Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • kennen Sie typische Antidepressivaabsetzsymptome.

  • kennen Sie gefährliche Situationen beim Absetzen von Antidepressiva.

  • kennen Sie Charakteristika einer Rebound-Depression.

  • kennen Sie Strategien zum Beenden einer Antidepressivamedikation.

Einleitung

Nicht nur das Ansetzen eines Medikaments induziert spezifische Effekte, sondern auch das Absetzen. Bei einem relevanten Teil der Patienten kann das Absetzen von Antidepressiva zu Absetzsymptomen (Entzugssymptomen) führen. In Extremfällen kann hierdurch die angestrebte Beendigung der Medikation scheitern. Besorgniserregend sind Hinweise auf Rebound-Effekte, was bedeutet, dass die Erkrankung im Anschluss an eine Antidepressivamedikation einen schlechteren Verlauf nimmt, als wenn das Medikament nicht gegeben worden wäre. In den letzten Jahren hat sich bezüglich dieser Schwierigkeiten ein zunehmendes Problembewusstsein entwickelt. Verunsicherung und ein hoher Informationsbedarf bei verschreibenden Ärzten sind deutlich geworden.

Die Verordnung von Antidepressiva hat sich seit 1995 mehr als verfünffacht und ist mit über 1,6 Mrd. Standardtagesdosierungen pro Jahr allein zulasten der gesetzlichen Krankenkassen zum Massenphänomen geworden [1]. Die Indikation umfasst nicht nur Depressionen, sondern ein breites Spektrum von Erkrankungen und Symptomen, zu denen Zwangserkrankungen, Angsterkrankungen, Schlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Entzugserscheinungen bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, Bulimie, Schmerzen, Nikotinabhängigkeit und Harninkontinenz gehören [2]. In dieser Übersicht wird das Absetzen von Antidepressiva am Beispiel depressiver Erkrankungen dargestellt, da für diese die meisten Erkenntnisse vorliegen. Prinzipiell ist mit vergleichbaren Effekten zu rechnen, wenn Antidepressiva in einer anderen Indikation verordnet wurden.

Fallbeispiel

Ein 46-jähriger Sportlehrer wird mit einem seit 3 Wochen bestehenden schweren depressiven Syndrom stationär psychiatrisch aufgenommen. Er leidet unter anderem unter verzweifelter Stimmung, kontinuierlichem Grübeln, Durchschlafstörungen und Früherwachen, Appetitlosigkeit mit 5 kg Gewichtsverlust, Antriebslosigkeit und persönlichkeitsfremder Ambivalenz auch bei einfachen Entscheidungen. Die Hausärztin wies ihn in die Klinik ein, nachdem er ihr erstmals über konkrete morgendliche Suizidpläne berichtet hatte.

Vor 10 Jahren hat er schon einmal eine depressive Episode mit ähnlicher Symptomatik – allerdings ohne Suizidalität – erlitten, die schließlich ambulant nach 4‑wöchiger Einnahme eines Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers (SNRI) abklang. Zehn Tage vor dem jetzigen Wiederbeginn der Symptomatik hatte der Patient in Absprache mit seiner Ärztin nach 10-jähriger kontinuierlicher Einnahme die Medikation ausschleichend beendet. Seit 12 Tagen nimmt er den SNRI auf Rat seiner Ärztin wieder ein, bislang ohne einen positiven Effekt.

Ansetzen eines Antidepressivums

Ärzte und Patienten sind gut damit vertraut, dass es bei der Verordnung eines Medikaments zu Hauptwirkungen, Nebenwirkungen und eventuell Intoxikationssymptomen kommen kann (Infobox 1). Die Hauptwirkung ist die therapeutisch beabsichtigte Wirkung. Sie kann beim selben Wirkstoff je nach Indikation verschieden sein. Nebenwirkungen können in erwünschte und unerwünschte unterteilt werden, letztere werden auch als unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) bezeichnet. Erwünschte Nebenwirkungen treten zusätzlich zur angestrebten Hauptwirkung auf; ein Beispiel ist der schlaffördernde Effekt sedierender Antidepressiva. Intoxikationssymptome treten bei einem zu hohen Wirkstoffgehalt im Körper auf, der nicht ausschließlich auf einer Überdosierung beruhen muss, sondern beispielsweise auch aus einer Abbauhemmung resultieren kann.

Infobox 1 Effekte beim Ansetzen oder Absetzen einer Medikation

Das Ansetzen einer Medikation induziert

  • Hauptwirkung,

  • Nebenwirkungen (erwünschte und unerwünschte) sowie

  • eventuell Intoxikationssymptome.

Das Absetzen einer Medikation kann

  • die Wiederkehr der Erkrankung durch Verlust der Hauptwirkung,

  • Absetzsymptome/Entzugssymptome und

  • Rebound-Effekte

induzieren.

Absetzen eines Antidepressivums

Auch das Absetzen von Medikamenten kann zu charakteristischen Erscheinungen und Problemen führen (Infobox 1). Während sich Ärzte mit Blick auf Antidepressiva in der jüngeren Zeit zunehmend mit diesem Thema beschäftigen [3], ist bei den Patienten hierfür oft kein Problembewusstsein vorhanden, was sich unter anderem an dem hohen Anteil von Patienten zeigt, die ohne ärztliche Rücksprache eine Antidepressivamedikation beenden. Es gehört zu den ärztlichen Aufgaben, schon zu Beginn und kontinuierlich im Verlauf einer Antidepressivaverordnung dieses Problembewusstsein zu wecken.

Wiederkehr der Erkrankung

Zunächst führt das Absetzen eines Medikaments zum Verlust der Hauptwirkung. Dies kann bei chronischen oder rezidivierenden Erkrankungen zur Rückkehr der Erkrankung führen.

Depressionen verlaufen charakteristischerweise in Episoden, können aber auch chronifizieren [4]. Dementsprechend ist prinzipiell mit der Wiederkehr der Erkrankung nach der Beendigung einer erfolgreichen Antidepressivamedikation zu rechnen, bei einer episodisch-rezidivierenden Erkrankung entsprechend dem natürlichen Krankheitsverlauf, das heißt eventuell erst nach Jahren [5]. Da Depressionen auch als Einzelepisode vorkommen, ist eine Wiederkehr der Erkrankung nach Absetzen eines Antidepressivums aber nicht zwingend. Weil sich Rebound-Effekte (siehe unten) ebenfalls durch eine Wiederkehr der Erkrankung äußern, ist es im Einzelfall fast unmöglich zu entscheiden, ob die Wiederkehr eines depressiven Syndroms nach der Beendigung einer Antidepressivamedikation dem natürlichen Krankheitsverlauf entspricht oder einen Rebound darstellt.

Absetzsymptome (Entzugssymptome)

Für viele Medikamente ist bekannt, dass nach Beendigung der Medikation Absetzsymptome oder Entzugssymptome auftreten können. Bezüglich Antidepressiva werden beide Begriffe gebraucht. Prinzipiell sind sie äquivalent zu verwenden, da beide Begriffe Symptome beschreiben, die auf basale biologische Anpassungsphänomene zurückgehen (siehe unten). Der Begriff „Entzugssymptome“ weist darauf hin, dass die nach dem Absetzen von Antidepressiva zu beobachtenden Symptome Überlappungen mit den Entzugssymptomen von Medikamenten mit Suchtpotenzial wie Benzodiazepine haben.

Abhängigkeitsentwicklung?

Dennoch sollte der Begriff nicht zur Gleichsetzung von Entzugssymptomatik mit Abhängigkeitsentwicklung führen, da Sucht nicht vorrangig durch körperliche Phänomene, sondern durch psychische Abhängigkeitskriterien charakterisiert ist. Eine Abhängigkeit von Substanzen gemäß der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) liegt vor, wenn mehrere Suchtkriterien (mindestens 3) erfüllt sind. Weitere Suchtkriterien sind für Antidepressiva weitgehend zu verneinen. Sie verursachen beispielsweise kein unkontrolliertes Verlangen, das Medikament einzunehmen, es besteht keine eigenmächtige Dosissteigerung durch die Patienten und keine Einengung von Verhalten oder Interessen zugunsten der Einnahme oder Beschaffung von Antidepressiva. Allerdings kann es aufgrund der Absetz- und Rebound-Phänomene zu Schwierigkeiten kommen, die Einnahme zu beenden, was ebenfalls als Suchtkriterium benannt wird.

Gegenregulation bei längerfristiger Medikamentengabe

Hintergrund von Absetzsymptomen ist, dass die längere Gabe bei vielen Pharmaka zu adaptiven Gegenregulationen des Körpers führt. Die längere Einnahme von Kortison führt beispielsweise zu einer Reduktion der körpereigenen Glukokortikoidproduktion, wodurch der Organismus versucht, das alte Gleichgewicht wiederherzustellen. Da die endogene Kortisolproduktion nach einem plötzlichen Absetzen erst langsam wieder in Gang kommt, droht eine Addison-Krise – ein allgemein bekanntes Beispiel für eine Absetzreaktion. Eine weitere potenzielle Erklärung für Absetzphänomene, insbesondere in Form pseudodepressiver Symptome, sind Noceboeffekte, die nach dem Weglassen einer zuvor als hilfreich wahrgenommenen Medikation auftreten können.

Nahezu alle Antidepressiva erhöhen die intrasynaptische Konzentration von Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin, nur bezüglich des Mechanismus liegen Unterschiede vor [2]. Auch hier kommt es zur Gegenregulation, unter anderem dadurch, dass der Körper Anzahl und Sensitivität der postsynaptischen Rezeptoren für Serotonin und Noradrenalin reduziert. Das schlagartige Absetzen von Antidepressiva kann daher zu einem funktionellen intrasynaptischen Neurotransmittermangel führen. Dies wird unter anderem als neurobiologische Grundlage von Antidepressivaabsetzsymptomen angenommen [3]. Absetzsymptome treten in der Regel nur auf, wenn das Antidepressivum mindestens 4 Wochen (eventuell mindestens 8 Wochen) lang eingenommen wurde. Soweit bekannt, erhöht eine besonders lange Einnahme von Antidepressiva aber nicht das Risiko von Absetzsymptomen [3].

Abgrenzung von einem Rezidiv der Depression

Eine der Schwierigkeiten beim Erkennen von Absetzsymptomen von Antidepressiva ist die unübersichtliche Vielfalt und Unspezifität der Symptomatik. Ein Teil der Symptome kommt auch im Rahmen depressiver Syndrome vor, sodass Absetzsymptome nicht immer leicht von einem depressiven Rezidiv zu unterscheiden sind. Die häufigsten Absetzsymptome sind [6]

  • Schwindel,

  • Übelkeit,

  • Kopfschmerz,

  • Schlafstörungen,

  • Gereiztheit und

  • Stimmungslabilität.

Zur besseren Übersicht empfiehlt es sich, die Symptome einzuteilen, entweder danach, ob sie einer depressiven Symptomatik ähneln oder nicht (Infobox 2), oder nach den betroffenen Organsystemen (Tab. 1). Für ein schnelles Erkennen hilft die im Englischen verwendete Eselsbrücke „FINISH“ ([7]; Infobox 3).

Infobox 2 Typische Absetzsymptome nach der Beendigung von Antidepressiva

Absetzsymptome mit Ähnlichkeit zu depressiver Symptomatik:

  • Aggression

  • Angst

  • Appetitlosigkeit

  • Bauchschmerzen

  • Benommenheit

  • Erschöpfung

  • Gedrückte Stimmung

  • Innere Anspannung

  • Kopfschmerzen

  • Müdigkeit

  • Rasche Stimmungsschwankungen

  • Schlafstörungen

  • Schwäche

  • Schwitzen

  • Unruhe

  • Weinanfälle

  • Zunahme von Suizidgedanken

Absetzsymptome, die nicht mit depressiven Symptomen verwechselt werden können:

  • Gangunsicherheit und Gleichgewichtsstörungen

  • Parästhesien, die sich beispielsweise wie elektrische Schläge anfühlen

  • Muskelschmerzen

  • Tinnitus

  • Geschmacksveränderungen

  • Optische oder akustische Halluzinationen

  • Verschwommenes Sehen

  • Juckreiz

  • Zittern

  • Myokloni

  • Ataxie

  • Verwirrung und Gedächtnisstörungen

  • Vorzeitige Ejakulation

Tab. 1 Antidepressivaabsetzsymptome nach Organsystemen. (Modifiziert nach [8])

Infobox 3 FINISH: Antidepressiva-Absetzsymptome kurz gefasst

Für ein schnelles Erkennen hilft die im Englischen verwendete Eselsbrücke „FINISH“ [7]:

  • „Flu-like symptoms“ (grippeähnliche Symptome)

  • Insomnie (Schlafstörungen, intensive Träume/Albträume)

  • Nausea (Übelkeit, Erbrechen)

  • Imbalance (Gleichgewichtsstörungen, Schwindel)

  • „Sensory disturbances“ (Stromschläge, Dysästhesien)

  • Hyperarousal (Ängstlichkeit, Agitation, Reizbarkeit)

Häufigkeit

Die Überlappung von Absetzsymptomen mit Symptomen einer rezidivierenden Depression trägt dazu bei, dass Unklarheit über die Häufigkeit einer Absetzsymptomatik nach dem Absetzen von Antidepressiva besteht. Zur Differenzierung können verschiedene Merkmale herangezogen werden: Absetzsymptome sind in der Regel stärker von einer somatischen Symptomatik bestimmt (Schwindel, Übelkeit, Sensibilitätsstörungen, grippeähnliche Symptome). Nach Wiedereinnahme des Medikaments verschwinden Absetzsymptome schnell. Absetzsymptome treten rasch auf, meist innerhalb der ersten Woche nach dem Absetzen (Höhepunkt meist nach 36–96 h). Je kürzer die Halbwertszeit des Antidepressivums, desto eher treten Absetzsymptome auf. Ein Risiko für Absetzsymptome besteht vermutlich erst nach mindestens 4‑ bis 8‑wöchiger Einnahme eines Antidepressivums. Jenseits dieser Zeit scheint die Dauer der vorhergehenden Medikation aber nicht mit der Häufigkeit einer Absetzsymptomatik zu korrelieren [3].

Wie häufig treten Absetzsymptome auf? Die Angaben reichen von 1 bis 86 % [9], sodass diese Frage nicht klar zu beantworten ist. Es existieren bisher keine Untersuchungen, in denen Patienten nach Langzeittherapie mit Antidepressiva randomisiert und möglichst doppelblind entweder einem Verbleib beim bisherigen Antidepressivum oder einer Umstellung auf Placebo zugeteilt und anschließend systematisch bezüglich des Auftretens von Absetz- und Rebound-Phänomenen beobachtet wurden. Am häufigsten treten Absetzsymptome auf nach Absetzen von [3]:

  • Paroxetin,

  • Venlafaxin,

  • trizyklischen Antidepressiva und

  • Monoaminoxidasehemmern

Für Fluoxetin und Agomelatin sind bisher nur selten bzw. keine Absetzsymptome beschrieben. Bei Fluoxetin kann dies mit der sehr langen Halbwertszeit erklärt werden, die einen abrupten Abfall des Medikamentenspiegels im Körper verhindert.

Merke

In der Mehrzahl der Fälle ist die Absetzsymptomatik mild und innerhalb von 2 Wochen selbstlimitierend. Bei Antidepressiva mit längerer Halbwertszeit sind es eventuell bis zu 6 Wochen.

Problemfälle

Patienten, die über dieses Risiko gut aufgeklärt sind, vom vorübergehenden Charakter wissen und irritierende Symptome wie stromschlagartige Empfindungen einordnen können, können die Absetzsymptomatik in der Regel tolerieren.

Es gibt aber verschiedene Problemfälle. Zu diesen gehört zum einen das seltene Auftreten bedrohlicher Absetzsymptome wie Suizidintentionen, Aggression und Verwirrung. Ferner gibt es Patienten, für die die Absetzsymptomatik derart unangenehm ist, dass ihnen das Absetzen des Antidepressivums nicht gelingt, obwohl keine klinische Indikation mehr besteht. Schließlich werden kasuistisch, aber in nicht zu ignorierender Häufigkeit langanhaltende Absetzsymptome mit einer Dauer von über einem Jahr berichtet [10]. Darunter fallen auch Berichte über anhaltende sexuelle Funktionsstörungen nach Einnahme selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI; [11]). Wissenschaftlich ist eine abschließende Bewertung dieser möglichen Langzeitschäden noch nicht möglich, da die Fallberichte in Ermangelung einer Kontrollgruppe keine eindeutige Ursachenzuschreibung erlauben. Die geschilderte Symptomatik einschließlich der sexuellen Funktionsstörungen ist auch ohne vorhergehende Antidepressivamedikation häufig und ätiologisch unspezifisch. Die Berichte sind aber ernst zu nehmen, und eine wissenschaftliche Abklärung ist erforderlich.

Cave

In seltenen Fällen scheitern Patienten aufgrund der Absetzsymptomatik daran, die Medikation zu beenden; in anderen Fällen werden Aggressivität, Verwirrung und Suizidalität als Absetzsymptome beschrieben; immer wieder gibt es Berichte von einer anhaltenden Absetzsymptomatik von einem Jahr Dauer oder länger.

Rebound

Unter Rebound versteht man eine erhöhte Anfälligkeit des Organismus nach Absetzen der Medikation – vergleichbar dem Bild eines Balls, der, unter Wasser gedrückt und plötzlich losgelassen, nicht nur zurück an die Oberfläche kehrt, sondern sogar aus dem Wasser herausspringt: Die Grunderkrankung kehrt in stärkerem Ausmaß als vor Beginn der Medikation, rascher oder mit größerer Wahrscheinlichkeit zurück als bei Patienten, die keine Medikation erhielten.

Merke

Rebound bezeichnet die Wiederkehr der Erkrankung schneller, stärker oder mit höherer Wahrscheinlichkeit, als wenn zuvor keine medikamentöse Behandlung erfolgt wäre (Tab. 2).

Tab. 2 Wiederkehr der Erkrankung vs. Rebound. (Nach [2], mit freundlicher Genehmigung des Verlags)

Verlässliche Zahlen über Ausmaß und Häufigkeit dieses Phänomens fehlen bisher, da Studien mit einem beweisenden Design bislang nicht existieren. Die klinische Erfahrung [12], umfangreiche Betroffenenberichte [13] und indirekte Hinweise aus Studien, beispielsweise zum Vergleich des Verlaufs nach einer Psycho- und einer Pharmakotherapie [14], weisen aber darauf hin, dass es sich um ein relevantes Problem handelt. Manche Autoren sehen im Rebound-Problem die entscheidende Ursache für eine Zunahme und Chronifizierung depressiver Erkrankungen und warnen daher vor dem Einsatz von Antidepressiva (z. B. [15]). In der wissenschaftlichen Debatte handelt es sich hierbei um eine Minderheitenmeinung, da nicht ausreichend gesichert ist, ob und in welchem Ausmaß derartige Zusammenhänge bestehen.

Konsequenzen

Nach Absetzen eines länger eingenommenen Antidepressivums kann es zu einer Rückkehr der Erkrankung, zu Absetzsymptomen oder zu einer Rebound-Depression kommen. Diese Risiken sind bereits in die Entscheidung über den Beginn einer Antidepressivamedikation einzubeziehen. Das aufgrund der unzureichenden Datenlage nicht quantifizierbare Rebound-Risiko bedeutet die Gefahr, für einen akuten Nutzen (Behandlung der akuten Episode) einen potenziellen langfristigen Schaden in Kauf zu nehmen, nämlich die Chronifizierung der affektiven Erkrankung und möglicherweise das Erfordernis einer Dauermedikation. In der Abwägung von Nutzen und Risiken wird dieses Argument insbesondere bei leichten und mittelschweren Depressionen zu berücksichtigen sein, bei denen eine Antidepressivamedikation nicht eindeutig angeraten ist [16].

Im Rahmen der gemeinsamen informierten Entscheidungsfindung [16] müssen Patienten schon bei der Therapieplanung über die potenziellen Schwierigkeiten bei einem späteren Absetzen informiert werden. In diesem Zusammenhang sowie nach Beginn und wiederholt im Verlauf der Pharmakotherapie ist darauf hinzuweisen, dass eine Beendigung der Medikation immer ärztlich abgesprochen und begleitet und nicht eigenmächtig vorgenommen werden sollte.

Die Beendigung einer Antidepressivamedikation kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Ein aktuelles Cochrane-Review suchte systematisch nach Studien, in denen die vier Strategien abruptes Absetzen, Ausschleichen, Beendigung mit psychotherapeutischer Unterstützung und Minimalunterstützung durch Hausärzte untersucht worden waren. Die wissenschaftliche Evidenz wurde von den Autoren als unzureichend eingeschätzt, um hieraus praktische Empfehlungen ableiten zu können [17].

Ein langsames Ausschleichen von Antidepressiva verringert höchstwahrscheinlich die Risiken, wenngleich es sie nicht vollständig vermeiden kann. Ein abruptes Absetzen sollte daher Situationen vorbehalten bleiben, in denen dies aufgrund schwerwiegender oder gefährlicher Nebenwirkungen unumgänglich ist. Manche Autoren empfehlen ein sehr langsames Ausschleichen über bis zu 7 Monate [18]. Dies kommt in Betracht, wenn nach einer erfolgreichen Akut- und Erhaltungstherapie die antidepressive Pharmakotherapie vollständig beendet werden soll.

Für andere häufige klinische Situationen hingegen scheint ein derartig langer Zeitraum nicht praktikabel, insbesondere wenn das Antidepressivum aufgrund belastender Nebenwirkungen oder aufgrund einer Non-Response und mit der Absicht, mit einem anderen Medikament zu beginnen, abgesetzt werden soll. Auch während einer stationären Behandlung ist nicht die Zeit für ein monatelanges Ausschleichen gegeben. In diesen Fällen empfiehlt die AG Psychiatrie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ein rascheres Ausschleichen. Zur Vermeidung von Absetzsymptomen und wenn die klinische Situation eine derartige Zeitdauer erlaubt, kann das Ausschleichen über etwa 4–6 Wochen erfolgen, mit Dosisreduktionsschritten etwa alle 10 Tage unter engmaschiger Beobachtung des Patienten hinsichtlich etwaiger Absetz- oder Rezidiv‑/Rebound-Symptome. Treten derartige Symptome auf, ist zur letzten höheren Dosis zurückzukehren und das Ausschleichen anschließend mit verlangsamter Geschwindigkeit fortzusetzen. Ein derartiges Vorgehen dient dem Ziel, ein besonders langsames Absetzregime nur bei besonders sensiblen Patienten anzuwenden.

Die Dosisreduktionsschritte sollten nicht linear erfolgen. Insbesondere für SSRI und SNRI ist bekannt, dass sie den Serotonintransporter – ihren Hauptwirkungsort – über einen breiten Dosisbereich annähernd gleichmäßig zu etwa 80 % blockieren [19, 20]. Die Beziehung zwischen Dosis und Besetzung des Serotonintransporters verläuft hierbei in der Form einer Hyperbel. Horowitz u. Taylor zeigten am Beispiel von Citalopram, dass sich die Serotonintransporterbesetzung bei einer Reduktion der Tagesdosis von 60 mg auf 9,1 mg lediglich von 88 % auf 70 % verringert [18]. Erst bei sehr niedrigen Tagesdosierungen sinkt sie relevant, so auf 50 % bei 3,4 mg und auf 30 % bei 1,5 mg. Anders betrachtet heißt dies, dass eine lineare Dosisreduktion, z. B. in fixen 5 mg-Schritten, beim letzten Schritt (von 5 mg/Tag auf 0 mg) zu einem schlagartigen Rückgang der Serotonintransporterblockade von 60 auf 0 % führen würde. Dies bedeutet, dass mit Absetz- und Rebound-Problemen insbesondere bei den letzten Reduktionsschritten im Niedrigdosisbereich zu rechnen ist, weshalb die ersten Reduktionsschritte großzügiger und die letzten möglichst kleinschrittig erfolgen sollten. In der praktischen Umsetzung stößt dieses Vorgehen allerdings auf Schwierigkeiten, da Tabletten nicht unbegrenzt teilbar sind und nur wenige Antidepressiva in Tropfenform vorliegen (beispielsweise Citalopram, Escitalopram, Amitriptylin, Trimipramin). Selbst bei diesen ist der niedrigste Dosisschritt zumeist 1 mg, was einem Tropfen entspricht. Apotheker können eventuell gebeten werden, verdünnte Lösungen herzustellen.

Im Internet werden sogenannte „tapering strips“ angeboten, die Dosierungen in absteigender Stärke enthalten [21, 22]. Qualitätskontrolle und Zulassung sind diesbezüglich aber oft ungeregelt. Bei Absetzproblemen in Bezug auf SSRI kann eventuell zunächst eine Umstellung auf Fluoxetin vorgenommen werden, das wie erwähnt aufgrund seiner langen Halbwertszeit kaum Absetzschwierigkeiten verursacht.

Fazit für die Praxis

  • Das Risiko eines Rebounds muss bei der Indikationsstellung für Antidepressiva berücksichtigt werden.

  • Patienten müssen schon zu Beginn einer Antidepressivamedikation über mögliche Absetzsymptome aufgeklärt werden.

  • Diese Aufklärung ist im Laufe der Behandlung zu wiederholen, hierbei sollte vor einem nicht abgesprochenen Absetzen gewarnt werden.

  • Langsames Ausschleichen verringert wahrscheinlich das Risiko für Rebound und Absetzsymptomatik.

  • Insbesondere im Niedrigdosisbereich sollte in möglichst kleinen Schritten reduziert werden.