Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems und gleichzeitig die Erkrankung, die im jungen Erwachsenenalter am häufigsten zu einer dauerhaften Behinderung führt. Schätzungen zufolge dürften weltweit mindestens 1 Mio. Menschen von einer MS betroffen sein, genaue Zahlen liegen aber nicht vor [1]. Auch in Deutschland sind weder die Anzahl der MS-Erkrankten noch die Verteilung auf die einzelnen Verlaufsformen gut bekannt. Hochrechnungen aufgrund verschiedener regionaler epidemiologischer Erhebungen lassen Zahlen zwischen 67.000 und 138.000 vermuten [4]. Mit Hilfe einer repräsentativen Befragung aller an der Behandlung der MS beteiligten Arztgruppen errechneten Hein u. Hopfenmüller eine Zahl von 122.000 MS-Patienten in Deutschland, die mit den Schätzungen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) von etwa 120.000 MS-Betroffenen gut übereinstimmt [8].

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der MS ist enorm: Unter Verwendung von Statistiken der Kostenträger (sog. „Top-down-Analysen“), die allerdings nur die direkten Krankheitskosten berücksichtigen, errechneten sich Krankheitskosten von rund 500 Mio. EUR (1 Mrd. DM) [17]. Unter Berücksichtigung auch der indirekten Kosten (Produktivitätsverlust durch Arbeitsunfähigkeitszeiten oder vorzeitige Berentung) stiegen die jährlichen Krankheitskosten auf 33.438 EUR pro Patient oder mehr als 4 Mrd. EUR insgesamt [9]. Trotzdem ist die Versorgungssituation der MS-Patienten nur unzureichend bekannt. Schätzungen zufolge dürften MS-Patienten eher unter- als überversorgt sein, ohne dass jedoch zuverlässige Daten hierzu vorliegen. Daher ist nicht zuletzt auch unter gesundheitsökonomischen Aspekten und dem zielgerichteten Einsatz der vorhandenen (begrenzten) Ressourcen ein flächendeckendes MS-Register wünschenswert. Eine derartige systematische Erhebung existiert trotz vielfältiger, sich im Umlauf befindlicher MS-Datenbanksysteme [12] für Deutschland bisher nicht.

Langfristiges Ziel des hier vorgestellten MS-Registers ist es, verlässliche Daten zur Prävalenz der Erkrankung und deren Unterformen in der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten und die Verteilung innerhalb der einzelnen Schweregrade, den Einfluss der Erkrankung auf die Berufs- und Arbeitsfähigkeit, Versorgungsaspekte wie die Anwendung immunmodulierender, symptomatischer und nichtmedikamentöser Therapiemaßnahmen und die regionale Verteilung der MS darzustellen. In der vorliegenden Arbeit sollen insbesondere die Methodik des MS-Registers wie Art der Datenerhebung, Basisdatensatz und Qualitätskontrolle vorgestellt werden, daneben werden die ersten Ergebnisse der Pilotphase berichtet.

Patienten und Methoden

In der auf zwei Jahre angelegten Pilotphase wurden alle MS-Patienten eingeschlossen, die im Erhebungszeitraum vom 07.01.2002 bis 31.12.2003 die teilnehmenden Zentren aufsuchten und nach ausführlicher Aufklärung ihr schriftliches Einverständnis zur zentralen Auswertung des erhobenen Basisdatensatzes gaben. Die Akzeptanz zur Teilnahme an der Studie lag bei über 90%. Die Daten wurden prospektiv erhoben. Um eine Vermengung retrospektiv und prospektiv erhobener Daten in den Zentren, die bereits mit elektronischen Datenbanken dokumentiert hatten zu vermeiden, wurden die in den einzelnen Zentren bereits vorhandenen Datensätze nicht übernommen; diese Informationen konnten allerdings neben den geführten Krankenakten zur Beschreibung der personenbezogenen Daten und der Krankheitsgeschichte herangezogen werden. Die Datenerhebung erfolgte in Form einer Querschnittsuntersuchung. In den Fällen, in denen Patienten im Erhebungszeitraum mehrfach ein Zentrum aufsuchten, wurde der jeweils letzte Datensatz analysiert. Die Erfassung und Auswertung longitudinaler Daten war in der Pilotphase nicht vorgesehen.

Nachdem die initial geplante internetbasierte Dokumentation [5] aufgrund erheblicher datenschutzrechtlicher Bedenken und der dadurch bedingten zeitlichen Verzögerung zunächst nicht weiter verfolgt wurde, erfolgte die Dokumentation lokal mit den in den Zentren vorhandenen Dokumentationssystemen (MUSIS [17] bzw. MSDS [13]). Zwischenauswertungen erfolgten zum 31.07.2002 (7 Monate) und 30.06.2003 (18 Monate) unter Verwendung gruppierter Daten aus den Zentren [3, 6]. Für die Qualitätskontrolle und endgültige Auswertung wurden die Datensätze zentral bei der MS-Forschungs- und Projektentwicklungs-gGmbH Hannover zusammengeführt und dem Institut für Medizinische Statistik und Epidemiologie (IMSE) der Technischen Universität München weitergeleitet.

Teilnehmende Zentren

In der zweijährigen Pilotphase beteiligten sich 6 Zentren mit besonderer Erfahrung in der Betreuung von MS-Patienten, die unterschiedliche Versorgungsstufen und geographische Gegebenheiten aufweisen, verschiedene Regionen Deutschlands repräsentieren und in unterschiedlichen Versorgungsstrukturen (ambulant/stationär) dokumentieren (Tabelle 1). Damit sollte eine möglichst repräsentative Auswahl gewährleistet sein. Die Rehabilitationsklinik Bad Wildbad schied vor Ablauf der Pilotphase aus, so dass für die endgültige Auswertung nur die Datensätze der verbleibenden 5 Zentren berücksichtigt wurden.

Tabelle 1 Teilnehmende Zentren

Basisdatensatz

Von der MS-Register-Gruppe wurde ein Basisdatensatz entworfen, der soziodemographische Daten, Daten zu Diagnosestellung und Diagnosesicherheit, Verlaufsformen und Erstsymptomatik sowie zur Krankheitsaktivität und zur immunmodulierenden und symptomatischen Therapie enthält, aber auch Behinderungsgrade und funktionelle Einschränkungen sowie Aussagen zu sozialmedizinischen Aspekten wie Berufstätigkeit und Berentung umfasst (Abb. 6). In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Multiple-Sklerose-Therapie-Konsensus-Gruppe (MSTKG) und des Ärztlichen Beirates der DMSG wurde auf Grundlage dieses Entwurfs der Basisdatensatz definiert und im Rahmen einer Konsensusbildung zur standardisierten Dokumentation von MS-Patienten im Dezember 2001 übereinstimmend akzeptiert.

Qualitätskontrolle der Datensätze

Die Qualitätskontrolle der Daten erfolgte in zwei Schritten: Zunächst wurde die Vollständigkeit bezüglich der Hauptzielkriterien Alter, Geschlecht, EDSS und Diagnosekriterien überprüft und den einzelnen Zentren die Möglichkeit gegeben, anhand einer Mängelliste die Datensätze zu komplettieren. Datensätze, die hinsichtlich der Hauptzielkriterien nicht vervollständigt bzw. korrigiert werden konnten, wurden von der weiteren Qualitätskontrolle und Auswertung ausgeschlossen. Im zweiten Schritt wurden die Variablen des Basisdatensatzes anhand vorab erstellter Regeln auf Plausibilität hin überprüft und bei statistischen Extremwerten (Abweichung um mehr als das 3fache der Standardabweichung vom arithmetischen Mittel) oder auffälligen Inkonsistenzen (z. B. Datum des Krankheitsbeginns nach Diagnosestellung, EDSS >8 bei noch vorhandener Berufstätigkeit etc.) den Zentren zur erneuten Überprüfung zurückgesandt. Danach wurden die korrigierten Daten in einer zentralen Datenbank auf Basis von MSDS harmonisiert und ausgewertet.

Ergebnisse

In der zweijährigen Pilotphase konnten die Daten von 3458 Patienten erhoben werden. Nach der ersten Qualitätskontrolle und Korrektur in den Zentren waren bezüglich der Hauptzielparameter 3223 vollständige Datensätze vorhanden, die den zweiten Schritt der Qualitätskontrolle und die Auswertung durchliefen. Damit waren 93,2% der ursprünglich erhobenen Datensätze verwertbar.

Abbildung 1 stellt die Häufigkeitsverteilung in Abhängigkeit von den Postleitzahlen- (PLZ-)Regionen und damit das Einzugsgebiet des gesamten MS-Registers dar, Abb. 2 die Häufigkeitsverteilung nach PLZ-Regionen der einzelnen Zentren und damit deren unmittelbares Einzugsgebiet. Der wesentliche Anteil der Patienten entstammte den regionalen Einzugsgebieten der Zentren, allerdings wurden in den einzelnen Zentren auch Patienten aus weiter entfernt liegenden Gebieten registriert, so dass in der Gesamtauswertung nahezu alle PLZ-Regionen der Bundesrepublik Deutschland vertreten waren. Von 96 PLZ-Gebieten waren nur 3 Regionen (3,1%) nicht repräsentiert: Hannover (PLZ-Gebiet 30), Teile Münchens (81) und Garmisch-Partenkirchen (82). Im Zeitraum 2000–2003 wurden in der PLZ-Region 18 (Rostock) 79 MS-Patienten und in der PLZ-Region 97 (Würzburg) 119 Patienten neu diagnostiziert. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in dieser frühen Phase des Projektes sicherlich nicht alle MS-Patienten eines Gebietes erfasst werden konnten, errechnet sich daraus — bezogen auf die Einwohnerzahl zum 31.12.2003 — die Rate der Neuerkrankten pro 100.000 Einwohnern für den 4-Jahres-Zeitraum mit 12,2 für Rostock und 10,8 für Würzburg; dies entspricht einer jährlichen Inzidenz von 3,0 (Rostock) bzw. 2,7 (Würzburg) pro 100.000 Einwohnern.

Abb. 1
figure 1

Häufigkeitsverteilung nach PLZ-Regionen. In der Legende ist für die jeweilige Farbzuordnung die Anzahl der Patienten pro PLZ-Gebiet und (in Klammern) die Gesamtzahl der PLZ-Regionen für die Gesamtauswertung des MS-Registers (n=3150 Patienten) angegeben. Weiße Flächen repräsentieren PLZ-Gebiete, aus denen keine Patienten registriert wurden. Weitere Erläuterungen im Text

Abb. 2
figure 2

Einzugsgebiet der Zentren nach PLZ-Regionen. Dargestellt ist die Anzahl der Patienten pro PLZ-Gebiet (Farbzuordnung vgl. Abb. 1) in jedem einzelnen Zentrum. Weitere Erläuterungen im Text

Das mittlere Alter bei Krankheitsbeginn betrug für die gesamte Stichprobe 30,2 Jahre, die mittlere Krankheitsdauer lag bei 12,6 Jahren (Tabelle 2). Am häufigsten erkrankten die Patienten im Alter zwischen 20 und 40 Jahren erstmals an der MS (Abb. 3). Frauen waren 2,6-mal häufiger betroffen als Männer (72% vs. 28%, Tabelle 2). Knapp zwei Drittel der Patienten wies einen schubförmigen Verlaufstyp auf (63,7%, Tabelle 2), 27,8% litten an einer sekundär chronisch-progredienten (CP) MS (15,1% ohne und 12,7% mit überlagerten Schüben), 5,8% an einer primär CP-MS, und 1,4% waren nicht sicher klassifizierbar. Bei 1,3% war bisher nur ein klinisch isoliertes Syndrom aufgetreten (Abb. 4). Zwischen den Zentren ergeben sich teilweise erhebliche Unterschiede in der Häufigkeit der einzelnen Verlaufsformen, die auf die unterschiedlichen Behandlungsschwerpunkte und die Versorgungsstruktur der dokumentierten Patienten (stationär vs. ambulant) zurückgeführt werden können (Tabelle 2).

Abb. 3
figure 3

Alter zu Krankheitsbeginn und bei der aktuellen Untersuchung. Anzahl der Patienten in Abhängigkeit vom Alter zu Krankheitsbeginn (rot) und bei der aktuellen Erhebung (blau) für das gesamte MS-Register (n=3223)

Abb. 4
figure 4

Verlaufsformen der MS. Prozentualer Anteil der Patienten in Abhängigkeit von der Verlaufsform für das gesamte MS-Register (n = 2929). CIS klinisch isoliertes Syndrom, RR schubförmig, SP sekundär chronisch-progredient, PP primär chronisch-progredient

Tabelle 2 Demographische Daten

Die Verteilung der EDSS („expanded disability status scale“) zeigte 3 Häufigkeitsgipfel: bei EDSS 1,5, bei EDSS 3,5–4,0 und bei EDSS 6,0–6,5 (Abb. 5). Von 3223 Patienten waren noch 1941 Patienten (60,2%) uneingeschränkt gehfähig (EDSS ≤3,5), der Anteil der Patienten mit EDSS ≤4,0 betrug 69,3% (2234 MS-Patienten); 584 (18,1%) MS-Patienten waren auf Gehhilfen angewiesen (EDSS 6–7,5), und nur 83 (2,6%) waren schwerer behindert (EDSS ≥8). In ähnlicher Weise wurden funktionelle Einschränkungen bewertet: 879 Patienten (27,6%) gaben keine und 916 Patienten (28,8%) nur leichte funktionelle Einschränkungen an, damit waren 56,4% der MS-Patienten noch voll gehfähig. Eine eingeschränkte Gehfähigkeit wurde bei 1125 Patienten (35,3%) gefunden, 215 Patienten waren auf einen Rollstuhl angewiesen (6,8%), und bettlägerig waren 51 Patienten (1,6%). Sechzehn Patienten (0,5%) wurden in einem Pflegeheim betreut, 85 Patienten (2,6%) nahmen gelegentlich oder kontinuierlich die Hilfe eines mobilen sozialen Hilfsdienstes in Anspruch. Voll berufstätig waren 1205 Patienten (40,9%), 271 Patienten (9,2%) noch in Ausbildung, 250 Patienten (8,5%) in Teilzeit beschäftigt, 161 Patienten arbeitslos (5,5%), 85 Patienten (2,9%) altersbedingt berentet, und 153 (5,2%) bzw. 810 Patienten (27,5%) bezogen Rentenleistungen aufgrund Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Damit waren 32,7% der Patienten aufgrund ihrer MS vorzeitig berentet. MS-bedingte Umschulungen wurden nur bei 11 Patienten (0,4%) durchgeführt.

Abb. 5
figure 5

EDSS-Verteilung. Anzahl der Patienten in Abhängigkeit von der EDSS („expanded disability status scale“) [11] für das gesamte MS-Register (n=3223)

Diskussion

Die hier vorgestellten Ergebnisse der Pilotphase zeigen, dass es möglich ist, trotz verschiedener Datenbanksysteme und Versorgungsstrukturen der beteiligten Zentren den im Konsens verabschiedeten Basisdatensatz weitgehend vollständig zu erfassen und innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraumes die Daten von mehr als 3400 MS-Patienten zu erheben (Abb. 6). Mit Hilfe der beschriebenen Qualitätssicherungsmaßnahmen waren mehr als 93% der Datensätze auswertbar, so dass zur weiteren Analyse die Daten von 3223 MS-Patienten zur Verfügung standen. Damit stellt die vorliegende Untersuchung bereits nach Abschluss der Pilotphase eine der zahlenmäßig größten Erhebungen bei Patienten mit MS dar.

Abb. 6
figure 6

Dokumentationsbogen „Basisdatensatz“

Durch die Auswahl der 5 Zentren unterschiedlicher geographischer Lage und verschiedener Versorgungsstrukturen sollte eine, für das gesamte Bundesgebiet möglichst repräsentative Datenerhebung erreicht werden. Obwohl aufgrund der räumlichen Verteilung der Zentren über das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschlands nahezu alle PLZ-Regionen abgebildet wurden, lebte der überwiegende Anteil der Patienten in der unmittelbaren Umgebung der Zentren, und obwohl die Zentren unterschiedliche Versorgungsstrukturen aufwiesen, waren doch überwiegend Universitätskliniken repräsentiert. Damit sind zum jetzigen Zeitpunkt noch keine epidemiologisch relevanten Daten zu erwarten. Dies wird erst durch die geplante Ausweitung des Registers und den Einschluss weiterer Zentren mit einer flächendeckenden Erfassung von mehr als 10.000 MS-Patienten möglich sein.

Trotz dieser Einschränkungen entsprechen die demographischen Daten wie Geschlechtsverteilung, Alter und Krankheitsdauer und die MS-spezifischen Charakteristika wie Verlaufsform und Schweregrad der Behinderung (gemessen an der EDSS) denjenigen, wie sie aus mehreren Studien sowohl älteren als auch neueren Datums zum natürlichen Krankheitsverlauf der MS bekannt sind (Tabelle 3) [2, 1416, 19, 20]. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Zentren bezüglich der Verlaufsform können am ehesten der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung der Zentren und der Art der dokumentierten Patienten (ambulant vs. stationär) zugeschrieben werden. Dass die demographischen Daten von denen der Berliner DMSG-Studie insbesondere bezüglich der EDSS-Verteilung abweichen, verwundert nicht, da diese Studie auf einer Befragung von DMSG-Mitgliedern beruht und man davon ausgehen muss, dass schwerer betroffene Patienten eher in der DMSG organisiert sind als weniger stark Betroffene und wohl auch eher bereit sind, an einer derartigen Befragung mitzuwirken [7].

Tabelle 3 Vergleich der MS-Register-Daten mit der Literatur

Obwohl nicht Ziel der Pilotphase, wurde eine grobe Abschätzung der Zahl der Neuerkrankten versucht. Dabei muss nochmals einschränkend angemerkt werden, dass in der Pilotphase des MS-Registers keine gezielten Maßnahmen getroffen wurden, um eine flächendeckende epidemiologische Erhebung zu gewährleisten und somit sicherlich nicht alle Patienten in diesem Gebiet erfasst werden konnten. Trotz dieser Einschränkungen ergibt die Abschätzung der „Inzidenz“ zumindest für Würzburg und Rostock mit Raten von 2,7–3,0 pro 100.000 Einwohnern Zahlen, die denjenigen früherer Untersuchungen aus verschiedenen Regionen mit hohem Erkrankungsrisiko wie Europa oder Nordamerika von 2–5 pro 100.000 Einwohnern gut vergleichbar sind [11]. Geht man des Weiteren davon aus, dass entsprechend der obigen Annahmen sicherlich nicht alle Neuerkrankte in den Zentren versorgt werden, dürfte die Anzahl der Neuerkrankten in Deutschland die Gesamtzahl von 2500 deutlich übersteigen. Valide Aussagen hierzu lassen sich jedoch nur durch die geplante Ausweitung des MS-Registers auf weitaus mehr Zentren treffen.

Besondere Bedeutung kommt der MS nicht nur durch die hohe Zahl der Erkrankten, sonder auch aufgrund ihrer sozialmedizinischen Auswirkungen zu. In unserer Erhebung waren nach knapp 13-jähriger Krankheitsdauer und einem mittleren Alter von 43 Jahren nahezu ein Drittel (32,7%) der Patienten vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und bezogen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente; nur 41% der Erkrankten waren noch vollschichtig berufstätig. Ähnliche Zahlen fanden sich auch in den Untersuchungen, die bezüglich ihrer demographischen Daten dem MS-Register vergleichbar waren: So waren in Rochester, Minnesota, bei der aktuellen Erhebung im Jahr 2000 trotz verhältnismäßig geringgradiger Behinderung 32% der Patienten bereits berentet [14]. Bei Patienten mit höheren Behinderungsgraden wie in der Berliner DMSG-Studie waren nur mehr 18% ganztags und 8% halbtags berufstätig [7]. In der deutschen Krankheitskostenstudie mussten 40% der Patienten aufgrund der MS ihre Berufstätigkeit vorzeitig aufgeben. Die dadurch bedingten (indirekten) Kosten betrugen 12.968 EUR und waren damit für 39% der durchschnittlichen Gesamtkosten von 33.438 EUR pro Patient und Jahr verantwortlich [9]. Mit zunehmendem Einsatz der immunmodulatorischen Therapien, und insbesondere durch häufige Therapiewechsel, dürften die Gesamtkosten der Erkrankung zunächst noch weiter ansteigen. Damit kommt der MS eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung zu, was die Notwendigkeit unterstreicht, die Faktoren zu identifizieren, die zum vorzeitigen Rückzug aus dem Erwerbsleben führen und die für den vorzeitigen Abbruch der Therapie verantwortlich sind. Diese und weitere Analysen der MS-Register-Daten, vor allem die Versorgung mit immunmodulatorischen und symptomatischen Therapien, werden derzeit durchgeführt und in einer eigenständigen, demnächst folgenden Publikation dargestellt.

Mit Abschluss der Pilotphase bildet das MS-Register nun die Grundlage, um die Versorgungssituation von MS-Patienten in Deutschland zu beschreiben. Mit der geplanten Ausweitung und dem Einschluss weiterer Zentren kann die Datenbasis vergrößert, eine mögliche Über-, Unter- oder Fehlversorgung ermittelt und somit die Versorgungssituation von MS-Patienten insgesamt verbessert werden.