Die Hypothese von der Existenz eines „Suchtgedächtnisses“ und dessen Bedeutung für das Rückfallgeschehen existiert in der klinisch-empirischen Suchtforschung seit über 30 Jahren [3, 26, 49]. Selbst nach jahrelanger Abstinenz können suchtmittelassoziierte Hinweisreize das suchtspezifisch erlernte Verhalten reaktivieren und einen Rückfall einleiten. Aktuelle präklinische Studien zeigen, dass sich bei der Suchtentwicklung Veränderungen auf molekularer, neuronaler und struktureller Ebene finden, die denen des physiologischen Lernens sehr ähnlich sind und damit vermutlich eine wesentliche Rolle bei der Entstehung und Persistenz von Abhängigkeitserkrankungen spielen.

Neuropsychologie und Neuroanatomie eines Suchtgedächtnisses

Lernprozesse setzen die Veränderbarkeit neuronaler Verbindungen im Nervensystem voraus. Das Gehirn ist kein statisches Organ, sondern plastisch in Abhängigkeit von Aktivität und Erfahrung [7]. Lernen umfasst zunächst die Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung und in der Folge die Fähigkeit, künftiges Verhalten daran zu orientieren [21]. Eine für die Entstehung von Suchterkrankungen entscheidende Rolle spielt dabei das belohnungsassoziierte Lernen [16]. Dabei initiieren die über das mesolimbische Verstärkersystem vermittelten hedonischen Konsequenzen Lernprozesse, insbesondere für die positive Bewertung der Hinweisreize, die den Erhalt der Belohnung vorhersagen [16]. In Übertragung der Modelle der klassischen (Pawlowschen) Konditionierung können ursprünglich neutrale Reize, die mit der Drogeneinnahme assoziiert werden, das Drogenverlangen auslösen und zur erneuten Drogeneinnahme motivieren, während bei der operanten (instrumentellen) Konditionierung die Konsequenzen, die einem Verhalten folgen, über die Wahrscheinlichkeit seines zukünftigen Auftretens entscheiden. Dabei kann der Suchtmittelkonsum sowohl zu angenehmen Konsequenzen (positive Verstärkung) als auch zur Vermeidung von unangenehmen Konsequenzen (z. B. Entzugserscheinungen) beitragen (negative Verstärkung).

Betrachtet man die Persistenz von Suchterkrankungen, ist dabei von einem spezifischen und in Teilen (s. oben) zeitstabilen Gedächtnissystem auszugehen. Innerhalb des sog. Langzeitgedächtnisses wird zwischen dem bewusst zugänglichen deklarativen oder expliziten und dem unbewussten nichtdeklarativen oder impliziten Gedächtnis unterschieden. Dem impliziten Gedächtnis werden z. B. neben dem prozeduralen Gedächtnis (Bewegungsmuster), Gewohnheitslernen und einfache Konditionierungsformen zugeordnet, so dass sich ein Suchtgedächtnis insbesondere aus nichtdeklarativen Inhalten konstituiert (Abb. 1). Dabei ist anzunehmen, dass die durch chronischen Suchtmittelgebrauch induzierte neuronale Plastizität zur Ausbildung eines impliziten Gedächtnisses führt.

Süchtiges Verhalten wird, anders als z. B. das Lernen einer Sprache, überwiegend in phylogenetisch sehr alten Hirnsystemen gelernt. Im Mittelpunkt steht dabei das sog. mesolimbische Belohnungssystem, dessen Projektionen vom ventralen Tegmentum (VTA) des Mittelhirns in das ventrale Striatum und von dieser Umschaltstation in den präfrontalen Kortex (PFC) reichen. Zusätzlich existieren vielfältige reziproke Verbindungen zwischen dem VTA und dem Hippokampus, als wichtige Region für das explizite Langzeitgedächtnis, welche bei der bevorzugten Enkodierung von neuen Stimuli im Zusammenhang mit motivationellen und verstärkenden Signalen zusammenwirken [28]. Beim Nucleus accumbens (NAc) als Hauptbestandteil des ventralen Striatums werden anatomisch, aber auch in ihrer Funktion, die Kern- und die Randregion unterschieden. Während die Randregion den Einfluss von primären (unkonditionierten) Verstärkern vermittelt, ist die Kernregion für die Reaktion auf klassisch konditionierte Hinweisreize verantwortlich [17]. Die basolaterale Amygdala (BLA) spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle beim Abruf von Verhaltensreaktionen auf entsprechende Hinweisreize und bei der Konditionierung von Assoziationen zwischen motivational und emotional relevanten Ereignissen und bis dahin unkonditionierten Stimuli, die deren Eintreffen vorhersagen [12]. Im Verlauf der Suchtentwicklung kommt es zu einer zunehmenden Verschiebung der vom ventralen Striatum abhängigen belohnungsassoziiert zielgerichteten Verhaltensweisen hin zu Reiz-Reaktions-Schemata, welche vom dorsalen Striatum als sensomotorische Schnittstelle verarbeitet werden [12]. Insbesondere Bildgebungsstudien weisen zudem auf eine zentrale Rolle von Neuroadaptionen in den Strukturen des präfrontalen Kortex, als wichtige Regionen für Aufmerksamkeits-, Bewertungs- und Exekutivfunktionen in der Pathogenese von abhängigem Verhalten hin [13, 19].

In allen genannten Hirnregionen lassen sich in präklinischen und bildgebenden Untersuchungen plastische und funktionelle Veränderungen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Suchterkrankungen nachweisen. Das Zusammenspiel dieser involvierten Hirnareale erfolgt über vielfältige und komplexe Verbindungen durch verschiedene Transmittersysteme, wobei sich im Folgenden auf das dopaminerge und das glutamaterge System konzentriert werden soll.

Abb. 1
figure 1

Taxonomie des Gedächtnisses und der beteiligten Hirnstrukturen. Blau unterlegt sind jene Bereiche, die den Hauptbeitrag zur Konstituierung des Suchtgedächtnisses leisten. (Mod. nach [34])

Die Rolle von Dopamin und Glutamat

Die Erkenntnisse zum Dopamin bei der Verarbeitung belohnungsanzeigender Hinweisreize haben für das Verständnis von Suchterkrankungen als „Lernmodell“ eine entscheidende Rolle gespielt [50]. Die „Incentive Sensitization Theory of Addiction“ von Robinson und Berridge [42] postuliert, dass es durch wiederholten Substanzkonsum zu einer durch neuroadaptive Prozesse vermittelten Sensitivierung des dopaminergen mesolimbischen Systems und daraus resultierend zu einer erhöhten Aufmerksamkeitszuwendung für suchtmittelassoziierte Reize („incentive salience“) kommt. Die Sensibilisierung des mesolimbischen dopaminergen Systems wird dabei durch assoziative Konditionierungsprozesse beeinflusst [1]. Prinzipiell ist Suchtmitteln die Eigenschaft gemein, direkt oder indirekt die synaptische Dopaminmenge im Nucleus accumbens über die Projektionen vom ventralen Tegmentum zu erhöhen [10]. Aber welche Informationen werden durch die dopaminerge Transmission kodiert? Galt Dopamin früher noch als hedones Signal, nimmt man heute an, dass es eher als ein belohnungsankündigendes und aufmerksamkeitslenkendes Signal fungiert [9, 45].

Die aus präklinischen Studien gewonnen Erkenntnisse zur Rolle des Dopamins wurden durch Computermodelle zu belohnungsassoziiertem Lernen ergänzt [36]. Die Modelle basieren auf der Hypothese, dass Organismen ihr Verhalten auf den maximal wahrscheinlichen Erhalt zukünftiger Belohnungen ausrichten. Demnach wird die Prädiktion für eine Belohnung als „besser als erwartet“ mit einem phasischen Anstieg (positiver Vorhersagefehler für Belohnungsereignisse) oder „schlechter als erwartet“ mit einer phasischen Abnahme (negativer Vorhersagefehler für Belohnungsereignisse) der dopaminergen Transmission kodiert. Basierend auf den Lernmodellen zu positiven und negativen Vorhersagefehlern konnte gezeigt werden, dass Drogen durch ihre direkten pharmakologischen Eigenschaften einen entscheidenden Vorteil gegenüber natürlichen Verstärkern haben. Dabei wird durch den pharmakologisch induzierten Anstieg der dopaminergen Transmission immer das Signal „besser als erwartet“ erzeugt, unabhängig vom subjektiven Empfinden der Wirksamkeit des Suchtmittels. Dieser Hypothese folgend resultiert daraus ein pathologisches „Überlernen“ drogenassoziierter Hinweisreize im Vergleich zu den Assoziationen mit natürlichen Verstärkern [36].

Auch wenn letztlich ungeklärt bleibt, ob die dopaminerge Transmission selbst die Lernvorgänge initiiert oder sekundär von anderen neuronalen Systemen verursacht wird, konnte nachgewiesen werden, dass Dopamin durch Konsolidierungsverstärkung zu einer erhöhten Leistung des Langzeitgedächtnisses führt, eine Blockade dopaminerger Transmission hingegen zu einer Verschlechterung der Gedächtnisbildung [8, 28].

Während Dopamin die konditionierten Verstärkungsprozesse vermittelt, scheint das fortgeschrittene Stadium von Suchterkrankungen mit zwanghaftem Substanzkonsum und rückfälligem Verhalten wesentlich von der suchtmittelinduzierten Plastizität glutamaterger Neurone im PFC und deren Projektionen in den NAc abzuhängen [19]. In verschiedenen präklinischen Studien konnte gezeigt werden, dass das Wiedereinsetzen von kokainassoziiertem Suchverhalten über die gesteigerte glutamaterge Transmission vom PFC in die Kernregion des NAc vermittelt wird und über die Blockade der glutamatergen Synapsen im NAc gehemmt werden kann [11, 33, 40]. Kalivas und Volkow schlussfolgern in einer integrativen Betrachtung der vorliegenden Tier- und Bildgebungsstudien, dass dauerhafte synaptische Veränderungen in den glutamatergen Projektionen vom PFC in den NAc sich für einerseits den zwanghaften Suchtmittelkonsum und andererseits die Unterbewertung natürlicher Verstärker verantwortlich zeigen und damit wesentlich zur Aufrechterhaltung von Suchterkrankungen beitragen [19]. Als wichtigster exzitatorischer Neurotransmitter im Gehirn hat Glutamat zudem modulierenden Einfluss auf verschiedenste zentralnervöse Prozesse. Dazu gehört auch die hippokampale Langzeitpotenzierung als zelluläres Modell für Lernen und Gedächtnis.

Suchtmittelinduzierte neuronale Plastizität durch Langzeitpotenzierung

Wie beschrieben, hängt die Persistenz von Suchterkrankungen, insbesondere des dauerhaften Rückfallrisikos, vermutlich von der Speicherung impliziter drogenassoziierter Erinnerungen und der Modulation entsprechender Verhaltensreaktionen ab. Dabei lassen sich Prozesse auf synaptischer Ebene vermuten, wie sie auch charakteristisch für das Langzeitgedächtnis zu sein scheinen. Die Frage, wodurch Erinnerungen persistieren, ist somit hochrelevant für das Verständnis von Suchterkrankungen und bislang auch für das physiologische Gedächtnis noch nicht vollständig beantwortet. In jedem Fall kann von einer physikalischen Reorganisation von Synapsen und den entsprechenden Netzwerken ausgegangen werden [5].

Im Jahr 1973 fanden die Physiologen Bliss und Lomo, dass kurze repetitive Stimulation afferenter Fasern zu einer lang anhaltenden Verstärkung der synaptischen Übertragung führt [2]. Die Autoren bezeichneten diese Phänomene als Langzeitpotenzierung („long term potentiation“, LTP) und den umgekehrten Vorgang als Langzeitdepression („long term depression“, LTD). Für die Induktion der LTP spielen glutamaterge NMDA (N-methyl-D-aspartic acid) -Rezeptoren als Ca2+-abhängige Koinzidendetektoren die entscheidende Rolle, wobei durch LTP die Aktivierung einer Kaskade unterschiedlicher biochemischer Reaktionen getriggert wird, welche zu einer lang anhaltenden Verstärkung der synaptischen Übertragung führen. Dies geschieht z. B. durch verschiedene postsynaptische Veränderungen, wie einer erhöhten Anzahl von AMPA (amino-3-hydroxy-5-methylisoxazole-4-propionic acid) -Rezeptoren, wodurch mit der gleichen Menge Glutamat die postsynaptische Effizienz verbessert werden kann. Zusammenfassend kommt es durch die LTP zu einer Aktivierung verschiedener Gene, deren Produkte als Transkriptionsfaktoren eine anschließende Proteinsynthese und somit als Konsolidierung den Übergang vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis vermitteln [20].

Noch bis heute handelt es sich bei LTP und LTD um die am besten charakterisierten Mechanismen für die assoziative Modulation synaptischer Verbindungen und Ausbildung von erfahrungsabhängiger Plastizität des Gehirns [31]. Der am intensivsten untersuchte Teil des Gehirns ist dabei der Hippokampus. Aus verschiedenen präklinischen Untersuchungen ergibt sich die spannende Hypothese, dass sich die im Hippokampus durch LTP und LTD vermittelten plastischen Veränderungen auch im mesolimbischen dopaminergen Verstärkersystem nachweisen lassen [23]. Bereits auf zellulärer Ebene konnten zahlreiche Studien eine Induktion von LTP durch dopaminergen Input zeigen [18].

Mit der Verhaltenssensitivierung existiert, trotz des fehlenden eindeutigen Nachweises beim Menschen, ein brauchbares und wichtiges Tiermodell für präklinische Untersuchungen verhaltensrelevanter drogeninduzierter Neuroadaptionen [23]. Die Verhaltenssensitivierung bezeichnet die Zunahme der Stärke einer Reaktion auf ein wiederholt appliziertes Suchtmittel und wird bei Versuchstieren oft als gesteigerte Lokomotion erfasst. Bereits 1989 konnte demonstriert werden, dass die kokaininduzierte Verhaltenssensitivierung durch NMDA-Rezeptor-Antagonisten blockiert werden kann [22]. Diese Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Annahme, dass Suchtmittel über LTP plastische Veränderungen an dopaminergen Synapsen im VTA initiieren können. Die Gruppe um Malenka fand in Hirnschnitten von Mäusen nach Kokaingabe einen erhöhten AMPA/NMDA-Quotienten (als Nachweis für LTP) im Vergleich zur Kontrollgruppe [47]. In einer späteren Studie erweiterte dieselbe Arbeitsgruppe ihre Befunde, indem sie demonstrierte, dass auch weitere Suchtstoffe (neben Kokain auch Amphetamin, Morphin, Ethanol und Nikotin) die Induktion von LTP in dopaminergen Synapsen im ventralen Tegmentum bewirken ([43] Abb. 2). Neben der Verhaltenssensitivierung konnte durch pharmakologische Blockade der NMDA-Rezeptoren im ventralen Tegmentum z. B. auch die durch Kokaingabe konditionierte Platzpräferenz vermindert werden [15].

Zusammenfassend geht aus der heute vorliegenden Literatur hervor, dass Suchtmittel eine Potenzierung exzitatorischer Synapsen an dopaminergen Neuronen im VTA, aber auch in anderen bei Suchterkrankungen involvierten Hirnarealen, wie z. B. dem NAc oder PFC induzieren [16, 23, 24]. Aber ist die suchtmittelinduzierte LTP wirklich relevant für die Pathogenese von Suchterkrankungen? Klar ist, dass einzelne synaptische Adaptionen, welche in vielen Studien bereits nach einmaliger Suchtmittelapplikation beobachtet wurden [43, 47], nicht allein die Chronifizierung abhängigen Verhaltens erklären können. Eine wichtige Frage für die Zukunft bleibt damit, ob die beobachteten synaptischen Veränderungen an den mesolimbischen dopaminergen Neuronen auch wesentlich zur Persistenz von Suchterkrankungen und entsprechenden Verhaltensweisen beitragen. Dies könnte z. B. über die Zunahme exzitatorischer Synapsen an den dopaminergen Neuronen im VTA geschehen, die dann durch die verstärkte dopaminerge Transmission ins ventrale Striatum gelernte Assoziationen und Verhaltensreaktionen modulieren [24]. Ein wichtiger Schlüssel zur Lösung dieser Fragen liegt in der Erforschung der molekularen Grundlagen neuronaler Plastizität als intrazelluläre Basis der beschriebenen Prozesse.

Abb. 2
figure 2

Verschiedene Suchtmittel (neben Kokain auch Amphetamin, Morphin, Ethanol und Nikotin) bewirken die Induktion einer Langzeitpotenzierung (LTP) an dopaminergen Neuronen (DA) im ventralen Tegmentum (Saal et al. [43]). Durch eine verstärkte Aktivierung der dopaminergen Transmission in den Nucleus accumbens können so Sensitivierungsprozesse mit verstärkter Aufmerksamkeitszuwendung zu drogenassoziierten Hinweisreizen vermittelt werden. (Mod. nach [51])

Molekulare Grundlagen der suchtmittelinduzierten neuronalen Plastizität

Ähnlich wie für das hippokampale Langzeitgedächtnis existieren auch zu den molekularen Grundlagen von assoziativen Lernprozessen im mesolimbischen System und deren Speicherung bislang nur unvollständige Erkenntnisse. In beiden Fällen kann von einer wesentlichen Bedeutung von Signaltransduktionssystemen ausgegangen werden, die über Second Messenger (z. B. „cyclic adenosinmonophosphat“, cAMP) extrazelluläre Signale intrazellulär weitervermitteln und über die Aktivierung bestimmter Enzyme (z. B. Proteinkinase A, PKA) und Transkriptionsfaktoren (z. B. „cAMP response element binding protein“, CREB) letztlich intranukleär die Expression bestimmter Gene induzieren [20]. Die Einnahme von Suchtmitteln beeinflusst über Neurotransmitter wie z. B. Dopamin oder auch direkte Rezeptorinteraktion die intrazelluläre Signaltransduktion. Diese Signalwege können so über die Proteinbiosynthese neurogliale Plastizität vermitteln und sind attraktive Kandidaten für molekulare Pathomechanismen in der Entstehung abhängigen Verhaltens, da sie drogeninduzierte Signale in die Neumodelierung neuronaler Regelkreise konvertieren können [38]. Ein Signaltransduktionssystem, das in diesem Zusammenhang besonders gut untersucht ist, geht vom Second Messenger cAMP aus und reguliert über PKA-Aktivierung und CREB-Phosphorylierung die Transkriptionsrate spezifischer Zielgene. Die durch CREB vermittelte Transkription konnte sowohl bei assoziativen Lernprozessen als auch bei der LTP direkt nachgewiesen werden [30].

Geht man von der Fähigkeit verschiedener Suchtstoffe zur CREB-Aktivierung aus, liegt es nahe, darin eine wesentliche Rolle für die durch Suchtmittelkonsum induzierten Neuroadaptionen zu vermuten. Dies könnte sich aus der drogeninduzierten CREB-Aktivierung erklären, die zusammen mit einer weiteren Signalkaskade zu der für die LTP benötigten Proteinsynthese führt [28]. Besonders interessant sind dabei molekulare Mechanismen, die potenziell für die verstärkende Drogenwirkung und das Verlangen nach erneutem Konsum verantwortlich sein könnten.

Graham konnte zeigen, dass sich im NAc von Ratten durch Selbstapplikation von Kokain bereits nach wenigen Tagen ein Anstieg des ebenfalls durch CREB regulierten Neurotrophins „brain-derived neurotrophic factor“ (BDNF) findet [14]. Dabei konnten die Autoren nachweisen, dass die BDNF-Neutralisierung durch spezifische Antikörper Selbstapplikation und rückfälliges Verhalten im Verlauf reduzieren und BDNF-Applikation in den NAc der Tiere das Gegenteil bewirkt. Sie folgerten daraus, dass es bereits durch kurzfristigen suchtmittelinduzierten Anstieg der BDNF-Expression zu Adaptionen im mesolimbischen System kommt, die im Verlauf zur Entwicklung und Persistenz abhängigen Verhaltens führen.

Die aktuell beste Evidenz für langlebige molekulare Veränderungen, existiert für die durch verschiedene Suchtmittel induzierte Akkumulation des Transkriptionsfaktors Delta-FosB im NAc [38, 39]. Dabei scheint Delta-FosB eine sensitivierte Verhaltensantwort auf Drogen zu vermitteln. So konnte z. B. McClung in seinen Untersuchungen eine Steigerung der belohnenden und lokomotorischen Wirkung von Kokain und Morphin und eine erhöhte Selbstverabreichung bei Mausmutanten mit induzierbarer Überexpression von Delta-FosB beobachten [32]. Einerseits trägt die hohe Stabilität des Proteins mit Nachweis bis zu 1–2 Monaten nach Beendigung des Suchtmittelkonsums zur Akkumulation in Neuronen des Nucleus accumbens und entsprechend länger dauernder Rückfallgefahr bei, andererseits kann das über Jahre andauernde Rückfallrisiko nicht direkt über diese Mechanismen erklärt werden. Damit zeigt sich auch hier eine wesentliche Lücke in den Erkenntnissen zu den neurobiologischen Grundlagen des Suchtgedächtnisses.

Bislang ist es noch nicht gelungen, ein molekulares Pathokorrelat für die bei Suchterkrankungen über Jahre andauernde Rückfallgefahr zu identifizieren. Trotzdem ergeben sich aus den vorliegenden Arbeiten mögliche Hinweise für eine „gemeinsame molekulare Endstrecke“ in der Entstehung und Aufrechterhaltung abhängigen Verhaltens, die ein mögliches Ziel für pharmakotherapeutische Interventionen bei verschiedenen Suchterkrankungen darstellen könnte [25, 39].

Rekonsolidierung von Hinweisreizen

Eine Interventionsmöglichkeit auf molekularer Ebene, wenn auch bislang nur in präklinischen Studien, resultiert aus der so genannten Rekonsolidierungstheorie. Wie bereits beschrieben, ist für die Gedächtnisbildung eine Aktivierung von Genen und Transkription der entsprechenden Proteine notwendig. Dieser Vorgang wird auch als Konsolidierung bezeichnet und beschreibt den Transfer ins Langzeitgedächtnis. Was aber passiert, wenn Gedächtnisinhalte, wie z. B. bei der Reaktivierung durch drogenassoziierte Hinweisreize, wieder aufgerufen werden?

Misanin fand 1968 erste empirische Hinweise, dass Gelerntes beim Aufrufen wieder in einen labilen Zustand überführt wird und dann erneut abgespeichert bzw. rekonsolidiert werden muss [35]. Über 30 Jahre später zeigte Nader, dass dieser Vorgang tatsächlich wie die Konsolidierung von einer erneuten Proteinsynthese in den entsprechenden Gehirnarealen abhängig ist und sich durch Proteinsynthesehemmer stören lässt [37]. Er konditionierte dafür Ratten in einem Angstparadigma, indem er Stromstöße mit einem Tonsignal paarte, so dass die Tiere in der Folge auf den allein dargebotenen Ton mit einer Angstreaktion reagierten. Nach der Reexposition mit dem konditionierten Angststimulus am Folgetag erhielt eine Gruppe intrakranial den Proteinsyntheseinhibitor Anisomycin und die andere Gruppe eine Salinelösung. Nach weiteren 24 h wurden beide Gruppen erneut dem Ton ausgesetzt. Dabei zeigte die mit Anisomycin behandelte Gruppe im Gegensatz zu der anderen Gruppe keine Angstreaktion mehr. Die Rekonsolidierung läuft demnach wie die erste Konsolidierung letztlich über Genexpression und Proteinbiosynthese und kann so in den verschiedenen Schritten geblockt werden.

Die Gruppe um Jonathan Lee untersuchte diese für die Therapie von Suchterkrankungen attraktive Hypothese ebenfalls im Tiermodell mit Ratten [27]. Lee konnte zeigen, dass ein mit Kokain assoziierter konditionierter Hinweisreiz in Form eines Lichtsignals nach Reexposition einer von den basolateralen Amygdalae (BLA) abhängigen Rekonsolidierung unterliegt und dass die Blockade dieses Prozesses mittels Hemmung des Transkriptionsfaktors zif268 in den BLA die spätere Reaktivität auf diesen Hinweisreiz vermindern kann. Weitere Autoren konnten diese Ergebnisse bestätigen. Die Gruppe um Valjent z. B. konnte durch eine reaktivierungsabhängige Hemmung der ERK („extracellular signal-regulated kinase“), einem Schlüsselenzym für die Aktivierung verschiedener Transkriptionsfaktoren, eine Verminderung der zuvor konditionierten kokainassoziierten Platzpräferenz erreichen [48]. Robinson gelang die Abschwächung der Platzpräferenz durch die intraventrikuläre Gabe von Anisomycin kurz nach Reexposition mit der morphinassoziierten Umgebung [41].

Bei den Untersuchungen zur Rekonsolidierung war durch die notwendige Kombination der Inhibitorgabe mit der Reizreexposition die Spezifität für die Beeinflussung der entsprechenden Hinweisreize sehr hoch, das heißt das Risiko für die Störung anderer Gedächtnisinhalte gering. Allerdings bleibt letztlich offen, ob die abgerufenen Gedächtnisinhalte wieder neu konsolidiert werden müssen oder durch die Hemmung der Proteinsynthese nach der Gedächtnisreaktivierung lediglich der Zugang zu diesen Gedächtnisinhalten gestört wird. Da es sich bei der Gedächtnisrekonsolidierung bislang mehr um ein hypothetisches Konzept als um ein ausreichend belegbares Phänomen handelt, ist aktuell nicht abzusehen, inwieweit sich die vorliegenden Ergebnisse in Zukunft tatsächlich als möglicher Therapieansatz nutzbar machen lassen.

Reizexposition und Extinktion

Die bislang einzige suchtgedächtnisspezifische Therapie kann als psychotherapeutischen Ansatz die so genannte Reizexpositionstherapie bieten, welche in Anlehnung an die lerntheoretischen Modelle zur Pathogenese von Suchterkrankungen durchgeführt wird [29]. Deren Ziel ist, die bei Suchtpatienten in bestimmten Auslösesituationen bestehenden konditionierten Reaktionen zu bearbeiten, damit sie nicht zu einem Rückfall führen. Dafür werden z. B. alkoholabhängige Patienten mit ihrem bevorzugten Getränk konfrontiert und lernen dabei auftretende (konditionierte) Reaktionen zu beherrschen und den Konsum des Getränks zu vermeiden. Aufgrund der zurzeit vorliegenden kontrollierten Studien zur Beurteilung der Effektivität von Reizexpositionsverfahren erfolgt in Metaanalysen und Reviews eine positive Beurteilung der generellen Wirksamkeit dieses Verfahrens, wobei die Studienergebnisse insgesamt heterogen ausfallen [6].

Über die Auswirkungen einer solchen psychotherapeutischen Intervention auf neurobiologische Grundlagen der Abhängigkeit ist bislang wenig bekannt und es stellt sich die Frage, ob es dabei tatsächlich zu einer Löschung bzw. Extinktion der suchtspezifischen Gedächtnisinhalte kommt. Bei verschiedenen psychiatrischen Störungsbildern, wie z. B. Angsterkrankungen, hat sich die Extinktion als vielversprechender Behandlungsansatz erwiesen. In präklinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die Extinktion einer Angstreaktion nicht identisch mit dem Löschen einer Gedächtnisspur ist, sondern es sich dabei auch um eine Form des Lernens handelt. Es wird dabei gelernt, auf einen angstbesetzten Hinweisreiz nicht mit Angst zu reagieren [4]. Dieses neu gelernte Verhalten kann mit der Zeit wieder vergessen werden oder das alte Verhalten wieder auftreten, wenn der angstbesetzte Stimulus in einem anderen Kontext auftritt, oder wenn die Tiere zwischenzeitlich starkem Stress ausgesetzt waren. Diese Ergebnisse aus Tierstudien zeigen, dass die konditionierte Reaktion bei der Extinktion nicht gelöscht wird, sondern deren Hemmung aktiv gelernt wird und, wie bei anderen Lernprozessen auch, von NMDA-Rezeptoren abhängig ist [4].

Insgesamt existieren für die Extinktion aversiver Hinweisreize bislang erheblich mehr positive klinische Studien als für die bei Suchterkrankungen relevanten appetetiven Hinweisreize, so dass sich die Frage stellt, ob eine Extinktion appetetiver Hinweisreize analog zu der aversiver Hinweisreize überhaupt möglich ist. Demgegenüber steht eine wachsende Evidenz aus präklinischen Studien, in denen z. B. bei der Extinktion einer mit Kokain konditionierten Platzpräferenz Veränderungen der NMDA- und AMPA-Rezeptordichte im NAc nachgewiesen werden konnten, welche den drogeninduzierten Adaptionen im kortikolimbischen System und entsprechend dem Suchtverhalten entgegenwirken [46]. Auf molekularer Ebene lässt sich in der Randregion des NAc eine durch Extinktionstraining induzierte Hochregulation spezifischer Gene, wie z. B. für das Protein „neuronal activity-regulated pentraxin“ (Narp), als möglicher Mittler für diese Adaptionsprozesse nachweisen. Narp spielt u.a. eine wichtige Rolle bei der Regulation der AMPA-Rezeptor-Dichte und kann so zur durch Extinktion appetitiver Hinweisreize induzierten synaptischen Reorganisation im mesolimbischen Verstärkersystem beitragen [46].

Welche Befunde zur Neuroadaption sind relevant für Suchterkrankungen?

Drogeninduzierte Neuroadaptionen lassen sich analog zu anderen Lernprozessen auf struktureller, zellulärer und molekularer Ebene nachweisen. War das Suchtgedächtnis ursprünglich noch ein Erfahrungskonstrukt, wird seine Existenz heute durch die beschriebenen neurobiologischen Befunde untermauert. Implizite Lernprozesse sind offenbar daran beteiligt, dass suchtmittelassoziierte Hinweisreize auch nach jahrelanger Abstinenz Suchtmittelverlangen auslösen und zu deren Einnahme motivieren können. Eine entscheidende Rolle spielen dabei vermutlich Adaptionsprozesse im dopaminergen mesolimbischen Verstärkersystem, welche eine sensitivierte Aufmerksamkeitsfokussierung und Verhaltensreaktion vermitteln. Gestützt wird die Suchtgedächtnishypothese z. B. auch durch den Nachweis von drogeninduzierter Langzeitpotenzierung in den beteiligten Hirnarealen, analog zu den synaptischen Veränderungen im Hippokampus bei der Bildung des Langzeitgedächtnisses.

Trotz der noch sehr unvollständigen Erkenntnisse zu den molekularen Grundlagen der Neuroplastizität bei Suchterkrankungen finden sich auch hier Hinweise auf suchtmittelinduzierte molekulare Prozesse, die mögliche Ansätze für zukünftige Therapien bieten könnten. Aus den vorliegenden Studien kann bislang noch nicht sicher abgeleitet werden, welche der beobachteten plastischen Veränderungen tatsächlich relevant für die Pathogenese von Suchterkrankungen sind. Die Aufgabe zukünftiger Suchtforschung wird sein, die wachsende Menge an Erkenntnissen zur suchtmittelinduzierten Neuroplastizität in ein für die Suchtentstehung beim Menschen gültiges Konzept zu integrieren. Trotzdem sind durch verbesserte Methoden in den letzten Jahren wesentliche Erkenntnisse gewonnen worden, die das Konzept eines Suchtgedächtnisses als ein pathomorphologisches Korrelat von Suchterkrankungen nicht mehr nur klinisch stützen. Im Gegensatz zu vielen anderen psychiatrischen Krankheitsbildern existieren für z. B. Demenzen, aber eben auch Suchterkrankungen robuste Tiermodelle mit guter inhaltlicher und Konstruktvalidität [44]. Auch wenn der Nachweis der Übertragbarkeit hin zu neuen und erfolgreichen Therapiekonzepten noch erbracht werden muss, kann die Suchtforschung bereits zum jetzigen Zeitpunkt krankheitsübergreifend einen wichtigen Beitrag zum erweiterten Verständnis erfahrungsgesteuerter neuronaler Plastizität als Grundlage von Lernen und Gedächtnis leisten.

Fazit für die Praxis

Zusammengefasst bilden die durch chronischen Suchtmittelkonsum induzierten neuronalen Veränderungen eine wichtige Grundlage für die Entstehung und Persistenz von Suchterkrankungen. Dabei ist die Suchtentwicklung im Wesentlichen ein außer Kontrolle geratener Lernvorgang, der besonders starke implizite Gedächtnisinhalte für alles schafft, was mit den Suchtmitteln verknüpft ist. Die Frage, ob ein Suchtgedächtnis möglicherweise durch einen therapeutischen Rückprägungsprozess löschbar ist, gehört zu den zentralen Inhalten zukünftiger Suchtforschung. Trotz der gewonnenen Erkenntnisse ist es bislang noch nicht gelungen, daraus eine spezifische medikamentöse Therapie zu generieren, doch weisen die vorliegenden Forschungsergebnisse auf verschiedene mögliche Therapieansätze hin. Neben dem Bedarf an neuen pharmakotherapeutischen Wirkansätzen, zeigt sich die Notwendigkeit einer suchtspezifischen Psychotherapie, die sich besonders den impliziten Inhalten des Suchtgedächtnisses zuwendet.