„Home treatment“ (HT) ist eine evidenzbasierte Alternative zur Akutbehandlung psychisch kranker Menschen in der psychiatrischen Klinik (stationsäquivalente Behandlung). Mobile multiprofessionelle Teams mit einer Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit behandeln die Patienten im häuslichen Umfeld. Die Behandlungsdauer im HT sollte nicht länger sein als ein Aufenthalt in einer stationären Einrichtung (2–6 Wochen). Das HT-Team übernimmt dabei die „Gatekeeping“-Funktion für die stationäre Behandlung mit dem Ziel, stationäre Behandlungstage zu reduzieren.

Entwicklung gemeindepsychiatrischer Versorgung

Erste sozialpsychiatrische Ansätze und Versuche, durch aufsuchende Behandlung im häuslichen Umfeld stationäre Hospitalisationen zu reduzieren, entwickelten sich in den 1930er Jahren in den Niederlanden [27, 29]. Seit den 1960er Jahren wurde die Anzahl stationärer Betten in psychiatrischen Kliniken in Europa und den USA stark reduziert, was eine Verlagerung der Behandlung in gemeindenahe Strukturen erforderte [11]. Neben „community mental health teams“ (CMHT), Tageskliniken und Case-Management (CM) wurden auch erste Formen von „home treatment“ (HT) etabliert, vor allem im englischsprachigen Raum.

Im Jahr 1963 forderte der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy – auch unter dem Eindruck neuer pharmakologischer Entwicklungen – einen neuen Zugang zur Behandlung schwer psychisch kranker Menschen und propagierte deren verstärkte gesellschaftliche Inklusion [28]. Die wohl erste randomisierte Studie zu HT stammte aus den USA und verglich die Behandlung von Schizophreniekranken im häuslichen Umfeld mit regulärer stationärer Versorgung. Zusätzlich wurden die HT-Patienten ebenfalls randomisiert entweder mit Psychopharmaka oder Placebo behandelt. In beiden Interventionsarmen wurden die Patienten deutlich weniger oft und kürzer stationär behandelt als unter den Kontrollbedingungen [28]. Eine weitere randomisierte Studie, die eine Form von HT („outpatient family crisis therapy“) untersuchte, wurde 1971 in den USA publiziert [21]. Stein und Test untersuchten ebenfalls unter randomisierten Bedingungen ein „Training-in-community-living“-Programm, einen Vorläufer des späteren „assertive community treatment“ (ACT), das sich aber über 14 Monate erstreckte [30]. Außerhalb der USA wurden Studien in Kanada [6], Australien [12] und Großbritannien [13, 16, 24] durchgeführt.

In den 1990er Jahren wurden in Großbritannien „crisis resolution teams“ (CRT) nach Vorbildern in den USA und Australien eingeführt [18] und in der Folge im Jahr 2000 vom Departement of Health in die obligatorische Regelversorgung aufgenommen [17]. Die Umsetzung erfolgte aber nicht flächendeckend gemäß den vorgegebenen Standards und nur 40 % der Teams bezeichneten sich als voll etabliert. Mittlerweile sind die CRT nicht mehr obligatorisch, werden aber weiterhin empfohlen [33]. In Norwegen, wo CRT obligatorisch sind, scheint es ebenfalls große regionale Unterschiede in der Umsetzung zu geben [33].

In Deutschland entwickelten sich gemeindepsychiatrische Versorgungsansätze nach der Veröffentlichung der Psychiatrie-Enquête im Jahr 1975 [5]. In dem Bericht wurde auf Mängel in der Versorgung vor allem schwer und chronisch psychisch kranker Menschen hingewiesen und eine Verlagerung aus den großen Anstalten hin zu gemeindenahen, ambulanten und komplementären Einrichtungen verlangt. In der Folge entwickelten sich in Deutschland in unterschiedlicher Ausprägung gemeindepsychiatrische Versorgungsmodelle. Eine Übersicht zur Akutbehandlung im häuslichen Umfeld in Deutschland findet sich bei Gühne et al. [8].

Definition von HT

Unter HT im engeren Sinne versteht man die intensive, stationsäquivalente Akutbehandlung psychisch kranker Menschen in der häuslichen Umgebung statt in der psychiatrischen Klinik, wobei das HT-Team die „Gatekeeping“-Funktion (Triagefunktion), insbesondere für die stationäre Behandlung, übernimmt. Die Behandlung erfolgt durch ein mobiles und multiprofessionelles Team, das rund um die Uhr verfügbar ist. Die Behandlungsdauer im HT sollte nicht länger sein als ein Aufenthalt in einer stationären Einrichtung (i. d. R. 2–6 Wochen). Falls initial eine stationäre Behandlung, z. B. zum Schutz des Patienten, unumgänglich ist, sollen die Patienten so rasch als möglich ins HT übernommen werden [1, 4, 22, 23]. Ziel im Sinne der stationsäquivalenten Behandlung ist, stationäre Behandlungstage durch direkte Aufnahme ins HT und/oder durch frühe Übernahme aus der stationären Behandlung einzusparen.

Der Begriff HT wird häufig und in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Sowohl für die klinische Forschung als auch für die Implementierung in die Versorgung und für die Finanzierung sind eine genaue Definition von HT und dessen trennscharfe Abgrenzung von anderen gemeindepsychiatrischen Angeboten wichtig. In der englischsprachigen Literatur finden sich die Bergriffe „crisis resolution teams“ (CRT) und „crisis resolution home treatment teams“ (CRHT), die beide oft synonym für HT für Menschen mit akuten psychischen Störungen verwendet werden.

Vermehrt werden klarere Definitionen und Implementierungsrichtlinien gefordert und neu gibt es auch sog. Modelltreue („treatment fidelity“) -Skalen, um die HT/CRT besser zu standardisieren [22, 23, 33].

HT-Ansätze sind bisher eher pragmatisch und wenig theoretisch fundiert

Während die Struktur- und Rahmenbedingungen für HT klarer herausgearbeitet werden, bleibt das HT inhaltlich dennoch bis zu einem gewissen Grad eine Blackbox. Es ist wenig definiert, was genau an Behandlung zu Hause angeboten wird. In der Literatur wird oft auf die Notwendigkeit eines Eingangsassessments hingewiesen. Als weitere Elemente werden Pharmakotherapie, Psychoedukation, Einbezug der Angehörigen und Sozialhilfe erwähnt. Wie weit auch störungsspezifische Behandlungselemente, Psychotherapie im engeren Sinne und systemische Familientherapie zum HT gehören, bleibt offen. In Anlehnung an Holloway gilt wie für das CM auch für das HT, dass dieses per se noch keine Behandlungsmethode an sich ist [10]. Fairerweise muss aber auch angefügt werden, dass es sich beim HT um eine stationsäquivalente Therapie handelt und im stationären Akutbereich die Behandlungselemente ebenfalls inhaltlich wenig definiert sind. Johnson et al. haben organisatorische und inhaltliche Charakteristika des HT zusammengestellt (s. Infobox 1 und 2). Letztlich sind die HT-Ansätze bisher aber eher pragmatisch orientiert und wenig theoretisch fundiert [17].

Infobox 1 Organisatorische Schlüsselcharakteristika von „crisis resolution teams“/„home treatment“. (In Anlehnung an [17])

  • Multiprofessionelles Team

  • Psychiatrischer Facharzt im Team

  • Zielgruppe: Patienten, die ohne CRT/HT stationär akutpsychiatrisch behandelt werden müssten

  • Rasches Assessment zu Hause, Erreichbarkeit innerhalb einer Stunde

  • Angebot eines intensiven CRT/HT anstelle einer stationären Behandlung, sofern dies aufgrund des psychiatrischen Assessments als möglich erachtet wird

  • Bei stationärer Hospitalisation: Aufrechterhaltung des Kontaktes zum und frühe Entlassung ins CRT/HT

  • Hoher Personal-Patienten-Schlüssel, der bei Bedarf täglich 2 bis 3 Hausbesuche erlaubt

  • 24-Stunden-Bereitschaftsdienst

  • Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit anderen psychosozialen Diensten, die bereits in die Behandlung involviert sind

  • „Team approach“: gemeinsame Betreuung, erfordert tägliche Teamrapporte

  • „Gatekeeping“: Das CRT/HT-Team übernimmt die Triage auch für die stationäre Behandlung

  • Intensives CRT/HT ist zeitlich begrenzt (i. d. R. auf max. 6 Wochen), Übergabe an ambulante Versorgung

CRT „crisis resolution teams“, HT „home treatment“

Infobox 2 Schlüsselinterventionen von „crisis resolution teams“/„home treatment“. (In Anlehnung an [17])

  • Umfassendes initiales Assessment (Risiko/Eignung für CRT/HT, Symptome, soziale Situation, Beziehungen, Stressoren, Substanzabusus, physische Gesundheit)

  • Möglichkeit, aktuelle Probleme mit dem Team zu besprechen, Kurzinterventionen zur Steigerung der Problemlösungsfähigkeit und Alltagsbewältigung

  • Psychoedukation (Patienten und Angehörige)

  • Beziehungsaufbau und Etablierung eines für die Patienten und Angehörigen annehmbaren Behandlungsplans

  • Symptommanagement, inklusive Medikation

  • Sachhilfe/praktische Unterstützung (Wohnsituation, Ernährung, finanzielle Fragen, Kinderbetreuung)

  • Identifikation und Besprechung potenzieller Krisenauslösern, insbesondere familiärer Konflikte; systemische Interventionen

  • Frühzeitige Entlassungsplanung aus dem CRT/HT

CRT „crisis resolution teams“, HT „home treatment“

Abgrenzung

Die verschiedenen gemeindepsychiatrischen Systeminterventionen (im Gegensatz zu Einzelinterventionen) können gemäß der S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ auf drei Dimensionen beschrieben werden [4]:

  1. 1.

    Grad der Akuität der Behandlung

  2. 2.

    Grad der Teambasierung des Modells

  3. 3.

    Primär aufsuchende vs. nicht primär aufsuchende Ansätze

„Home treatment“ muss inhaltlich und strukturell von folgenden Behandlungsangeboten abgegrenzt werden:

  • Institutsambulanzen, sozialpsychiatrische Dienste und „community mental health teams“ (CMHT)

    Ambulante Dienste, die nicht primär aufsuchende Behandlung anbieten. Insbesondere die multiprofessionellen sozialpsychiatrischen Dienste und die CMHT sind eher auf Langzeitbehandlung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ausgerichtet.

  • Tageskliniken

    Tageskliniken bieten eine Behandlungsintensität vergleichbar einer stationären Behandlung an, die Patienten wohnen aber weiterhin zu Hause. Besonders bei den Akuttageskliniken besteht in Bezug auf die Zielgruppe eine gewisse Nähe zu den HT-Angeboten, da sie ebenfalls zeitlich begrenzt auf die akute Krankheitsphase ausgerichtet sind: Dies erschwert eine differenzierte Indikationsstellung.

  • Kriseninterventionszentren

    Kriseninterventionszentren bieten kurze stationäre Aufenthalte i. d. R. außerhalb der psychiatrischen Kliniken an. Die Idee der Kriseninterventionszentren ist, den Patienten eine möglichst alltagsnahe Umgebung anzubieten. In einer Cochrane-Review zur Krisenintervention von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen werden HT und Kriseninterventionszentren nicht unterschieden [25], was leider nicht zur Klärung der Begrifflichkeit beiträgt.

  • Case-Management

    Das einfache CM übernimmt in der Regel rein koordinative Aufgaben der in die Behandlung involvierten Akteure. CM ist nicht primär aufsuchend und nicht teambasiert.

  • Intensives Case-Management (ICM)

    ICM zeichnet sich durch einen höheren Personal-Patienten-Schlüssel (i. d. R. >1:20) aus als das einfache CM. Die Case-Manager übernehmen mehr als nur rein koordinative Aufgaben. In Abgrenzung zu HT ist ICM nicht primär aufsuchend, kann aber bei Bedarf auch Hausbesuche machen. Insbesondere während stationären Aufenthalten bleiben die Case-Manager involviert. Das ICM ist nicht auf die akute Erkrankungsphase, sondern auf langfristige Begleitung ausgerichtet.

  • „Assertive community treatment“ (ACT)

    Das ACT ist eine strukturell und inhaltlich gut umschriebene Behandlung und wird zumindest teilweise dem ICM zugerechnet [20]. Das ACM ist allerdings stärker teambasiert als ICM und primär aufsuchend, im Gegensatz zum HT ist es aber nicht auf die akute Krankheitsphase ausgerichtet, sondern als Langzeitbehandlung mit stärker rehabilitativem Fokus angelegt.

HT als Element einer integrierten Gesamtversorgung

Für eine sinnvolle Versorgungsplanung eignet sich das Modell der „balanced care“ von Thornicroft [32]. Das Balanced-care-Modell ist eine Art Baukasten: Die einzelnen Elemente einer umfassenden psychiatrischen Versorgung sollen unter Berücksichtigung der lokalen Strukturen und der vorhandenen Ressourcen aufgebaut und aufeinander abgestimmt werden. Dabei soll eine Balance zwischen stationärer und gemeindeintegrierter Versorgung angestrebt werden. HT kann somit nur im Rahmen einer Gesamtplanung als ein Element der integrierten Versorgung erfolgreich umgesetzt werden.

Nicht alle Patienten, die stationär zugewiesen werden, brauchen auch tatsächlich eine stationäre Behandlung. Die Möglichkeiten psychiatrischer Akutbehandlung außerhalb der Klinik werden nach wie vor unterschätzt und/oder unternutzt [31]. Im Zentrum einer modernen integrierten Versorgung steht darum eine wirksame Triage, die die Behandlungsprozesse steuert und dadurch viele Patienten auch in intermediäre Behandlungsstrukturen anstelle in stationäre Behandlung leitet. HT und diese zentrale Triage müssen eng miteinander gekoppelt sein, damit das HT-Team seine „Gatekeeping“-Funktion erfolgreich umsetzen kann.

Die Möglichkeiten der Akutbehandlung außerhalb der Klinik werden unterschätzt

Bei der Implementierung der HT-Angebote in die Regelversorgung besteht die Gefahr einer (Mengen‑)Ausweitung auf Patienten, die auch ohne HT-Angebot nicht zwingend stationär behandlungsbedürftig wären und/oder die Patienten werden über die akute Erkrankungsphase hinaus im HT behandelt. Es scheint sich deshalb zu bewähren, die HT-Behandlung in der akuten Phase klar von der Langzeitbehandlung im Rahmen von ACT oder ICM zu trennen [17].

Klinische Vorteile des HT

Der Fokus auf das soziale Milieu der Patienten ist bei Behandlungen im häuslichen Umfeld besser möglich als im stationären Rahmen. Der Alltag kann unter realen Bedingungen in die Behandlung mit einbezogen werden und die Patienten werden nicht aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen. Die Zusammenarbeit mit und der Einbezug von Angehörigen ist bei HT selbstverständlich, das Erkennen und Bearbeiten von Triggern für Krisenentstehung wird erleichtert. Der für die Patienten oft schwierige Übergang aus dem stationären Setting zurück ins häusliche Umfeld entfällt. Die Behandlung ist weniger restriktiv und gerade auch für schwerkranke Menschen, für die das Leben in der Gemeinschaft einer Akutstation oft schwierig ist, grundsätzlich anwendbar. Die Zufriedenheit von Patienten und Angehörigen wird im HT als besser beschrieben [17].

Klinische Nachteile/Risiken des HT

Ein wichtiger Effekt der stationären Behandlung in psychiatrischen Kliniken stellt die Entlastung der Angehörigen dar. Dies muss im Vorfeld der Behandlung mit den Angehörigen gut abgesprochen werden. Die 24-Stunden-Verfügbarkeit des Behandlungsteams führt aber in der Regel auch zu einer enormen Entlastung des familiären Systems. Störungsspezifische Behandlung ist unter HT-Bedingungen weniger gut umsetzbar als in einer großen Klinik mit Spezialangeboten. Die aufsuchende Behandlung im häuslichen Umfeld der Patienten kann von den Betroffenen als grenzverletzend erlebt werden (der englische Begriff „assertive“ hat durchaus auch einen paternalistischen Aspekt). Von den HT-Mitarbeitenden ist ein erhebliches Maß an Fingerspitzengefühl und Zurückhaltung gefordert und entsprechende Schulung und Supervision sind wichtig.

Suizidalität unter HT‑Bedingungen

Aktuelle Forschungsresultate haben auf die Möglichkeit erhöhter Suizidgefahr unter HT-Bedingungen hingewiesen. Eine Studie fand einen Rückgang von Suiziden im stationären Setting, während gleichzeitig eine Zunahme von Suiziden im CRT-Setting zu beobachten war, wobei unklar bleibt, wie weit dies die Verlagerung von Behandlungen vom stationären ins CRT-Setting widerspiegelt [19]. Eine weitere Studie fand eine höhere Suizidrate unter CRT als unter stationären Bedingungen, allerdings bleibt offen, wie lange die Patienten in den jeweiligen Settings behandelt wurden. In dieser Studie fand sich sowohl im stationären als auch im CRT-Setting eine Abnahme der Suizidraten über die letzten Jahre. Wichtig ist, dass sich die Suizide im CRT häufig kurz nach einem stationären Aufenthalt und bei alleinstehenden Patienten ereigneten [14].

Eine abschließende Beurteilung ist aufgrund der begrenzten Datenlage aktuell nicht möglich, die Suizidalität im HT muss aber sicher weiterhin im Fokus der Forschung bleiben [33].

Evidenz

Die Evidenz für Akutbehandlung im außerstationären Rahmen ist erstaunlich bescheiden, aber grundsätzlich positiv [17]. So finden sich in einem aktuellen Cochrane-Review nur gerade 8 RCTs („randomised controlled trials“) zu Krisenintervention bei schweren psychischen Erkrankungen, wobei nur 6 dieser Studien tatsächlich CRT/HT analysierten. Die verbleibenden 2 Studien verglichen Kriseninterventionszentren mit stationärer Behandlung in psychiatrischen Kliniken. Fünf der Studien sind älter als 25 Jahre. Alle Studien stammen aus dem englischen Sprachraum, aus dem deutschsprachigen Raum fehlen randomisierte Studien bisher gänzlich.

Europäische Studien zur Wirksamkeit von HT werden dringend gebraucht

Gerade bei Studien zur psychiatrischen Versorgung spielen – im Gegensatz zu pharmakologischen Studien oder Studien in der somatischen Medizin – strukturelle und kulturelle Aspekte eine entscheidende Rolle. Versorgungsforschung ist von lokalen politischen und versicherungsrechtlichen Gegebenheiten geprägt und der Übertragbarkeit von Forschungsbefunden auf andere Systeme sind Grenzen gesetzt. Es braucht daher dringend europäische Studien zur Wirksamkeit von HT. Wheeler et al. konstatieren, dass, obwohl die grundsätzliche Wirksamkeit von CRT belegt sei, zuverlässige Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit einzelner Komponenten des CRT aufgrund quantitativer Daten kaum möglich seien. Es brauche weitere Studien, die den Zusammenhang zwischen Modelltreue und Outcome sowie die einzelnen Schlüsselaspekte des CRT auf ihre Wirksamkeit untersuchten [33].

Trotz positiver Ergebnissen aus einem RCT zu CRT [16] und deren flächendeckender Implementierung konnte bisher in Großbritannien keine generelle Reduktion stationärer Behandlungen nachgewiesen werden [15]. Dies wird zum Teil auf eine ungenügende Implementierung und mangelhafte Modelltreue der CRT-Teams zurückgeführt, was sowohl für Großbritannien als auch Norwegen gilt [22, 33]. Der Zusammenhang zwischen dem Grad der Modelltreue und der Reduktion stationärer Inanspruchnahme konnte bereits früher aufgezeigt werden [7].

Auf ein weiteres Problem der Dateninterpretation weisen Gühne et al. hin: Durch zunehmende Implementierung wesentlicher Elemente der gemeindeintegrierten Psychiatrie in die Regelversorgung werden die Behandlungen unter Kontrollbedingungen verbessert, was zu einer Verwässerung der Effekte der experimentellen Interventionen führen kann [8]. Erste Ergebnisse einer großen RCT in der Schweiz zu HT zeigen jedoch, dass eine Verlagerung von stationären Behandlungstagen ins HT ohne Einbuße der Qualität bei geringeren Behandlungskosten durchaus möglich ist [9].

Trotz der begrenzten Datenlage empfiehlt die NICE(National Institute for Health and Care Excellence)-Guideline für Psychosen und Schizophrenie HT als First-line-Angebot bei Abklärung und Behandlung von Erstpsychosen und in der akuten Phase psychotischer Erkrankungen [26]. Auch die S3-Leitlinie zu psychosozialen Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen empfiehlt mit dem höchsten Empfehlungsgrad und der höchsten Evidenzebene:

Menschen mit schweren psychischen Störungen in akuten Krankheitsphasen sollen die Möglichkeit haben, von mobilen multiprofessionellen Teams definierter Versorgungsregionen in ihrem gewohnten Lebensumfeld behandelt zu werden [4].

Es braucht in den nächsten Jahren randomisierte Studien im deutschsprachigen Raum mit großen Fallzahlen, um differenziertere Aussagen zur Indikation und Wirksamkeit von HT bei verschiedenen Diagnosen und Altersklassen zu ermöglichen. Auch sollten Studien vermehrt auf eine inhaltliche Differenzierung der einzelnen Wirkfaktoren hinarbeiten [3]. Dieses Ziel wird wahrscheinlich nur über größere Multicenterstudien zu erreichen sein.

Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen

Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz erschwert die unterschiedliche Finanzierung im stationären und im ambulanten Sektor die Umsetzung innovativer Versorgungsmodelle. In Deutschland besteht die Möglichkeit der sektorübergreifenden Finanzierung im Sinne der integrierten Versorgung nach § 140a Sozialgesetzbuch (SGB) V. Neu regelt § 115d SGB die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung: In medizinisch geeigneten Fällen kann, wenn eine Indikation für eine stationäre psychiatrische Behandlung vorliegt, anstelle einer vollstationären Behandlung eine stationsäquivalente psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld erbracht werden.

In der Schweiz spricht das Bundesamt für Gesundheit von intermediären Versorgungsangeboten. Unter „intermediären Angebotsstrukturen“ werden verschiedene Behandlungsangebote zusammengefasst, die die Lücke zwischen der 24-Stunden-Betreuung im stationären Rahmen und der Sprechstunde bei niedergelassenen Ärzten schließen. Dazu gehören multiprofessionelle Institutsambulanzen, Tageskliniken und aufsuchende Behandlungsangebote wie mobile Equipen und HT [2]. Die intermediären Angebote werden im Schweizer Finanzierungssystem jedoch nicht adäquat abgebildet, und es fehlt die gesetzliche Grundlage für deren Finanzierung. Modellprojekte sind deshalb immer auf Spezialfinanzierungen angewiesen, deren Nachhaltigkeit nicht gesichert ist.

Fazit für die Praxis

  • HT ist eine Alternative zur stationären Akutbehandlung.

  • HT-Teams sollten in die Versorgung integriert sein und eine „Gatekeeping“-Rolle für die stationäre Behandlung übernehmen.

  • HT kann stationäre Behandlungstage durch Verhinderung oder Verkürzung der stationären Hospitalisationen reduzieren.

  • HT sollte auf die akute Behandlungsphase begrenzt bleiben und die Dauer einer stationären Behandlung nicht überschreiten.

  • Der Einbezug von Angehörigen gehört obligat zum HT.