Rief und Hofmann [1] kritisieren in Ausgabe 5/2009 von Der Nervenarzt in einer ausführlichen Stellungnahme unsere 2008 in JAMA (Journal of the American Medical Association) erschienene Metaanalyse zur Wirksamkeit psychodynamischer Langzeittherapie („long-term psychodynamic psychotherapy“, LTPP) [2].Footnote 1 Diese Stellungnahme ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert:

  1. 1.

    Die inhaltlichen Argumente der Autoren erweisen sich bei genauer Betrachtung als durchweg nicht haltbar, was wir im Folgenden für jedes einzelne Argument zeigen werden.

  2. 2.

    Darüber hinaus arbeiten die Autoren mit Auslassungen und Unterstellungen, die den Eindruck erwecken, als hätten wir bewusst gegen Prinzipien wissenschaftlicher Redlichkeit und guter wissenschaftlicher Praxis verstoßen. Damit geht die Stellungnahme von Rief und Hofmann über eine wissenschaftliche Auseinandersetzung unter Fachkollegen hinaus und stellt einen besonderen Vorgang dar. Wir werden dieses rufschädigende Vorgehen anhand der Aussagen von Rief und Hofmann belegen.

Es ist gute wissenschaftliche Praxis, dass Autoren von den Herausgebern einer Zeitschrift vorab über kritische Stellungnahmen zu ihren Beiträgen informiert werden und dass ihnen die Gelegenheit zu einer Erwiderung gegeben wird. So ist z. B. JAMA mit kritischen Beiträgen zu unserer Metaanalyse verfahren [3]. Der Nervenarzt ist leider nicht so verfahren. Wir sind erst durch Kollegen auf die Stellungnahme von Rief und Hofmann [1] aufmerksam gemacht worden.

Noch eine letzte Anmerkung vorweg: Wir haben unsere Metaanalyse nicht in irgendeiner x-beliebigen Zeitschrift publiziert, sondern in JAMA, wo die Arbeit im Vorfeld der Veröffentlichung ein strenges Review-Verfahren durchlaufen hat. JAMA gehört im Bereich der Medizin weltweit zu den drei wichtigsten Zeitschriften. JAMA ist nicht dafür bekannt, Beiträge zur psychodynamischen Therapie bevorzugt zu behandeln. Die von Rief und Hofmann ([1], S. 593) angedeutete Unterstellung einer möglichen Voreingenommenheit der Reviewer dieser Zeitschrift entbehrt jeglicher Grundlage.

Nun zu den Kritikpunkten von Rief und Hofmann im Einzelnen:

Unsere Metaanalyse untersucht nicht Psychoanalyse, sondern psychodynamische Langzeittherapie

Schon die Überschrift der Stellungnahme von Rief und Hofmann enthält einen zentralen Fehler und eine daran gekoppelte Unterstellung. Die Überschrift lautet nämlich: „Die Psychoanalyse soll gerettet werden: Mit allen Mitteln?“ ([1], S. 593). Unsere Metaanalyse hat jedoch nicht „Psychoanalyse“ ([1], S. 593) oder „Langzeitpsychoanalyse“ („LZPA“, [1], S. 593) zum Gegenstand, sondern psychodynamische Langzeittherapie („long-term psychodynamic psychotherapy“, LTPP). Dies geht bereits aus dem Titel unserer Arbeit hervor („The effectiveness of long-term psychodynamic psychotherapy: a meta-analysis“) ([2], S. 1551). Wir beanspruchen an keiner Stelle unserer Metaanalyse, Aussagen spezifisch über „Psychoanalyse“ oder „Langzeitpsychoanalyse“ zu machen. Die gesamte Argumentation von Rief und Hofmann [1] beruht auf dieser fälschlichen Behauptung. Sie geht somit von einer falschen Prämisse aus und alle daraus abgeleiteten Schlüsse sind daher nicht haltbar.

Formale Definition psychodynamischer Langzeittherapie

Unter Bezug auf eine Definition von Crits-Christoph und Barber (2000) haben wir psychodynamische Langzeittherapie als eine Form der psychodynamischen Psychotherapie definiert, die mindestens 50 Sitzungen oder mindestens ein Jahr Dauer umfasst ([2], S. 1552). Dies schließt zwar die klassische analytische (Langzeit-)Psychotherapie (im Sinne der deutschen Psychotherapierichtlinien) mit ein, aber auch kürzere und modifizierte analytisch begründete Verfahren (z. B. die übertragungsfokussierte Therapie nach Kernberg oder mentalisierungsbasierte Therapie nach Bateman und Fonagy zur Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen). Das von uns zugrunde gelegte Kriterium von Dauer und/oder Sitzungszahl erfüllen alle in die Metaanalyse eingeschlossenen Studien, einschließlich aller selektiv von Rief und Hoffmann ([1], S. 594) als vermeintliche Gegenbeweise genannten Untersuchungen (Dare et al., Hoglend et al., Vinnars et al., Svartberg et al.). – In der Tat handelt es sich bei diesen von Rief und Hoffmann ([1], S. 594) angeführten Studien nicht um Untersuchungen zur „Psychoanalyse“ oder „Langzeitpsychoanalyse“. Es sind – wie es dem Titel und Gegenstand unserer Metaanalyse entspricht – Studien zur psychodynamischen Langzeittherapie.

Inhaltliche Definition der untersuchten Behandlungsform (Treatment-Integrität)

Rief und Hofmann ([1], S. 594) werfen uns vor, dass wir die „Treatment-Integrität“ der Behandlungen „nur oberflächlich und zum Teil falsch“ kategorisiert hätten. Sie führen als Beleg eine Reihe von Untersuchungen an, z. B. die Studie von Vinnars et al., die ihre Behandlungsform als „supportiv-expressiv“ bezeichnet haben. Aus dieser Bezeichnung leiten die Autoren ab, dass es sich nicht um „LZPA“ gehandelt habe. Vinnars et al. haben in der Tat psychodynamische Langzeittherapie untersucht, nicht „Langzeitpsychoanalyse“. Weder Vinnars et al. noch wir haben aber je etwas anderes beansprucht. Es ist deshalb tendenziös, wenn Rief und Hoffmann ([1], S. 594) uns unter Bezug auf die von ihnen angeführten Studien (Dare et al., Hoglend et al., Vinnars et al., Svartberg et al.) vorwerfen:

„In allen diesen Fällen kann wohl keine Übereinstimmung mit den üblichen Inhalten einer klassischen LZPA [„Langzeitpsychoanalyse“] angenommen werden, obwohl dies die Autoren so suggerieren.“

Wir haben nichts Derartiges suggeriert.

Rief und Hofmann erwecken den Eindruck, wir hätten „Langzeitpsychoanalyse“ untersuchen wollen, die eingeschlossenen Studien wären aber gar keine zu dieser Behandlungsform. Sie bauen gleichsam einen Strohmann auf, den sie dann bekämpfen. Mit unserer Metaanalyse hat dies nichts zu tun, offenbar aber mit den Intentionen von Rief und Hofmann.

Der Vergleich von RCTs und Beobachtungsstudien wurde a priori durchgeführt

Wie in unseren Einschlusskriterien beschrieben ([2], S. 1552), haben wir sowohl randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) als auch Beobachtungsstudien eingeschlossen. Es ging uns dabei darum zu prüfen, ob die beiden Untersuchungstypen unterschiedliche Ergebnisse liefern. Dies ist aus zwei Gründen wissenschaftlich sinnvoll: Auf diese Weise wird zum einen geprüft, ob die unter kontrollierten experimentellen Bedingungen durchgeführten RCTs Ergebnisse liefern, die von denen abweichen, die unter den Bedingungen der klinischen Praxis durchgeführt worden sind (eben Beobachtungsstudien). Zum anderen kann so geprüft werden, ob die Ergebnisse von Beobachtungsstudien die Effekte einer Behandlung im Vergleich zu kontrollierten Studien systematisch unter- oder überschätzen. Bevor (!) wir die Effekte psychodynamischer Langzeittherapie über alle 23 eingeschlossenen Studien ausgewertet haben, haben wir die Ergebnisse von RCTs mit denen von Beobachtungsstudien verglichen und keine signifikanten Unterschiede in den Therapieeffekten gefunden ([2], S. 1559). Erst danach haben wir eine gemeinsame Auswertung über alle 23 Studien vorgenommen:

„In view of these findings, data from RCTs and observational studies were combined in the further analyses of the effects of LTPP …“ ([2], S. 1559).

Es ist daher schlicht unwahr, wenn Rief und Hofmann behaupten, wir hätten diesen Vergleich erst post hoc vorgenommen [[1], S. 593].

Keine „Inflationierung“ von Behandlungseffekten

Da keine signifikanten Unterschiede zwischen RCTs und Beobachtungsstudien gefunden wurden, kommt es auch hier nicht zu der von Rief und Hofmann ([1], S. 593, 596) behaupteten „Inflationierung von Effekten und Verzerrung von Ergebnissen“. Rief und Hofmann ignorieren die von uns mitgeteilten empirischen Ergebnisse und argumentieren stattdessen auf der Basis spekulativer Unterstellungen („Inflationierung“).

Publikationsbias und Fail-safe-N-Werte

Die Autoren wiederholen ihre (unzutreffende) Behauptung der „Inflationierung von Effekten“ etwas später noch einmal, nämlich in Zusammenhang mit den von uns ermittelten Fail-safe-N-Werten ([1], S. 596). Rief und Hofmann versteigen sich hier zu der Unterstellung (S. 596): „Leichsenring und Rabung … haben dies offensichtlich gezielt ausgenutzt.“ – Mit „dies“ ist die (nicht existierende) Inflationierung von Behandlungseffekten gemeint. Hier wird uns Absicht unterstellt und Manipulation. Spätestens hier verlassen Rief und Hofmann den Bereich seriöser wissenschaftlicher Auseinandersetzung. In jedem Falle weisen wir eine derartige Unterstellung zurück.

Besonders gravierend ist an dieser expliziten Unterstellung, dass sie mit einer falschen Behauptung untermauert wird: Rief und Hofmann erklären nämlich ([1], S. 596), dass bei der Bestimmung der Fail-safe-Ns „die vergleichenden RCTs … ohne offensichtlichen Grund nicht berücksichtigt“ worden wären. Dies ist erneut unwahr. Was die Autoren zu solch einer falschen Aussage bewegt hat, können wir nicht wissen.

Effekte von Pharmakotherapie kontrolliert

Rief und Hofmann ([1], S. 595) schreiben, dass „bei fast allen Studien … unkontrolliert konkurrierende Pharmakotherapie erlaubt“ gewesen sei – tatsächlich wurde aber nur in 7 der 23 Studien eine begleitende Pharmakotherapie eingesetzt. Rief und Hofmann folgern daraus (S. 595):

“Wie kann aus einer solchen Zusammenstellung von Studien geschlossen werden, dass positive Effekte auf Langzeitpsychoanalyse zurückzuführen sind?“

Auch hier handelt es sich um einen Fehlschluss der Autoren, der nicht nachzuvollziehen ist: Wir haben den Effekt von Pharmakotherapie in unserer metaanalytischen Auswertung explizit kontrolliert ([2], S. 1560). Hierzu haben wir geprüft, ob Studien mit Pharmakotherapie andere Ergebnisse lieferten als solche ohne. Da in einem Auswertungsbereich („Zielsymptome“) Studien mit Medikamentengabe schlechtere (!) Ergebnisse erreichten, haben wir für die Bestimmung der Effekte der psychodynamischen Langzeittherapie (LTPP) nur die Studien ohne Medikamentengabe einbezogen ([2], S. 1560):

„To avoid bias when estimating the effects of LTPP in specific groups of patients, we decided to include only studies of LTPP alone without concomitant psychotropic medication.“

Einem einigermaßen sorgfältigen Leser konnte dies eigentlich nicht entgangen sein.

Als Zielgruppe haben wir „komplexe Störungen“ definiert

Neben der – oben von uns widerlegten – Behauptung, wir hätten die untersuchte Therapie nicht definiert, führen Rief und Hofmann als zweiten „zentralen Punkt“ an, wir hätten die Zielgruppe, bei der die untersuchte Behandlung wirksam sein soll, nicht beschrieben ([1], S. 594): „Im Fall der vorliegenden Metaanalyse unterbleibt eine solche diagnostische Eingrenzung völlig“. – Dies trifft nicht zu: Wir haben an mehreren Stellen ([2], z. B. S. 1551, 1552, 1553, 1561, 1562) deutlich hervorgehoben, dass der Schwerpunkt unserer Auswertung auf den Effekten von psychodynamischer Langzeittherapie bei „komplexen“ psychischen Störungen liegt. Letztere haben wir definiert als chronische Störungen, multiple psychische Störungen oder Persönlichkeitsstörungen ([2], S. 1552). Bereits im Abstract schreiben wir:

„Objective: To examine the effects of LTPP, especially in complex mental disorders, i.e. patients with personality disorders, chronic mental disorders, multiple mental disorders, and complex depressive and anxiety disorders (i.e. associated with chronic and/or multiple mental disorders), by performing a meta-analysis“ ([2], S. 1551).

Als Beleg für ihre Behauptung, wir hätten die Zielgruppe diagnostisch nicht eingegrenzt, führen Rief und Hofmann ([1], S. 595) u.a. die Studie von Svartberg et al. an. Diese bezieht sich jedoch explizit auf Patienten mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen, die mit reliablen Methoden (SKID II) diagnostiziert worden sind. Auch hier nehmen Rief und Hofmann Informationen, die in unserer Metaanalyse (und natürlich auch in der Originalpublikation) eindeutig enthalten sind, nicht zur Kenntnis.

Der Fokus unserer Metaanalyse zur Wirksamkeit psychodynamischer Langzeittherapie lag also klar auf den von uns definierten komplexen Störungen. Im Übrigen haben wir unter Bezug auf Ergebnisse aus der Dosis-Wirkungs-Forschung ausdrücklich betont, dass für die meisten Patienten mit akuten psychischen Störungen kürzere Therapien ausreichend sind ([2], S. 1551). Es kann daher keine Rede davon sein, dass wir für alle Formen psychischer Störungen Langzeittherapie als hilfreich benannt haben, sondern nur für bestimmte Indikationen. Die Ergebnisse aus der Dosis-Wirkungs-Forschung zeigen aber auch, dass Kurzzeittherapien für viele Patienten mit chronischen Störungen und für die meisten Patienten mit Persönlichkeitsstörungen nicht ausreichend sind und Langzeittherapien höhere Besserungsraten haben. – Hier haben wir im Übrigen auch die kognitive Verhaltenstherapie eingeschlossen, die bei der Behandlung von Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung etwa mit dialektisch-behavioraler Therapie (DBT) ebenfalls als Langzeittherapie durchgeführt wird. Auch dies haben wir ausdrücklich angemerkt ([2], S. 1551).

Heterogene Kontrollgruppen

Bei der Auswertung der kontrollierten Studien haben wir die Effekte psychodynamischer Langzeittherapie mit denen kürzerer psychotherapeutischer Methoden verglichen, die in den Kontrollbedingungen dieser Studien untersucht worden sind. Diese umfassten verschiedene Behandlungsformen, z. B. „treatment as usual“, „cognitive-analytic therapy“, psychodynamische Kurzeittherapie, Familientherapie oder eben auch kognitiv-behaviorale Therapie. Letztere wurde z. B. in den Vergleichsgruppen der Studien von Clarkin et al. (in Form von dialektisch-behavioraler Therapie) oder Svartberg et al. eingesetzt. Bei der in unserer Metaanalyse untersuchten Vergleichsgruppe handelt sich damit um eine heterogene (gemischte) Kontrollgruppe. Aus diesem Grund haben wir in dieser Metaanalyse keine Aussage dazu gemacht, dass psychodynamische Langzeittherapie wirksamer sei als eine andere spezifische Form der Psychotherapie, insbesondere dann nicht, wenn letztere auch als Langzeittherapie durchgeführt wird. Der Vergleich mit der gemischten Kontrollgruppe hat vielmehr gezeigt, dass psychodynamische Langzeittherapie zu signifikant größeren Effekten führt als (verschiedene) kürzere Behandlungsformen, v.a. eben auch bei komplexen psychischen Störungen. Dies gilt sowohl bei Zugrundelegung der Prä-post-Effektgrößen [2] als auch bei Zugrundelegung der Zwischen-Gruppen-Effektgrößen [3].

Da wir psychodynamische Langzeittherapie mit einer gemischten Kontrollgruppe verglichen haben, ist der von uns vorgenommene Vergleich strenger als ein Vergleich allein mit „treatment as usual“, aber weniger streng als ein Vergleich mit einer spezifischen Form der Psychotherapie (etwa ausschließlich mit kognitiver Therapie). Im Hinblick auf die Hierarchie der Evidenz [4] liegt der von uns durchgeführte Vergleich zwischen diesen beiden Evidenzstufen. Unser Vergleich kontrolliert jedoch die unspezifischen Faktoren der Psychotherapie (Aufmerksamkeit, Zuwendung etc.), da diese (und weitere) Faktoren in den Vergleichgruppen ebenfalls vertreten waren. Insofern handelt es sich bei diesem Vergleich um einen spezifischen Wirkungsnachweis im Sinne von Chambless und Hollon [5].

Korrekterweise haben wir die in den Vergleichgruppen enthaltenen verschiedenen Behandlungen – wie auch oben geschehen – in unserer Metaanalyse benannt, dazu gehörte eben auch die kognitiv-behaviorale Therapie. Rief und Hofmann ([1], S. 595) leiten hieraus die Unterstellung ab, es „ … soll hier suggeriert werden, die LZPA erbringe bessere Erfolge als kognitive Therapie“. Wer unseren Artikel liest, wird jedoch weder eine solche Aussage noch eine derartige Suggestion finden.

Ein Ergebnis unserer Metaanalyse war, dass psychodynamische Langzeittherapie bei komplexen Störungen (verschiedenen) kürzeren Behandlungsformen überlegen ist. Wir gehen davon aus, dass das nicht nur für die psychodynamische Langzeittherapie gilt, sondern auch für andere Therapieformen, wenn sie als Langzeittherapie angewandt werden. Wir haben ja oben und auch in unserer Metaanalyse darauf hingewiesen, dass z. B. auch die verhaltenstherapeutischen Behandlungsformen nach Linehan oder Young für die Borderline-Persönlichkeitsstörung Langzeittherapie gemäß unserer Definition sind.

Intention-to-treat-Analyse

Rief und Hofmann ([1], S. 596) behaupten zu unrecht in Bezug auf unsere Metaanalyse:

„Im vorliegenden Fall wurde jedoch keine Intention-to-treat-Analyse durchgeführt, sondern alle Analysen basieren auf den ‚Completer-Datensätzen’“.

Wie im Methodenteil unserer Metaanalyse explizit beschrieben ([2], S. 1553), haben wir jedoch die Ergebnisse der Intent-to-treat-Stichprobe herangezogen, wenn diese mitgeteilt wurden (wie z. B. in den Arbeiten von Gregory et al., Knekt et al., Vinnars et al.). Wenn dies in den Originalarbeiten nicht der Fall ist, bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die Ergebnisse der Completer-Analyse zu beziehen. Dabei steht völlig außer Frage, dass Intent-to-treat-Analysen natürlich wünschenswert sind.

Selektive Beurteilung einzelner Studien

Rief und Hofmann ([1], S. 596) äußern sich kritisch zu den Ergebnissen einzelner von uns einbezogener Studien. So schreiben sie z. B. in Bezug auf ein – isoliert herausgegriffenes – Ergebnis der Studie von Bateman und Fonagy: „… wie ist es zu werten, dass die angeblich hocheffektive LZPA zum Teil nur minimale Verbesserungen erbringt …“ ([1], S. 596). Rief und Hofmann übersehen hier, dass es ja gerade die Leistung der metaanalytischen Methodik ist, über die Ergebnisse einzelner Studien hinaus Aussagen von größerer Allgemeinheit zu erzielen. – In jeder Metaanalyse lassen sich einzelne Studien finden, deren Ergebnis vom Gesamtergebnis (z. B. einem Mittelwert) abweicht. Das ist trivial.

Follow-up-Studien wurden einbezogen

Rief und Hofmann ([1], S. 596) werfen uns vor, wir hätten die Stabilität der Effekte nicht untersucht, da wir keine Ergebnisse aus Follow-up-Studien einbezogen hätten. Auch dies trifft schlicht nicht zu. Die Tabellen 2, 3 und 4 enthalten diese Ergebnisse ausdrücklich, im Text wird immer wieder darauf Bezug genommen, im Methodenteil unserer Metaanalyse ist die Einbeziehung von Follow-up-Studien explizit beschrieben ([2], S. 1553):

„To examine the stability of psychotherapeutic effects, we assesssed effect sizes separately at the termination of therapy and at follow-up“.

Nur bei dem Vergleich der Effekte psychodynamischer Langzeittherapie mit denen der Vergleichsgruppen haben wir auf die Einbeziehung von Katamnesedaten verzichtet, da die Anzahl der Studien, die entsprechende Daten liefern, zu gering war, um Signifikanztests sinnvoll durchführen zu können. Auch hier nehmen Rief und Hofmann von uns publizierte Informationen also nicht zur Kenntnis bzw. stellen diese selektiv dar.

Daten aus laufenden Therapien wurden nicht einbezogen

Rief und Hofmann ([1], S. 596) werfen uns vor, wir hätten Studien einbezogen, bei denen „ein substanzieller Anteil der Patienten weiterhin in Behandlung [ist], und die ‘Post-Werte’ sind nur Zwischenmessungen (z. B. bei Giesen-Bloo et al.)“. – Auch hier bleibt dem aufmerksamen Leser unserer Metaanalyse nichts anderes übrig als sich zu wundern, da wir gerade solche Studien explizit ausgeschlossen und dies ausdrücklich diskutiert haben ([2], S. 1563):

„Several studies did not meet our inclusion criteria because the majority of patients had not completed their treatments at the time points when effect sizes were assesssed by the authors of the original studies. This was true for example for the studies by … Giesen-Bloo et al.“

Kann man das wirklich übersehen?

Kein „Kavaliersdelikt“ – was dann?

Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, muss mit sachlicher Kritik rechnen und leben. In ihrem „Fazit“ verlassen Rief und Hoffmann jedoch völlig die Ebene sachlicher Kritik und schlagen eindeutig unter die Gürtellinie, wenn sie unter Bezug auf unsere Metaanalyse schreiben:

„Allerdings sind tendenziöse und letztendlich falsche Zusammenfassungen von Studien auch kein Kavaliersdelikt: Der volkswirtschaftliche und gesundheitsökonomische Schaden durch eine solche Art der Informationsvermittlung ist immens … und der persönliche Schaden für die Patienten durch Fehlinformation der Behandler darf auch bei der Psychotherapie nicht heruntergespielt werden“ [[1], S. 596].

Die Autoren unterstellen hier, dass wir mit unserer Metaanalyse, die aus ihrer Sicht eine „letztendlich falsche Zusammenfassungen von Studien“ darstellt, bewusst Schaden für die Volkswirtschaft und für Patienten in Kauf nehmen. Mit wissenschaftlich seriöser Kritik hat dies nichts mehr zu tun. Hier handelt es sich um reine Unterstellung. – Wie „wissenschaftlich“ das eigene Vorgehen von Rief und Hofmann [1] in ihrer Stellungnahme gewesen ist, darüber möge sich der Leser ein eigenes Urteil bilden.

In jedem Fall völlig inakzeptabel ist in diesem Zusammenhang die Verwendung des Begriffs „Kavaliersdelikt“. Wenn das, was wir (angeblich) getan haben, kein Kavaliersdelikt ist, was ist es nach Ansicht von Rief und Hofmann dann – ein schwerwiegendes Delikt? Der Begriff unterstellt Absicht und wissenschaftliche Unredlichkeit. Er bringt unsere wissenschaftliche Arbeit in die Nähe krimineller Aktivitäten. Das ist so nicht hinnehmbar. Nicht wir haben die Spielregeln guter wissenschaftlicher Praxis verletzt, sondern Rief und Hofmann [1].

Fazit

Bei genauer Betrachtungsweise und allein bei sorgfältiger Lektüre unseres Artikels [2] lassen sich die von Rief und Hofmann [1] gegen unsere Metaanalyse erhobenen Vorwürfe als unhaltbar belegen. Die Autoren ignorieren immer wieder wichtige Informationen, die in unserer Metaanalyse enthalten sind. Sie unterstellen Sachverhalte, die nicht zutreffen und die wir in dieser Form nie behauptet haben. Dies geht über eine Auseinandersetzung unter Wissenschaftlern hinaus. Offenbar geht es um etwas anderes: um Politik. Die Stoßrichtung dürfte nach Riefs Plädoyer [6] für eine Übertragung des englischen Modells der (Ultra-)Kurzzeitpsychotherapie auf deutsche Verhältnisse auch klar sein. So fragt Rief im Titel seines Artikels: „450 Millionen Sondermittel für Verhaltenstherapie – ist die britische Initiative für psychisch Kranke ein Modell für Deutschland?“ ([6], S. 212). Aus „gesundheitsökonomischer“ Sicht plädiert Rief hier für Therapien mit einem Umfang von 5 bis 15 Sitzungen. Zu einem solchen Modell passt eine Studie, die die Wirksamkeit und Indikation von (psychodynamischer) Langzeittherapie belegt, natürlich ganz und gar nicht. So schreibt Rief ([6], S. 213):

„Es muss daher als Tatsache gelten, dass die meisten ambulanten Psychotherapien in Deutschland zu lange dauern.“

Muss es das tatsächlich? Empirische Daten etwa aus der von uns zitierten Dosis-Wirkungs-Forschung weisen in eine andere Richtung, im Übrigen ja auch die Studien zur Verhaltenstherapie schwerer Persönlichkeitsstörungen (z. B. zu DBT).

Wir haben uns als Wissenschaftler mit einem komplexen Thema befasst. Wie in jedem Forschungsbereich haben wir mit inhaltlichen und methodischen Problemen zu kämpfen gehabt. Diese Probleme haben wir nach bestem Wissen und Gewissen gelöst. Wir würden nie bestreiten, dass unsere Metaanalyse nicht auch ihre Grenzen hat. So ist die Zahl qualitativ hochwertiger Studien zur psychodynamischen Langzeittherapie begrenzt, insbesondere die Zahl kontrollierter Studien. Es ist daher wünschenswert, dass in Zukunft weitere Studien zu dieser Behandlungsform durchgeführt werden.

Gegenwärtig arbeiten wir an einem Update unserer Metaanalyse zur psychodynamischen Langzeittherapie. In diesem werden wir versuchen, verschiedene aus unserer Sicht zu Recht kritisierte Schwächen unserer ursprünglichen Analyse soweit wie möglich zu beheben – vgl. hierzu z. B. die im JAMA zu unserer Metaanalyse veröffentlichten „Letters to the Editor“ und unser Reply [3]. Zu einer sachlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung sind wir als Wissenschaftler immer bereit. Rief und Hoffmann, denen in diesem Heft auch noch Gelegenheit gegeben wird, zu unserer Erwiderung ausführlich Stellung zu nehmen, wiederholen dagegen nur ihre bekannte Mischung aus Polemik und Kritik. Das ist wissenschaftlich wenig überzeugend. Es wundert deshalb auch nicht, dass ihre Stellungnahme von JAMA abgelehnt wurde.