Symptome des unteren Harntraktes (LUTS) nehmen mit dem Alter bei beiden Geschlechtern zu [1, 2, 3, 4] und sind mit ihren medizinischen, psychischen und sozialen Konsequenzen ein zentrales Problem des alten Menschen [5]. Die LUTS sind im Alter meist multifaktoriell bedingt und können bis zu einem gewissen Grad alters- und/oder krankheitsbezogenen Veränderungen zugeordnet werden. Eine Basisdiagnostik bestehend aus gezielter Anamnese und klinischer Untersuchung, Harnanalyse, Restharnbestimmung und Blasentagebuch, sollte immer erfolgen. Eine urodynamische Untersuchung ist indiziert, wenn sich daraus eine therapeutische Konsequenz ergibt (Tabelle 1).

Tabelle 1 Indikationen zur Urodynamik beim alten Menschen. (Mod. nach [22])

Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die urodynamischen Phänomene beim alten Menschen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen vermitteln (Tabelle 2).

Tabelle 2 Urodynamische Befunde der alternden Blase

Uroflowmetrie und Restharnbestimmung

Uroflowmetrie kombiniert mit Restharnbestimmung (wenn möglich sonographisch) ist eine einfache Screeningmethode zur Beurteilung einer Blasenentleerungsstörung. Da jedoch Harnflussrate und Restharnmenge sowohl von der Detrusorfunktion als auch dem infravesikalen Widerstand abhängig sind, kann nicht zwischen einer Blasenauslassobstruktion und einer Detrusorschwäche oder einer Kombination von beidem unterschieden werden. Dazu ist eine Druck-Fluss-Messung nötig.

Mit dem Alter nehmen bei beiden Geschlechtern Miktionsvolumen und Harnflussrate ab, die Restharnmengen zu [6]. Dadurch dass beim älteren Menschen bereits niedrigere Blasenfüllungsvolumina den Miktionsreflex auslösen, wird die optimale Kapazität für eine effiziente Blasenentleerung nicht erreicht [7], was zu abnehmendem Harnstrahl und zunehmender Restharnbildung führt. Bei asymptomatischen, 75-jährigen Frauen und Männern wurde eine mediane Restharnmenge von 45 ml bzw. 90 ml gemessen [8]. Der Restharn unterliegt beim alten Menschen großen intraindividuellen, stark von der Tageszeit abhängigen Schwankungen mit den größten Restharnmengen in den frühen Morgenstunden [9]. So sollten mindestens 2 Restharnmessungen durchgeführt werden. Bei älteren Menschen ist Restharn bis zu 50% der Blasenkapazität tolerabel, sofern keine Harnwegsinfekte auftreten.

Trotz des beschränkten diagnostischen Wertes ist die Uroflowmetrie kombiniert mit einer Restharnbestimmung ein wichtiger Bestandteil der urodynamischen Basisevaluation beim alten Menschen. Vor allem aufgrund des Flowmusters (Harnflussmuster) lassen sich Patienten herausfiltern, die einer komplexeren urodynamischen Untersuchung zugeführt werden müssen. Ferner kann die Progression einer bereits bekannten zugrunde liegenden Pathologie wie Blasenauslassobstruktion oder Detrusorschwäche evaluiert oder die Wirksamkeit einer begonnenen medikamentösen oder interventionellen Therapie beurteilt werden.

Zystometrie und Druck-Fluss-Messung

Mit der Zystometrie wird die Speicherphase, mit einer anschließenden Druck-Fluss-Messung die Entleerungsphase der Harnblase beurteilt.

Ein typischer urodynamischer Befund mit zunehmendem Alter ist bei beiden Geschlechtern eine abnehmende maximale zystometrische Blasenkapazität [6, 10]. Dieses Phänomen erklärt sich einmal durch die Abnahme der Blasencompliance, was durch kompensatorische Detrusorwandverdickung infolge infravesikaler Obstruktion [11], Zunahme des intra- und intermuskulären Bindegewebes [12] und arterioskleroseinduzierte fortschreitende ischämische Prozesse [13] bedingt ist; zum andern durch die ebenfalls mit dem Alter häufiger werdende Detrusorhyperaktivität, die oft einer Harninkontinenz zugrunde liegt [1, 5].

Detrusorhyperaktivität

Beim Mann ist der hyperaktive Detrusor oft durch eine infravesikale Obstruktion bedingt. So wurde nach chirurgischer Desobstruktion über eine mehr als 50%ige Reduktion der Detrusorhyperaktivitätsinzidenz berichtet [14]. Allerdings kann ein hyperaktiver Detrusor auch ohne jegliches klinische Korrelat auftreten. Andersen et al. fanden bei asymptomatischen alten Menschen eine Detrusorhyperaktivität in 53% der Fälle [15].

Ätiopathogenetisch wurde eine erhöhte Reizbarkeit infolge partieller Denervierung postuliert [16], wobei auch eine zunehmende infravesikale Obstruktion mitspielen dürfte [17]. Neuere Studien zeigten, dass beim hyperaktiven Detrusor purinerge Mechanismen bei der Reizübertragung eine nicht unwesentliche Rolle spielen [18, 19]. Elbadawi et al. ordneten aufgrund elektronenmikroskopischer Untersuchungen von Detrusorbiopsien verschiedenen, urodynamisch gesicherten Blasenfunktionsstörungen typische morphologische Muster zu [20]. Wenn auch nicht alle Befunde nachvollzogen werden konnten, tragen derartige Untersuchungen zur Differenzierung zwischen altersbedingten Veränderungen und pathologischen Prozessen bei: So fanden Elbadawi et al. [21] die sog. „protrusion junctions“, die eine elektrische Reizübermittelung bewirken und damit zu einer erhöhten Reizbarkeit der Blase im Alter beitragen können.

Terminale Detrusorhyperaktivität

Bei 75% der Patienten über 70 Jahre mit hyperaktivem Detrusor liegt eine terminale Detrusorhyperaktivität vor. Meist ist keine definierte neurogene Grunderkrankung zu finden, sondern dieser Befund repräsentiert die typische Altersblase [22]. Bei der terminalen Detrusorhyperaktivität ist die Perzeption für die sich füllende Blase gestört [5]: Ohne jede Vorwarnung kommt es bei einem individuell recht unterschiedlichen Füllungsvolumen überfallartig zum imperativen Harndrang, gleichzeitig beginnt die Detrusorkontraktion, und eine willkürliche Kontrolle der Blase ist nicht mehr möglich.

Dementsprechend tritt bei der urodynamischen Untersuchung ein starker Harndrang mit gleichzeitiger unwillkürlicher Detrusorkontraktion auf, die nicht unterdrückt werden kann und zum unfreiwilligen Urinverlust führt, wobei es zur meist vollständigen koordinierten Blasenentleerung mit Relaxation des Sphinkters kommt. Zusätzlich wurde bei älteren Frauen ein verspätetes Auftreten des ersten Harndranges beschrieben [10].

Einige Patienten können die Miktion hinauszögern, indem sie den externen Sphinkter bzw. den Beckenboden zusammenkneifen, was im Rahmen eines Miktions- oder Toilettentrainings geprüft und geübt werden sollte. Patienten mit terminaler Detrusorhyperaktivität profitieren von einem Toilettentraining, ggf.—bei kleiner Blasenkapazität—kombiniert mit einer anticholinergen Therapie.

Phasische Detrusorhyperaktivität

Phasische Detrusorhyperaktivitäten sind unwillkürliche, spontane oder provozierte wellenförmige Detrusorkontraktionen, die zu einem unwillkürlichen Urinverlust führen können, aber nicht müssen. In der Regel verspürt der Patient einen starken Harndrang, doch die Miktion kann bei erhaltener Perzeption für die Blasenfüllung noch über längere Zeit hinausgezögert werden. Diese Form der Detrusorhyperaktivität ist eher untypisch für den alten Menschen und findet sich häufig bei bestehender neurogener Grunderkrankung wie z. B. der multiplen Sklerose. Diese Patienten sprechen mitunter gut auf eine nichtinvasive elektrische Neuromodulation an.

Detrusorhyperaktivität kombiniert mit Detrusorschwäche

In der geriatrischen Altersgruppe ist die Detrusorhyperaktivität häufig mit einer Detrusorschwäche kombiniert. So fanden Resnick und Yalla, dass diese Kombination in 33% der Fälle die Ursache für die Inkontinenz bei Patienten in Alten- und Pflegeheimen darstellt [23].

Die Detrusorhyperaktivität kombiniert mit einer Detrusorschwäche unterscheidet sich von der reinen überaktiven Blase insbesondere durch die Miktionsparameter in der Urodynamik. Neben dem frühzeitig einsetzenden imperativen Harndrang finden sich ein abgeschwächter Harnstrahl und größere Restharnmengen. Die Druck-Fluss-Messung zeigt eine Kontraktionsstörung mit langsamem Detrusordruckanstieg, verminderter isometrischer Kontraktionskraft und verlängerter Kontraktionsdauer. Wegen der Prädisposition zur Harnverhaltung sollten bei diesen Patienten Anticholinergika nur vorsichtig und unter Restharnkontrollen eingesetzt werden.

Detrusorschwäche

Bei der Detrusorschwäche sind neurogene und/oder myogene Faktoren ursächlich beteiligt. Elektronenmikroskopisch wurden degenerative Veränderungen der Muskelzellen und Axone bei fehlenden Regenerationsprozessen beschrieben [20]. Eine partielle Denervierung mit Abnahme der Rezeptorendichte und verminderter Blasenwahrnehmung führt zur chronischen Blasenüberdehnung mit sekundärem myogenem Detrusorschaden. Nur durch die Druck-Fluss-Messung kann auch bei der Altersblase zwischen einer Detrusorschwäche (niedriger Detrusormiktionsdruck, schwacher Harnfluss) und einer Blasenauslassobstruktion (normaler/hoher Detrusormiktionsdruck, schwacher Harnfluss) unterschieden werden.

Beckenboden-EMG

Das Aufzeichnen der Beckenbodenaktivität gibt Aufschluss über einen nichtrelaxierenden bzw. sich während der Miktion kontrahierenden Beckenboden und ermöglicht die Differenzierung zwischen mechanischer und funktioneller Obstruktion.

Bedingt durch natürliche Alterungsprozesse des Gehirns und zunehmende arteriosklerotische und degenerative Veränderungen kommt es beim alten Menschen oft zur zerebral enthemmten Blase, wobei die Miktion—bei suprapontiner Läsion—koordiniert abläuft. Allerdings ist während der Blasenentleerungsphase häufig eine erhöhte Aktivität im Beckenboden-EMG nachweisbar.

Dieses Phänomen wird durch ein erlerntes falsches Miktionsverhalten mit Zusammenkneifen des äußeren Sphinkters und Beckenbodens während der Miktion bedingt und soll nicht als Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie—bedingt durch eine suprasakrale bis infrapontine Läsion—fehlinterpretiert werden. Dies kommt dadurch zustande, dass diese Patienten bei Auftreten des kaum steuerbaren Harndranges als „Notbremse“ den Beckenboden anspannen, um die drohende Inkontinenz zu verhindern. Dieses Verhalten kann zu einem Reflex werden, der auch in der folgenden Miktionsphase noch anhält.

Bei der Frau nimmt mit dem Alter die Anzahl und Dichte der quergestreiften Muskelzellen in der Urethra ab [24] und führt damit zu einer Abnahme der funktionellen Schließmuskelmasse. Aukee et al. zeigten, dass auch die EMG-Aktivität der Beckenbodenmuskulatur mit zunehmendem Alter abnimmt [25]. So schaffen physiologische Altersprozesse die Prädisposition für die Belastungsinkontinenz der Frau. Sie wird manifest, wenn weitere Risikofaktoren wie Übergewicht, chronische Obstipation, rezidivierende Bronchitis etc. den Beckenboden zusätzlich belasten.

Videourodynamik

Die videourodynamische Untersuchung ermöglicht ein gleichzeitiges Aufzeichnen der Radiomorphologie des unteren Harntraktes und der urodynamischen Messparameter in der Blasenspeicher- und -Entleerungsphase. Damit stellt die Videourodynamik die exakteste und aussagekräftigste urodynamische Untersuchungsmethode dar. Beim alten Menschen ermöglicht sie insbesondere bei neurologischen Grunderkrankungen mit Verdacht auf Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie eine Differenzierung zwischen mechanischer und funktioneller Obstruktion. Außerdem kann eine Zystozele radiomorphologisch dargestellt und ihre funktionelle Relevanz in Bezug auf eine Harnbelastungsinkontinenz und/oder signifikante Restharnbildung bestimmt werden.

Urethradruckmessung

Mit dem Urethradruckprofil kann der Harnröhrenverschlussmechanismus in Ruhe und unter Belastung beurteilt werden. Dazu werden die funktionelle Harnröhrenlänge, der maximale Harnröhrenverschlussdruck und die Drucktransmission bestimmt.

Hammerer et al. untersuchten die Sphinkterfunktion beim Mann und fanden eine Abnahme der Sphinkterlänge und des Harnröhrenverschlussdruckes mit zunehmendem Alter bei jedoch unveränderter funktioneller Harnröhrenlänge [26]. Bei der Frau wurde über eine altersbedingte Abnahme der funktionellen Harnröhrenlänge und des maximalen Harnröhrenverschlussdruckes berichtet [6]. Der klinische Wert der Urethradruckmessung wird in der Literatur kontrovers diskutiert [27], und so ist auch ihr Stellenwert bei der älteren Frau nicht klar definiert [22].

Fazit für die Praxis

Beim alten Menschen sind Blasenprobleme selten isoliert und lassen sich kaum auf nur einzelne anatomische und physiologische Veränderungen zurückführen bzw. durch einzelne urodynamische Messparameter erfassen. Dennoch kann auch beim alten Menschen die Urodynamik für die Diagnostik und eine erfolgversprechende Therapie entscheidend sein. Mit zunehmendem Alter nehmen Miktionsvolumen und Harnstrahl ab, die Symptome der hyperaktiven Blase werden häufiger und die Restharnmengen nehmen zu. Typische Befunde sind dementsprechend eine abnehmende maximale zystometrische Blasenkapazität, eine terminale Detrusorhyperaktivität und die Kombination von Detrusorhyperaktivität und Detrusorschwäche. Die Differenzialdiagnose zwischen Blasenauslassobstruktion und Detrusorschwäche ist nur durch eine Druck-Fluss-Messung möglich. Eine Unterscheidung zwischen phasischer und terminaler Detrusorhyperaktivität ist sinnvoll, da sich daraus unterschiedliche therapeutische Ansätze ergeben.