Macht Bluthochdruck Kopfschmerzen?

Oft berichten Patienten ihrem behandelnden Arzt, dass sie einen erhöhten Blutdruck durch das Auftreten von Kopfschmerzen bemerken würden. Ob allerdings wirklich ein kausaler Zusammenhang zwischen Kopfschmerz und arteriellem Hypertonus besteht, wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Nach aktueller Studienlage gibt es keine Evidenz, dass ein sogenannter „hypertensiver Kopfschmerz“ existiert. Die meisten Studien, insbesondere Querschnittstudien mit unselektionierten Populationen konnten keine Assoziation zwischen arterieller Hypertonie und der Prävalenz von Kopfschmerzen aufzeigen [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13]. Aktuellere Studien mit ambulantem Blutdruckmonitoring konnten ebenfalls keine Veränderung von Blutdruckwerten während Kopfschmerzepisoden in Patienten mit arteriellem Hypertonus feststellen [14, 15].

Seit 1988 liegt ein Konsensentscheid des „Headache Classification Committee“ der internationalen Kopfschmerz Gesellschaft (IHS) vor, dass eine chronische leichte bis moderate Hypertonie keine Kopfschmerzen zu verursachen scheint [16].

In den aktuellen Leitlinien der IHS heißt es:

„Eine chronische Hypertonie, die leicht (140–159/90–99) oder moderat (160–179/100–109) ist, scheint keine Kopfschmerzen zu verursachen [17]. Ob eine moderate arterielle Hypertonie aber zu Kopfschmerzen zumindest prädisponiert, wird kontrovers diskutiert, obwohl es wenig Evidenz dafür gibt.“

Eine Assoziation zwischen schwereren Formen der primären arteriellen Hypertonie und Kopfschmerzen ist bis dato weniger untersucht. Eine größere Querschnittstudie von 2003, die 1763 Patienten aus einer universitären Bluthochdruckklinik systematisch zu Kopfschmerzen befragt hat, konnte allerdings aufzeigen, dass selbst bei moderat bis schwerer arterieller Hypertonie (>180–209/110; Stadium 3 nach JNC-VI [18]) Kopfschmerzen nicht häufiger vorkommen [19].

Zuletzt konnte in einer ersten großen prospektiven norwegischen Studie mit 22.685 Bluthochdruckpatienten sogar nachgewiesen werden, dass hohe systolische und diastolische Blutdruckwerte eher mit einem reduzierten Risiko für nichtmigränösen Kopfschmerz assoziiert sind.

Trotz der einheitlichen Evidenz vieler Studien bleibt der Glaube an einen kausalen Zusammenhang zwischen Hochdruck und Kopfschmerz im klinischen Alltag bei Patienten, aber auch bei Ärzten weit verbreitet. Selbst Verfasser von Zeitschriftenartikeln und Buchkapitelautoren behaupten nach wie vor, dass Bluthochdruck Kopfschmerzen verursacht. Verschieden Gründe existieren, warum der Mythos „hypertensiver Kopfschmerz“ sich nach wie vor so hartnäckig hält:

  • Arterieller Hypertonus ist ein Epiphänomen von Schmerzen.

  • Kopfschmerz ist eine häufige Nebenwirkung von vielen antihypertensiven Medikamenten, insbesondere von Kalziumkanalblockern (z. B. Nifedipin).

  • Kopfschmerz ist ein Symptom der hypertensiven Enzephalopathie (HTE). Das klinische Syndrom der HTE, welche zumeist im Rahmen von internistischen Erkrankungen mit hypertensiven Krisen (z. B. Phäochromozytom) auftritt, ist neben epileptischen Anfällen, Bewusstseinsstörung sowie fokalen neurologischen Ausfällen insbesondere durch Kopfschmerzen charakterisiert.

Zusammenfassend kann man also auf die Frage: „Macht Bluthochdruck Kopfschmerzen?“ im Hinblick auf die aktuelle Studienlage antworten „Normalerweise nicht!“.

Im Gegensatz zur chronischen arteriellen Hypertonie können allerdings nach IHS-Klassifikation bei paroxysmaler hypertensiver Entgleisung Kopfschmerzen auftreten. Kriterien hierfür sind:

  1. 1.

    ein sich während der hypertensiven Krise entwickelnder Kopfschmerz, der sich

  2. 2.

    bilateral manifestiert, von pulsierender Qualität ist sowie durch körperliche Aktivität verstärkt wird und

  3. 3.

    innerhalb von einer Stunde nach Normalisierung des Blutdrucks verschwindet.

Ein diastolischer Wert größer als 120 mmHg und Ausschluss von blutdruckerhöhenden Toxinen oder Medikamenten als Ursache sind obligatorisch. Paroxysmale Hypertonien können z. B. als Folge einer Störung von Barorezeptorreflexen (so z. B. nach Karotisendarteriektomie oder Bestrahlung) oder bei Patienten mit einem enterochromafinen Zelltumor (z. B. Phäochromozytom) auftreten.

Auf diese Ausnahmen und insbesondere auf die HTE, bei der es zu Kopfschmerzen durch zumeist sekundären malignen Hypertonus im Rahmen von internistischen Erkrankungen und substanzieller zerebraler Schädigung kommt, soll in dieser Übersichtsarbeit vertieft eingegangen werden.

Geschichte und ausgewählte Studien

Im Jahr 1913 beschrieb Janeway zum ersten Mal den Zusammenhang von Bluthochdruck und Kopfschmerzen, den er in einer großen klinischen Fallstudie beobachtet hatte [20]. Seitdem wurde der Zusammenhang von Bluthochdruck und Kopfschmerz in vielen, teilweise sehr heterogenen klinischen Studien untersucht mit teilweise zumindest in den Anfängen widersprüchlichen Ergebnissen und Schlussfolgerungen.

Janeway beschreibt in seiner Arbeit den typischen „hypertensiven Kopfschmerz“ als nichtmigränös, pulsierend, holozephal mit z. T. okzipitaler Betonung sowie Schmerzmaximum beim morgendlichen Erwachen und Besserung im Verlauf des Vormittags. Man muss allerdings erwähnen, dass ein Großteil seiner beschriebenen und publizierten Fälle einen „malignen Hypertonus“ mit mehr als 210 mmHG systolisch aufwiesen. Eine weitere frühe Fallstudie zur Kopfschmerzsymptomatik bei 200 Patienten mit arteriellem Hypertonus wurde 1953 im Lancet publiziert. Steward et al. fanden, dass bei Bluthochdruckpatienten, die sich ihrer Krankheit bewusst waren, 74% Kopfschmerzen angaben, wobei in der Gruppe, die nicht über ihren Hypertonus aufgeklärt worden waren, nur 16% über Kopfschmerzen klagten. So entstand in den 1950er Jahren die Meinung, dass die „angeblich“ hohe Prävalenz von Kopfschmerz bei Hypertonikern durch das Bewusstsein, an einem hohen Blutdruck zu leiden, bedingt ist [5]. In einer retrospektiven Analyse der Daten der „United States Health Examination Survey“ von 1960 bis 1962 bei 6672 Erwachsenen konnte allerdings kein Unterschied in der Häufigkeit von Kopfschmerz von normotensiven und hypertensiven Erwachsenen festgestellt werden, wobei sich alle Patienten ihrer Diagnose bewusst waren [7].

Spätere Studien konnten zeigen, dass behandelte Hypertoniker seltener über Kopfschmerzen klagten. So fanden Bulpitt et al., dass 31% der Patienten mit unbehandeltem schwerem Bluthochdruck über Kopfschmerzen klagten, wobei die Prävalenz bei behandelten und bei Kontrollen ohne Hypertension mit jeweils 15% deutlich niedriger war [21]. Hier muss natürlich kritisch erwähnt werden, dass wie auch in anderen Studien, die eine niedrigere Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Hypertonikern beschreiben, die Behandlung mit Antihypertensiva einen Störfaktor („confounder“) darstellt. Insbesondere β-Blocker sind ja migräneprophylaktisch wirksam und daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn behandelte Hypertoniker insbesondere für „migränösen“ Kopfschmerz eine niedrigere Kopfschmerzprävalenz haben als normotone Kontrollen.

Waters veröffentlichte 1971 im British Medical Journal eine Untersuchung mit Stichproben aus der Normalbevölkerung und fand dort keine höhere Prävalenz von Kopfschmerzen allgemein oder Migräne im Speziellen bei der Gruppe mit hypertensiven Blutdruckwerten (diastolisch >115 mmHG). 1989 untersuchten Cooper et al. 11.710 Patienten mit milder essenzieller Hypertonie und stellten neben einer Korrelation zwischen Frequenz von Kopfschmerzen und systolischen als auch diastolischen Blutdruckwerten fest, dass insbesondere eine antihypertensive Therapie (insbesondere Kalziumkanalblocker) häufig mit Kopfschmerz assoziiert war. Eine genauere Zuordnung des Kopfschmerzsyndroms oder Erfassung durch validierte Fragebögen wurde allerdings in dieser wie in den meisten anderen Studien nicht durchgeführt [22].

Auch andere Studien konnten aufzeigen, dass Kopfschmerz eine häufige Nebenwirkung von antihypertensiver Medikation ist [23, 24, 25]. Demgegenüber fanden Hannson et al. in einer Post-hoc-Auswertung von 7 randomisierten, placebokontrollierten, doppelt verblindeten Studien eine deutliche Reduktion der Inzidenz von Kopfschmerzen (17% vs. 22% Placebo) durch antihypertensive Medikation mit Irbesartan [26].

Insgesamt zeigt die Mehrzahl der aktuelleren Studien, dass keine Evidenz für eine Korrelation von Kopfschmerz und Bluthochdruck vorliegt. So konnte in einer ambulant durchgeführten 24-Stunden-Blutdrucküberwachung kein Unterschied zwischen den systolischen oder diastolischen Blutruckwerten von Frauen mit und ohne chronischen Kopfschmerz festgestellt werden [27]. Wiehe et al. fanden 2002 in einer prospektiven Studie mit 1174 Individuen repräsentativ für eine Population in Brasilien kein vermehrtes Auftreten von episodischem oder chronischem Spannungskopfschmerz bei Hypertonikern. Darüber hinaus stellten sie fest, dass Individuen mit normalem Blutdruck signifikant häufiger an Migräne litten als Individuen mit hochnormalen oder hypertensiven Blutdruckwerten [28]. Eine weitere große Querschnittstudie derselben Arbeitsgruppe zeigt auf, dass selbst bei moderater bis schwerer arterieller Hypertonie (>180–209/110mmHG) Kopfschmerzen nicht häufiger vorkommen [19].

Die bislang letzte große Studie zu diesem Thema war eine prospektive, norwegische Prävalenzstudie mit primärer Fragestellung nach der Assoziation von Bluthochdruck und Kopfschmerz [29]. Bei 22.685 Erwachsenen aus einer großen, unselektierten Population wurde das relative Risiko von Kopfschmerz (Migräne und nichtmigränoser Kopfschmerz) über einen Zeitraum von 13 Jahren in Relation zu den initialen Blutdruckwerten untersucht. Entgegen dem Volksglauben konnten sie aufzeigen, dass erhöhter initialer Blutdruck (diastolisch und systolisch) mit einem reduzierten Risiko für nichtmigränösen Kopfschmerz assoziiert war. Diese Risikoreduktion war unabhängig von antihypertensiver medikamentöser Therapie. Als mögliche Erklärung für dieses überraschende Ergebnis wurde die Theorie der „bluthochdruckassoziierten Hypalgesie“ angeführt. Dieses allerdings recht vage Konzept beruht auf Daten aus Tiermodellen und experimentellen humanen Studien und postuliert, dass eine Modulation der Nozizeption durch das Baroreflexsystem vorliegt, da eine inverse Korrelation zwischen Schmerzreizempfindlickeit und Blutdruckwerten gefunden wurde. Diese Studie ist daher abschließend sehr relevant, da es sich um eine sehr große Querschnittstudie aus einer unselektierten Population handelt.

Zusammenfassend gibt es also nach aktueller Studienlage und nach Konsensentscheid der internationalen Kopfschmerz Gesellschaft (IHS) bei Patienten mit primärem moderatem Bluthochdruck (systolisch <180 mmHG) keine Korrelation zum Symptom Kopfschmerz. Hingegen zeigen aber sowohl Kopfschmerz als auch Bluthochdruck in allen, teilweise sehr heterogenen Studien eine sehr hohe Prävalenz in der Bevölkerung auf. Eine weitere Erklärung, warum sich der Mythos des „hypertensiven Kopfschmerzes“ in der Praxis so hartnäckig hält, ist der sogenannte „Berkson-Fehler“ [30]. Dieser besagt hier vereinfacht, dass Patienten mit Bluthochdruck und Kopfschmerz sich häufiger ins Krankenhaus oder in die Kopfschmerz- bzw. Bluthochdruckambulanz begeben als Patienten mit nur einem dieser beiden Symptome, was zu einer falschen Annahme der Korrelation zwischen beiden Erkrankungen führt.

Internistische Ursachen von arteriellem Hypertonus assoziiert mit Kopfschmerz

In den internationalen Kopfschmerzleitlinien der IHS [17] sind im Kapitel „Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Störung der Homöostase (10.3)“ unter sekundären Kopfschmerzerkrankungen mögliche Ursachen für Kopfschmerz ausgelöst durch signifikante Veränderung im arteriellen Blutdruck genannt. Hierzu zählen insbesondere Phäochromozytom, maligner Bluthochruck, Präeklampsie und Eklampsie sowie Kopfschmerz zurückzuführen auf einen akuten Blutdruckanstieg durch eine exogene Substanz (exogene Ursache). Der als typisch beschriebene Kopfschmerz bei diesen Erkrankungen ist biokzipital oder frontal, pochend und tritt zumeist morgens nach dem Aufwachen auf. Der diastolische Druck ist dabei gewöhnlich größer als 120 mmHG. Beim Phäochromozytom sind paroxysmale Kopfschmerzen eines der häufigsten Symptome und treten bei bis zu 80% aller Patienten auf. Die Kopfschmerzattacken werden von typischen Begleitsymptomen wie Schwitzen, Tremor, Angst, Palpationen, Tachykardie und Blässe begleitet und dauern bei 70% der Patienten weniger als eine Stunde, insbesondere nach Normalisierung des Blutdrucks. Der Kopfschmerz tritt zeitgleich mit einem plötzlichen Blutdruckanstieg auf und ist häufig verbunden mit einem Gefühl des bevorstehenden Todes. Paroxysmen können spontan auftreten, aber auch durch z. B. Sport, spezifische Medikamente, emotionalen Stress getriggert werden. Die Diagnose wird zumeist MRT oder CT-bildgebend sowie über Katecholamine und deren Abbauprodukt im 24-Stunden-Sammelurin gestellt.

Schwangerschaftsinduzierter Hypertonus (SIH) und Präeklampsie gehören zu den häufigsten und schwerwiegendsten Komplikationen in der Gravidität. Bei der Präeklampsie entwickelt sich der Kopfschmerz ebenfalls in den Perioden der Blutdruckerhöhung und bessert sich zumeist über Tage, wenn der arterielle Hypertonus medikamentös effektiv behandelt wird. Die Präeklampsie tritt bei 2–8% der Schwangerschaft auf; die Eklampsie tritt in Europa bei 2–3 pro 10.000 Geburten relativ selten auf [31]. Typisch ist ein bilateraler Kopfschmerz mit pulsierendem Charakter und Verstärkung durch körperliche Aktivität. Kriterien für Präeklampsie sind Proteinurie, arterieller Hypertonus größer 140/90mmHG oder Anstieg über 30 mmHG systolisch zum initialen Wert und Onset in der Schwangerschaft oder im Wochenbett (bis zu 4 Wochen postpartal). Im Rahmen dieser Multisystemerkrankung können auch Hämolyse, Thrombozytopenie und Störungen der Leberfunktion auftreten (HELLP-Syndrom). Die gefährlichste Komplikation ist aber die Eklampsie, die durch das Auftreten von generalisierten tonisch-klonischen Anfällen definiert ist.

Weiterhin können paroxysmal Kopfschmerzen auftreten, wenn es aufgrund von exogenen Substanzen zu einem plötzlichen massiven Blutdruckanstieges kommt. Hier sind insbesondere sympathomimetische Drogen wie Kokain, Amphetamine und Ecstasy zu nennen [32]. Allerdings können paroxysmale Blutdruckentgleisungen mit konsekutiven Kopfschmerzen auch durch die kombinierte Einnahme von Monoaminoxidasehemmern und tyraminreichen Lebensmitteln wie Käse, Hühnerleber oder Rotwein ausgelöst werden [33], abgesehen natürlich von der Triggerung von Migränekopfschmerz [34].

Hypertensive Enzephalopathie

Die hypertensive Enzephalopathie (HTE) ist charakterisiert durch ein Syndrom aus Kopfschmerzen, epileptischen Anfällen und fokalneurologischen Defiziten in Assoziation mit einer hypertensiven Krise. Nach aktuellen Leitlinien der IHS müssen neben anhaltenden RR-Erhöhungen auf >160/100mmHG wenigsten zwei der folgenden Symptome Vorhanden sein:

  • epileptische Anfälle,

  • Sehstörungen einschließlich kortikaler Blindheit,

  • qualitative oder quantitative Bewusstseinsstörungen.

Der Begriff HTE wurde 1928 von Oppenheimer und Fishberg geprägt, die zum ersten Mal das oben geschilderte Syndrom in Zusammenhang mit maligner Hypertonie beschrieben haben [35].

Nach Schwartz et al. kann man die HTE und das posteriore reversible Enzephalopathiesyndrom (PRES) unter dem Überbegriff Hyperperfusionsenzephalopathie zusammenfassen [36]. Im Gegensatz zum PRES ist ein maligner Hypertonus essenziell für die Genese einer HTE [37, 38].

Pathophysiologisch geht man davon aus, dass ein abrupter Anstieg des Blutdrucks, der die normale Autoregulationsfähigkeit des Gehirns übersteigt, zu einer akuten endothelialen Dysfunktion mit konsekutiver Schädigung der Blut-Hirn-Schranke führt [39]. Durch Autoregulationsprozesse wird der zerebrovaskuläre Widerstand normalerweise in einem Bereich von ca. 60–160 mmHG (mittlerer Blutdruck) an Blutdruckschwankungen angepasst, um

  1. a)

    einen konstanten zerebralen Blutfluss (ca. 55 ml/min/100 g) zu gewährleisten und

  2. b)

    zu verhindern, dass der Druckanstieg an die anfälligeren kleinen distalen Arteriolen und Kapillaren weitergeben wird [36, 40].

Bricht die Autoregulation zusammen, werden die „tight junctions“ zwischen den Kapillarendothelzellen, die primär die Bluthirnschranke konstituieren, in ihrer Integrität gestört und es kommt zu einer „hydrostatischen“ Transsudation von intravasaler Flüssigkeit ins Interstitium mit z. T. petechialen Einblutungen. Das so entstehende vasogene Hirnödem ist morphologisch die Ursache des klinischen Bildes der HTE. Byrom et al. konnten dieses Phänomen bereits 1954 in Versuchen mit Ratten aufzeigen [41]. Die HTE ist bei rascher und suffizienter Gabe von antihypertensiven Medikation gut behandelbar und irreversible strukturelle Schäden bleiben nur, wenn das zerebrale Ödem über längere Zeit besteht. Eine HTE kann bereits ab 160/100 mmHG auftreten; bei vorbestehender Hypertonie kommt es aufgrund von Adaptationsvorgängen erst bei höheren RR-Werten (>200 mmHG systolisch) zum Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke. Prinzipiell kann solch ein hypertensiv bedingtes, zerebrales Hyperperfusionsödem in jedem Stromgebiet auftreten. In den meisten Fällen liegen die Veränderung bzw. das vasogene Ödem vorzugsweise im vom posterioren Stromgebiet versorgten Parenchym, also dem parietotemporookzipitalen Marklager, da hier aufgrund geringerer perivaskulärer sympathischer Innervation die Autoregulationskapazität eingeschränkt ist [42]. Autonome Kontrolle und insbesondere sympathische Innervation scheinen für die dynamische zerebrale Autoregulation und Justierung der Autoregulationsgrenzen essenziell [43, 44].

Das vasogene Ödem kann auch den Kortex und Areale außerhalb des parietookzipitalen Marklagers betreffen, weswegen der Begriff „posteriore Leukenzephalopathie“ eher unglücklich gewählt ist. In schwereren Fällen kann es zusätzlich zu Hirnstamm und Kleinhirnbeteiligung kommen [45, 46].

Während chronisch hypertensive zerebrale Veränderungen charakterisiert sind durch mikroangiopathisch-leukenzephalopathische Läsionen, lakunäre Schlaganfälle und Mikroblutungen in von perforierenden Arterien versorgten Arealen, kommt es bei der akuten HTE, respektive PRES-MRT-bildgebend zu den typischen Veränderungen eines vasogenen Ödems. So stellen sich in den T2-und FLAIR-gewichteten Sequenzen deutliche subkortikale und zumeist okziptial betonte Signalanhebungen dar. Die aus der Diffusionsbildgebung berechneten ADC-Maps („apparent diffusion coefficient“) zeigen korrespondierend eine Signalanhebung (vermehrte Diffusion) in den betroffenen Arealen, während in den diffusionsgewichteten Aufnahmen aufgrund des T2-Durchscheineffekts (starke T2-Signalverlängerung des vasogenen Ödems) sowohl eine Signalminderung, Isointensität oder Signalanhebung vorliegen kann.

Bei zytotoxischem Hirnödem (klassisches Beispiel: akuter ischämischer Hirninfarkt) würden sich korrespondierend zu den Signalanhebungen in der Diffusionswichtung eine Signalabsenkung in den ADC-Maps (verminderte Diffusion) darstellen [47, 48]. Limitierungen bestehen beim PRES jedoch beim gleichzeitigen Nachweis von zytotoxischen Ödemanteilen im vasogenen Ödembezirk, da in dieser Konstellation sowohl die ADC-anhebenden als auch -reduzierenden Faktoren gleichzeitig im selben Voxel vorliegen und sich herausmitteln können. In diesem Fall kann bereits ein für physiologisches Parenchym normaler ADC auf ein zytotoxisches Geschehen in einem vasogenen Ödembezirk hinweisen. Dieses Phänomen wird als sog. ADC-Pseudonormalisation bezeichnet und ist im Falle des PRES auch von prognostischer Relevanz, da es auf ein irreversibles, zytotoxisches Ödem hinweist [47, 48].

Auch bei Patienten mit schwerer Karotisstenose wurde vereinzelt ein Hyperperfusionssyndrom der ipsilateralen Hemisphäre nach Thrombendarteriektomie (TEA) beschrieben, welches bildmorphologisch und syndromatologisch einer HTE ähnelt. Erstes postoperatives Symptom war zumeist ein ipsilateraler, pochender Kopfschmerz gefolgt von fokalneurologischen Ausfällen [36, 49]. Oftmals lag bei diesen Patienten ein unvollständiger Circulus Willisi mit Isolation des Versorgungsgebiets der operierten hochgradigen Karotisstenose vom Rest des zerebrovaskulären Systems vor, sodass ein territorialer Zusammenbruch der Autoregulation mit Hyperperfusionsödem erklärt werden konnte.

Posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom

Seit der Erstbeschreibung von Hinchey et al. 1996 anlässlich einer Serie von 15 Fällen wird PRES als eigenes Krankheitsbild definiert. Die meisten Autoren sehen es jedoch als Variante oder Sonderform der hypertensiven Enzephalopathie an, da trotz z. T. unterschiedlicher Grunderkrankungen und auslösenden Faktoren die gleiche Endstrecke pathophysiologischer Prozesse mit akuter endothelialer Dysfunktion, Zusammenbruch der Autoregulation und Ausbildung eines vasogenen Hirnödems abläuft [50]. Das klinische Syndrom manifestiert sich durch heftige holozephale Kopfschmerzen, fokalneurologische Defizite (Sehstörung, Paresen, delirantes Syndrom), epileptische Anfälle und quantitative Bewusstseinstörungen. Sehstörung und kognitive Störungen sind bei der parietookzipitaler Betonung fast immer vorhanden. Die Patienten klagen am häufigsten über Verschwommensehen, Doppelbilder, Gesichtsfelddefekte, transiente kortikale Blindheit, Anosognosie bezüglich der kortikalen Blindheit (Anton-Syndrom), Hemianopsie und visuellen Neglekt. Sowohl Anton-Syndrom als auch ein visuelles Neglektsyndrom werden per definitionem vom Patienten nicht bemerkt und daher nicht „beklagt“.

Zahlreiche Ursachen und auslösende Faktoren des radiologisch und klinisch dann einheitlich ablaufenden Syndroms sind beschrieben. So kann PRES als Folge von diversen Krankheiten wie chronische Niereninsuffizienz, Glomerulonephritis, Sichelzellanämie, akute intermittierende Porphyrie, Eklampsie, HELLP-Syndrom, systemischer Lupus erythematodes (SLE) und hämolytisch-urämisches Syndrom auftreten, aber auch durch immunsuppressive oder zytotoxische bzw. antineoplastische Medikamente ausgelöst werden (Tab. 1, Abb. 1). Darüber hinaus sind einzelne Fälle von PRES auch bei Elektrolytstörungen, Infektion, Sepsis oder Schock oder als Komplikation nach Operationen oder Transplantation beschrieben [51]. In den überwiegenden Fällen ist aber zumeist die arterielle Hypertonie der letztendlich auslösende Faktor bzw. eine Kombination aus mehreren Ursachen wie z. B. Glomerulonephritis plus Immunsuppressiva plus arterieller Hypertonus. Im Gegensatz zur HTE ist eine moderat bis schwere arterielle Hypertonie aber nur in 75% der Fälle vorhanden.

Bei den meisten auslösenden Substanzen und Krankheiten kann eine Prädisposition für die Entwicklung eines PRES über eine direkte Endothelschädigung erklärt werden (Abb. 2). So kommt es beispielsweise bei der Eklampsie durch zytotoxische, trophoblastische Faktoren aus dem fetalen Plazentaanteil zu einer akuten endothelialen Dysfunktion [52]. Medikamente wie Cisplatin und Bleomycin können ebenfalls direkt zytotoxisch auf das Endothel wirken [53]. Auch von Immunsupressiva wie Ciclosporin ist bekannt, dass sie die Blut-Hirn-Schranke über direkte toxische Wirkung auf Endothelzellen schädigen können [54]. Beim SLE wird ebenfalls eine Endothelfunktionsstörung angenommen. Hier könnten Antiphospholipidantikörper eine ursächliche Rolle spielen, da beim primären Antiphospholipidsyndrom eine Erhöhung von Serummarkern der endothelialen Aktivierung (von-Willebrand-Faktor) und Zeichen der endothelialen Dysfunktion durch verminderte flussvermittelte Dilatation nachgewiesen werden konnten [55].

Die Mechanismen der Wirkung von den meisten immunsuppressiven und zytotoxischen Medikamenten als Auslöser für PRES sind allerdings nicht ausreichend untersucht. Bei Erkrankungen wie der chronischen Niereninsuffizienz spielt neben Elektrolytverschiebungen mit Hyponatriämie oder Hyperkalziämie und Störungen im Wasserhaushalt mit Flüssigkeitsretention auch eine Ansammlung toxischer Stoffwechselmetaboliten eine Rolle. Systemische Toxizität kann über eine endotheliale Schädigung und vermehrte Ausschüttung von z. B. Endothelin auch zu Vasokonstriktion und Vasospasmen führen. So konnten in Studien mit Gefäßdarstellung (Magnetresonanz-, digitale Subtraktionsangiographie) bei PRES häufig Zeichen für eine Vaskulopathie (Vasokonstriktion und Vasodilatation) mit moderaten bis schweren Gefäßunregelmäßigkeiten gefunden werden [39, 56, 57].

Tab. 1 Ausgewählte Substanzen als Auslöser für PRES
Abb. 1
figure 1

Typischer MRT-Befund eines posterioren reversiblen Enzephalopathiesyndroms bei einem akut symptomatischen Patienten mit systemischem Lupus erythematodes, Niereninsuffizienz und Hypertonus zum Zeitpunkt der Untersuchung. a Das T2-FLAIR-gewichtete Bild zeigt eine ausgedehnte, vornehmlich subkortikale Signalsteigerung beidseits okzipital. b In der diffusionsgewichteten Bildgebung (DWI) stellen sich diese Veränderungen weitestgehend isointens dar. c Als Ausdruck des vasogenen Ödemcharakters ist der „apparent diffusion coefficient“ (ADC) korrespondierend erhöht, d. h. die Diffusion in diesen Arealen ist erleichtert

Abb. 2
figure 2

Im Gegensatz zur hypertensiven Enzephalopthie (HTE) kann es beim posterioren reversiblen Enzephalopathiesyndrom (PRES) mit zusätzlich endothelschädigenden Faktoren auch ohne Vorliegen eines arteriellen Hypertonus zu einem Hirnödem kommen. SLE systemischer Lupus erythematodes

In einer epidemiologischen Studie zu hypertensiven Notfällen fanden Zamplagione et al., dass eine Schädigung des Gehirns mit hypertensiver Leukenzephalopathie 16% aller Endorganschädigung bei akuten hypertensiven Krisen ausmacht [58]. Wie der Name suggeriert, sind die Symptome und neuroradiologischen Veränderungen aber in den meisten Fällen innerhalb von Tagen reversibel, wenn der Blutdruck schnell unter Kontrolle gebracht wird bzw. der auslösende Faktor beseitigt ist. Hinchey et al. beschrieben in ihrer Fallserie eine komplette Remission nach 2 Wochen und 64% nach 7 Tagen [50]. Unbehandelt besteht allerdings eine sehr hohe Letalität.

In der Behandlung ist die frühzeitige Diagnosesicherung am besten mittels Magnetresonanztomographie samt diffusionsgewichteter Sequenzen (DWI) und ADC-Maps zur Differenzierung eines vasogenen und zytotoxischen Hirnödems sowie die rasche Identifizierung des möglichen auslösenden Faktors oder Grunderkrankung essenziell. Je nach Ursache sollte eine zügige antihypertensive Therapie mit Einstellung auf hochnormal Blutdruckwerten und/oder Absetzen oder Umstellen der auslösenden Substanzen (Immunsuppressiva, Zytostatika) erfolgen. Eine Blutdrucksenkung sollte innerhalb der ersten Stunden zunächst nicht mehr als 25% des Ausgangswertes betragen, da unter Umständen eine zu starke Blutdruckabsenkung in der Initialphase zur Verschlechterung der zerebralen Blutversorgung führen kann. Eine orale antihypertensive Medikation sollte aufgrund schlechter Steuerbarkeit in der Akutphase nicht eingesetzt werden. Medikamente der 1. Wahl sind insbesondere intravenös applizierbare Substanzen wie Urapidil, Hydralazin, Nimodipin, Natirum-Nitroprussid oder Clonidin. ACE (angiotensinkonvertierendes Enzym) -Inhibitoren sollten insbesondere bei Schwangeren nicht eingesetzt werden. Nitroglycerin ist aufgrund möglicher vasodilatativer Nebenwirkungen kein Medikament der 1. Wahl. Nimodipin kommt insbesondere als intravenöse Therapie bei MR-angiographisch oder neurosonologisch nachgewiesenen Vasospasmen wie beschrieben in Frage [59]. Zur antiödematösen Therapie mit Glukokortikoiden gibt es derzeit keine ausreichende Evidenz und sie werden sogar als PRES-auslösende Faktoren diskutiert [60]. Bei Elektrolytstörungen sollte ein rascher Ausgleich angestrebt (cave: pontine Myelinolyse!), bei Eklampsie sollte eine zeitnahe Entbindung angestrebt werden. Insgesamt ist die Prognose mit über 90% restitutio ad integrum bei adäquater und zügiger Therapie recht gut [61].

Fazit für die Praxis

Im Konsens mit den Leitlinien der internationalen Kopfschmerzgesellschaft gibt es mittlerweile ausreichend Evidenz durch große Querschnittstudien, dass Kopfschmerzen bei chronischer arterieller Hypertonie nicht häufiger vorkommen und der sogenannte „hypertensive Kopfschmerz“ wohl eher ein Mythos ist, obwohl schon aufgrund der Häufigkeit beider Erkrankungen Kopfschmerz und Bluthochdruck häufig zusammen vorkommen.

Davon abzugrenzen sind paroxysmale hypertensive Entgleisungen zumeist als Folge von eigenständigen Erkrankungen wie z. B. das Vorliegen eines Phäochromozytoms, die Störung von Barorezeptorreflexen nach einer Karotisendarteriektomie oder die Einnahme exogener Substanzen (Kokain, Sympathomimetika), die nach IHS Klassifikation Kopfschmerzen verursachen können.

Darüber hinaus existieren weitere Gründe, warum sich der Mythos des „hypertensiven Kopfschmerzes“ so hartnäckig hält.

  1. 1.

    In der Notfallsituation sind Kopfschmerzen oft Ursache einer Blutdruckentgleisung, da Bluthochdruck ein Epiphänomen von Schmerz ist, wie z. B. eine reaktive arterielle Hypertonie im Rahmen einer akuten Subarachnoidalblutung.

  2. 2.

    Kopfschmerzen sind häufige Nebenwirkungen vieler antihypertensiver Medikamente, insbesondere von Kalziumkanalblockern (z. B. Nifedipin).

  3. 3.

    Kopfschmerzen sind Symptom der hypertensiven Enzephalopathie (HTE) und des posterioren reversiblen Enzephalopathiesyndroms (PRES). Hier treten zumeist im Rahmen von internistischen Erkrankungen mit sekundärem arteriellem Hypertonus wie z. B. beim Phäochromozytom und insbesondere bei hypertensiven Krisen Kopfschmerzen als Leitsymptom der Blutdruckentgleisung auf und gehen mit einer strukturellen Hirnschädigung einher. Wenn also zusätzlich zur Blutdruckentgleisung und einem diffus pulsierenden und durch Aktivität verstärkten Kopfschmerz noch fokalneurologische Symptome wie Gesichtsfeldausfälle, epileptische Anfälle oder Bewusstseinstörungen hinzukommen, muss man insbesondere nach Ausschluss von akuten entzündlichen (Meningitis, Enzephalitis) oder vaskulären Erkrankungen (ischämischer Schlaganfall, Sinusvenenthrombose, Hirnblutung) immer auch an eine HTE oder bei multifaktorieller Genese an ein PRES denken. Zeitnah sollte eine MRT mit diffusionsgewichteten Sequenzen und ADC-Maps durchgeführt werden, in denen vornehmlich ein vasogenes Hirnödem in der weißen Substanz der Parietookzipitalregion zur Darstellung kommt.

    Pathophysiologisch geht man derzeit von einem Hyperperfusionssyndrom mit Zusammenbruch der zerebralen Autoregulation, Störungen der Blut-Hirn-Schranke und erhöhter endothelialer Permeabilität aus. Bei zügiger und adäquater Therapie sind die klinischen Symptome und neuroradiologischen Befunde aber in den meisten Fällen gut rückläufig. Hierzu zählt insbesondere die rasche intravenöse Einstellung des Blutdrucks auf hochnormale Werte, Behandlung der epileptischen Anfälle, Korrektur von Elektrolyt- und Gerinnungsstörung und gegebenenfalls das Absetzen, Umstellen oder Reduzieren des auslösenden Medikaments (Immunsuppressivum, Chemotherapeutikum). Eine intensivmedizinische Überwachung mit der Möglichkeit des arteriellen Blutdruckmanagements, kardiopulmonalem Monitoring und gegebenenfalls maschineller Beatmung ist in jedem Fall indiziert.