Der überwiegende Teil der Schlaganfälle (>80%) ist ischämisch bedingt und beruht auf einem plötzlichen Verschluss zerebraler Arterien [29]. In den meisten Fällen sind dafür Emboli verantwortlich, die aus atherosklerotisch veränderten Gefäßen am Hals (extrakraniell) bzw. dem Gehirn selbst (intrakraniell) stammen oder kardialen Ursprungs sind (z. B. bei Vorhofflimmern). Dementsprechend zielt die derzeitige Akuttherapie des Schlaganfalls darauf ab, das verschlossene Gefäß durch Auflösung des Thrombus möglichst rasch wiederzueröffnen (Thrombolyse). Dazu wird als einziges zugelassenes Medikament der sog. rekombinante Gewebeplasminogenaktivator (rt-PA) verwendet.

Aufgrund seines engen therapeutischen Zeitfensters von 4,5(–6) h nach Symptombeginn und multipler anderer Kontraindikationen erhalten jedoch sogar auf überregional zertifizierten Stroke-Units in Deutschland im Durchschnitt nur ca. 14–16% aller Schlaganfallpatienten rt-PA [68]. Hinzu kommt, dass rt-PA das Blutungsrisiko für systemische und intrakranielle Blutungen signifikant erhöht. Dieses Blutungsrisiko steigt, je länger sich der Therapiebeginn verzögert. Gleichzeitig nimmt die Effektivität von rt-PA ab [46]. Die Zeitabhängigkeit einer thrombolytischen Therapie wurde kürzlich durch zwei weitere Studien untermauert, welche die Wirksamkeit und Sicherheit des neuen Plasminogenaktivators Desmoteplase bzw. des gegen Fibrinogen gerichteten Wirkstoffs Ancrod im 9- bzw. 6-Stunden-Zeitfenster nach Schlaganfall untersuchten und beide negativ ausfielen [38, 47].

Ganz ähnlich sieht die Situation in der (frühen) Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfälle aus. Hierfür kommen Thrombozytenfunktionshemmer (TFH) oder, bei nachgewiesener kardialer Emboliequelle, Antikoagulanzien wie beispielsweise Phenprocoumon (Marcumar®) zum Einsatz. Die Wirksamkeit dieser Substanzen ist ebenfalls limitiert (insbesondere TFH) und die Anwendung geht mit einem signifikant erhöhten Blutungsrisiko einher (insbesondere Antikoagulanzien), wodurch das Nutzen-Risiko-Verhältnis geschmälert wird [40]. Auch bei den neueren TFH (z. B. Terutroban, Cilostazol, Prasugrel) und oralen Antikoagulanzien (direkte Thrombininhibitoren, FXa-Hemmer) bleibt dieses Problem grundsätzlich weiter bestehen [10, 69, 76], wobei sich für letztere ein signifikanter Vorteil hinsichtlich intrakranieller Blutungsereignisse abzeichnet [16]. Eine ausführliche Bewertung der umfangreichen Literatur zu den neuen oralen Antikoagulanzien in klinischer Entwicklung erfolgte kürzlich von Veltkamp und Hacke [76], worauf an dieser Stelle verwiesen wird.

Obwohl Thrombozyten und die plasmatische Blutgerinnung also seit vielen Jahren zentrale therapeutische Zielstrukturen bei akuten zerebralen Durchblutungsstörungen sind, ist ihre genaue pathophysiologische Rolle erstaunlicherweise kaum untersucht und die räumliche und zeitliche Sequenz der molekularen Prozesse der Thrombusbildung im ischämischen Gehirn weitgehend unklar [72].

Die folgende Übersicht fasst neue pathophysiologischen Erkenntnisse zur Funktion von Blutplättchen und plasmatischer Blutgerinnung im Schlaganfallmodell zusammen und referiert innovative antithrombotische Therapiestrategien aus der präklinischen Entwicklung an der Schwelle zur klinischen Testung.

Modell der transienten Fadenokklusion der A. cerebri media

Sämtliche im Folgenden dargestellten Ergebnisse wurden am Modell der sog. transienten Okklusion der A. cerebri media (MCA; „transient middle cerebral artery occlusion“, tMCAO) in der Maus erhoben, weshalb dieses Schlaganfallparadigma zunächst kurz eingeführt wird. Bei der tMCAO wird der Hauptstamm der MCA mittels eines mikrochirurgisch über die A. carotis interna (ACI) eingebrachten Fadens verschlossen, was eine Infarzierung abhängiger Hirnareale zur Folge hat. Der Vorteil des Modells liegt darin, dass der Faden wieder aus dem Gefäß entfernt werden kann und sich so eine Reperfusion des betroffenen Gewebes erreichen lässt. Es handelt sich bei der tMCAO also um ein Ischämie/Reperfusionsmodell [11]. Aufgrund der guten Reproduzierbarkeit von Infarktgröße und funktionellen Ausfällen ist die tMCAO das derzeit am weitesten verbreitete Schlaganfallmodell.

Zudem ist bei der tMCAO bekannt, dass es ähnlich wie bei einigen Patienten nach Thrombolyse [17] trotz erfolgreicher Rekanalisation der MCA (Ziehen des Fadens nach 60 min) über einen Zeitraum von ca. 24 h zu einem weiteren (sekundären) Infarktwachstum kommt (Abb. 1). Die Wiedereröffnung großer Hirnarterien nach einem embolischen Schlaganfall ist also sowohl im Tiermodell als auch beim Menschen eine notwendige, jedoch nicht in allen Fällen hinreichende Bedingung für ein günstiges funktionelles Outcome. Die genauen Pathomechanismen, die diese sekundäre Gewebeschädigung trotz Reperfusion bedingen, sind allerdings unklar: Diskutiert werden neben einer Vielzahl weiterer Faktoren (Exzitotoxizität, freie Radikale, Immunmechanismen) [26] eine hypoxiebedingte Aktivierung des Endothels sowie die sekundäre Anlagerung von Thrombozyten während der Reperfusion, deren Aktivierung unter Einschluss der plasmatischen Blutgerinnung mit nachfolgender Thrombusbildung in der zerebralen Mikrozirkulation einhergeht (Abb. 1, [43, 58, 82]).

Abb. 1
figure 1

Die Rekanalisation einer verschlossenen Hirnarterie ist eine notwendige, jedoch nicht immer hinreichende Bedingung für ein günstiges Outcome nach einem ischämischen Schlaganfall. a Situation beim Schlaganfallpatienten: Trotz rascher (nach 5 h) Wiedereröffnung der proximal verschlossenen A. cerebri media durch intraarterielle Lyse (rote Pfeile) kommt es im Verlauf bis zum Tag 1 zu einer signifikanten Größenzunahme des Schlaganfalls. b Diese Situation kann im Mausmodell nachgestellt werden: 5 h nach transientem Verschluss der A. cerebri media für 60 min ist das Infarktareal noch auf die Basalganglien begrenzt (2,3,5-Triphenyltetrazoliumchloridfärbung, weißer Pfeil). Nach 24 h ist der Infarkt voll ausgebildet und bezieht den Kortex mit ein, obwohl die A. cerebri media wieder offen ist. Grund dafür ist u. a. eine progrediente Thrombusbildung in der zerebralen Mikrozirkulation, hier immunhistochemisch mittels Kofärbung gegen Fibrin (59D8-Antikörper) und GPIb (Blutplättchenmarker) dargestellt. Die weiße Linie entspricht 100 µm. (Nach [43]). MRT-Bilder und DSA mit freundl. Genehmigung von Prof. Martin Bendszus, Abteilung für Neuroradiologie, Universitätsklinik Heidelberg

Die Rate intrazerebraler Blutungen nach tMCAO in unbehandelten Mäusen ist vermutlich relativ gering (ca. 10% leichte hämorrhagische Transformation des Infarktareals am Tag 1 nach 3-stündiger tMCAO [59], unter 5% nach einstündiger MCAO [eigene Beobachtungen]), sodass mit diesem Modell sehr sensitiv Blutungskomplikationen, z. B. durch Blutplättchenblockade, aufgedeckt werden können.

Neben den genannten Vorteilen hat die tMCAO, wie jedes Tiermodell, jedoch auch eine Reihe von praktischen Limitationen, die an anderer Stelle ausführlich diskutiert sind [11].

Neue Thrombozytenfunktionshemmer

Eine überschießende Aktivierung von Blutplättchen und deren Ablagerung am ischämischen Gefäßendothel im Gehirn wurde schon früher in experimentellen Schlaganfallmodellen, u. a. an Primaten, beschrieben [21, 58]. Dementsprechend hat man versucht, durch Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) als Prototyp eines TFH positive Effekte nach fokaler zerebraler Ischämie zu induzieren. In einer Studie an Ratten war ASS nur nach temporärem (mit Reperfusion), nicht aber permanentem (ohne Reperfusion) Verschluss der MCA wirksam [4]. In der Maus mussten mehrfach ultrahohe ASS-Dosen (6×40 mg/kg, entsprechend ca. 19 g im Menschen) appliziert werden, um eine signifikante Reduktion der Infarktgröße zu erzielen [5]. Ein Einfluss auf das funktionelle Defizit wurde jedoch nicht beobachtet und niedrigere Dosierungen blieben wirkungslos. Zusammenfassend deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ASS nur eine moderate Potenz in akuten Schlaganfallmodellen besitzt, was sich mit den klinischen Studien zur (frühen: innerhalb von 48 h) Sekundärprophylaxe mit ASS nach zerebraler Ischämie deckt [13, 41]. Im Tier scheinen die Effekte von ASS zudem weniger über die Hemmung von Blutplättchen und Thrombusbildung, sondern vielmehr über die antiinflammatorische und antiexzitotoxische Wirkung dieses Cyclooxygenase-1(COX-1)-Blockers vermittelt zu werden.

Die Behandlung von Primaten (Baboons) mit Ticlopidin, welches ähnlich dem Clopidogrel den P2Y12-Rezeptor auf Blutplättchen inhibiert und als ADP-Antagonist fungiert, konnte nach Schlaganfall die Bildung von Mikrothromben in den Basalganglien reduzieren [21]. Allerdings war dafür eine Kombination mit Heparin notwendig, was die Beurteilung der beteiligten Signalwege (Blutplättchen vs. plasmatische Blutgerinnung) erschwert.

Durch die zunehmende Verfügbarkeit transgener Mauslinien und spezifischer blockierender Antikörper konnten in den letzten Jahren neue Thrombozytenfunktionsmoleküle identifiziert werden, welche für die Thrombusentstehung nach zerebraler Ischämie von großer mechanistischer Relevanz sind [71, 72]. So zeigte sich, dass die Thrombusbildung am aktivierten Endothel in definierten Schritten unter Einbeziehung distinkter Thrombozytenmembranmoleküle abläuft (Abb. 2): Für das anfängliche, zunächst noch lose Andocken der Blutplättchen an die Gefäßwand (sog. „rolling“ oder „tethering“) ist der GPIb-V-IX-Rezeptor-Komplex essenziell, der exklusiv auf Blutplättchen und ihren Vorläuferzellen, den Megakaryozyten, exprimiert wird. Unter hohen Scherkräften (>500 s-1), wie sie beispielsweise in krankhaft stenosierten Gefäßen herrschen, geht dieser Komplex eine Bindung mit dem von-Willebrand-Faktor (VWF) auf aktivierten oder geschädigten Endothelzellen ein (Abb. 2 a). Im weiteren Verlauf und zunehmender Gefäßschädigung kommt es durch die Freisetzung subendothelialer Bindegewebsproteine (v. a. Kollagen) zu einer weiteren Aktivierung und festeren Anheftung der Blutplättchen an die Gefäßwand (Abb. 2 b). Dieser Schritt wird v. a. über die Bindung von Kollagen an thrombozytäre Kollagenrezeptoren vermittelt. Unter den vielen verschiedenen Kollagenrezeptoren auf Blutplättchen ist GPVI dabei der funktionell wichtigste [56].

Abb. 2
figure 2

Die verschiedenen Schritte der Blutplättchenadhäsion, Aktivierung und Aggregation am aktivierten Endothel. a Die initiale Adhäsion („tethering“) der Blutplättchen erfolgt über die Bindung des GPIb-V-IX-Rezeptor-Komplexes an die A1-Domäne des von-Willebrand-Faktors (VWF) auf Endothelzellen. Durch Bindung an P-Selectin, das ebenfalls von aktiviertem Endothel exprimiert wird, kann zusätzlich eine Plättchenrekrutierung an die intakte Gefäßwand erfolgen. b GPVI-Kollagen-Interaktionen führen in einem 2. Schritt zur Bildung eines stabileren Thrombus. Zudem erfolgt eine zelluläre Aktivierung mit Freisetzung von Plättchenagonisten (v. a. ADP) und Transformation der GPIIb/IIIa-Rezeptoren in einen hoch affinen Zustand. c Durch Anstoßen der gemeinsamen Endstrecke der Blutplättchenaktivierung über den GPIIb/IIIa (Integrin-Fibrinogen)-Signaltransduktionsweg kommt es schließlich zu einer irreversiblen Plättchenaggregation und nachfolgendem Thrombuswachstum. (Adaptiert aus [72])

Durch Aktivierung des Fibrinogenrezeptors GPIIb/IIIa (ein Mitglied der Integrinfamilie von Adhäsionsrezeptoren) als Ausgangspunkt der gemeinsamen Endstrecke der Blutplättchenaktivierung, gipfelt die Kaskade schließlich in einer irreversiblen Blutplättchenaggregation und nachfolgendem Thrombuswachstum (Abb. 2 c).

Wir sind in den letzten Jahren der Frage nachgegangen, ob sich durch die Blockade eines oder mehrerer der oben genannten Schritte positive Effekte im Schlaganfallmodell der tMCAO in der Maus erzielen lassen. Dabei kamen spezifisch gegen die jeweiligen Oberflächenmoleküle gerichtete Antikörper bzw. Bestandteile davon (Fab-Fragmente) zum Einsatz.

Blockade des GPIb-VWF-Signalweges

Es zeigte sich, dass die Verhinderung der frühen Blutplättchenadhäsion durch Anti-GPIb-Fab Schlaganfallvolumen und neurologisches Defizite am Tag 1 nach tMCAO dramatisch reduziert (Abb. 3 a, [44]). Unter translationalen Gesichtspunkten ist dabei wichtig zu erwähnen, dass sowohl die prophylaktische Gabe von Anti-GPIb-Fab (vor Ischämieinduktion) als auch die Verabreichung 1 h nach Beginn des Schlaganfalls (therapeutischer Ansatz) wirksam war. Zudem hielt der protektive Effekt über Tage an. Überaus relevant war auch die Beobachtung, dass es trotz einer stark verlängerten Blutungszeit in Anti-GPIb-Fab-behandelten Mäusen nicht zu Spontanblutungen oder einer Zunahme intrakranieller Hämorrhagien kam, wie wir durch serielle magnetresonanztomographische (MRT-)Messungen nachweisen konnten. Daraus lässt sich schließen, dass GPIb zwar entscheidend zur pathologischen Thrombusbildung im arteriellen Gefäßsystem beiträgt, für die Verhinderung von Blutungskomplikationen im Rahmen eines zerebralen Ischämie-/Reperfusionsschadens jedoch nicht benötigt wird, was nebenbei eine enge Korrelation von Blutungszeit und Blutungswahrscheinlichkeit infrage stellt [64, 72].

Dieses überraschende Ergebnis eröffnet somit prinzipiell die bestechende Möglichkeit einer „blutungsfreien Antithrombose“ und wurde kurze Zeit später in einer unabhängigen Studie in transgenen Tieren bestätigt [34]. In einer Folgeuntersuchung konnten wir belegen, dass die Inhibierung von GPIb tatsächlich mit einer verbesserten kortikalen Reperfusion nach tMCAO im Vergleich zu unbehandelten Tieren einhergeht [60]. Dazu wurden Anti-GPIb-Fab-behandelte Mäuse im Ultrahochfeld-MRT (17,6 Tesla) gemessen und der zerebrale Blutfluss (CBF) über perfusionsgewichtete (PWI) CASL („continuous arterial spin labeling“)-Sequenzen in vivo quantifiziert (Abb. 3 b). Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass das bisher maximal untersuchte Zeitfenster einer GPIb-Blockade 1 h nach Schlaganfallbeginn beträgt, und die Befunde momentan lediglich am Modell der tMCAO erhoben wurden.

Abb. 3
figure 3

Die Blockade von GPIb auf Thrombozyten schützt vor akuter zerebraler Ischämie. a (oben) Repräsentative 2,3,5-Triphenyltetrazoliumchlorid-gefärbte Hirnschnitte am Tag 1 nach tMCAO in unbehandelten Kontrollen bzw. Mäusen, denen unmittelbar vor oder 1 h nach Ischämie blockierende Antikörpern gegen GPIb appliziert wurden. Die Ischämieareale kommen weiß zur Darstellung und sind in Anti-GPIb-behandelten Tieren signifikant kleiner ausgeprägt wie die Infarktvolumetrie (unten) belegt, **p<0,01, horizontale Linien: Median. b Die Ultrahochfeld-MRT (17,6 Tesla) mit PWI- und DWI-Sequenzen zeigt, dass die Grundlage des schützenden Effektes einer GPIb-Blockade eine verbesserte Reperfusion insbesondere im Kortex Anti-GPIb-behandelter Tiere ist. (Nach [60])

Die Tatsache, dass bestimmte Gp1ba-Genpolymorphismen über eine vermehrte Interaktion von GPIbα mit VWF mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert sind [3, 62], deutet darauf hin, dass dieser Signalweg auch beim Menschen von Relevanz sein könnte. Da seit Kurzem auch humanisierte Anti-GPIbα-Antikörper verfügbar sind, die bereits bemerkenswerte antithrombotische Effekte in Primaten gezeigt haben [79], lässt sich diese Hypothese in Zukunft weiter testen.

Der Hauptbindungspartner von GPIbα ist VWF auf Endothelzellen (Abb. 2 a). Beim VWF handelt es sich um ein multimeres Glykoprotein variabler Molekülgröße, welches ausschließlich in Endothelien und Megakaryozten produziert wird. Die zentrale Bedeutung des VWF für die normale Blutgerinnung (Hämostase) drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass die von-Willebrand-Krankheit, der ein qualitativer oder quantitativer Defekt von VWF zugrunde liegt, die häufigste erbliche Blutgerinnungsstörung beim Menschen ist [23]. Umgekehrt kann eine erhöhte VWF-Aktivität im Gefäßsystem zu einer gesteigerten Thromboseneigung führen. Insbesondere für das initiale, noch lose Anheften der Blutplättchen an das Gefäßendothel ist der VWF von größter Wichtigkeit ([25], Abb. 2 a). Einzigartig ist dabei, dass es nur unter dem Einfluss hoher Scherkräfte, wie sie z. B. in stenosierten Arterien oder nach Reperfusion im Anschluss an eine Ischämie vorkommen, zu einer Konformationsänderung im Molekül kommt, die die Bindung des VWF an GPIbα auf Bluttplättchen überhaupt erst möglich macht. Der GPIb-VWF-Signalweg ist daher unter therapeutischen Gesichtspunkten bei thrombotischen Erkrankungen inkl. zerebraler Durchblutungsstörungen attraktiv, da seine Blockade die normale Blutstillung in gesunden Gefäßen möglicherweise nicht bzw. nur moderat beeinträchtigen würde. Tatsächlich zeigte sich, dass Mäuse, denen der VWF fehlt, signifikant kleinere Schlaganfälle entwickelten als entsprechenden Kontrollen [45]. Dieser Schutz ließ sich durch externe Gabe von VWF wieder vollständig umkehren [24]. Die Rate intrazerebraler Blutungen war hingegen in den Vwf-defizienten Tieren nach tMCAO nicht erhöht. Die Befunde stehen im Einklang mit den Ergebnissen nach Blockade von GPIb auf Thrombozyten (s. oben) und unterstreichen die Wichtigkeit der GPIb-VWF-Interaktion im Rahmen pathologischer Thrombosen im Gehirn. Interessanterweise konnten neuere Populationsstudien belegen, dass erhöhte VWF-Spiegel im Serum ein unabhängiger Risikofaktor für ischämische Schlaganfälle sind [9, 78], eine Tatsache, die für die koronare Herzerkrankung schon länger bekannt war [77]. Auf genetischer Ebene wurden zudem Vwf -Polymorphismen identifiziert, die mit einem signifikant höheren Schlaganfallrisiko assoziiert sind [19, 74].

Unter physiologischen Bedingungen werden große VWF-Multimere, die die stärkste thrombotische Aktivität aufweisen, im Blut rasch von einem Enzym gespalten, der sog. „disintegrin-like and metalloprotease with thrombospondin repeats 13“ (ADAMTS13). Dies dient dazu, eine spontane Thrombusbildung zu verhindern. Patienten mit thrombotisch thrombozytopenischer Purpura (TTP) haben oft funktionshemmende Autoantikörper gegen ADAMTS13 und neigen daher zu vermehrten Thrombosen, u. a. im Gehirn [48, 84]. Sollte der VWF tatsächlich für die Thrombusbildung in den zerebralen Gefäßen nach Ischämie relevant sein, würde man daher erwarten, dass das Fehlen von ADAMTS13 die Empfänglichkeit für ischämische Schlaganfälle steigert. In der Tat entwickelten Adamts13-Knockout-Mäuse deutlich größere Schlaganfälle nach MCAO als Wildtypen [31, 55]. Umgekehrt führte die Applikation von ADAMTS13 in genetisch unveränderten Tieren zu kleineren Schlaganfällen [83]. Ähnlich wie beim VWF nimmt das Schlaganfallrisiko proportional zu den ADAMTS13-Spiegeln im Blut zu [9].

Zusammenfassend sprechen die bisherigen experimentellen Daten dafür, dass die GPIbα-VWF-Achse eine Schlüsselrolle bei der Thrombusbildung im Rahmen von Schlaganfällen einnimmt. Da deren Blockade nicht mit erhöhten Blutungsraten assoziiert zu sein scheint, könnten sich daraus attraktive neue Therapieoptionen ergeben.

Blockade von GPVI

Das lose Andocken der Blutplättchen an das geschädigte Endothel erfolgt überwiegend über die GPIb-VWF-Interaktion. Diese ist jedoch prinzipiell reversibel und für die endgültige Ausbildung eines gefäßverschließenden Thrombus noch nicht ausreichend. Dafür bedarf es einer weiteren Aktivierung und der festeren Adhärenz der Blutplättchen, die u. a. über GPVI und dessen Bindung an unter dem Endothel gelegene Bindegewebsstrukturen (v. a. Kollagen) vermittelt wird (Abb. 2 b). GPVI ist ein sog. Typ-1-Transmembranrezeptor der Immunglobulin(Ig)-Superfamilie, der ausschließlich in Blutplättchen vorkommt [56]. In verschiedenen In-vitro- und Ex-vivo-Modellen, in denen die Bildung von Thromben durch an der verletzten Gefäßwand exponiertes Kollagen ausgelöst wurde, hatte die Blockade von GPVI mit spezifischen Antikörpern einen durchschlagenden antithrombotischen Effekt [37, 53, 55]. Passend dazu waren die genannten Anti-GPVI-Antikörper in der Lage, das Infarktvolumen am Tag 1 nach tMCAO in Mäusen zu reduzieren [44]. Wieder erwies sich dieses Therapieprinzip als sicher und die Rate intrazerebraler Hämorrhagien nahm dadurch nicht zu. In Analogie zu unseren experimentellen Befunden waren die Plasmaspiegel von löslichem GPVI bei Patienten mit akuten Schlaganfällen signifikant erhöht, was auf vermehrte GPVI-Aktivierung in diesen Patienten hindeutet [2].

Aufbauend auf den vielversprechenden Befunden nach Inhibierung von GPIb und GPVI lag es nahe, auch die diesen Rezeptoren nachgeschalteten Signalwege zu analysieren. Ein fundamentaler Schritt der Blutplättchenaktivierung ist der rasche Anstieg der intrazellulären Kalziumkonzentration. Dabei strömt Kalzium sowohl von außen ein, wird aber auch aus in der Zelle gelegenen Speichern ausgeschüttet [30, 36]. Wir konnten nachweisen, dass diese plötzlichen Kalziumverschiebungen in Thrombozyten ganz entscheidend von zwei Molekülen reguliert werden, dem Kalziumsensor „stromal interaction molecule 1“ (STIM1) und dem Kalziumkanal Orai1. Es zeigte sich, dass Mäuse, denen STIM1 oder Orai1 in Blutplättchen fehlt, weniger Thromben bilden und so vor Schlaganfällen geschützt sind [12, 27, 75]. Diese Schlüsselfunktion von STIM und Orai war bisher völlig unbekannt und könnte zukünftig durch die Entwicklung spezifischer Inhibitoren einen innovativen therapeutischen Zugang eröffnen.

Ein weiteres interessantes Zielmolekül in Thromboyzten ist die Phospholipase D1 (PLD1), die in der Signalkaskade unterhalb („downstream“) von GPIbα angesiedelt ist. Blutplättchen aus Pld1-defizienten Mäusen weisen Defekte in der GPIbα-abhängigen Aggregation auf und diese Tiere bilden im arteriellen System unter hohem Scherstress lediglich instabile Thromben. Passend dazu schützte die Ausschaltung des Pld1-Gens Mäuse nach tMCAO vor ischämischer Hirnschädigung ohne offensichtliches Blutungsrisiko [27].

Blockade von GPIIb/IIIa

Nach Adhäsion und Aktivierung der Blutplättchen besteht der letzte Schritt in deren irreversibler Aggregation mit nachfolgendem Thrombuswachstum. Dafür ist hauptsächlich der GPIIb/IIIa-Signalweg verantwortlich (Abb. 2 c). Die Blockade dieser gemeinsamen Endstrecke der Blutplättchenaktivierung ist eine der potentesten Maßnahmen zur Verhinderung von arteriellen Thrombosen überhaupt [6].

Überraschenderweise hatte die Applikation von gegen GPIIb/IIIa gerichteten Fab im Schlaganfallmodell der tMCAO bei uns jedoch keine positiven Effekte auf das Schlaganfallvolumen oder das neurologische Defizit der Mäuse [44]. Vielmehr ließ sich ein massiver Anstieg intrazerebraler Blutungen mit entsprechend hoher Mortalität verzeichnen.

Experimentelle Studien mit anderen GPIIb/IIIa-Antagonisten und in anderen Tierspezies hatten in einigen Fällen zwar ein verbessertes funktionelles Outcome nach Hirnischämie gefunden, gingen jedoch ebenfalls mit einer dosisabhängigen Zunahme intrakranieller Hämorrhagien einher [14]. In Anbetracht des bemerkenswerten schützenden Effekts nach Unterbindung der frühen Blutplättchenadhäsion über eine GPIb-Blockade (s. oben) erscheinen diese Befunde zunächst unerwartet. Man weiß jedoch, dass GPIb neben dem VWF weitere Rezeptoren, u. a. auf Endothelzellen (z. B. P-Selectin) und Leukozyten (z. B. Mac-1), binden kann [7]. Die dadurch verstärkte Interaktion von Blutplättchen, ischämischem Endothel und Entzündungszellen kann die Reperfusion der Mikrozirkulation nach zerebraler Ischämie zusätzlich behindern (sog. „No-reflow-Phänomen“) [22]. Eine Blockade von GPIb scheint daher, im Gegensatz zur Inhibierung von GPIIb/IIIa, verschiedene Mechanismen der zerebralen Mikrozirkulationsstörung (Thrombose, Entzündung) positiv zu beeinflussen und so breiter vor neuronalem Schaden zu schützen [73].

Unsere Beobachtungen am Tiermodell wurden nahezu zeitgleich am Menschen durch die Ergebnisse der AbEST-II-Studie bestätigt, welche die Wirksamkeit und Sicherheit des GPIIb/IIIa-Antagonisten Abciximab bei der akuten zerebralen Ischämie untersuchte [1]. Diese Phase-III-Studie musste vorzeitig abgebrochen werden, nachdem sich im Verumarm eine signifikant höhere Blutungsrate bei fehlender Effektivität gezeigt hatte. GPIIb/IIIa-Blocker scheinen daher zumindest beim ischämischen Schlaganfall eine relativ geringe therapeutische Breite zu haben, bei deren Unterschreitung es u. U. sogar zu einer Blutplättchenaktivierung kommt und so die Effektivität verloren geht, während die Überschreitung schwere Blutungskomplikationen nach sich ziehen kann [8]. Soweit bisher beurteilbar, könnte die Verhinderung der frühen Blutplättchenadhäsion und -aktivierung über eine Inhibition von GPIb und GPVI vielversprechender und sicherer sein, wobei große klinische Studien bisher ausstehen.

Neue Inhibitoren der plasmatischen Blutgerinnung

Die plasmatische Blutgerinnung besteht aus einem System in Serie geschalteter Enzyme (Serinproteasen), die sich gegenseitig aktivieren und in ihrer Funktion verstärken (Abb. 4, [20, 50]). Endprodukt dieser Kaskade ist das Fibrin. Der extrinsische Schenkel der plasmatischen Blutgerinnung wird nach Verletzungen der Gefäßwand aktiv. Sein Ausgangspunkt ist der „tissue factor“/VIIa-Komplex. Aktivator des intrinsischen („im Gefäß angesiedelt“) Schenkels ist der seit über 50 Jahren bekannte Blutgerinnungsfaktor FXII (Hageman-Faktor). Dieser wird nach Kontakt mit negativ geladenen Oberflächen aktiviert („Kontaktphaseaktivierungssystem“). Neuere experimentelle Befunde deuten darauf hin, dass in vivo negativ geladene RNA oder sog. Polyphosphate physiologische FXII-Aktivatoren sein könnten [42, 54], wobei die Relevanz dieser Befunde im humanen System noch offen ist. Beide Schenkel münden schließlich in der Aktivierung von FX. In der Folge entsteht Thrombin, das aus Fibrinogen einen Fibrinthrombus werden lässt und gleichzeitig ein starker Blutplättchenaktivator ist.

Abb. 4
figure 4

Schematische Darstellung der plasmatischen Blutgerinnungskaskade (Erklärung s. Text)

In vielen älteren Studien wurden unfraktionierte oder niedermolekulare Heparine als klassische Inhibitoren der plasmatischen Blutgerinnung eingesetzt, um positive Effekte in Modellen der akuten zerebralen Ischämie zu erzielen [49, 52, 61, 80, 81]. Heparin hemmt über eine Verstärkung des Antithrombin-III-Effektes den FXa. Obwohl in den genannten Untersuchungen z. T. signifikant reduzierte Infarktvolumina und ein verbessertes neurologisches Outcome in Nagern beschrieben wurden, lag die Hauptlimitierung von Heparin zumeist in der erhöhten Blutungsgefahr. So lag die Rate schwerer intrakranieller Blutungen nach Heparinbehandlung und tMCAO in Ratten bei bis zu 50% [52]. Diese Beobachtungen decken sich im Prinzip mit den Erfahrungen aus zahlreichen klinischen Schlaganfallstudien, in denen sich ebenfalls eine Zunahme des Blutungsrisikos unter Heparin zeigte [67], sodass Heparine und andere Antikoagulanzien heutzutage nicht mehr in der Akutphase der zerebralen Ischämie empfohlen werden [18]. Ganz anders stellt sich die Situation in der Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfälle dar, die sich auf eine kardiale Emboliequelle (z. B. Vorhofflimmern) zurückführen lassen. Hier haben Antikoagulanzien einen sehr hohen Stellenwert, der in Zukunft durch neue Substanzen mit verbessertem Sicherheitsprofil (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban u. a.) verglichen mit Phenprocoumon (Marcumar®) weiter zunehmen wird. Diesbezüglich sei erneut auf eine rezente Übersichtsarbeit von Veltkamp und Hacke verwiesen [76].

Ein neuer Ansatz zur Verhinderung der Thrombusbildung über die plasmatische Blutgerinnung beim akuten Schlaganfall könnte in der Blockade des FXII liegen. Die bisherige Lehrmeinung ging davon aus, dass der intrinsische Signalweg der plasmatischen Gerinnung über FXII für die Thrombusbildung und physiologische Blutstillung in vivo keine Rolle spielt. Der Grund dafür war, dass Menschen mit erblichem FXII-Mangel weder spontan, noch nach Trauma vermehrt bluten [51]. Im Gegensatz dazu führt der Verlust von „tissue factor“/VIIa zu schweren Blutungsphänotypen [65]. Dieses hämatologische Paradigma musste in den letzten Jahren jedoch grundlegend revidiert werden. Die Generierung und gerinnungsphysiologische Charakterisierung FXII-defizienter Mäuse erbrachte, dass diese Tiere nach artifizieller Gefäßwandverletzung deutlich weniger und instabilere Thromben bilden, jedoch keinerlei verstärkte Blutungsneigung zeigen [63]. Nach tMCAO war die Schlaganfallgröße in Mäusen ohne FXII dauerhaft um ca. 50% reduziert und die Tiere entwickelten signifikant weniger neurologische Ausfälle [43]. Histologische Untersuchungen konnten eine deutliche Reduktion mikrovaskulärer Thromben in den Gehirnkapillaren nach Ischämie belegen. Die wichtige Frage eines möglicherweise gesteigerten Blutungsrisikos nach FXII-Blockade und zerebraler Ischämie wurde von uns histologisch sowie nichtinvasiv mittels blutsensitiven MRT-Untersuchungen adressiert. Dabei zeigten sich bei keinem der untersuchten transgenen Tiere intrazerebrale Hämorrhagien. Die zentrale Bedeutung der plasmatischen Blutgerinnung in der Pathophysiologie ischämischer Schlaganfälle wird durch Studien an FIX-defizienten Mäusen weiter bekräftigt [14]. Diese sind ebenfalls vor Thrombusbildung und Schlaganfällen geschützt. Allerdings entspricht ein Mangel an FIX der Hämophilie, Typ B, die zu den hämorrhagischen Diathesen gezählt wird. FIX erscheint daher als therapeutischer Angriffspunkt wenig attraktiv.

Die an transgenen Tieren gewonnenen mechanistischen Erkenntnisse zur Funktion von FXII bei pathologischer Thrombusbildung und zerebraler Ischämie dienten im Folgenden als Grundlage für die Entwicklung eines spezifischen FXIIa-Inhibitors. Das rekombinante Protein rHA-Infestin-4 (CSL Behring GmbH, Marburg) gehört zur Familie der Kazal-Typ-Serinprotease-Inhibitoren und wurde initial aus dem Darm der blutsaugenden Raubwanze Triatoma infestans isoliert. rHA-Infestin-4 besitzt eine ausgesprochene Selektivität für FXIIa und ist bereits in niedrigen Konzentrationen inhibitorisch wirksam. Entsprechend konnte es die Thrombusbildung in Mäusen und Ratten in verschiedenen Thrombosemodellen praktisch vollständig unterdrücken [39]. Wurden Mäuse mit rHA-Infestin-4 vorbehandelt, fielen die Schlaganfälle nach tMCAO dramatisch kleiner aus. Hinweise auf ein vermehrtes Blutungsrisiko fanden sich erneut nicht [39].

Die genannten Ansätze in Knockout-Mäusen und vorbehandelten Tieren spiegeln bislang ausschließlich ein prophylaktisches Vorgehen (vor Ischämieinduktion) wider. Inwieweit rHA-Infestin-4 in der Lage ist, das Schlaganfalloutcome auch bei therapeutischer Applikation (nach Ischämieinduktion) positiv zu beeinflussen, wird derzeit evaluiert. Zudem laufen Untersuchungen an weiteren Schlaganfallmodellen (z. B. Emboliemodell). Unter translationalen Aspekten wichtig ist die Beobachtung, dass rHA-Infestin-4 auch die FXIIa-Aktivität in humanem Blut inhibiert.

Die Relevanz von FXII und der von ihm aktivierten intrinsischen Blutgerinnungskaskade in der Pathologie des ischämischen Schlaganfalls beim Menschen ist bisher weniger gut verstanden und Studien dazu haben teilweise divergierende Ergebnisse erbracht. Nachdem der Indexpatient (John Hageman) im Anschluss an einen Unfall an einer Lungenembolie verstorben war, wurde ein Mangel an FXII lange Zeit sogar als prothrombotischer Faktor angesehen [32]. Eine Fall-Kontroll-Studie fand, dass niedrige FXIIa-Spiegel bei Männern mittleren Alters mit einem erhöhten Risiko für koronare Herzerkrankung und Schlaganfall korrelierten [35]. Im Gegensatz dazu waren FXIIa-Level oberhalb der 90% Perzentile mit einer 2,1fach erhöhten Wahrscheinlichkeit für Schlaganfälle bei jungen Frauen assoziiert [70] und ein Kollektiv von 21 Patienten mit schwerem (homozygotem) FXII-Mangel entwickelte über einen Beobachtungszeitraum von 15 Jahren keinerlei arteriell-embolische Ereignisse [33]. Ein schwerer Mangel an FXI, dem primären Substrat von FXIIa, ging in einer jüdischen Population mit einer signifikant geringeren Schlaganfallinzidenz einher [66]. Ähnlich wie im murinen System könnte also eine dosisabhängige, eventuell sogar U-förmige Beziehung zwischen FXIIa-Spiegeln und Thromboseneigung bestehen. Prospektive epidemiologische Untersuchungen werden nicht zuletzt dadurch erschwert, dass FXII-defiziente Menschen in der Regel „gesund“ sind und allenfalls durch eine verlängerte partielle Thromboplastinzeit (PTT) auffallen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Akutbehandlung und (frühe) Sekundärprophylaxe des ischämischen Schlaganfalls ist nach wie vor unbefriedigend, was nicht zuletzt darauf beruht, dass die derzeit zugelassenen antithrombotischen Substanzen entweder das Blutungsrisiko in signifikanter Weise erhöhen (z. B. rt-PA, Marcumar®), oder nur begrenzt wirksam sind (z. B. ASS). Die Entschlüsselung zentraler Pathomechanismen der Thrombusentstehung auf Ebene der Blutplättchen und plasmatischen Gerinnung im Tiermodell des Schlaganfalls war die Voraussetzung für die zielgerichtete Entwicklung neuer Antithrombotika mit höherer Wirksamkeit und verbessertem Sicherheitsprofil. Ein Beispiel sind blockierende Antikörper gegen GPIbα-VWF und GPVI, die über eine Verhinderung der frühen Blutplättchenadhäsion und Aktivierung an der ischämiegeschädigten Gefäßwand zerebrale Thrombusbildung und Schlaganfallschwere im Experiment dramatisch reduzieren können, die Blutungsgefahr jedoch nicht steigern. Es ist inzwischen gelungen, diese Antikörper durch biotechnologische Verfahren zu humanisieren und somit perspektivisch eine Testung am Menschen möglich zu machen. Tatsächlich sind die bisherigen Ergebnisse in Thrombosemodellen höherer Tierspezies (Primaten) äußerst vielversprechend [23, 24, 79]. Ein ähnlich interessanter Ansatz ist die Unterbrechung der intrinsischen plasmatischen Blutgerinnung durch therapeutische Blockade des FXII, der unlängst zu einer Revision jahrelang etablierter gerinnungsphysiologischer Modellvorstellungen geführt hat. Durch Kooperation mit industriellen Partnern konnten auch hier hochspezifische Inhibitoren entwickelt werden (z. B. rHA-Infestin-4), die derzeit in verschieden Großtiermodellen weiter auf ihre antithrombotische Potenz und Sicherheit evaluiert werden, um ggf. im darauffolgenden Schritt in klinische Studienprogramme einzufließen [28].

Somit kann festgehalten werden, dass einige innovative antithrombotische Therapiestrategien aus der jüngeren präklinischen Entwicklung an der Schwelle zur Translation in die klinische Testung stehen. Neben der potenziellen therapeutischen Tragweite der Ergebnisse zeigen die hier referierten Untersuchungen aber auch, dass grundlagenwissenschaftliche Studien an (Tier)Modellen unverzichtbar sind, um ein tieferes Verständnis für die komplexen pathophysiologischen Vorgänge bei der akuten zerebralen Ischämie zu erlangen.

Fazit für die Praxis

  • Die zur Akuttherapie und (frühen) Sekundärprophylaxe des ischämischen Schlaganfalls zugelassenen Antithrombotika sind nur eingeschränkt wirksam oder gehen mit einem erhöhten Blutungsrisiko einher.

  • Untersuchungen an Nagermodellen haben gezeigt, dass die Verhinderung der frühen Blutplättchenadhäsion durch Blockade von GPIbα und GPVI sowie eine Ausschaltung des plasmatischen FXIIa die Schlaganfallgröße und das funktionelle Defizit massiv reduzieren, ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen (Prinzip der „blutungsfreien Antikoagulation“).

  • Darauf aufbauend wurden gezielt spezifische Inhibitoren von GPIbα und FXIIa entwickelt, die derzeit weiter präklinisch evaluiert werden. Einige dieser Substanzen eignen sich prinzipiell für eine humane Anwendung und könnten zukünftig in klinischen Entwicklungsprogrammen getestet werden.