischem Stress oder Ablenkung auf und werden daher gerne als reine Enuresis nocturna fehl gedeutet [10].

Pathophysiologie

Pathophysiologisch liegt der OAB eine fehlende zentrale Hemmung des Miktionsreflexes, meist auf dem Boden einer Maturationsstörung zugrunde mit Persistenz der frühkindlichen Reflexmiktion mit ungehemmten Detrusorhyperaktivitäten oder eine für das Alter zu kleine Blasenkapazität. Auffällig sind eine familiäre Disposition und ein häufigeres Auftreten bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktvitäts-Syndrom. Eine Sonderform der Detrusorhyperaktivität ist die Giggle-Inkontinenz, bei der die Bewegung der Bauchmuskulatur beim Lachen eine Detrusorkontraktion triggert, die konsekutiv eine komplette Blasenentleerung auslöst. Hauptsächlich tritt diese bei 8- bis 12-jährigen Mädchen auf. Ursächlich liegt wahrscheinlich eine Imbalance zwischen dem cholinergen und dopaminergen System vor wie beim Narkolepsie-Kataplexie-Syndrom.

Da auch neurogene Blasenfunktionsstörungen, eine Blasenhypersensitivität, Folgen einer lokalen Pathologie [wie akute und chronische Harnweginfekte (HWI)], intravesikale oder intravaginale Fremdkörper, chemische Reizungen, Oxyuriasis oder eine dysfunktionelle Miktion sowie psychogene Ursachen unter der gleichen Symptomatik des häufigen Harndranges mit und ohne Urinverlust auffallen können, müssen diese daher differentialdiagnostisch von der OAB abgegrenzt werden.

Basisdiagnostik

In der Regel reichen nicht-invasive, das Kind nicht belastende Untersuchungen aus, um in >90% der Fälle eine OAB zu erkennen sowie evtl. bestehende urologische, neurologische oder psychische Krankheiten zu identifiziert bzw. auszuschließen [12, 13, 14], (Tab. 1). Dazu gehören neben der Erhebung der ausführlichen Krankengeschichte (Tab. 2) die körperliche Untersuchung, die Urinuntersuchung und die Restharnbestimmung mittels Ultraschall.

Tab. 1 Basisdiagnostik
Tab. 2 Anamnese

Das wichtigste Instrument zur Unterscheidung zwischen einem reinen nächtlichen Einnässen und einer OAB ist das Führen eines sog. Trink- und Blasentagebuchs (Abb. 1). Darin soll das Kind mit Hilfe seiner Eltern über 2 Tage unter der Woche und 2 Tage am Wochenende die Zeitpunkte des Trinkens und Wasserlassens notieren sowie die jeweiligen Trink- und Harnmengen und aufgetretenen Inkontinenzepisoden eintragen. Daraus kann das mittlere Miktionsvolumen errechnet werden. Beträgt dies <65% der altersentsprechenden Blasenkapazität, die sich nach der Formel: (Alter×30)+30=Blasenkapazität (in ml) berechnet, so liegt eine kleinkapazitäre Blase vor, was für eine unzureichende Blasenkontrolle und somit OAB spricht und neben einem Blasentraining in der Regel einer anticholinergen Therapie bedarf. Zusätzlich sollte das Kind an den Dokumentationstagen nachts eine Windel tragen.

Abb. 1
figure 1

Trink- und Blasentagebuch

Das nächtliche Diuresevolumen errechnet sich dann nach der Formel: (Windelgewicht nass−trocken) + 1. Morgenurin (in ml). Übersteigt dies die altersentsprechende Blasenkapazität, so liegt eine nächtliche Polyurie vor, was für eine Störung der nächtlichen ADH-Ausschüttung spricht und dementsprechend mit Desmopressin-Derivaten angegangen werden kann. Durch Beobachtung des Harnstrahls oder besser noch durch Aufzeichnung eines Flow-EMG kann zusätzlich abgeklärt werden, ob eine dysfunktionelle Miktion besteht.

Die sonographische Messung der Blasenwanddicke, oder noch exakter der Detrusorwanddicke, dient ebenfalls als nicht-invasiver Parameter zur Differentialdiagnostik des kindlichen Einnässens. Bei einer Blasenfüllung von <50% besteht bei einer Blasenwanddicke von >3 mm bzw. einer Detrusordicke von >2 mm der Verdacht auf entweder eine OAB, eine subvesikale Obstruktion oder eine HWI – eine exaktere Zuordnung der Pathophysiologie ist allerdings nicht möglich.

Weiterführende Diagnostik

Eine invasive weiterführende Diagnostik wird heute nur noch bei <10% der Kinder durchgeführt, da die therapeutischen Konsequenzen zumeist gering sind. Allerdings kann bei der therapieresistenten OAB eine invasive Urodynamik, am besten mit gleichzeitiger Röntgendarstellung der Blase im Sinne einer Videourodynamik, eine Narkoseuntersuchung mit Urethrozystoskopie und Harnröhrenkalibrierung oder auch speziellen bildgebenden Verfahren (z. B. MRT der Lumbosakralregion zum Ausschluss eine okkult dysrhaphischen Störung) notwendig werden, bevor jahrelange frustrane Therapieversuche durchgeführt werden [14], (Tab. 3).

Tab. 3 Weiterführende Diagnostik (individuell je nach Symptomatik)

Therapie

Die Therapie der OAB im Kindesalter sollte bei bestehendem Leidensdruck immer durchgeführt werden und basiert heute im Wesentlichen auf die vorausgegangenen nicht-invasiven Untersuchungen. Eine weiterführende Urodynamik führt meist nur in 7% zu einer therapeutischen Konsequenz und bleibt daher Therapieversagern der Primärtherapie vorbehalten.

Bei der Beurteilung der Behandlungserfolge muss eine jährliche spontane Remissionsrate von 25%/Jahr berücksichtigt werden [3].

Der erste therapeutische Schritt sollte immer das ausführliche beratende Gespräch sein, in dem die Ursachen, die verschiedenen Therapiemöglichkeiten und die Einflüsse der Therapie auf die Störung erklärt werden.

Verhaltenstherapeutische Maßnahmen

Erste Behandlungsschritte bei der OAB sind verhaltenstherapeutische Maßnahmen wie Miktion nach der Uhr gemäß einem festen Miktionsplan und ein Blasentraining, bei dem es durch möglichst langes Unterdrücken des Harndranges und Hinauszögern der Miktion zu einer sukzessiven Vergrößerung von Miktionsintervallen und Blasenkapazität kommen kann [2].

Durch Messen der Miktionsintervalle und Miktionsvolumina und durch Selbstüberprüfung, wie lange ein imperativer Harndrang unterdrückt werden kann, wird bei Kindern das Bewusstsein für den kommenden Harndrang geschärft und so die Grundlage zur willentlichen Hemmung des Miktionsreflexes tagsüber und auch nachts geschaffen. In 30% kann das Blasentraining zu einer Heilung und in 66% zu einer wesentlichen Besserung des Einnässens führen. Als einfaches, praktikables Biofeedbackinstrument für das Blasentraining hat sich eine Eier- oder Telefonuhr (Sanduhr) bewährt. Die Kinder werden aufgefordert, möglichst so lange die Miktion hinauszuschieben, bis die Uhr abgelaufen ist. Die Motivation des Kindes ist bei dieser Therapiemethode besonders wichtig und wird durch Dokumentation des Behandlungserfolgs in kindgerechten Erfolgsprotokollen gestärkt.

Zusätzlich soll durch Einhalten fester Trinkpläne, bei denen je nach Alter 2-stündig je 150–200 ml getrunken und das Trinken 2 h vor dem Schlafengehen eingestellt wird, die Blasenkontrolle verbessert werden.

Medikamentöse Therapie

Mit diesen konditionierenden Maßnahmen wird in der Regel begleitend eine Therapie mit Anticholinergika, zunächst für 4–6 Wochen durchgeführt. Ziel der medikamentösen Therapie ist die Dämpfung der Detrusorhyperaktivitäten, die Steigerung der Blasenkapazität und somit die Reduktion des Harndrangs und der Inkontinenz sowie die Verlängerung der Miktionsintervalle. Bei der Wahl der Anticholinergika muss dabei beachtet werden, dass nur Oxybutynin IR und Propiverin im Kindesalter sowie Trospiumchlorid ab dem 12. Lebensjahr zugelassen sind. Obwohl mittlerweile in einigen Studien auch im Kindesalter getestet, sind die neueren anticholinergen Substanzen wie Tolterodine, Solifenacin, Darifenacin oder die neuen Formulierungen wie „extended release Oxybutynin“ und transdermales Oxybutynin bislang „off-label use“ [7], (Tab. 4).

Tab. 4 Wichtigste Anticholinergika und Dosierungen bei Kindern

Die Erfolgsraten liegen bei allen verwendeten Substanzen etwa gleich zwischen 60–90%, bei jedoch relativ hohen Rückfallraten nach Absetzen der Therapie. Die günstigste Prognose haben Kinder mit einer Blasenkapazität zwischen 50–90% der Altersnorm. Wichtig ist es, dass bei der Beurteilung des Behandlungserfolgs nicht nur das komplette Trockenwerden als Kriterium herangezogen wird. Vielmehr sollte es als Behandlungserfolg angesehen werden, wenn nach 2-monatiger Behandlungszeit eine 50%ige Reduktion der Symptome bzw. des Einnässens aufgetreten ist [6, 10]. Tritt demnach innerhalb der ersten 4–6 Wochen bereits eine Vergrößerung der Blasenkapazität oder eine Reduktion der Miktionen auf oder ist die eingenässte Urinmenge bereits deutlich geringer, so ist dieser Teilerfolg ebenfalls als Ansprechen auf die Therapie zu werten.

Im Gegensatz zu Erwachsenen sind bei Kindern die typischen peripheren anticholinergen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, trockene Haut oder Obstipation nur gering ausgeprägt. Gelegentlich finden sich aber zentrale Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindel oder Übelkeit und sehr selten Verwirrtheitszustände und Verhaltensauffälligkeiten [6].

Sehr häufig wird immer noch Oxybutynin (z. B, Dridase®, Spasyt®, Oxybase®, Oxymedin®) in einer Dosierung von 1- bis 3-mal 5 mg/Tag oder gewichtsabhängig dosiert mit 0,25 mg/kg Körpergewicht (KG)/Tag verteilt auf 2 Einzeldosen eingesetzt. Heute ist in Deutschland das Propiverin (Mictonorm®, Mictonetten®) in einer Dosierung von 2-mal 0,4 mg/kg KG/Tag das in der Regel zuerst eingesetzte Medikament, da es speziell für das Kindesalter zugelassen ist.

In einer multizentrischen Studie an 621 Kindern zeigte sich Propiverin mit einer Kontinenzrate von 60% äquieffektiv wie Oxybutynin, Nebenwirkungen traten jedoch nur bei 4% der Kinder auf, wohingegen nach Oxybutyinin in 16% hauptsächlich zentrale unerwünschte Ereignisse wie Schwindel, Kopfschmerz und Nausea berichtet wurden [1]. Auffällig an dieser Studie war, dass Oxybutynin fast immer in der Erwachsenendosierung gegeben wurde, während Mictonetten fast immer unterdosiert waren. Eine an das Körpergewicht adaptierte Dosierung, sowie eine ausreichend lange und dann ausschleichend beendete Therapie erhöht die Erfolgsrate und reduziert die Rückfallquote.

Seltener wird bei älteren Kindern Trospiumchlorid (Spasmex®, Spasmolyt®) in einer Dosierung von 1- bis 2-mal 5 mg/Tag bzw. 3-mal 1–2 Supp. à 1 mg/Tag gegeben. Bei fehlender Passage der Blut-Hirn-Schranke hat es prinzipiell den Vorteil, dass im Gegensatz zu Oxybutynin keine zentralnervösen Nebenwirkungen auftreten [8].

Tolterodine (Detrusitol®) ist zwar bei Kindern noch nicht zugelassen, in Studien jedoch ebenfalls als sicher und effektiv beurteilt worden. Die empfohlene Dosierung liegt bei 0,1 mg/kg KG auf 2 Einzeldosen verteilt [6, 11, 15]. Erste Studien, durchgeführt bei Kindern mit neurogenen Blasenfunktionsstörungen, haben ebenfalls bereits den guten Effekt und die verbesserte Verträglichkeit der Retardformulierung von Oxybutynin (Oxybutynin OROS) gezeigt, sodass hier in Zukunft sicherlich weitere Therapieoptionen zur Verfügung stehen werden [4, 11].

Da neben der OAB weitere Entwicklungsverzögerungen oder Störungen als Ursache des Einnässens vorliegen können, sollte bei unzureichendem Ansprechen auf die 4- bis 6-wöchige Initialtherapie, je nach zusätzlicher Pathologie, eine Kombinationstherapie eingeleitet werden. Eine zusätzliche Einnahme von Desmopressin bei hohen nächtlichen Urinvolumina, die Anwendung von Biofeedbacktraining zur Relaxierung des Sphinkters bei Verdacht auf zusätzlicher dysfunktioneller Miktion oder einem α-Blocker bei Verdacht auf funktionelle Obstruktion im Bereich des Blasenhalses konnte die initiale Kontinenzrate einer Propiverin-Monotherapie von 41% auf 70% steigern [9]. Treten zusätzlich HWI auf, kann eine zusätzliche antibiotische Infektprophylaxe notwendig werden, um die Drangsymptome zu beseitigen.

Bei der Giggle-Inkontinenz konnten mit dem Psychoanaleptikum Methylphenydate (Ritalin®), das die zentrale Aufnahme von Dopamin hemmt, gute Ergebnisse erzielt werden. Individuelle Dosierungen zwischen 0,3–0,5 mg/kg KG alle 4–5 h während des Wachseins werden empfohlen. Schlafstörungen sind die Hauptnebenwirkungen.

Fazit für die Praxis

Die OAB im Kindesalter ist in der Regel durch eine nicht-invasive Diagnostik zu erkennen und, durch Blasentraining unterstützt, durch eine anticholinerge Therapie in über zwei Drittel der Fälle erfolgreich zu behandeln. Sollte allerdings nach 3-monatiger Therapie gar kein Fortschritt zu erkennen sein, sollte eine weiterführende Diagnostik inklusive Narkoseuntersuchung und Videourodynamik durchgeführt werden, um evtl. doch bestehende Pathologien nicht zu übersehen.

Da es jedoch im Mittel 2–3 Jahre dauern kann, bis eine dauerhafte Kontinenz ohne Rückfälle eintritt [3, 5], erfordert die Therapie der OAB im Kindesalter bei allen Beteiligten, den Kindern, Eltern sowie den Ärzten viel Geduld.