Ziel dieser Übersicht ist es, die aktuellen Entwicklungen in der Epileptologie zusammenzufassen und bezüglich ihrer Relevanz zu bewerten. Dabei wurden ausgewählte Aspekte aus Klinik und Forschung zusammengefasst und kommentiert. Wesentliche neue Entwicklungen werden dargestellt, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Definition und Klassifikation

Die zuständige Task Force der International League Against Epilepsy (ILAE) hat nach Berücksichtigung von mehr als 300 Kommentaren von ILAE-Mitgliedern vorgeschlagen, Epilepsie zu definieren als „jeden“ der folgenden Umstände:

  • wenigstens 2 unprovozierte (oder Reflex-)Anfälle, die im Abstand von > 24 h aufgetreten sind;

  • ein unprovozierter (oder Reflex-)Anfall bei einer Zehnjahresrezidivwahrscheinlichkeit, die in etwa derjenigen entspricht, die nach 2 unprovozierten Anfällen besteht (≥ 60 %);

  • Diagnose eines Epilepsiesyndroms.

Die Rückbildung einer Epilepsie wird bei Personen angenommen, die entweder ein altersbezogenes Epilepsiesyndrom hatten, jetzt aber der relevanten Altersgruppe entwachsen sind, oder die für mehr als 10 Jahre anfallsfrei sind und seit mindestens 5 Jahren keine Antikonvulsiva mehr einnehmen.

Erstmals wurde eine Definition für die Rückbildung einer Epilepsie vorgeschlagen

Es wurde also neben einer operationalisierten und gegenüber 2005 leicht überarbeiteten Epilepsiedefinition, in deren Zentrum eine Rezidivwahrscheinlichkeit von > 60 % steht, erstmals auch eine Definition für die Rückbildung („resolution“, [1]) einer Epilepsie vorgeschlagen.

Klassifikation von Epilepsien und epileptischen Anfällen

Ein von der ILAE 2010 publizierter Vorschlag beabsichtigte, die seit der letzten Klassifikation von 1989 erzielten Fortschritte abzubilden [2]. Insbesondere wurde mehr Gewicht auf die heute leichter klärbare Ätiologie gelegt. Die alten Klassen: a) symptomatisch, b) idiopathisch und c) kryptogen, wurden durch a) strukturell/metabolisch, b) genetisch und c) unbekannte Ätiologie ersetzt. Die Verwendung des Begriffs „Syndrom“ wurde auf wenige klar beschriebene spezifische epileptische Syndrome eingeschränkt (Beispiel: juvenile myoklonische Epilepsie), ansonsten sollte allenfalls von „Konstellationen“ die Rede sein. Problematisch an diesem Vorschlag war v. a. die Aufgabe der klinisch nützlichen Kategorien der fokalen vs. generalisierten Epilepsien, die auch für klinische Therapieentscheidungen relevant sind. In der nun vorgelegten Revision werden die Konzepte der fokalen und der generalisieren Epilepsien wieder aufgenommen. Neben elektroklinischen Syndromen werden nun auch klinisch-radiologische Entitäten vorgeschlagen. Als ätiologische Kategorien gelten nun: a) genetisch, b) strukturell, c) metabolisch, d) immunbedingt, e) infektiös und f) unbekannt [3, 4].

Diagnostik

Genetik

Die Entwicklung neuer molekulargenetischer Technologien hat die Genidentifikation auch im Bereich der Epilepsiegenetik entscheidend vorangebracht. Neue Gene wurden insbesondere im Bereich der monogen vererbten Epilepsiesyndrome sowie als Neumutationen bei epileptischen Enzephalopathien beschrieben. Die Identifikation von Suszeptibilitätsgenen für häufige Epilepsiesyndrome mit komplexer Vererbung, z. B. die genetisch (idiopathisch) generalisierten Epilepsien, stellt weiterhin eine Herausforderung dar, da hierfür große phänotypisch einheitliche Kollektive notwendig sind. Aktuell werden werden unter der Leitung der ILAE [5] die existierenden Patientenkollektive in einer Metaanalyse vereinigt. Die Ergebnisse der Analyse stehen jedoch noch aus. Im Folgenden werden beispielhaft wichtige aktuelle Studien vorgestellt, die zur Identifikation neuer Epilepsiegene beigetragen haben.

Familiäre fokale Epilepsie mit variablen Foci

Bei der familiären fokalen Epilepsie mit variablen Foci (FFEVF) handelt es sich um ein autosomal-dominantes fokales Epilepsiesyndrom, das durch eine unterschiedliche Lage der epileptogenen Zone bei den einzelnen Familienmitgliedern gekennzeichnet ist. Einige Familienmitglieder haben eine Frontallappenepilepsie, andere eine Temporallappenepilepsie usw. Nach erneuter Aufarbeitung einer 1998 erstmals publizierten Familie [6] zeigte sich, ebenso wie bei in der Zwischenzeit publizierten anderen FFEVF-Familien, eine Kopplung mit dem Chromosomenabschnitt 22q12 [7]. Mithilfe der exomweiten Sequenzierung wurden daraufhin in dieser und weiteren Familien Mutationen im Gen DEPDC5 auf dem Chromosomenabschnitt 22q12 identifiziert [8, 9]. Auch bei 5–10 % von kleineren Familien mit fokaler Epilepsie, aber ohne die typische Variabilität des Phänotyps [8, 10], lagen Mutationen in diesem Gen vor, sodass DEPDC5-Mutationen eine häufige Ursache von fokalen Epilepsien darstellen. Seltener finden sich auch DEPDC5-Mutationen bei der benignen Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes („benign childhood epilepsy with centrotemporal spikes“, BECTS, [11]).

Die Funktion von DEPDC5 ist noch nicht vollständig geklärt. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass DEPDC5 Teil des GATOR1-Komplexes ist, der im „Mammalian-target-of-rapamycin“(mTOR)-Komplex-1-Signalweg eine Rolle spielt [12]. Dieser reguliert das Zellwachstum und ist bei der tuberösen Sklerose überaktiv, was zur Ausbildung von Tumoren in multiplen Organsystemen führt [13]. Kürzlich wurden in FFEVF-Familien vereinzelt kortikale Dysplasien identifiziert, sodass eine Überaktivität des mTOR-Signalwegs aufgrund von DEPDC5-Mutationen als pathophysiologische Hypothese wahrscheinlich erscheint [14]. Inwieweit mTOR-Inhibitoren bei Patienten mit DEPDC5-Mutationen einen therapeutischen Effekt haben, wird in klinischen Studien zu klären sein.

Idiopathische fokale Epilepsie mit zentrotemporalen „spikes“

Diese Epilepsieform kann als ein Spektrum aufgefasst werden mit BECTS (Rolando-Epilepsie) auf der einen Seite und schwereren Formen wie dem Landau-Kleffner-Syndrom und der epileptischen Enzephalopathie mit kontinuierlichen „spike-waves“ im „Slow-wave“-Schlaf („continuous spikes and waves during slow sleep“, CSWS) auf der anderen Seite. Obwohl eine genetische Ätiologie angenommen wurde, blieben die beteiligten Gene lange Zeit unbekannt.

Nun konnten 3 unabhängige Studien Mutationen im Gen GRIN2A bei dieser Epilepsieform identifizieren [15, 16, 17]. GRIN2A codiert für die α2-Untereinheit des N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptors. Mutationen in diesem Gen waren bei Patienten mit schwereren Formen dieses Spektrums deutlich häufiger. Mutationen fanden sich bei 4,9 % der Patienten mit BECTS, aber 17,6 % der Patienten mit CSWS [15]. In den beiden anderen Publikationen wurden Mutationen nur bei den schwereren Formen identifiziert [16, 17]. Weiterhin fanden sich bei 3 von 286 Patienten (1 %) Mikrodeletionen in GRIN2A [15]; GRIN2A stellt somit eine wichtige monogene Ursache für dieses Epilepsiesyndrom dar.

Ferner wurden Gene identifiziert, die das Erkrankungsrisiko für die idiopathische fokale Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes im Sinne eines komplexen Vererbungsmodus erhöhen. Bei 2 % der Patienten fanden sich Mikrodeletionen und Sequenzvarianten in den Genen RBFOX1 und RBFOX3 [18].

Epileptische Enzephalopathien

Bei epileptischen Enzephalopathien handelt es sich um meist früh im Leben beginnende Epilepsien, bei denen die Anfälle und die epilepsietypische Aktivität eine zunehmende Beeinträchtigung weiterer Hirnfunktionen hervorrufen. Typischerweise sind die Eltern der Kinder nicht betroffen, sodass entweder ein rezessiver Vererbungsmodus oder Neumutationen in Genen mit dominantem Effekt infrage kommen.

Inwieweit letztere Hypothese zutrifft, hat kürzlich das Epi4K-Konsortium in einer Gruppe von Probanden mit West-Syndrom und Lennox-Gastaut-Syndrom untersucht und in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht [19]. In diese Studie wurden 264 Trios aufgenommen, also erkrankte Kinder und ihre beiden nichtbetroffenen Eltern. Im Rahmen einer Exomsequenzierung wurden die codierenden Bereiche des gesamten Genoms sequenziert. Bei der Datenanalyse kam ein neuartiges Verfahren zum Einsatz, das die Mutationstoleranz der einzelnen Gene berücksichtigt. Es wurde geprüft, ob die in der Patientengruppe beobachtete Zahl an Neumutationen häufiger auftrat, als es aufgrund der Mutationstoleranz des jeweiligen Gens erwartet wurde. In der Studie wurden so neben Mutationen in bereits bekannten Genen (SCN1A, STXBP1, SCN8A, SCN2A, CDKL5) auch Mutationen in den bisher nichtbeschriebenen Genen GABRB3 und ALG13 identifiziert [19]. Diese Daten zeigen, dass eine ausgeprägte genetische Heterogenität innerhalb der epileptischen Enzephalopathien besteht und große Patientenkollektive notwendig sind, um weitere Gene zu identifizieren.

Bildgebende Untersuchungen

Die Bildgebung hat sich in den letzten Jahren durch Etablierung von Hochfeldscannern, verbesserten Spulen und Magnetresonanztomographie(MRT)-Geräten deutlich verbessert. Es konnte nachgewiesen werden, dass die klinische Anwendung von 3-T-MRT-Geräten helfen kann, den Anteil von MRT-negativen Patienten weiter zu reduzieren und bei 5–38 % der Patienten klinisch relevante Befunde aufzudecken [20, 21]. Insbesondere die Detektion von kortikalen Dysplasien wird durch höhere Feldstärken erleichtert [20, 21, 22, 23]. Auch für die Darstellung anatomischer Substrukturen, wie den hippokampalen Subfeldern, scheint die Hochfeldbildgebung ≥ 3 T besonders geeignet [24, 25]. Die Einführung automatisierter „Post-processing“-Techniken [26, 27, 28, 29, 30, 31], neuer MRT-Verfahren wie „Diffusion-tensor“-Bildgebung (DTI, [32, 33, 34, 35]) sowie multimodaler Bildgebung mit Integration von Daten der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), der Elektroenzephalographie (EEG) oder der Magnetoenzephalographie (MEG; [36, 37, 38]) hat die Detektion epileptogener Läsionen, wiederum v. a. der fokalen kortikalen Dysplasien, weiter verbessert [27, 28, 29, 31, 39, 40].

Die DTI wird v. a. in der präoperativen Diagnostik zur Darstellung eloquenter Faserbahnen mithilfe der Traktographie eingesetzt. In der Forschung erfolgversprechend scheint die Darstellung von Veränderungen der strukturellen Konnektivität auf Gruppenniveau durch DTI. Hier konnten z. B. die bisher aufgrund neurophysiologischer Daten vermuteten Veränderungen thalamokortikaler Netzwerke bei Patienten mit juveniler myoklonischer Epilepsie in mehreren Studien nachgewiesen werden [35, 41, 42], ebenso eine veränderte Konnektivität zwischen Hippocampus und limbischem System und Thalamus bei Patienten mit Hippocampussklerose [32, 33, 34, 43, 44].

Magnetresonanzbildgebung trägt entscheidend zur Charakterisierung der Epilepsien bei

Neben struktureller Konnektivität kann durch Anwendung des „resting state fMRT“ (rsfMRT) auch die funktionelle Konnektivität verschiedener Hirnregionen beurteilt werden. Bei Patienten mit idiopathisch generalisierten Epilepsien konnte eine von der Erkrankungsdauer abhängige, reduzierte funktionelle Konnektivität zwischen anteriomedialem Thalamus, medialem, präfontalem Kortex sowie zingulärem Kortex nachgewiesen werden [45]. Bei Patienten mit Hippocampussklerose zeigten sich Veränderungen der funktionellen Konnektivität, die sich mit denen der strukturellen Daten deckten [32]. Zusammenfassend hat sich die MR-Bildgebung in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt und entscheidend zur besseren Charakterisierung von Epilepsien beigetragen.

Therapie

„Sudden unexpected death in epilepsy“ und epilepsiebedingte Mortalität

Der plötzliche unerwartete Tod bei Epilepsie (Sudden unexpected death in epilepsy, SUDEP) ist die häufigste direkt durch die Epilepsie bedingte Todesursache und kommt v. a. bei Patienten mit chronischer, medikamentenrefraktärer Epilepsie vor [46, 47]. Eine prospektive Langzeitstudie zur Mortalität bei Kindern mit Epilepsie in Finnland zeigte eine gegenüber der Normalbevölkerung 3-fache Mortalität. Insgesamt wurden 245 Kinder seit 1964 nachbeobachtet, und 60 (24 %) verstarben während der 40-jährigen Nachbeobachtungszeit. Es waren 33 der 60 Todesfälle epilepsiebedingt, und neben dem SUDEP in 18 Fällen waren die Todesfälle auf Folgen epileptischer Anfälle, Status epilepticus oder Ertrinken zurückzuführen [48].

Kardiale Arrhythmien [49, 50], respiratorische Dysfunktion [51], Dysregulation der systemischen oder zerebralen Blutzirkulation [52] sowie anfallsinduzierte hormonelle und metabolische Veränderungen [53, 54] gelten als potenzielle Pathomechanismen bei SUDEP.

Die retrospektive, multizentrische Mortality in Epilepsy Monitoring Unit Study (MORTEMUS, [55]) erweitert das Verständnis der Pathomechanismen beim SUDEP. Hier wurden 16 SUDEP- und 9 Beinahe-SUDEP-Fälle ausgewertet, die stationär und meistens unter Überwachung mit EEG, Elektrokardiogramm (EKG) und Video auftraten. Bei den 10 aufgezeichneten SUDEP-Fällen kam es uniform zu einer initialen Hyperpnoe nach einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall (GTKA), gefolgt von einer transienten oder terminalen kardiorespiratorischen Dysfunktion innerhalb der ersten 3 min. Die Veränderungen waren mit einer generalisierten EEG-Suppression [56, 57] vergesellschaftet, und eine terminale Apnoe trat jeweils vor der Asystolie auf. Bei transientem Auftreten der initialen kardiorespiratorischen Dysfunktion kam es im weiteren Verlauf zu einer terminalen Apnoe und zum Herzstillstand innerhalb von 11 min nach dem Anfallsende. Bei allen bis auf einen aufgezeichneten Fall trat der SUDEP zwischen 19.30 und 6.00 Uhr auf. Kardiopulmonale Reanimationsmaßnahmen erfolgten bei 8 von 16 SUDEP-Fällen erst zwischen 13 und 180 min nach Anfallsende, in 7 von 9 Beinahe-SUDEP-Fällen bereits nach 1–3 min, sodass früh begonnene Reanimationsmaßnahmen wahrscheinlich einen SUDEP verhindern können. Das Gleiche gilt für die lückenlose nächtliche Supervision in Monitoring-Einheiten. Zusammenfassend sprechen die Daten für ein direkt nach dem GTKA auftretendes Versagen kardiorespiratorischer Funktionen [55].

Neben den GTKA als eigenständigem Risikofaktor wurde eine Polytherapie mit Antikonvulsiva als weiterer Risikofaktor für SUDEP angenommen. Eine Metaanalyse von Zulassungsstudien mit neuen „Add-on“-Medikamenten konnte zeigen, dass das SUDEP-Risiko in der Placebogruppe deutlich höher war als in der Gruppe mit einer aktiven Substanz in therapeutischer Höhe, sodass die Polytherapie an sich kein erhöhtes SUDEP-Risiko darstellt, sondern ein Surrogatmarker für die schlechte Anfallskontrolle ist [58]. Somit bleibt aktuell die Kontrolle von Anfälle und insbesondere von GTKA die beste Strategie einer SUDEP-Prävention.

Zuletzt stand die Therapie mit Lamotrigin in der Diskussion, mit einem höheren SUDEP-Risiko vergesellschaftet zu sein [59, 60, 61]; dies konnte aus Daten von randomisierten kontrollierten Studien nicht bestätigt werden [62]. Eine vor Kurzem veröffentlichte Studie [63] zu Schwangerschaften und SUDEP sowie epilepsiebedingter Mortalität im Vereinigten Königreich beschrieb eine 10-fach erhöhte Mortalität von 100 auf 100.000 Schwangerschaften. Es wurden 14 epilepsiebedingte Todessfälle, davon 11 mit SUDEP, im Zeitraum von 2006–2008 verzeichnet. Neun Frauen hatten Lamotrigin eingenommen und 7 davon als Monotherapie [63]. Auch wenn kein kausaler Zusammenhang festgestellt werden kann, sollten Lamotriginserumkonzentrationen in der Schwangerschaft strikt überwacht werden, um einen passageren Abfall und damit fehlende Anfallskontrolle zu verhindern.

Medikamentöse Therapie

In den letzten Jahren wurden 2 neue Antiepileptika für die Zusatztherapie bei Patienten mit fokal beginnenden Anfällen zugelassen. Zunächst Retigabin (RGB, Trobalt®), ein „First-in-class“-M-Typ-Kaliumkanalöffner, der 2011 zugelassen wurde. Im Jahr 2012 folgte Perampanel (PER, Fycompa®), ein als nonkompetitiver „α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic acid receptor“(AMPA)-Antagonist ebenfalls innovativer Wirkstoff. Bedauerlicherweise sind derzeit beide Substanzen in Deutschland außer Vertrieb gestellt, da der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) keinen Zusatznutzen gegenüber der „zweckmäßigen Vergleichssubstanz“ (in erster Linie Lamotrigin) feststellen konnte und damit in Deutschland keine auskömmliche Vergütung erfolgte. Dabei ist kurioserweise die rein formal fehlende Feststellbarkeit eines Zusatznutzens dadurch bedingt, dass die von den Zulassungsbehörden geforderten (Add-on-)Studien keine Daten zum Vergleich mit Lamotrigin liefern konnten. Zum Zeitpunkt der Studienplanungen war nicht bekannt, dass der G-BA Lamotrigin als Vergleichssubstanz wählen würde. Es ist zu befürchten, dass es in Zukunft in Deutschland aus den genannten formalen Gründen sehr schwer sein wird, neue Antiepileptika verfügbar zu machen (s. auch Stellungnahme der DGfE 2013, http://www.dgfe.info/home/).

Retigabin (Trobalt®, bis 2-mal  600 mg täglich) wurde zugelassen, nachdem 3 kontrollierte Add-on-Studien die signifikante Überlegenheit von Retigabin gegenüber Placebo nachweisen konnten. Da man zwischenzeitlich v. a. bei Patienten, die über längere Zeit höhere Dosen eingenommen hatten, Blauverfärbungen von Nägeln, Haut, Schleimhäuten und Retina beobachtet hat, wurde die Zulassung eingeschränkt, und zwar auf die „Zusatztherapie für pharmakoresistente fokale Krampfanfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei erwachsenen Patienten mit Epilepsie, bei denen andere geeignete Arzneimittel unzureichend wirkten oder nicht vertragen wurden“ (Fachinformationen Trobalt®).

Perampanel (2–12 mg/Tag, einmal tägliche Gabe) wurde zugelassen, nachdem mehrere kontrollierte Add-on-Studien die signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo nachweisen konnten [64, 65, 66]. Es hat eine Halbwertszeit von ca. 100 h; dies erlaubt die einmal tägliche Gabe. Die Halbwertszeit sinkt allerdings signifikant, wenn Induktoren (z. B. Carbamazepin) gleichzeitig verabreicht werden. Bisher hat sich die Substanz in der Praxis als wichtige weitere Behandlungsoption mit auch bei schwer behandelbaren Epilepsien z. T. großer Wirksamkeit bei relativ guter Verträglichkeit erwiesen. Die wichtigste Nebenwirkung stellt Schwindel dar, der in dosisabhängiger Häufigkeit etwa 30–60 min nach Einnahme auftritt. Allerdings sind die Tabletten derzeit weder retardiert noch teilbar, und da alle Tagesdosen denselben Preis haben, wäre die Gabe von 2-mal 4 mg anstelle von 1-mal 8 mg doppelt so teuer. Derzeit ist PER in Deutschland kostenfrei, aber nur über ein relativ kompliziertes „Named Patient Access Programm“ erhältlich. Eine Nutzenbewertung vor dem Hintergrund einer leicht angepassten Rechtslage lässt aber hoffen, dass es möglicherweise wieder in üblicher Form verfügbar werden könnte.

Zonisamid (ZNS) wurde auf der Grundlage einer Nichtunterlegenheitsstudie im Vergleich zu retardiertem Carbamazepin [67] zunächst für die Monotherapie fokal beginnender Anfälle bei Erwachsenen und kürzlich auch für die Kombinationstherapie fokal beginnender Anfälle bei Kindern zugelassen, nachdem eine kontrollierte Add-on-Studie einen signifikanten Nutzen belegen konnte [68]. Auch im einjährigen Langzeitverlauf war ZNS wirksam und tolerabel; hierbei wiesen 16,7 % der Kinder eine Körpergewichtsverlust von > 10 % auf [69].

Damit liegt eine Level-A-Evidenz für den Einsatz in der Monotherapie von Patienten mit fokal beginnenden Anfällen für die etablierten Antikonvulsiva Carbamazepin und Phenytoin und nun auch für Levetiracetam und Zonegran vor, sodass ein Wechsel von etabliertem auf neueres Antiepileptikum evidenzbasiert ist. Allerdings zeigt eine kürzlich publizierte Studie, die genau diesen Wechsel untersucht, dass Patienten, die unter einem etablierten Antikonvulsivum anfallsfrei sind, im Rahmen eines solchen Wechsels ein erhöhtes Rezidivrisiko von 22 % haben („odds ratio“, OR, = 6,53; [70]).

Ebenso liegt eine Level-A-Evidenz für den Einsatz von Valproat und Ethosuximid in der Monotherapie von Absencen des Schulkindesalters („childhood absence epilepsy“, CAE, [71]) vor.

Im Rahmen mehrerer Studien zur Wirksamkeit von Everolimus auf Wachstum und Größe subependymaler Riesenzellastrozytome („subependymal giant cell astrocytomas“, SEGA) bei Patienten mit tuberöser Hirnsklerose (TSC) wurde festgestellt, dass die Substanz in mehr als 50 % der Fälle auch einen deutlich positiven Einfluss auf die Anfallshäufigkeit hatte [72, 73, 74, 75, 76]. Aktuell läuft daher eine kontrollierte Studie zur antikonvulsiven Wirksamkeit der Substanz bei Patienten mit TSC und Epilepsie. Eine solche kausal in den mTOR-Stoffwechselweg eingreifende Therapieoption wäre für diese häufig von sehr refraktären Epilepsien geplagten Patienten sehr wünschenswert.

Was die Therapie akuter prolongierter Anfälle durch Laien und Pflegende angeht, steht erstmals eine (allerdings derzeit nur bei Kindern und Jugendlichen) zugelassene bukkale Applikationsform von Midazolam (Buccolam®) zu Verfügung. Es wird in körpergewichtsadaptierter Dosis aus Fertigspritzen in beide Wangen appliziert, wenn prolongierte Anfälle oder Anfall-Cluster auftreten sollten.

Einen Meilenstein der klinischen Forschung stellt die Neurodevelopmental Effects of Antiepileptic Drugs Trial dar.

Die Autoren [77] konnten nachweisen, dass auch in einem Alter von 6 Jahren die fetale Exposition gegenüber Valproat in dosiabhängiger Weise mit der Reduktion einer Reihe von kognitiven Fähigkeiten assoziiert ist und dass andererseits die perikonzeptionelle Folsäuregabe positiv mit dem Intelligenzquotienten des Kindes assoziiert ist. Damit liegt weitere hochrangige Evidenz dafür vor, dass a) eine insbesondere hochdosierte Valproinsäuregabe in der Schwangerschaft gemieden werden sollte und dass b) die perikonzeptionelle Folsäureprophylaxe positive Effekte hat.

Chirurgische Therapie

Eine kleinere, aber wichtige weil prospektive randomisierte Studie zur frühzeitigen operativen Therapie der mesialen Temporallappenepilepsie (MTLE) innerhalb von 2 Jahren nach Feststellung der Pharmakoresistenz [78] konnte belegen, dass die frühzeitige operative Therapie Vorteile hat [79]. Keiner der 23 konservativ, aber 11 der 15 operativ behandelten Patienten blieben in den der Operation folgenden beiden Jahren anfallsfrei (p < 0,001). Lebensqualität und soziale Teilhabe waren in der Gruppe der operierten Patienten deutlich, aber nicht signifikant besser als unter konservativer Therapie. Bei Patienten mit einer MTLE ist ein epilepsiechirurgischer Eingriff demnach eine hoch effektive Therapieoption, die frühzeitig, sobald Pharmakoresistenz gegenüber 2 Antikonvulsiva belegt ist, eingesetzt werden sollte.

In der operativen Epilepsietherapie gibt es einige hochinteressante neue Entwicklungen und Methoden. Zum einen werden auch außerhalb von Frankreich und Italien zunehmend Stereo-EEG-Elektroden eingesetzt, wodurch die Exploration von sulkalen und oberflächenfernen Kortexarealen ermöglicht wird. Dieser stereotaktische Zugang zum Gehirn erlaubt hochinnovative neurophysiologische Forschung (z. B. [80]). Zum andern wird aber auch die Exploration neuer therapeutischer Verfahren wie der Radiofrequenzthermokoagulation von epileptogenem Gewebe beflügelt. So berichten Cossu et al. [81] über 5 Patienten mit singulären periventrikulären nodulären Heterotopien (PVNH), von denen 4 langfristig anfallsfrei blieben, nachdem die PVNH thermokoaguliert worden waren. Andere Autoren setzten die Methode bei 41 Patienten mit diversen Störungen ein, von denen 20 (49 %) eine > 50 %ige Anfallsreduktion aufwiesen. Ein Patient wurde anfallsfrei. Die besten Ergebnisse wurden bei 20 Patienten mit kortikalen Dysplasien beobachtet, von denen 67 % eine > 50 %ige Anfallsreduktion aufwiesen [82]. In beiden Serien traten nur wenige Nebenwirkungen auf. Die bisher nur in den USA zugelassene stereotaktische Laserablation (SLA) erlaubt die kraniotomiefreie Therapie tief liegender epileptogener Läsionen wie hypothalamischer Hamartome (HH), aber auch von Hippocampussklerosen. Eine erste SLA-Studie an 14 Patienten mit HH berichtet über 12 (86 %) die nach einem medianen Follow-up von 9 Monaten anfallsfrei blieben. Bis auf eine asymptomatische Subarachnoidalblutung traten keine relevanten Komplikationen auf [83, 84]. Dies ist ein bezüglich des Therapieerfolgs, aber v. a. bezüglich der Sicherheit und Tolerabilität hervorragendes Ergebnis. Zur SLA-Therapie der mesialen Temporallappenepilepsie mit Hippocampussklerose liegen mehrere rezente Studien vor. So berichteten Willie et al. ≥ 6 Monate nach dem Eingriff über eine Anfallsfreiheit bei 6 von 9 Patienten (67 %) bei einen Gesichtsfelddefekt. Weitere Studien sind eindeutig erforderlich, um ggf. die Gleichwertigkeit oder Überlegenheit gegenüber einer resektiven selektiven Amygdalohippokampektomie zu belegen [83, 85].

Hirnstimulation

Nachdem schon vor einigen Jahren die tiefe Hirnstimulation (THS/“deep brain stimulation“, DBS) des anterioren Thalamuskerns (Stimulation of the Anterior Nucleus of Thalamus for treatment of refractory Epilepsy, SANTE, [86]) in Europa verfügbar wurde und nun von Epilepsiezentren in Europa in allerdings noch relativ geringem Maß eingesetzt wird, wurde im November 2013 durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die responsive Neurostimulation (RNS, Fa. Neuropace®, Mountain View, CA) zugelassen. Diese beruht auf der Detektion interiktaler und z. T. auch iktaler Aktivität mithilfe implantierter subduraler Streifen- oder Tiefenelektroden und einer durch die Aktivität getriggerten elektrischen Stimulation über eben diese Elektrode. Es handelt sich also um ein responsives „closed-loop system“ [87]. Die Zweijahresergebnisse aus dem unkontrollierten Follow-up zeigten stabile bzw. etwas bessere Ergebnisse mit 44 %iger Reduktion der Anfallsfrequenz nach einem und 53 %iger Reduktion nach 2 Jahren [88]. Es bleibt abzuwarten, ob und wann es zu einem Einsatz in Europa kommt. Die Methode erlaubt es, den Einfluss unterschiedlicher Stimulationsparadigmen auf die Frequenz von Anfällen und interiktaler epilepsietypischer Aktivität beim Menschen zu untersuchen.

Beide Methoden führen nach den Zulassungsstudien zu einer statistisch signifikanten Anfallsreduktion, wobei eine vollständige Anfallskontrolle die Ausnahme darstellte.

Sozialmedizinische Aspekte

Als Folge der Epilepsie entstehen für die Betroffenen und die Gesellschaft erhebliche gesundheitliche, sozialmedizinische und sozioökonomische Konsequenzen mit Einschränkungen in der Berufswahl und Mobilität sowie Stigmatisierung und Minderung der Lebensqualität [89, 90]. Erhebungen zu Krankheitskosten konnten keine Korrelation zwischen durch Frühberentung oder Arbeitslosigkeit verursachten indirekten Kosten und einer guten Anfallskontrolle nachweisen [91]. Dies wirft die Frage auf, wie eine Reintegration in den Arbeitsmarkt unterstützt werden kann.

Thorbecke et al. [92] untersuchten den Effekt von stationärer Rehabilitation nach Epilepsiechirurgie auf die Erwerbstätigkeit. In einer retrospektiven Studie wurden Patienten nach einem Eingriff am Temporallappen und auf Epilepsie spezialisierten Rehabilitationsbehandlung über 3 Wochen (n = 232) gegenüber einer historischen Kontrollgruppe (n = 119) verglichen, die vor der Einführung des Rehabilitationsprogramms operiert wurden. Die Anzahl der nichterwerbstätigen Patienten sank signifikant von 38,4 auf 27,6 % in der Rehagruppe, während in der Kontrollgruppe ein geringer Anstieg von 37,8 auf 42,1 % zu verzeichnen war. Positive Prädiktoren für eine Erwerbstätigkeit 2 Jahre nach dem Eingriff waren: Erwerbstätigkeit vor dem Eingriff, fehlende Persönlichkeitsstörungen, Alter unterhalb von 25 Jahren bei der Operation, eine stationäre Rehabilitationsbehandlung und eine postoperative Anfallsfreiheit.

Eine retrospektive Auswertung [93] aus den Epilepsieberatungsstellen in Gießen, Marburg und Schwalmstadt-Treysa konnte den hohen Bedarf an Epilepsieberatung aufzeigen und typische Beratungsinhalte darstellen. Zwischen 2008 und 2012 nutzte jährlich jeder 20. Patient (5,8 %) mit Epilepsie eine Epilepsieberatungsstelle. Zu den wichtigsten Beratungsinhalten gehörten Fragen rund um die Diagnose, die Beschäftigungssituation sowie die Fahreignung, Familienangelegenheiten mit Kindergarten/Schule sowie die Familienplanung und sozialmedizinische Hilfsmaßnahmen und Rehabilitationsmaßnahmen. Die Mehrheit der erwerbstätigen Klienten (52,1 %) berichtete über epilepsieassoziierte Probleme am Arbeitsplatz [93]. Die Epilepsieberatung ist ein integraler Bestandteil einer umfassenden Epilepsiebehandlung und sollte allen Menschen mit Epilepsie zugänglich sein.

Neues aus der experimentellen Epilepsieforschung

Seit einigen Jahren wird die Beteiligung des Immunsystems an der Entstehung von Epilepsien erforscht. Diese liegt schon deshalb nahe, weil die Entzündungsreaktion – trotz variabler Ausprägung im Einzelfall – eine prinzipiell recht uniforme Antwort des Körpers auf die verschiedensten Schädigungen darstellt, die man als Auslöser von Epilepsien findet. Eine Vielzahl von Effektormolekülen (Zytokine, Chemokine, Adhäsionsmoleküle, Zyklooxygenase, Transkriptionsfaktoren) und -zellen [Mikroglia, Monozyten, natürliche Killer(NK)-Zellen] des unspezifischen Immunsystems ist an der Epileptogenese beteiligt [94, 95]. Exemplarisch zeigt ein aktuelles Experiment, dass sich im Tierversuch die Entwicklung spontaner Anfälle nach albuminvermittelter Aktivierung von „transforming growth factor β“ (TGF-β) und nachfolgender Entzündungsreaktion durch den Angiotensin(AT)1-Antagonisten Losartan, der auch den TGF-β-Signalweg blockiert, verhindern lässt [96]. Allerdings ist regelmäßig zu beobachten, dass vielversprechende tierexperimentelle Ergebnisse sich nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen lassen. So lässt sich bei Ratten die Senkung der Anfallsschwelle durch wiederholte elektrische Hirnstimulation („kindling“) rückgängig machen, indem man den Tieren einen Inhibitor des „interleukin-converting enzyme“ (ICE, [97]) injiziert. Hierdurch wird die Neubildung des proinflammatorischen Zytokins Interleukin-1β gehemmt. Allerdings wurde eine klinische Phase-3-Studie zur Epilepsietherapie mit einem ICE-Inhibitor kürzlich aus noch nicht bekanntgegebenen Gründen abgebrochen.

Genetische Behandlung einer bereits etablierten „Epilepsie“ kann erfolgreich sein

Die Arbeitsgruppe Clinical und Experimental Epilepsy am University College London veröffentlichte erste Ergebnisse zu neuen Therapieansätzen im Tiermodell der fokalen neokortikalen Epilepsie [98]. Nach Injektion von Tetanustoxin in den Motorkortex entwickeln Ratten innerhalb von 3 Tagen klonische Anfälle, die über mehrere Wochen regelmäßig auftraten und kaum auf eine medikamentöse antikonvulsive Therapie ansprachen. Ein Lentivirus, das die Gene für die aus einem Archebakterium stammende Chloridpumpe Halorhodopsin und ein hieran gekoppeltes Fluoreszenzprotein enthielt, wurde in die epileptogene Zone injiziert. Die erfolgreiche Transduktion des Halorhodopsinkomplexes überwiegend in exzitatorische Pyramidenzellen konnte nachgewiesen werden. Eine intrazerebrale optische Stimulation des Komplexes mithilfe eines Fiberoptiklasers führte zur Aktivierung von Halorhodopsin und damit zur Stabilisierung des Membranpotenzials der Pyramidenzellen. Durch diesen optogenetischen Ansatz kam es während der Stimulationsphase zu einer Reduktion der Frequenz von EEG-Anfallsmustern um ca. 50 %. Hiermit war der Nachweis gelungen, dass eine lokale intermittierende Inhibition von Pyramidenzellen im Bereich der epileptogenen Zone zu einer Abnahme der Exzitabilität führen kann. Um den Effekt der chronischen Stabilisierung des Membranpotenzials auf die Entstehung und Aufrechterhaltung von Epilepsien zu prüfen, wurde eine Transduktion der Pyramidenzellen im Motorkortex mit einem spannungsabhängigen Kaliumkanal (Kv1.1) mithilfe eines Lentivirus durchgeführt. Bei gleichzeitiger Injektion von Tetanustoxin und Lentivirus ließ sich die Entwicklung anfallsähnlicher Entladungen vollständig verhindern. Erfolgte die Transduktion eine Woche nach der Injektion von Tetanustoxin, kam es über 4 Wochen zum fast vollständigen Sistieren der anfallsähnlichen Muster. Das Verhalten der Tiere änderte sich bei beiden Experimenten während einer mehrwöchigen Beobachtungsperiode nicht. Klinisch und histologisch ließ sich keine Hirnschädigung nachweisen. Die Ergebnisse sind aus 2 Gründen besonders bedeutsam: Zum einen stellt der optogenetische Ansatz eine Weiterentwicklung im Vergleich zur bereits eingesetzten elektrischen Hirnstimulation dar, weil eine spezifische Inhibition bestimmter Zellen in eng umschriebenen Hirnarealen möglich ist. Zum anderen zeigt die erfolgreiche „Langzeittherapie“ durch Kaliumkanaltransduktion, dass die genetische Behandlung einer bereits etablierten „Epilepsie“ erfolgreich sein kann. Die Etablierung von Biomarkern der Epilepsie sowie Grundlagen der Epileptogenese und neue Therapiestrategien sind Teile mehrerer vor wenigen Monaten begonnener EU-geförderter Großprojekte mit einer Dauer von je 5 Jahren im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms (Fördervolumen 9 bis 12 Mio. € je Projekt):

  • Das Projekt „Development and Epilepsy: Strategies for Innovative Research to improve diagnosis, prevention and treatment in children with difficult to treat Epilepsy“ (DESIRE; Koordinator: R. Guerrini, Florenz; Deutsche Beteiligung: I. Blümcke, Erlangen) untersucht die genetischen und epigenetischen Hintergründe sowie die Therapie von Epilepsien des Kindesalters und hat hierbei auch die Etablierung von Biomarkern zum Ziel.

  • Das Projekt „Long-term, prospective study evaluating clinical and molecular biomarkers of epileptogenesis in a genetic model of epilepsy – tuberous sclerosis complex“ (EPISTOP; Koordinator: S. Jóźwiak, Warschau; Deutsche Beteiligung: B. Weschke, Charité, Berlin) widmet sich dem Tuberöse-Sklerose-Komplex (TSC). In longitudinalen Studien über 2 Jahre wird die Entwicklung der EEG-Befunde bei Kindern mit TSC verfolgt. Weiterhin werden molekulare Biomarker untersucht. Zentraler Teil des Projekts ist eine Studie, bei der TSC-Patienten, die bislang keine epileptischen Anfälle erlitten haben, aber bereits epilepsietypische Potenziale im EEG zeigen, präventiv mit Vigabatrin behandelt werden. Die Kontrollgruppe bleibt unbehandelt, solange keine Anfälle auftreten. Hierdurch soll überprüft werden, ob sich die Epileptogenese durch eine antikonvulsive Medikation aufhalten lässt.

  • Das Projekt „MicroRNAs in the Pathogenesis, Treatment and Prevention of Epilepsy“ (EpimiRNA; Koordinator: D. Henshall, Dublin; Kokoordinator F. Rosenow, Marburg; weitere deutsche Beteiligung: H. Hamer, Erlangen) untersucht die Rolle der mikroRNA (miRNA) bei Entstehung, Behandlung und Prävention von Epilepsien. Bei miRNA handelt es sich um 1993 erstmals beschriebene kurze nichtproteincodierende RNA-Abschnitte, die an messenger-RNA (mRNA) binden und zu deren Abbau führen können. Hierdurch regulieren miRNA die Translation und die Proteinsynthese. Beim Menschen sind mehr als 1600 miRNA bekannt, und die Expression der Hälfte aller Gene wird durch miRNA geregelt. Im Tiermodell wurden bereits Assoziationen verschiedener miRNA mit der Entstehung von Epilepsien nachgewiesen. Beispielsweise wird die hirnspezifische miRNA-134 während der Epileptogenese hochreguliert. Die Antagonisierung von miRNA-134 führt zu einer Resistenz gegen experimentell induzierte Anfälle [99]. EpimiRNA untersucht in vitro und in vivo sowohl im Tiermodell als auch in klinischen Studien den Einfluss von miRNA auf die Epileptogenese und auf den Therapieeffekt elektrischer Hirnstimulation.

  • Im Projekt „Targets and biomarkers for antiepileptogenesis“ (EPITARGET; Koordinator: M. Kokaia, Lund; Deutsche Beteiligung: A. Becker, Bonn; W. Löscher sowie J. und M. Bankstahl, Hannover) werden Biomarker der Epileptogenese und kombinatorische Pharmakotherapien zur Beeinflussung der Epileptogenese erforscht.

EPITARGET ist wegen inhaltlicher und personeller Gemeinsamkeiten eng mit dem neuen Sonderforschungsbereich (SFB) 1089 „Funktion synaptischer Mikronetzwerke und deren Störungen bei Erkrankungen des Zentralnervensystems“ (Sprecher: H. Beck) assoziiert, der im Juli 2013 an der Universität Bonn etabliert wurde und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Die Funktion der Mikronetzwerke soll insbesondere im Hinblick auf Epilepsien und Alzheimer-Krankheit untersucht werden. Von den genannten Projekten sind in den kommenden 5 Jahren relevante Beiträge zur Krankheitsentstehung und Therapie der Epilepsien zu erwarten.

Fazit für die Praxis

  • Es gibt für Epilepsiepatienten eine Reihe relevanter Entwicklungen.

  • Dazu gehören die neue Epilepsiedefinition, Präventionsstrategien für den SUDEP, eine verbesserte MRT-Bildgebung und neue genetische Befunde sowie die Zulassungen neuer Antiepileptika (v. a. von PER) und Zulassungserweiterungen von ZNS.

  • Neue vielversprechende chirurgische Therapieansätze, einschließlich der Hirnstimulation, und von Ablationstechniken werden derzeit erprobt und könnten in der Zukunft klinisch bedeutsam werden.