Zusammenfassung
In einer Studie an 20 endogen, 20 neurotisch Depressiven und 15 gesunden Kontrollprobanden wurden das subjektive Zeiterleben und die objektive Zeitschätzung untersucht. Sowohl endogen wie neurotisch depressive zeigten Zeitdehnungserlebnisse gegenüber Gesunden. Unterschiede der objektiven Zeitschätzung ergeben sich zwischen der depressiven Gesamtgruppe und den Gesunden für relativ längere, nicht für sehr kurze Zeitspannen, ebenfalls im Sinne einer Zeitdehnung bei den Depressiven. Die Abweichungen sind im Verlauf des stationären Aufenthaltes rückläufig. Sie korrelieren stärker mit Depressivität als mit dem Ausmaß der Retardierung. Die Befunde stützen die Hypothesen der anthropologischen Phänomenologie einer Entfremdung des Zeitgefühls. Motivationale und Elemente der seelischen Ausrichtung und Erwartung scheinen gegenüber instrumentellen neuropsychologischen Störungen für die Zeitdehnungseffekte Vorrang zu haben. Die ausgeprägtere Minderung des Zeitdehnungseffekts bei gleichzeitiger Besserung der Befindlichkeit in intentional gegliederter gegenüber leerer Zeit legt psychotherapeutische Folgerungen nahe im Sinne des Aktivierungstrainings nach Lewinsohn.
Summary
Subjective time-experience and objective time-estimation were examined in 20 endogenous, 20 neurotic depressives, and 15 healthy volunteers. Subjective experience of past and anticipated future time was more extended in both depressive groups than in healthy controls. Objective time estimation differed between depressives and controls concerning relatively long time spans whereas very short time spans were correctly estimated also by depressives. There were no significant differences between endogenous and neurotic depressives. The perception of extended time normalized during treatment. The depressives’ time perception, differences correlated with the extent of depressive psychopathological symptoms and – to a lesser degree – with retardation. The findings support the hypotheses of anthropological phenomenology concerning disturbed time perception and estimation in depressives. Amelioration of experienced time-extension in intentionally structured time spans compared to empty time spans suggests psychotherapeutic consequences in the sense of Lewinsohn.
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Mundt, C., Richter, P., van Hees, H. et al. Zeiterleben und Zeitschätzung depressiver Patienten. Nervenarzt 69, 38–45 (1998). https://doi.org/10.1007/s001150050236
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DOI: https://doi.org/10.1007/s001150050236