Grundproblem

Psychische Krankheiten können die Grundvoraussetzung für Forschung mit Menschen beeinträchtigen: die Fähigkeit zur informierten Einwilligung in die Teilnahme an einem Forschungsprojekt. Dementsprechend stellt klinische Forschung mit psychisch kranken Patienten, deren Einwilligungsfähigkeit fraglich gestört ist oder gar fehlt, den Psychiater vor zwei wichtige Probleme:Footnote 1

  1. 1.

    den Schutz nicht einwilligungsfähiger Patienten und

  2. 2.

    die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit.

Schutz nicht einwilligungsfähiger Patienten

Öffentliche Debatte

Die öffentliche DebatteFootnote 2 über Forschung mit psychisch kranken Patienten wurde von Befürchtungen dominiert, dass die menschliche Würde und Selbstbestimmtheit durch Instrumentalisierung nicht einwilligungsfähiger psychisch Kranker für Forschung verletzt werde, also von Menschen, die als vulnerabel infolge ihrer eingeschränkten oder aufgehobenen Fähigkeit angesehen werden, ihre Rechte selbst zu verteidigen.Footnote 3 Jedoch gibt es auch gute Gründe, den Forschungsbedarf bei diesen Patienten zu decken, besonders therapeutische Bedürfnisse bei stark zunehmenden Zuständen wie apallischen Syndromen, intensivpflegebedürfigen Notfällen oder Demenzen.Footnote 4

Diese Gründe leiten sich her aus der Befolgung der ethischen Prinzipien sowohl des Patientenwohles durch die Entwicklung oder Optimierung von Therapien als auch der Schadensvermeidung durch ungeprüfte Maßnahmen, d. h. durch nicht evidenzbasierte Behandlungen [60]. Deshalb ist jede Erwägung, solche nicht einwilligungsfähigen Patienten in Forschung einzubeziehen, zwingend mit ethischen Fragen verbunden. Im Folgenden sollen einige der wichtigen Vorschläge zur Lösung dieses Dilemmas dargestellt werden.

Vorschläge von Schutzkriterien und -verfahren

Ein erster Schritt wurde in der Deklaration von Helsinki unternommen, der international führenden Leitlinie für medizinische Forschung seit 1964. Sie schloss (jetzt in § 24) die Möglichkeit von Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten unter den Bedingungen ein, dass

  • ein rechtlich autorisierter Vertreter des Patienten eine informierte Einwilligung gegeben hat,

  • die Forschung notwendig ist, um die Gesundheit der durch den Patienten repräsentierten Population zu fördern,

  • diese Forschung mit rechtlich einwilligungsfähigen Personen nicht durchgeführt werden kann.

Eine spätere Revision fügte (durch § 26) sogar die Möglichkeit hinzu, Patienten ohne Einwilligung einzuschließen, einschließlich derjenigen von Angehörigen oder einer Patientenverfügung, aber natürlich nur,…

“…wenn der körperliche oder psychische Zustand, der die Einholung der informierten Einwilligung verhindert, ein notwendiges Charakteristikum der Forschungspopulation ist“.

In den 90er Jahren entwickelten einige GruppenFootnote 5 von Fachleuten spezifische Regeln für die Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten. Die 1995 publizierten Vorschläge einer Gruppe von Psychiatern und Juristen [20] regten die Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum „Schutz von nicht einwilligungsfähigen Patienten in der medizinischen Forschung“ von 1997 an [73].

Diese Stellungnahme unterschied vier Gruppen von Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten:

Gruppe 1:

Medizinisch indizierte, aber experimentelle Interventionen mit einem direkten potenziellen individuellen Nutzen für die teilnehmenden Patienten selbst, d. h. Therapieversuche mit einzelnen Patienten („Heilversuche“) oder (kontrollierte) klinische Prüfungen mit einer definierten Gruppe von Patienten.Beispiel: die Prüfung einer neuen Versuchsubstanz mit antidementiven Wirkungen, von der angenommen wird, dass sie schneller, stärker oder spezifischer Symptome reduziert oder nebenwirkungsärmer ist als die bisher zugelassenen Antidementiva.Footnote 6

Gruppe 2:

Forschung mit zumindest zukünftig potenziellem individuellem Nutzen für die teilnehmenden Patienten, d. h. Nutzen für den weiteren Verlauf oder Rückfälle der Erkrankung.Beispiel: die Entdeckung pathogenetischer Faktoren als Grundlage für die Entwicklung spezifischer Therapien, die bei langem Verlauf der Krankheit noch dem teilnehmenden Patienten selbst helfen können, z. B. die Suche nach spezifischen Immunfaktoren für die Entwicklung einer Impftherapie gegen die Alzheimer Krankheit [28, 29].

Gruppe 3:

Forschung mit keinem (oder wenigstens keinem direkten) potenziellen individuellen Nutzen für die teilnehmenden Patienten, wohl aber für andere Patienten mit der gleichen Krankheit oder dem gleichen Alter, d. h. einem so genannten gruppenspezifischen Nutzen.Beispiel: pharmakokinetische Untersuchungen bei multimorbiden und multimedizierten Demenzpatienten, um spezifische Veränderungen des Stoffwechsels zu erfassen; die Ergebnisse solcher Untersuchungen sollen die angemessene und sichere Anwendung dieser Arzneimittel vor allem für die Gruppe zukünftiger multimorbider Demenzpatienten verbessern [27]. Andere Beispiele sind diagnostische MR-, PET-, SPECT-Studien [33, 57] oder genetische Studien [56] bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit.

Gruppe 4:

Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Patienten außerhalb dieser definierten Gruppen ist selbstverständlich nicht akzeptabel.Beispiel: eine interventionelle pharmakokinetische Untersuchung eines Arzneimittels, das für die Behandlung dieser nicht einwilligungsfähigen Patienten, z. B. Demenzkranke, irrelevant ist.

Die Stellungnahme fügte bekannten Schutzkriterien weitere hinzu, die alle gegeben sein müssen, um Forschung mit Patienten in den Gruppen 2 und 3 rechtfertigen zu können. Dementsprechend ist Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten ethisch nur vertretbar, wenn

  1. 1.

    das Forschungsprojekt mit einwilligungsfähigen Patienten nicht durchgeführt werden kann (Subsidiaritätsprinzip),

  2. 2.

    das Forschungsprojekt wesentliche neue Erkenntnisse zur Feststellung, Ursachenklärung, Vorbeugung oder Behandlung einer Krankheit erwarten lässt,

  3. 3.

    das Forschungsprojekt ein angemessenes Risiko-Nutzen-Verhältnis erwarten lässt,

  4. 4.

    ein gesetzlicher Vertreter mit ausreichendem Wissen über den Patienten eine informierte Einwilligung gegeben hat,

  5. 5.

    der Patient kein ablehnendes Verhalten zeigt,

  6. 6.

    die zuständige Ethikkommission ein positives Votum abgegeben hat,

  7. 7.

    das Forschungsprojekt zusätzlich für Gruppe 3 nicht mehr als minimale Risiken oder Belastungen erwarten lässt.

Zur gleichen Zeit hatte der Europarat das Menschenrechtsübereinkommen zur BiomedizinFootnote 7 (sog. Biomedizinkonvention) ausgearbeitet und 1997 publiziert. Es beschäftigt sich u. a. mit diesem kontroversen Problem im Artikel 17, speziell mit dessen Konditionen im Absatz 2Footnote 8 für Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten. Menschenrechtsaktivisten wandten sich strikt gegen die spezifische Regel, dass solche Forschung nicht nur als Forschung mit indirektem potenziellem individuellem Nutzen für die involvierten Patienten selbst zulässig sein kann, sondern – wenn auch unter strengen Begrenzungen und als Ausnahme – so doch auch mit Nutzen nur für andere Patienten

  • im gleichen Alter oder

  • mit der gleichen Krankheit oder Zustand,

d. h. mit dem so genannten gruppenspezifischen Nutzen.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Bemühung um ein Gleichgewicht zwischen solchen Antagonismen verlangt, jede Position ernsthaft zu bedenken. So führte die anfänglich sehr erhitzte und emotionale öffentliche Diskussion der Biomedizinkonvention dazu, dass Deutschland die Konvention aus der Befürchtung (noch) nicht unterschrieben hat, nationale Standards könnten unterlaufen werden, während Großbritannien die Unterzeichnung der Konvention ebenfalls, aber aus entgegengesetzten Gründen abgelehnt hat, nämlich weil es eine Einschränkung der Forschungsfreiheit befürchtet. In der Zwischenzeit ist die deutsche Diskussion sachlicher und differenzierter geworden, zumal gezeigt wurde, dass einige Standards der Konvention höher als die deutschen sind und strengere andere beibehalten werden können (§ 27 der Biomedizinkonvention und Artikel 34 des Zusatzprotokolls [64]). Allerdings haben dabei nicht allein ethische, sondern auch politische Erwägungen eine Rolle gespielt. Öffentlicher Druck mag die Regierung von der Unterzeichnung der Konvention abgehalten haben. Ein Nachteil davon ist nun aber, dass Deutschland, weil es (noch) keine Signatarmacht ist, das Zusatzprotokoll zum Verbot des menschlichen Klonens nicht unterzeichnen konnte, obwohl es dieses eindeutig befürwortet. Auch läuft Deutschland Gefahr, seine starke Stimme im Entscheidungsprozess für die weitere Entwicklung der Konvention zu verlieren [24].

Im Jahr 2003 wurden auf einer Anhörung der Enquète-Kommission für Ethik und Recht in der Medizin des Deutschen Bundestages die kontroversen Positionen zur Zulässigkeit von Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten einmal mehr sehr deutlich. Aber kurz zuvor hatte das Steering Committee für Bioethik des Europarates den Entwurf eines Zusatzprotokolls zur Konvention veröffentlicht, das gruppenspezifische Forschung mit nicht mehr als minimalen Risiken und Belastungen als Ausnahme zulässt [8].Footnote 9 Entsprechend publizierte die zentrale Ethikkommission 2004 eine Stellungnahme zur „Forschung mit Minderjährigen“ [74] und auch die 12. Revision des Deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG) akzeptierte die gruppenspezifische Forschung mit Minderjährigen.

2006 diskutierte der Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen in der Bundesrepublik Deutschland die europäische Richtlinie zur pharmazeutischen Forschung bei Minderjährigen [39]. Jedoch blieb die Anwendung des Konzepts vom gruppenspezifischen Nutzen für Erwachsene in Deutschland gesetzlich und ethisch abgelehnt oder höchstens zögernd erwogen, beispielsweise 2006 bei einer Anhörung des Nationalen Ethikrats, wohingegen andere Länder wie die Niederlande die Regeln des § 17, 2 der Konvention ins GesetzFootnote 10 übernahmen [70].

Das 2005 veröffentlichte Zusatzprotokoll zur Konvention beschäftigte sich (in § 19) mit dringend erforderlicher Forschung bei nicht einwilligungsfähigen Notfallpatienten und verlangte die gesetzliche Bestimmung von Schutzkriterien zusätzlich zu den bereits genannten und von Vorkehrungen für den Fall, dass eine informierte Einwilligung nicht, auch nicht vom gesetzlichen Vertreter, rechtzeitig eingeholt werden kann.

2007 wurde ein von der Ethikkommission der Ärztekammer von Rheinland-Pfalz erarbeiteter Vorschlag für solche Forschung publiziert [60]. Dieser Vorschlag offerierte ein Modell, das auf 15-jähriger erfolgreicher Praxis basierte. Besonders erörtert wurde die Rechtfertigung einer aufgeschobenen („deferred“) informierten Einwilligung für Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Notfallpatienten (ebenso wie in dem bereits erwähnten § 26 der Deklaration von Helsinki). Ob die aktuelle Fassung des § 41 im AMG auch auf Forschung mit nicht einwilligungsfähigen akut psychotischen Patienten anwendbar ist, z. B. bei akuten Episoden schwerer Manie oder bei deliranten Zuständen, bei denen ein gesetzlicher Vertreter nicht rechtzeitig erreicht werden kann, ist nicht ganz klar: Obwohl sich der Kontext auf die Klinische Prüfung bezieht, ist im GesetzestextFootnote 11 nur von „Behandlung“ die Rede; allenfalls dürfte hier nur eine medikamentöse Prüfbehandlung gemeint sein, die einen direkten individuellen Nutzen erwarten lässt.

Beispiel: Bei akut aufgenommenen Patienten mit chronischem Alkoholismus wurden Videos von deliranten Zuständen aufgenommen, um sie den Patienten nach Remission als präventive Maßnahme gegen Rückfälle zu zeigen. Im Hinblick auf die fragliche Einwilligungsfähigkeit dieser Patienten kann die Feststellung der Zusammenfassung „all patients and their families signed informed consent“ missverständlich sein. Abgesehen davon, dass eine Einwilligung von rechtlich nicht autorisierten Angehörigen möglicherweise in Rumänien, aber nicht in Deutschland gültig ist, fällt doch auf, dass Angehörige ebenso wie Patienten eine informierte Einwilligung abgaben. Die detaillierte Beschreibung der Patientenrekrutierung liefert dann die Erklärung insofern als „two patients did not agree to sign the patient informed consent and their videotapes were destroyed“, d. h. die informierte Einwilligung wurde von den Patienten erst nach ihrer Remission, also als bis zu diesem Zeitpunkt aufgeschobene Einwilligung, eingeholt [47].

Verantwortlichkeit der Ethikkommission

Schließlich wurde auch die Schutzfunktion von medizinischen Ethikkommissionen gestärkt. Der in Deutschland mit der 12. AMG-Novelle verfügte Wandel von einer reinen BeratungsfunktionFootnote 12 zu einer behördlichen Prüffunktion steigerte mit dem verbindlichen Charakter ihrer Voten die Verantwortlichkeit der Ethikkommissionen – und öffnete ihre Entscheidungen der Überprüfung durch Verwaltungsgerichte. Die allgemeine Empfehlung des Zusatzprotokolls (Artikel 9, Absatz 3), dass die Ethikkommission „shall produce an opinion containing reasons for its conclusion“ sollte dahingehend spezifiziert werden, dass diese Gründe nicht nur bei negativen Voten, sondern auch bei positiven Voten zur Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten mitgeteilt werden. Bei Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten sollte die Ethikkommission oder – wie im erwähnten Vorschlag aus Rheinland-Pfalz empfohlen – ein Data Safety Monitoring Board (DSMB) das Projekt unabhängig und kontinuierlich überwachen und gegebenenfalls beenden, wenn mehr als minimale Risiken oder Belastungen auftreten oder sich die Überlegenheit eines Prüfarms von miteinander verglichenen Gruppen herausstellt [60].

Klärungsbedarf

Die Bedeutung mancher Ausdrücke in den Schutzkriterien wie etwa „Forschung“ im Verhältnis zu „Versorgung“ ist randunscharf, unklar oder gar kontrovers (s. unten). Die meisten dieser Ausdrücke sind unbestimmte (Rechts)Begriffe. Man kann sie unmöglich so explizit formulieren, dass sie sowohl ihre Allgemeingültigkeit behalten und gleichzeitig auch der eindeutigen Erfassung jeder individuellen Situation dienen.Footnote 13

Überdies lassen internationale Leitlinien wie die Deklaration von Helsinki oder die Europäische Biomedizinkonvention Termini auch vage, um internationale Kompromisse zu ermöglichen. Werden zudem im Hinblick auf die Akzeptanz solcher Texte regionale Interpretationen zugelassen, wird ihr standardisierter internationaler Gebrauch behindert.Footnote 14 Deshalb erscheinen zumindest aus Gründen internationaler Vergleichbarkeit Harmonisierung und Standardisierung wichtiger Leitlinien wünschenswert.

Beispiel: Ein Vergleich der Bewertungsstrategien von 21 Ethikkommissionen in 12 europäischen Ländern für eine deskriptive multinationale Prüfung der Behandlung mit Azetylcholinesterasehemmern bei leichter oder mittelgradig schwerer Alzheimer-Krankheit (ICTUS-Studie) deckte beachtliche Unterschiede auf. Die Bewertung der Studie variierte von der Beurteilung, dass es sich um eine „nicht experimentelle Studie“ handele, bis zu der, dass sie eine Phase-IV-Prüfung sei. Die Autoren schlussfolgerten…

“…the data suggest that there should be more consensus across the EU about which studies or interventions do and which do not require approval of an ethics committee“ [58].

Diese Schlussfolgerung lässt auch erkennen, dass die deutschen Regeln insofern strenger als in anderen EU-Ländern sind, als eine solche Studie wie jede Forschung mit Menschen ein Votum der zuständigen Ethikkommission zwingend erfordert.

Immerhin versucht die EU, wichtige Begriffe durch Illustration mit Ankerbeispielen im Erklärenden Bericht zum Zusatzprotokoll der Biomedizinkonvention zu standardisieren, z. B. für minimale Risiken und Belastungen. Artikel 17 des Zusatzprotokolls hält fest, dass minimale Risiken und Belastungen „höchstens einen sehr leichten und vorübergehenden negativen Einfluss auf die Gesundheit der betreffenden Person“ haben dürfen. Mit den meisten der dazu im Erklärenden Bericht (Nr. 97) gegebenen Beispiele kann man im Allgemeinen übereinstimmen. Jedoch gibt es zu manchen Beispielen noch eine Diskussion wie etwa dazu, ob eine geringfügige Blutentnahme aus einer peripheren Vene – nicht im Rahmen der Versorgung, sondern als reine Forschungsintervention – mehr als ein minimales Risiko ist. Oder die psychische Belastung einer Magnetresonanztomographie mag bei einem klaustrophoben Patienten deutlich mehr als minimal sein. Dementsprechend hält Artikel 17 des Zusatzprotokolls fest, dass zur Beurteilung der Belastung eines Patienten eine Person seines speziellen Vertrauens hinzugezogen werden soll.

Dieser letztgenannte Hinweis spricht die Rolle von Angehörigen an: Generell könnte die Einbeziehung von Angehörigen einerseits die Forschungsinterventionen transparenter machen und als vertrauensbildende Maßnahme verstanden werden; andererseits lässt dieses Vorgehen nach der Rolle von Angehörigen im Einwilligungsprozess fragen (s. unten).

Somit wird die Entwicklung dahin gehen, Bedeutung, Inhalt und Grenzen wichtiger, aber unbestimmter Begriffe durch Ankerbeispiele zu illustrieren. Fachgesellschaften wie die DGPPN, DGBP, AGNP, DGSP sollten solche Beispiele sammeln und in die internationale Diskussion einbringen. Die Zukunft muss zeigen, ob und inwieweit es möglich sein wird, praktikable Lösungen zu finden, den Inhalt eines Ausdrucks oder Prinzips zu erhalten und gleichzeitig spezielle nationale oder regionale normative Aspekte zu berücksichtigen.

Erläuterungen

Die Fallgruben der Mehrdeutigkeit einiger dieser unbestimmten, aber relevanten Termini in Schutzleitlinien sollen durch einige Beispiele illustriert werden.

Was bedeutet „Forschung“ im Verhältnis zu „Versorgung“?

Abgesehen von unterschiedlichen Definitionen von Forschung [22] ist es wichtig zu erkennen, dass die Grenze zwischen Forschung und VersorgungFootnote 15 verschwimmen kann und dass eine kategoriale Entscheidung Werte impliziert: Die Entscheidung, ein konkretes Vorgehen als Forschung zu definieren, erhöht das Schutzniveau für die teilnehmenden Patienten.

Beispiel: werden Laborwerte bei einem multimorbiden und multimedizierten Demenzkranken erfasst, um eine unerwartete Verschlechterung als eine mögliche unerwünschte Arzneimittelwechselwirkung zu erkennen, dann ist dies eine ausschließlich dem individuellen Interesse dieses Patienten dienende Versorgungsintervention. Werden solche Laborwerte jedoch bei einer Gruppe dieser Patienten systematisch (z. B. standardisiert, prospektiv) gesammelt, dann kann dies als Forschung mit vorwiegend gruppenspezifischem Nutzen angesehen werden, die ein Votum der Ethikkommission erfordert.

Klinisch wichtiger ist die Fehlwahrnehmung, dass ein Patient Forschung als Versorgung verkennt, d. h. „to confuse the design and conduct of research with personalised medical care“ [48]. Diese Situation wurde vor 25 Jahren mit dem Ausdruck „therapeutic misconception“ (TM) [3] belegt. Allerdings ist dieses Konzept in jüngster Zeit in eine kontroverse Diskussion geraten. So wurde behauptet, dass der Ausdruck „TM“ die Annahme unterstütze, „that clinical trial participation disadvantages research participants as compared with receiving standard medical care“ [48], und ebenso, dass einige seiner neueren Interpretationen „exaggerate the distinction between research and treatment“ [38]. Jedoch wurden solche Vorwürfe durch die Inventoren des Konzepts eindeutig zurückgewiesen:

„Our concerns about TM’s impact on informed consent do not derive from the belief that research subjects have poorer outcomes than persons receiving ordinary clinical care. Rather, we believe that subjects with TM cannot give an adequate informed consent to research participation, which harms their dignitary interests and their abilities to make meaningful decisions....In the absence of empirical studies on the steps required to dispel TM and the impact of such procedures on subject recruitment, it is premature to surrender to the belief that TM must be widely tolerated in clinical research“ [2].

Eine Untersuchung dieser letztgenannten Autoren führte zu dem Schluss, dass…

“…subjects often sign consents to participate in clinical trials with only the most modest appreciation of the risks and disadvantages of participation“ [44].

Was bedeutet „therapeutische“ im Verhältnis zu „nichttherapeutischer“ Forschung?

Die Unterscheidung therapeutischer von nichttherapeutischer oder rein biomedizinischer Forschung war in weitem Gebrauch, besonders im Hinblick auf das Schutzniveau, das im letzteren Fall höher sein sollte, oder auch, um eine scharfe Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Forschung zu ziehen. Jedoch kann der Ausdruck „therapeutisch“ für den Patienten die Grenze verwischen und ihn therapeutische Forschung als Versorgung missverstehen lassen, d. h. ihn einer therapeutischen Fehlwahrnehmung (TM) ausliefern [66]. Zudem ist die Gültigkeit dieser Unterscheidung auch aus anderen Gründen fragwürdig [70].

Beispiel: „A therapeutic research study may prove that the experimental intervention is ineffective, in which case undergoing the experimental condition would be not beneficial to the subjects. Conversely, a non-therapeutic study may be associated with benefits for the subjects, such as more attention from health care workers. etc.“ [70].

Deshalb wurde vorgeschlagen, stattdessen die Termini „Forschung mit (oder ohne) potenziellem individuellem Nutzen“ zu gebrauchen [21, 22]. Immerhin sind diese Ausdrücke – wenn auch nicht vollständig, so doch – eindeutiger.

Da es das Ziel von Forschung ist, neue Kenntnisse zu gewinnen, übersteigt jede Forschung mit Menschen einen ausschließlich individuellen Nutzen und ist immer supraindividuell orientiert. Insofern muss in jedem Fall das Ausmaß individuellen Nutzens, d. h. der „Eigennützigkeit“, zum Nutzen für andere, also der „Fremdnützigkeit“, ins Verhältnis gesetzt werden. So ist der potenzielle individuelle Nutzen bei therapeutischen Prüfungen (Gruppe 1 der erwähnten Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission) am größten, geringer bei Forschung mit nur zukünftigem Nutzen (Gruppe 2) und allenfalls fraglich bei Forschung mit Nutzen für die Gruppe von Kranken, zu der der Patient nach Alter oder Krankheit gehört. Solche gruppenspezifische Forschung (Gruppe 3) wird von (rein fremdnütziger) Forschung mit Nutzen ausschließlich für andere unterschieden (Gruppe 4).

Was bedeutet „direkter“ Nutzen?

Der Gebrauch des Ausdruckes „direkt“ verweist auf die Möglichkeit auch des „indirekten“ Nutzens [22]. Damit könnte ein nicht sofort, sondern erst nach einer Latenz eintretender Nutzen gemeint sein, z. B. ein präventiver Effekt nach einer Impfung, oder ein therapeutischer Nutzen von Forschung zu den Ursachen einer Krankheit, aus deren Kenntnis eine neue Therapie entwickelt wird. Die Betonung der Direktheit eines Nutzens kann aber auch als nur rhetorische Forderung verstanden werden, der Nutzen müsse deutlich und unmittelbar erkennbar sein.

Was bedeutet ein „angemessenes“ Nutzen-Risiko-Verhältnis?

Gewöhnlich wird der Ausdruck „angemessen“ als ein gerechtfertigtes Verhältnis zwischen Risiken und Nutzen verstanden. Jedoch können sowohl Manifestation als auch Intensität von Risiken und Nutzen nur als Wahrscheinlichkeiten geschätzt werden, etwa als „kann nicht ausgeschlossen werden“, „ist möglich“, „ist wahrscheinlich“. Darüber hinaus können diese Wahrscheinlichkeiten zwischen einzelnen Individuen erheblich schwanken. Solche interindividuellen Unterschiede sind relevant, wenn ein Risiko als „individuelles Alltagsrisiko“ definiert wird. Dementsprechend hängt die Einschätzung eines Nutzen-Risiko-Verhältnisses als angemessen auch von normativen Werten und Konventionen ab.

Beispiel: So muss die Ethikkommission bei Studien mit mehr als nur minimalem Risiko, etwa bei Prüfungen neuer Impfverfahren, entscheiden, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei nicht einwilligungsfähigen Patienten mit gegenwärtig (noch weitgehend) unbehandelbaren Krankheitszuständen wie fortgeschrittenen Stadien einer Alzheimer-Krankheit ethisch akzeptabel ist, unbenommen der Nutzen-Risiko-Schätzung des gesetzlichen Vertreters oder Betreuers des Patienten.

Was bedeutet eine „wesentliche“ neue Erkenntnis?

Eine Interpretation des Ausdruckes „wesentlich“ im Erläuternden Bericht (Nr. 87) zum Zusatzprotokoll meint eine „wesentliche Erweiterung des wissenschaftlichen Verständnisses einer Krankheit“. Die Zirkularität dieser Erläuterung zeigt die Schwierigkeit einer klaren, eindeutigen und praktikablen Definition des Terminus „wesentlich“. Abgesehen von einem inhaltlich weiten Verständnis des Feldes, auf dem „wesentliche“ Erkenntnisse gewonnen werden können, also neues Wissen über Ursachen, Behandlung und Prävention einer Krankheit, bleibt der Terminus „wesentlich“ selbst unklar: Ist es für eine Erkenntnis, um als „wesentlich“ gelten zu können, notwendig

  • nicht weniger als ein „Durchbruch“ zu sein, also ein Ergebnis, das neuartige Handlungsmöglichkeiten eröffnet,

  • ein Durchbruch nur mit einer sofortigen Wirkung oder auch mit einer verzögerten Wirkung.

  • dass das neue Wissen und – im Hinblick auf formale Kriterien – auf mindestens welchem Niveau evidenzbasiert sein muss?

Was bedeutet „Einwilligung“?

Obwohl diese Frage nach der Natur der Einwilligung im nächsten Abschnitt behandelt wird, muss doch ein Aspekt ihrer Schutzfunktion hier erwähnt werden: Das rechtliche Erfordernis für Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Patienten ist die informierte Einwilligung des gesetzlichen Vertreters oder Betreuers. Jedoch gibt es keine expliziten Regeln für die Einsetzung eines Betreuers alleine zu Forschungszwecken. Deshalb bleibt zumindest unklar,

  • ob ein zuständiger Vormundschaftsrichter einen Betreuer nur für Forschungszwecke einsetzt und weiterhin,

  • ob es nach deutschem Recht zulässig ist, dass ein (aus anderen als aus Forschungsgründen eingesetzter) Betreuer in die Forschungsteilnahme des von ihm Betreuten einwilligt, da der Betreuer doch verpflichtet ist, alleine zum Wohl und besten Interesse des betreuten Patienten zu handeln, die Forschungsteilnahme aber auch auf eine darüber hinausgehende Fremdnützigkeit zielt.

Feststellung der Einwilligungsfähigkeit

Problembreite

Auch wenn die Einwilligungsfähigkeit besonders häufig bei schweren psychischen Erkrankungen eingeschränkt oder aufgehoben ist, also bei jenen Krankheitszuständen, bei denen der Forschungsbedarf besonders drängend ist, um das oft beklagenswerte Schicksal ihrer Opfer zu verbessern, so kann sie doch durch eine Vielzahl auch somatischer Krankheiten, Störungen oder Zustände eingeschränkt werden [54, 67]Footnote 16 und zwar vorübergehend oder dauerhaft entsprechend den zugrunde liegenden KrankheitszuständenFootnote 17. Pars pro toto seien genannt Notfälle wie akute kardiovaskuläre Insulte oder Vergiftungen oder Polytraumata oder schwere Hirnschädigungen, z. B. durch Schlaganfall (speziell wenn sie eine Aphasie verursachen), oder intensivpflegebedürftige Patienten.

Obwohl Einwilligungsunfähigkeit in unterschiedlicher Häufigkeit mit den verschiedenen Krankheitsdiagnosen verbunden ist: Koma >Demenz >Schizophrenie >Depression und psychische Störungen >andere somatische Krankheiten [1, 5, 67], muss die Einwilligungsfähigkeit doch bei jedem einzelnen Patienten bestimmt werden, weil sie von individuellen Gegebenheiten, dem Verlaufsstadium und der Schwere der Krankheit abhängt.

Mangel an standardisierten und praktikablen Untersuchungsinstrumenten

Im Gegensatz zur logischen Struktur haben sich die Ereignisse historisch in umgekehrter Reihenfolge entwickelt: Zuerst wurde schon vor langer Zeit begonnen, Schutzregeln für nicht einwilligungsfähige Patienten aufzustellen, während die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit erst in den letzten Jahren zunehmende Bedeutung gewinnt.Footnote 18

Der Grund dafür lag darin, dass von einem theoretischen Blickpunkt aus das Konstrukt der Einwilligungsfähigkeit klar zu sein schien, wohingegen der Schutz von Patienten in der Forschungspraxis schon immer als Problem bekannt war, da der Fortschritt der Medizin auf Forschung basiert [16]. Aber je mehr sich die medizinische Forschung auch auf die Einbeziehung von Patienten mit fraglich gestörter oder gar aufgehobener Einwilligungsfähigkeit ausweitete, umso augenscheinlicher wurden die praktischen Probleme ihrer Feststellung. Als Hinweis auf diese Entwicklung kann man sehen, dass die einzige entsprechende Bemerkung dazu in Artikel 14, Absatz 3 des Zusatzprotokolls zur Biomedizinkonvention zu finden ist:

„Where the capacity of the person to give informed consent is in doubt, arrangements shall be in place to verify whether or not the person has such capacity.“

Die entsprechende Nr. 79 im Erläuternden Bericht stellt fest, dass es des Forschers Verpflichtung ist, der Ethikkommission mitzuteilen, wie er die Einwilligungsfähigkeit untersuchen will. Jedoch ist bisher, zumindest in Deutschland, kein praktikabler Test verfügbar, und fast nie enthalten wissenschaftliche Publikationen Informationen darüber, wie die Einwilligungsfähigkeit festgestellt wurde. Deshalb stellt ein auf diesem Gebiet führender Autor wohl zu Recht fest: „Assessment of decision-making capacity in older adults is an emerging area of practice and research“ und „becomes a distinct field of study“ [50].

Die gültige Feststellung der Einwilligungsfähigkeit ist ethisch relevant, weil ihre unzutreffende Einschätzung entweder zu einer ungültigen Einwilligung führt und damit die Verantwortung für Entscheidungen bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten belässt oder aber gegen einen einwilligungsfähigen Patienten diskriminiert. Jedoch besteht das gegenwärtig gebräuchliche Verfahren wohl selten in mehr als einer groben Schätzung nach dem Eindruck. Höchstens wird der Patient gefragt, ob er die Information zum beabsichtigten Forschungsprojekt verstanden hat, d. h. bestenfalls in seinen eigenen Worten wiedergeben kann, was getan werden soll (Ziel, Vorgehen, erwartete Risiken und Nutzen), warum es getan werden soll (Begründung) und was es für ihn selbst bedeutet (Würdigung). Die Anwendung von bereits standardisierten Tests wie etwa der McArthur-Testbatterie ist zu zeitaufwändig und ihre Spezifität ist ungenügend [67, 68]. Aber Instrumente zur Erfassung der Einwilligungsfähigkeit mit einer praktikablen Anwendungsdauer von ca. 5 min scheinen derzeit in Entwicklung,Footnote 19 wenn auch die Übereinstimmung zwischen ihnen noch gering ist [14].

Konsequenzen

Mindestens zwei Wege werden beschritten, um den Schwierigkeiten der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit bei Forschungspatienten zu begegnen:

  1. 1.

    Erniedrigung der Schwelle, von der ab eine Einwilligung als gültig angesehen wird,

  2. 2.

    Differenzierung von Arten der Einwilligung nach der Spezifität des jeweiligen Forschungsprojektes.

Beide Wege werden mittels empirischer Untersuchungen verschiedener Elemente des Einwilligungsverfahrens zunehmend geprüft.

Ad 1

Ein Charakteristikum des ersten Weges ist die allgemeine Mitteilung in wissenschaftlichen Publikationen, dass alle am Forschungsprojekt teilnehmenden Patienten (schriftlich) eingewilligt haben. Aber das Verfahren, wie die Einwilligungsfähigkeit erfasst wurde, wird fast nie beschrieben. Deshalb bleibt meist unklar, ob die Einwilligungsfähigkeit valide festgestellt wurde. Auch noch jüngste Veröffentlichungen über Forschung mit Demenzkranken teilen als einzige Spezifikation mit, dass die Patienten leichte bis mittelgradige Demenzzustände, gelegentlich zusätzlich mit einem MMSE-Score, z. B. von 16–26 Punkten, aufwiesen [29]. Aber ein „leicht bis mittelgradiger“ demenzieller Zustand sagt fast nichts über die Einwilligungsfähigkeit des individuellen Patienten aus; und bei Patienten mit einem MMSE-Wert unter 20 steht die Einwilligungsfähigkeit zumindest in Frage [34] und sollte spezifisch geprüft werden. Mit solchen Zweifeln stimmen die Ergebnisse spezifischer Untersuchungen der Einwilligungsfähigkeit überein.

Beispiel: eine standardisierteFootnote 20 Erfassung der Einwilligungsfähigkeit entsprechend verschiedener Einwilligungsstandards (von der Fähigkeit, eine Wahl zu treffen bis zu klinisch relevanten Standards wie Fähigkeit zum Verstehen, Begründen und Würdigen einer Information) deckte auf, dass selbst Patienten mit einer nur milden kognitiven Beeinträchtigung (MCI) „showed a progressive pattern of capacity compromise (marginally capable and incapable outcomes) related to stringency of consent standard“. Noch schlechter waren die Ergebnisse bei Patienten mit leichter Alzheimer-Krankheit [52].

Solche Befunde lassen annehmen, dass sich Definitionen oder Schwellen in der Praxis verändern, speziell die Schwelle zur Annahme fehlender Einwilligungsfähigkeit: nach oben mit dem Ergebnis, dass eine nur fragliche oder fehlende Einwilligungsfähigkeit als gültig angenommen wird; nach unten kann diese Schwellenverschiebung dazu führen, dass ein Fehlen der Einwilligungsfähigkeit angenommen wird mit der Folge, dass ein Betreuer für einen einwilligungsfähigen Patienten bestellt wird. Solche möglichen Schwellenverschiebungen sollten empirisch untersucht werden.

Beispiel: Wenn alle Patienten einer Impfstudie gegen die Alzheimer-Krankheit [28, 35], die eine schriftliche Einwilligung abgaben, das Risiko einer lebensbedrohlichen Hirnentzündung verstanden hätten, kann bezweifelt werden, dass alle in die Teilnahme eingewilligt hätten. Jedoch ist unklar, ob die Patienten die Aufklärung über dieses vielleicht unbekannte, aber nicht unwahrscheinliche RisikoFootnote 21 verstanden haben bzw. ob kontrolliert wurde, dass sie die Aufklärung verstanden und gewürdigt haben. Es wäre wünschenswert, wenn solche Informationen über das Aufklärungs- und Einwilligungsvorgehen als Bestandteil der Publikation mit den wissenschaftlichen Ergebnissen zusammen veröffentlicht würden.

Selbst wenn wahrscheinlich einwilligungsfähige demenzkranke Patienten in das einwilligten, was ihnen vorgeschlagen wurde, sollte diese Einwilligung mit Vorsicht interpretiert werden, weil einige Untersuchungen die emotionale und soziale Dimension der informierten Einwilligung deutlich machen konnten [63], d. h. die Einwilligung kann durch den Kontext der Situation beeinflusst werden [15].

Deshalb schiene es transparenter und ethisch leichter vertretbar, wenn – entsprechend den hohen Standards der Einwilligungsfähigkeit – möglicherweise oder wahrscheinlich nicht einwilligungsfähige Patienten eben als solche deklariert und die Forschung unter den Schutzvoraussetzungen für nicht einwilligungsfähige Patienten durchgeführt würde, d. h. dass die Einwilligung – als Akzeptanz des Vorschlages (assent) oder nur als (schweigendes) Gewährenlassen (acquiesence) oder gar als fehlende Ablehnung (no refusal) – nicht nur vom Patienten, sondern auch von einer autorisierten Person, z. B. einem bevollmächtigten Angehörigen oder einem Betreuer eingeholt wird. Aber, wie bereits erwähnt, kann auch dies zumindest in Deutschland schwierig sein, weil Richter es unter Berufung auf das Betreuungsgesetz ablehnen könnten, einen Betreuer für eine Forschungsteilnahme des Betreuten zu bestellen, weil der Betreuer ausschließlich im besten Interesse des Patienten handeln darf. Der einfachere, aber bisher kaum genutzte Weg wäre es, wenn der (noch) einwilligungsfähige Patient eine Person seines Vertrauens für spätere Entscheidungen bezüglich einer Forschungsbeteiligung bevollmächtigt.

Ad 2

Der zweitgenannte Weg differenziert die Einwilligung nach

  • der Spezifität der Forschungsfrage und

  • verschiedenen Einwilligungsstandards, fragt dabei aber auch nach

  • der Gültigkeit der Einwilligung.

Spezifität der Einwilligung

Einwilligungsfähigkeit ist keine absolute, sondern nur eine relative Fähigkeit in Bezug zum in Frage stehenden Sachverhalt: sie kann zur gleichen Zeit beim gleichen Patienten für einen Sachverhalt vorhanden sein, für einen anderen aber nicht. Sie ist auch kein stabiles Merkmal der Persönlichkeit, sondern kann sich in der Zeit verändern. Deshalb ist es entscheidend, eine aktuelle Einwilligung zur Teilnahme in einem Forschungsprojekt zu erhalten, sie muss hier und jetzt gültig sein. Und weil mentale Fähigkeiten nicht statisch sind, ist „the enhancement of the patient’s capacity a reasonable aim“ (s. unten). Einige Autoren betonen die klinische Erfahrung, dass sich die Einwilligungsfähigkeit nur auf spezifische Aspekte des Forschungsprojektes beziehen kann, z. B. die Behandlung des akuten Schlaganfalles oder die elektive Kataraktoperation bei Demenzkranken oder bei Patienten mit Alterskrankheiten.Footnote 22 Es erscheint prüfenswert, dass für ihren eigenen Krankheitszustand nicht (mehr) einwilligungsfähige Demenzkranke in der Lage sein sollen, einen Angehörigen ihres Vertrauens für die Einwilligung zur Teilnahme an Forschung in gültiger Weise zu bevollmächtigen.Footnote 23 Entsprechend wurde festgestellt, dass Laien mit einem erhöhten Demenzrisiko die Einwilligung zu Forschungsuntersuchungen durch einen Vertreter unterstützen [37].

Standards der Einwilligung

Die Analyse des Einwilligungsprozesses ergab Unterschiede sowohl in der Qualität wie auch im Ausdruck der Einwilligung. Wichtige Komponenten der Einwilligung sind Fähigkeiten zum Verstehen und Würdigen der Information, zum Begründen einer Entscheidung und eine Wahl zum Ausdruck zu bringen [13, 19, 65]. Letztgenannte Fähigkeit wird als ein geringerer Standard angesehen, während das Verstehen einen wichtigeren Standard repräsentiert, und als höchster Standard gilt, wenn alle diese Fähigkeiten zusammen vorhanden sind. Außerdem bestehen fließende Übergänge zwischen verschiedenen Formen, eine Einwilligung zum Ausdruck zu bringen, nämlich Einwilligung als informierte selbstbestimmte Entscheidung, „assent“ als die Befolgung eines Vorschlages, schweigendes Mitmachen („acquiescenc“) oder schließlich das Fehlen jeglicher Ablehnung.

Die Anwendung des höchsten Standards von Einwilligung würde wohl einen größeren Teil psychisch Kranker ebenso wie viele Patienten mit anderen somatischen Erkrankungen und sogar auch einige gesunde Personen als potenzielle Forschungsprobanden ausschließen, oder sie würde einen Betreuer für die Einwilligung zur Forschungsteilnahme erfordern. Deshalb ist zu fragen, welcher Standard angemessen ist, z. B. im Hinblick auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Forschungsprojektes. Niedrigere Einwilligungsstandards werden vermutlich implizit und häufig in der klinischen Praxis angewandt. Aus ethischen Gründen wäre es jedoch vorzuziehen, für jedes Forschungsprojekt explizit zu bestimmen, welcher Einwilligungsstandard ethisch akzeptabel ist, z. B. ein niedrigerer Standard bei Studien mit nicht mehr als minimalem Risiko.

Gültigkeit der Einwilligung

Zu bedenken ist, dass alle Quellen von Einwilligung, der Patient selbst, seine Patientenverfügung und auch autorisierte Vertreter, fehleranfällig sein können.

Beispiel: In einer Interview-Studie einwilligungsfähiger Patienten und von ihnen benannter Vertreter zu Szenarios, in eine elektive Kataraktoperation entweder im Zustande psychischer Gesundheit oder bei fortschreitender Demenz einzuwilligen, wurden die Entscheidungen der Patienten von ihren Vertretern nur für den Fall psychischer Gesundheit, nicht aber für das hypothetische Demenzszenario zutreffend vorausgesagt, d. h. „proxies were unable to accurately represent a patient’s wishes for elective cataract surgery“ [46].

Wie weit solche Testsituationen die Realität wirklich wiedergeben können, erscheint problematisch, wenn man etwa dieses Beispiel mit dem oben zitierten vergleicht, wonach Laien mit einem erhöhten Demenzrisiko die Einwilligung zu Forschungsuntersuchungen durch einen Vertreter unterstützen [37].

Measures to improve the validity of consent

Um den hohen Standards von Einwilligungsfähigkeit nachkommen zu können, wurden verschiedene Maßnahmen untersucht:

  • eine verminderte Einwilligungsfähigkeit zu verbessern oder sie

  • durch eine Patientenverfügung oder auch

  • durch die gültige Einwilligung eines autorisierten Vertreters zu ersetzen.

Verbesserung („enhancing“) der Einwilligungsfähigkeit

„Persons with cognitive dysfunction are commonly excluded from making decisions about the implementation of cognition-enhancing treatments although they wish to do so“ [59].

Deshalb wurden verschiedene Verfahren, die Einwilligungsfähigkeit zu fördern, untersucht und als wirksam befunden [10], nicht nur bei schizophren Kranken [3, 6], sondern auch bei Demenzkranken [49]. So wird das Verfahren der „erfahrenen Einwilligung“, d. h. Forschung durch eine einwöchige Erprobungsteilnahme zu erfahren, als vielversprechend angesehen [70]. Allerdings ergab eine systematische Übersicht von 42 Prüfungen solcher Verfahren…

“…only limited success. Having a study team member or a neutral educator spend more time talking one-to-one to study participants appears the most effective available way of improving research participants‘ understanding; however; further research is needed“ [10].

Eine Studie fand, dass kontextbezogenes kognitives Training „improved cognitive abilities specific to the abilities trained and continued 5 years after the initiation of the intervention“ [72].

Patientenverfügungen

Patientenverfügungen, die auch zur Möglichkeit der Einbeziehung in Forschung Stellung nehmen, sind möglich, aber scheinen die Entscheidungen des Patienten oder seines Vertreters nicht zu unterstützen [62]. Diese Möglichkeit wird wohl auch nur selten genutzt, aber empfohlen [40]. Dementsprechend wurde darauf hingewiesen, dass…

“…three major international documents on medical research – the CHRB (ETS 164), its Additional Protocol (ETS 195), and Directive 2001/20/EC on Clinical Trials on Medicinal Products – give conflicting messages on the legal status of advance directives in medical research“ [45].

Ausbildung von Vertretern

Klinische Forscher…

“…must be prepared to educate patients and family members about dementia and research, determine each potential subject’s competence to consent, and ensure that decisions about participation are in accordance with the best interests of the subject. Ethical conduct of clinical trials of new antidementia therapies which will require that everyone involved understands the values and beliefs that guide their decision-making and the potentially conflicting roles facing the clinician-scientist“ [9].

Dies ist wichtig, weil “...proxies... themselves have biases about their loved ones and their potential for participating in research“ [4], und es scheint nur „poor agreement between the decisions made by surrogates and patients“ zu geben.

„Surrogates‘ decisions would have resulted in the patients having far more treatment than the patients would have wanted.“ „Further study is needed on measures such as facilitated discussions, advance directives and the difficulties that surrogates face, in order to improve the accuracy of surrogates‘ decisions and respect of patients‘ autonomy“ [43].

Auch zur Rolle der Lebenspartner von Demenzkranken als potenziell verantwortlichen Personen dafür, Menschen mit Demenz von der Teilnahme an Forschung auszuschließen, wurden weitere Überlegungen angestellt…

“…with particular reference to the appropriateness of viewing consent as a primarily cognitive, universalistic and exclusionary event as opposed to a more particularistic, inclusive and context relevant process“ [15].

Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass Interviews mit Pflegepersonen zu ethischen Bedenken gegen Arzneimittelbehandlungen bei Demenzkranken gezeigt haben, dass „problematic consequences of an early diagnosis and the creation of unreasonable hope did not appear“... und „problems concerning rising awareness of cognitive decline were not found“ [31].

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass alle diese Maßnahmen zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt haben und weiterer empirischer wie theoretischer Forschung bedürfen. Eine Konsequenz ist aber bereits jetzt klar: Die Einführung jeder dieser Maßnahmen benötigt Zeit des Personals.

Offene Fragen zum Forschungsbedarf

Die beschriebenen Probleme können zusammengefasst werden als offene Fragen, die als Forschungsbedarf formuliert werden sollen. So besteht Bedarf

  • die notwendigerweise unbestimmten Termini der Kriterien in den wichtigen Richtlinien zum Schutze von Forschungspatienten durch eine umfassende Liste von Ankerbeispielen praktikabel zu machen;

  • einen sowohl praktikablen wie auch ethisch akzeptablen Weg zu finden zwischen der PseudovaliditätFootnote 25 fraglicher informierter Einwilligung bei psychisch kranken Patienten mit möglicherweise beeinträchtigter Einwilligungsfähigkeit und den – zumindest in Deutschland – bestehenden Schwierigkeiten, einen Betreuer mit der Kompetenz zu bestellen, in die Teilnahme eines nicht einwilligungsfähigen Patienten an Forschung informiert einwilligen zu dürfen;

  • mehr empirische Daten zur Gültigkeit der Einwilligung von Patienten ebenso wie auch von autorisierten Vertretern zu gewinnen;

  • praktikable Methoden zur Feststellung der Einwilligungsfähigkeit zu verbessern, speziell durch die Entwicklung kurzer und sensitiver Testinstrumente; dass solche Forschung notwendigerweise einwilligungsunfähige Personen einschließen muss, ist in der Literatur extensiv diskutiert worden [67, 68];

  • die Möglichkeiten spezifizierter und abgestufter Einwilligung zu analysieren;

  • Verfahren zu untersuchen, Angehörige einzubeziehen, nicht einwilligungsfähige Patienten, die an Forschung teilnehmen, zu begleiten, um Transparenz als vertrauensbildende Maßnahme zu verbessern;

  • im Hinblick auf Arzneimittelforschung bei psychisch kranken Patienten mit beeinträchtigter Einwilligungsfähigkeit folgende Fragen zu beantworten:Welche sekundären Untersuchungen jenseits der primären Feststellung von Wirksamkeit und Sicherheit sind rechtlich zulässig und ethisch gerechtfertigt, z. B.

    • pharmakokinetische (oder pharmakodynamische) Untersuchungen bei multimorbid alterskranken oder dementen Patienten mit gestörtem Stoffwechsel oder unbekannten Wechselwirkungen bei Multimedikation (Gruppe 2 oder 3 der o. g. Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission) oder

    • Längsschnittstudien mit klinisch (z. B. durch Tests) oder interventionell (z. B. durch Blutentnahme) erhobenen Variablen nach Impfversuchen, die wegen schwerer Nebenwirkungen abgebrochen wurden [29].