In den letzten Jahren wurden zahlreiche neue ALS (amyotrophe Lateralsklerose)-Gene entdeckt (Abb. 1). Der Gesamtanteil an Patienten, die unter einer familiären Form der amyotrophen Lateralsklerose (fALS) leiden (d. h. es findet sich mindestens ein weiterer Verwandter mit ALS in der Familie), rangiert in retrospektiven Studien zwischen 0,8 und 13,5 % und in prospektiven Studien sogar zwischen 17 und 23 %, wobei erste verlässliche deutsche Zahlen aus einem eigenen Kollektiv mit 4,5 % der prospektiven Fälle den Anteil von fALS-Patienten am Gesamtkollektiv deutlich geringer einschätzen lassen (Rosenbohm et al., nicht publiziert). Grund für diese Diskrepanzen mögen zahlreiche Faktoren sein, die sowohl in wissenschaftlichen Studien als auch im klinischen Alltag die Identifizierung der ALS-Patienten, die einen Mendel-Erbgang aufweisen, erschweren. Hierzu zählen unter anderem abnehmende Familiengrößen, inkomplette Familienanamnesen oder manchmal inkomplette Penetranz der Gendefekte.

Abb. 1
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Zeitverlauf der Entdeckung einiger ALS-Gene. Blau unterlegt sind die 4 häufigsten Gene C9ORF72, SOD1, TARDBP und FUS, weiß unterlegt die 3 jüngst entdeckten ALS-Gene

Klinisches Vorgehen

Für den Kliniker relevant sind insbesondere diejenigen „Fallstricke“, welche sich durch eine gründliche Familienanamnese zumindest teilweise beseitigen lassen. Hierzu zählen neben dem direkten Kontakt zum Patienten selbst häufig auch das Gespräch mit und die klinische Untersuchung von Familienangehörigen sowie die Aufarbeitung der jeweiligen Krankengeschichten, welche allerdings in vielen Fällen nur unzureichend dokumentiert sind. Häufig zeigen sich auch in der Familienanamnese bei genauerem Hinsehen Fehldiagnosen bei erkrankten Verwandten des Patienten („multiple Sklerose“, „Alzheimer“, sogar „Schizophrenie“), sodass retrospektiv eine korrekte Diagnosestellung nicht oder kaum möglich ist und die Familienanamnese somit fälschlicherweise als negativ gewertet wird. Viele Patienten scheuen sich darüber hinaus, über neurologische Erkrankungen aus dem Familienkreis zu berichten, wenn diese eine genetische Komponente implementieren könnten. Die Tatsache, dass sich bei derselben Genmutation der Krankheitsverlauf und die klinische Symptomatik nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb von Familien stark unterscheiden können, macht es insbesondere für den medizinischen Laien schwer, spontan mögliche Fälle derselben Erkrankung im Familienkreis zu identifizieren und zu berichten. Gesellschaftliche Faktoren spielen bei der Diagnosefindung und Anamneseerhebung ebenfalls eine Rolle, häufig besteht kein ausreichend enger Kontakt zwischen den einzelnen Familienmitgliedern. Die Tatsache, dass Familien heute immer kleiner werden, lässt die Wahrscheinlichkeit der Identifizierung genetischer Erkrankungen innerhalb dieser Verbände sinken. Auch Illegitimität der Kinder bzw. unklare Vaterschaften sind zu bedenken. Früher Tod von Genträgern, ggf. schon vor dem Ausbrechen der Erkrankung an anderen Ursachen sowie inkomplette Krankheitspenetranz sind weitere wichtige Faktoren.

Familiäre vs. sporadische amyotrophe Lateralsklerose

Zwar gibt es einige besondere Charakteristika, die das Vorliegen einer Genmutation vermuten lassen müssen, eine klare Unterscheidung zwischen fALS und sporadischer ALS (sALS) ist allerdings mit klinischen Kriterien nicht möglich. Darüber hinaus gibt es weitere Merkmale, die eine Trennung erschweren: Genmutationen, die bei familiären Verlaufsformen bekannt sind, konnten auch, wenngleich selten, bei sporadischen Fällen nachgewiesen werden. Verwandte ersten Grades von sALS-Patienten zeigen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für ALS und andere neurodegenerative Erkrankungen [8]. Ähnliche Einschlusskörperchen konnten neuropathologisch bei Patienten mit fALS und sALS nachgewiesen werden [10], auch wirken die Liquores von sALS- und fALS-Patienten gleichermaßen toxisch auf kultivierte Neurone [18]. Zuletzt wurde bislang kein Unterschied in Bezug auf die Wirksamkeit von Riluzol bei beiden Krankheitsgruppen nachgewiesen [15]. Die Differenzierung zwischen sALS und fALS ist somit insbesondere von Interesse in Hinblick auf die genetische Beratung und zukünftige, beispielsweise genspezifische Therapieansätze. Die Diagnose einer genetisch bedingten ALS schließt die Möglichkeit eventueller Umwelteinflüsse, endogener oder epigenetischer Faktoren nicht aus. Insgesamt besteht aktuell eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die Diagnose einer fALS [4, 5, 16, 17]. Von Bynre et al. [4] wurde eine Einteilung der fALS in möglich, wahrscheinlich und definitiv vorgeschlagen. Diese Einteilung lehnt sich an die übliche allgemeine ALS-Klassifizierung an und berücksichtigt die Tatsache, dass ALS-assoziierte Gene nur für einen gewissen Prozentsatz von Erkrankungen verantwortlich sind sowie dass der Nachweis zweier oder mehr erkrankter Individuen innerhalb einer Familie bei einem Lebenszeitrisiko für die Erkrankung von 1:300–400 nicht zwangsläufig einen genetischen Hintergrund beweist. Bei der fALS liegt meist ein Mendel-Vererbungsmodus vor, die häufigsten Vererbungsmuster sind der autosomal-dominante Erbgang mit kompletter oder inkompletter Penetranz sowie seltener ein rezessiver Erbgang. Häufig werden hier fALS-Fälle mit geringer oder verminderter Penetranz (etwa 0,5 bis sogar 0,9) als sporadisch fehldiagnostiziert.

Superoxiddismutase 1

Die Superoxiddismutase 1 (SOD1) wird in allen Zellen des menschlichen Körpers exprimiert. Die einzige bekannte physiologische Funktion ist die Katalyse des Hyperoxid-Anions (früher Superoxid-Anion). In Verbindung mit einem katalysierenden Cu+-Ion und einem stabilisierenden Zn2+-Ion bilden diese Untereinheiten, die sich wiederum zu SOD1-Homodimeren verbinden. Im Jahr 1993 wurden durch ein internationales Konsortium 11 Missense-Mutationen beschrieben [14]. Seitdem wurden mehr als 166 mit fALS assoziierte SOD1-Mutationen entdeckt, davon sind 147 Missense-Mutationen, die übrigen 19 sind Nonsense-Mutationen oder Deletionen. Darüber hinaus wurden 8 stille und 9 meist nichtpathogene Mutationen im Intronbereich beschrieben. Die meisten SOD1-Mutationen lassen sich, da im Exonbereich liegend, relativ einfach durch eine Standardsequenzierung der Exone und flankierenden Introne nachweisen. Insgesamt finden sich Mutationen des SOD1-Gens bei etwa 10–20 % aller familiären ALS-Erkrankungen (Abb. 2) und bei etwa 3 % aller sporadischen Fälle. Meist handelt es sich um einen autosomal-dominanten Erbgang, nur in seltenen Fällen (D90A-Mutation) wird die SOD1-assoziierte ALS rezessiv vererbt. Aktuell wird vermutet, dass SOD1-Mutationen durch eine neu erworbene zytotoxische Aktivität zu einer Degeneration neuronaler Verbände führen. Die genauen Hintergründe dieser vermuteten zytotoxischen Wirkung sind bisher jedoch weitestgehend unklar. Ebenso kritisch diskutiert werden muss die Annahme, dass alle der bisher bekannten SOD1-Mutationen tatsächlich pathogen sind. Eine Untersuchung in Familien mit mehreren erkrankten Mitgliedern konnte zeigen, dass 2 der bisher bekannten Mutationen auch bei nicht erkrankten Verwandten auftraten oder dass umgekehrt einige fALS-Patienten innerhalb dieser Verbände keine Mutationsträger waren [9]. Diese Erkenntnisse spielen eine wichtige Rolle insbesondere in Hinblick auf die genetische Beratung von Patienten und deren Angehörigen. Darüber hinaus stellen sie einen weiteren Baustein in Hinblick auf ein mögliches oligo- oder polygenetisches Erklärungskonzept der fALS dar [9].

Abb. 2
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Häufigkeit der wichtigsten ALS (amyotrophe Lateralsklerose)-Genmutationen in der Ulmer Kohorte familiärer ALS-Patienten

TAR-DNA-bindendes Protein (TDP-43)

Das Gen TARDBP (TAR-DNA-bindendes Protein) kodiert für das Protein TDP-43, das an der RNA-Prozessierung beteiligt ist. Neuronale zytoplasmatische Einschlusskörperchen, die TDP-43 enthalten, wurden sowohl bei Patienten mit ALS als auch mit frontotemporaler Demenz (FTD) nachgewiesen. Seit 2008 wurden insgesamt 44 heterozygote Mutationen beschrieben, die meisten davon innerhalb von ALS-Familien. Fast alle Mutationen finden sich am C-Terminus und sind – mit wenigen Ausnahmen – Missense-Mutationen [6]. Die Mutationen verursachen in neuronalen Zellen und Gliazellen des Rückenmarks eine Umverteilung von TDP-43 aus dem Nukleus in das Zytoplasma. TARDBP-Mutationen finden sich in etwa 4–6 % aller fALS-Fälle (Abb. 2) und 0–2 % aller sporadischen Fälle. Die Mutation folgt einem autosomal-dominanten Erbgang. Phänotypisch sind diese Mutationen meist mit einer „klassischen“ ALS vergesellschaftet. In einigen Fällen wurden jedoch auch begleitende kognitive Defizite, manchmal bis hin zu einer fulminant verlaufenden FTD beschrieben. Weiterhin finden sich ALS-Fälle mit begleitenden extrapyramidalen Symptomen, FTD mit Parkinson-ähnlichen Symptomen ohne Motoneurondegeneration und sogar gesicherte reine Parkinson-Erkrankungen.

„Fused in sarcoma“

Das Protein „fused in sarcoma“ (FUS) ähnelt strukturell TDP-43 und spielt eine Rolle bei der Regulation von Transkriptionsfaktoren (N-Terminus) und ähnlich wie TDP-43 bei RNA-Prozessierung und -Transport. Bisher wurden über 42 Mutationen beschrieben. Zum Großteil handelt es sich hierbei um Missense-Mutationen in den Exonen 14 und 15, die für den C-Terminus des Proteins kodieren [19]. Wie bei TARDBP-Mutationen findet sich auch bei FUS-Mutationen meist die klassische klinische ALS-Verlaufsform. Allerdings wurden auch hier einige Fälle mit kognitiven Defiziten, FTD-ALS, ALS mit Parkinson-ähnlichen Symptomen oder einer reinen FTD (ohne begleitende ALS) beschrieben. FUS-Mutationen werden in etwa 4–6 % aller fALS-Fälle beobachtet und werden autosomal-dominant vererbt. Darüber hinaus konnten FUS-Mutationen als eine seltene Ursache sporadischer ALS-Verläufe identifiziert werden [12]. Insbesondere bei jungen Patienten mit einem aggressiven Krankheitsverlauf kann der Verdacht auf Vorliegen einer De-novo-FUS-Mutation begründet sein (eigene unveröffentlichte Daten). In diesen Fällen kann somit auch bei einer negativen Familienanamnese eine genetische Testung weiterführend sein.

Mutationen im „open reading frame 72“ auf Chromosom 9 (C9orf72)

Bereits im Jahr 1991 wurde eine gemeinsame genetische Grundlage als Ursache sowohl für fALS als auch für familiäre FTD vermutet. Grundlage hierfür war eine Häufung beider Erkrankungen mit einer Weitergabe über mehrere Generationen hinweg in einer großen Familie [11]. Kopplungsanalysen in dieser und später in Familien mit ähnlichen Stammbäumen legten einen gemeinsamen Genort auf Chromosom 9p21.2 nahe, der jedoch nicht nur eine wichtige Rolle bei familiären (und vereinzelten sporadischen) ALS-Erkrankungen, sondern auch bei ALS-FTD, ALS mit Parkinson-ähnlichen Symptomen und reiner FTD zu spielen schien. Im Herbst des Jahres 2011 konnte schließlich der ursächliche Gendefekt identifiziert werden. Es handelt sich hierbei um eine massive Expansion eines Hexanukleotids (GGGGCCn) im Intronbereich des Gens C9orf72 auf Chromosom 9 [7, 13]. Während Normalprobanden im Regelfall nicht mehr als ca. 23 dieser Repeats aufweisen – wobei bislang kein sicherer pathologischer „Cut-off-Wert“ bekannt ist –, können bei Patienten mit einer ALS oder FTD Expansionen mit über 2000 Repeats beobachtet werden. Etwa 25 bis 30 % aller fALS-Erkrankungen in Europa (und etwa 11 % aller familiären FTD-Fälle) sind mit einer C9orf72-Expansion assoziiert (Abb. 2). Diese Mutation stellt somit die häufigste bekannte Ursache genetisch bedingter ALS-Erkrankungen dar. Methodisch ist es allerdings nicht einfach, diese in der klinischen Routine nachzuweisen. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere aus der relativ großen Ungenauigkeit der Polymerasekettenreaktion als Screeningmethode für Expansionen (falsch negative und auch falsch positive Ergebnisse), die zudem auch keine Bestimmung der Repeatlänge ermöglicht. Deutlich empfehlenswerter, allerdings auch aufwendiger und methodisch schwieriger, ist eine möglichst genaue Repeatlängenbestimmung mittels Southern Blot ([3]; eigene unveröffentlichte Untersuchungen), die unseres Erachtens auch erst die für die klinisch genetische Diagnostik ausreichend sichere Feststellung oder den Ausschluss der Mutation erlaubt. Von besonderem Interesse ist die Frage nach einer möglichen Korrelation zwischen Repeatlänge und klinischer Symptomatik. Bislang existieren hierzu jedoch aufgrund der methodischen Schwierigkeiten nur wenige Studien mit uneinheitlichen Ergebnissen ([3]; eigene unveröffentlichte Daten).

Seltenere Mutationen

Zu den selteneren fALS-assoziierten Mutationen zählen unter anderem rezessive Mutationen im ALS2-Gen (kodiert das GTPase-regulierende Protein Alsin), Missense-Mutationen im Senataxin (STX)-Gen, im Angiogenin (ANG)-Gen und im Profilin-1 (PFN1)-Gen, X-chromosomal vererbte Mutationen im Ubiquilin-2 (UBQLN2)-Gen, Mutationen im Optineurin- (OPTN)-Gen und Mutationen in den Genen, die für das Protein VCP („valosin-containing protein“) und das Membranprotein VAPB („vesicle-associated protein B“) kodieren. Einen Überblick über die wichtigsten Mutationen bietet Tab. 1.

Tab. 1 ALS (amyotrophe Lateralsklerose)-assoziierte Gene

Bedeutung für die Klinik und genetische Testung

Bislang ist nicht für alle Mutationen in den oben beschriebenen Genen die Pathogenität gesichert. Am besten belegt ist diese für die meisten bekannten Mutationen in SOD1, FUS, TARDBP als Ursachen klassisch verlaufender ALS-Erkrankungen im Erwachsenenalter [1] sowie für C9orf72. Bei der genetischen Beratung von ALS-Patienten muss bedacht werden, dass nur wenige Fälle durch eine Genmutation erklärt werden können. Im Wesentlichen wird empfohlen, nur Patienten mit einer positiven Familienanamnese zu testen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nicht nur eindeutige motoneuronale Symptome gewertet werden dürfen. Die ALS und FTD werden heute als 2 Enden eines Kontinuums gesehen, und beide Erkrankungen können innerhalb einer Familie durch die gleiche Genmutation verursacht sein. Besondere Beachtung sollten daher kognitive und Verhaltensänderungen, welche z. B. auf eine FTD deuten könnten, sowie auch psychiatrische Erkrankungen und Diagnosen (erste vorläufige Daten legen einen möglichen Zusammenhang zwischen „Spätpsychosen“ und C9orf72-Mutationen nahe), Bewegungsstörungen (Parkinson-ähnliche Symptome, Ataxien) und Glaukome bzw. Sehstörungen finden. Insbesondere bei atypisch verlaufenden Erkrankungen (z. B. bei sehr jungen Patienten) kann darüber hinaus eine genetische Testung auch bei unauffälliger Familienanamnese weiterführend sein. In der klinischen Routine kann entsprechend der jeweiligen Häufigkeit unter familiären Fällen die Testung von Mutationen in C9orf72, SOD1, TARDBP und FUS empfohlen werden – ggf. erweitert durch OPTN-, VCP- und UBQLN2- und – bei juvenilen Fällen – STX- und ALS2-Testung. Auf Untersuchungen anderer Gene oder von Einzelnukleotidpolymorphismen („single nucleotid polymorphisms“, SNPs), wie sie von einigen kommerziellen Laboratorien angeboten werden, sollte im Rahmen einer sinnvollen und fundierten klinischen Diagnostik verzichtet werden. Eine genetische Testung von Patienten kann helfen, eine klinisch unklare Diagnose frühzeitig zu erkennen und den Patienten somit einer raschen Therapie zuzuführen oder bei unklaren Therapieentscheidungen diese erleichtern. Darüber hinaus kann der Nachweis von Mutationen, die mit bestimmten Phänotypen assoziiert sind, einen prognostischen Wert haben. Während beispielsweise SOD1-assoziierte ALS-Fälle einen Verlauf zeigen, der sich nicht wesentlich von dem einer sporadischen ALS unterscheidet, hat sich herausgestellt, dass Mutationen in C9orf72 mit einer deutlich schnelleren Krankheitsprogression, mehr FTD-Komorbidität und häufigerem bulbärem Beginn der Erkrankung einhergehen. Natürlich darf eine genetische Testung nur nach eingehender Beratung bezüglich möglicher Implikationen erfolgen. Auch muss bedacht werden, dass durch die Testung eines Patienten de facto auch stets alle Blutsverwandten in die Diagnostik mit einbezogen werden, was neben psychologischen auch rechtliche Konsequenzen haben kann. Noch problematischer ist die Situation bei der Testung möglicher präklinischer Mutationsträger, da aufgrund der unterschiedlichen Penetranz ALS-assoziierter Gene bei positiven Ergebnissen nur in manchen Fällen eine fundierte Prognose bezüglich des tatsächlichen Erkrankungsrisikos abgegeben werden kann. Eine Empfehlung kann sein, eine genetische Testung nichtbetroffener Familienmitglieder nur auf besonderen Wunsch und in Familien mit hochpenetranten Mutationen wie SOD1, FUS oder TARDBP (zu C9orf72 existieren noch keine hinreichenden Daten) durchzuführen. Dabei ist zu beachten, dass aktuell keine etablierte präklinisch anwendbare Therapieoption besteht. Nach aktueller Gesetzeslage muss zudem vor der Testung von möglichen prämanifesten Mutationsträgern eine Beratung durch einen Facharzt für Humangenetik erfolgen. Richtlinien für die Testung präsymptomatischer Genträger wurden 2005 durch die European Federation of Neurological Societies veröffentlicht [2].

Fazit für die Praxis

  • Etwa 5–20 % aller ALS-Erkrankungsfälle zeigen eine familiäre Häufung und damit einen potenziellen genetischen Hintergrund. Bei der Erhebung der Familienanamnese sollten neben klassischen motoneuronalen Symptomen auch Demenzen, psychiatrische Erkrankungen und Bewegungsstörungen erfragt werden.

  • Die für die Praxis angesichts ihrer Häufigkeit besonders relevanten Gene sind (in dieser Reihenfolge) C9orf72, SOD1, FUS und TARDBP. Sowohl bei familiären als auch bei sporadischen Fällen sollte eine atypische Verlaufsform oder diagnostische Unsicherheit an eine genetische Testung denken lassen. Beispielsweise ist bei besonders jungen ALS-Patienten (< 35 Jahre) eine vorrangige Testung von FUS sinnvoll.

  • Aufgrund der Schwere der Erkrankung und des variablen prognostischen Wertes sollte eine genetische Testung nur mit Einverständnis und nach gründlicher Aufklärung des Patienten und nach Möglichkeit der übrigen Familienmitglieder erfolgen.

  • Die Testung klinisch (noch) nicht manifester möglicher Mutationsträger sollte nur auf klaren Wunsch des Risikoträgers angestrebt werden und darf dann nur nach Beratung durch einen humangenetischen Facharzt erfolgen.