1984 wurde die perkutane Vertebroplastie erstmals von Deramond u. Galibert in Frankreich für die Behandlung eines symptomatischen Wirbelkörperhämangioms eingesetzt.

In den letzten Jahren hat die Methode deutlich an Akzeptanz gewonnen und wird jetzt bei osteoporotischen und tumorbedingten Wirbelkörperfrakturen als wertvolle Therapieoption angesehen.

Es steht heute außer Zweifel, dass die perkutane Vertebroplastie insbesondere unter Verwendung radiologischer Steuerungsverfahren eine sichere und effiziente Methode zur Beseitigung oder Besserung von Schmerzen ist, die durch Wirbelkörperfrakturen verursacht werden. Studien über den Langzeitverlauf der Schmerzlinderung und damit der Wertigkeit der Methode im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts zur Schmerztherapie liegen nur sehr sporadisch vor. Dennoch gilt die perkutane Vertebroplastie z. B. in den USA mittlerweile als wichtiger neuer Therapieansatz und wird dort mit rasch zunehmender Häufigkeit durchgeführt.

Die Deutsche Röntgengesellschaft—Arbeitsgemeinschaft Interventionelle Radiologie (AGIR) hat es für sinnvoll und notwendig erachtet, Leitlinien zur Durchführung der perkutanen Vertebroplastie zu erarbeiten, die basierend auf dem aktuellen Wissensstand eine praktische Anleitung zur Durchführung dieser Methode bieten. Da sich die technische Entwicklung des Verfahrens, Indikationen und Einbindung der perkutanen Vertebroplastie in multimodale Therapiekonzepte in den nächsten Jahren durchaus noch wandeln können, sind diese Leitlinien nicht als starres Regelwerk zu verstehen, sondern müssen, angepasst an den wissenschaftlichen Fortschritt und die interdisziplinäre Diskussion, weiterentwickelt werden.

Grundlagen

Nach den ersten Berichten über den erfolgreichen Einsatz der perkutanen Vertebroplastie zur Behandlung eines aggressiven Wirbelkörperhämangioms durch Galibert et al. 1987 und von osteolytischen Metastasen durch Weil et al. 1996 und Cotten et al. 1996 wurde das Indikationsspektrum auf osteoporotische Kompressionsfrakturen ausgeweitet [8, 16, 19, 55].

Mittlerweile stellen Schmerzen bei osteoporotischen Wirbelkörperkompressionsfrakturen die häufigste Indikation zur perkutanen Vertebroplastie dar. Die meisten dieser Frakturen heilen innerhalb weniger Wochen oder Monate ohne weitere Beschwerden aus. Bei vielen Patienten entwickelt sich jedoch ein chronisches Schmerzsyndrom, das vielfach zu deutlichen Einschränkungen im täglichen Leben bis hin zur Immobilisierung führt. Die offene chirurgische Fixation dieser Frakturen ist vielfach nicht erfolgversprechend, da eine ausreichende Verankerung des Fixationsmaterials in den meist ebenfalls osteoporotisch betroffenen angrenzenden Wirbelkörpern nicht zu erzielen ist. Deshalb werden immer noch viele dieser Patienten einer Korsett- bzw. Gipsschalenbehandlung zugeführt, in der Hoffnung, das weitere Zusammensintern eines Wirbelkörpers zu verhindern.

Die perkutane Vertebroplastie hat sich inzwischen auch für die palliative Behandlung tumoröser Wirbelkörperdestruktionen bewährt. Es können frakturbedingte Schmerzen gebessert und drohende neurologische Komplikationen vermieden werden. Dabei muss die perkutane Vertebroplastie in das onkologische Behandlungskonzept mit Chemo- und/oder Strahlentherapie integriert werden.

Ein- und Ausschlusskriterien zur Vertebroplastie

Indikationen

  1. 1.

    Schmerzhafte, osteoporotische Fraktur. Ein konservativer Therapieversuch über einen der Situation des Patienten angemessenen Zeitraum (in der Regel 3–6 Wochen) soll sich als nicht ausreichend effektiv und/oder unverträglich erwiesen haben.

  2. 2.

    Schmerzhafte, nichtosteoporotische, akut traumatische Fraktur, die nach den derzeitigen gültigen Kriterien konservativ behandelt werden soll und keine Indikation zur operativen Standardtherapie darstellt. Ein konservativer Therapieversuch über einen der Situation des Patienten angemessenen Zeitraum (in der Regel 3–6 Wochen) soll sich als nicht ausreichend effektiv und/oder unverträglich erwiesen haben.

  3. 3.

    Schmerzhafte Osteolyse bei malignen oder benignen Tumoren (Hämangiome, multiples Myelom, Metastase).

  4. 4.

    Adjuvante peri-/intraoperative Stabilisierung durch Vertebroplastie im Rahmen operativ stabilisierender Maßnahmen.

Abhängig von der klinischen Situation kann hiervon abgewichen werden.

Relative Kontraindikationen

  1. 1.

    Patienten mit einem Alter unter 60 Jahren, wobei die Altersgrenze von der individuellen Situation des Patienten abhängig gemacht werden kann. Begründet wird diese Einschätzung mit den bisher nur begrenzt verfügbaren Kenntnissen über die Langzeitverträglichkeit der zur Vertebroplastie verwendeten Akrylatverbindungen. Abhängig von der Grunderkrankung und der klinischen Situation kann hiervon abgewichen werden.

  2. 2.

    Eine Vorwölbung bzw. ein partieller oder gar kompletter Verlust der Wirbelkörperhinterkante bedarf der besonderen interdisziplinären Evaluation.

  3. 3.

    Radikuläre Symptomatik in dem zu therapierenden Segment, außer im Zusammenhang mit dekomprimierenden Maßnahmen.

  4. 4.

    Tumorausdehnung in den Epiduralraum mit Spinalkanaleinengung.

  5. 5.

    Behandlung von mehr als 3 Wirbelkörperhöhen in einer Sitzung.

  6. 6.

    Manifeste bakterielle Infektion des Patienten.

  7. 7.

    Osteoplastische Metastasen.

  8. 8.

    Bekannte Allergie gegenüber einer der für die Prozedur notwendigen Komponenten.

Absolute Kontraindikationen

  1. 1.

    Asymptomatische, stabile Wirbelkörperfraktur.

  2. 2.

    Prophylaktische Vertebroplastie.

  3. 3.

    Therapierefraktäre Koagulopathie oder hämorrhagische Diathese.

Voraussetzungen zur Durchführung der Vertebroplastie

  1. 1.

    Erfahrungen in der bildgebenden Diagnostik des Skelettsystems und bildgestützter össärer Interventionen.

  2. 2.

    Sicherstellung weitergehender Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung sowie der evtl. auftretenden prozeduralen Komplikationen.

Die Teilnahme an einem theoretisch-praktischen Kurs zur Einführung in die Vertebroplastie wird empfohlen.

Technische Durchführung der Vertebroplastie

Technischer Standard zur Durchführung der Vertebroplastie:

  • zur Intervention geeignete Durchleuchtungsanlage, mit DSA-Zusatz zur Venographie (die Möglichkeit zur DSA für eine eventuelle Venographie kann hilfreich sein, auch wenn eine Venographie nur in äußerst wenigen Fällen zur Vorbereitung einer Vertebroplastie notwendig sein wird);

  • Computertomographie mit CT-Fluoroskopie oder in Verbindung mit einem C-Bogen (im Bereich der HWS, oberen und mittleren BWS ist aufgrund der komplexeren anatomischen Gegebenheiten die CT zur Durchführung der Vertebroplastie erforderlich);

  • im Falle einer prozeduralen Komplikation muss ein Zugang zu CT oder MRT möglich sein, um eventuelle Komplikationen unmittelbar ausschließen bzw. nachweisen zu können;

  • zum Monitoring des Patienten während oder nach der Intervention sowie zum Monitoring im Falle eventueller Komplikationen müssen adäquate Mittel (z. B. Pulsoximeter, EKG) zur Verfügung stehen.

Präoperative Diagnostik:

:

  • symptombezogene klinische Untersuchung;

  • aktuelle Röntgenaufnahme in 2 Ebenen der betroffenen Region;

  • bildgebende Verfahren (in aller Regel MRT) zur Beurteilung der Wirbelkörperdestruktion hinsichtlich des etwaigen Alters einer Fraktur, der Beteiligung der Wirbelkörperhinterkante, möglicher Weichteilanteile bei tumorösem Wirbelkörperbefall. Beurteilung der radikulären Struktur einschließlich der Neuroforamina sowie paravertebralen Weichteilstrukturen.

Qualitätskontrolle

Vor der Intervention

Der Patient ist schriftlich und mündlich adäquat über die Durchführung und die Konsequenzen der Vertebroplastie aufzuklären. Dabei sollte insbesondere erwähnt werden, dass abhängig von der Lokalisation und des Zugangsweges folgende Komplikationen auftreten können: Infektion, Einblutung, Austritt von Zement in den Epiduralraum oder in paravertebrale Venen, durch Zementaustritt Verstärkung von Schmerzen, Paralyse, Verletzungen von Spinalnerven oder Nervenwurzeln, Pneumothorax, allergische Reaktion. Der Patient muss auch darüber aufgeklärt werden, dass aufgrund einer Komplikation unter Umständen ein chirurgisches Eingreifen notwendig sein kann.

Entsprechend der neuen Röntgenverordnung muss die rechtfertigende Indikation zur Vertebroplastie schriftlich festgehalten werden.

Während der Intervention

  • Dokumentation der korrekten Nadellage unter Durchleuchtung und/oder durch Computertomographie.

  • Sofortige bildgebende Dokumentation etwaiger Komplikationen.

  • Dokumentation der Vertebroplastie:

    • bildliche Dokumentation des behandelten Wirbelkörpers durchleuchtungsgestützt und/oder durch CT,

    • Dokumentation des verwendeten Materials (Knochenzement, Lokalanästhetikum etc.).

Nach der Intervention

  • Wiederholung der symptombezogenen klinischen Untersuchung (Änderung der Schmerzsituation, zusätzliche neurologische Ausfälle).

  • Schriftliche Dokumentation der Intervention und ihres Ergebnisses.

  • Der Patient soll Bettruhe einhalten, mindestens über den Zeitraum, den das Vertebroplastiematerial benötigt, um auszuhärten. Eine darüber hinaus gehende Bettruhe ist von dem übrigen Zustand des Patienten abhängig zu machen.

Allgemeines Qualitätsmanagement

Es wird empfohlen, die klinischen Daten und die bildgebenden Befunde dieser bildgestützten Intervention in einem zentralen Register der Arbeitsgemeinschaft Interventionelle Radiologie der Deutschen Röntgengesellschaft zu dokumentieren.

Erstellung dieser Leitlinie

Diese Leitlinie wurde unter Berücksichtigung der derzeit verfügbaren Literatur zur Vertebroplastie, nach Durchsicht der Leitlinien anderer Fachgesellschaften (z. B. Standards of Practice for Percutaneous Vertebroplasty, www.neurosurgery.org; Percutaneous Vertebroplasty ACR, www.acr.org; Clinical practice guidelines, www.sirweb.org) und ausgiebiger Diskussionen durch folgende Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Interventionelle Radiologie (AGIR)/Arbeitsgruppe Vertebroplastie der Deutschen Röntgengesellschaft erstellt:

Prof. Dr. Klaus Bohndorf

Klinik für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie, Klinikum Augsburg,

Stenglinstr. 2, 86156 Augsburg,

Tel. 0821/400-2441, Fax 0821/400-3312, e-mail: radiol-klin.augsburg@gmx.de.

Priv.-Doz. Dr. Thomas Helmberger

Institut für Klinische Radiologie, Klinikum der Universität München,

Marchioninistr. 15, 81377 München,

Tel. 089/7095-3620, Fax 089/7095-8832, e-mail: Thomas.Helmberger@helios.med.uni-muenchen.de.

Priv.-Doz. Dr. Johannes Hierholzer

Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Klinikum Ernst von Bergmann,

Charlottenstr. 72, 14467 Potsdam,

Tel. 0331/241-67-01, Fax 0331/241-67-00, e-mail: jhierholzer@klinikumevb.de.

Prof. Dr. Gerd Nöldge

Abteilung für Radiodiagnostik, Radiologische Klinik, Universitätsklinikum Heidelberg,

Im Neuenheimer Feld 110, 69120 Heidelberg,

Tel. 06221/56-8766, Fax 06221/56-5730, e-mail: gerd_noeldge@med.uni-heidelberg.de.

Prof. Dr. Dierk Vorwerk

Radiologie, Klinikum Ingolstadt,

Krumenauerstr. 25, 85049 Ingolstadt,

Tel. 0841/880-2800, Fax 0841/880-2808, e-mail: dierk.vorwerk@klinikum.ingolstadt.de.