Etwa 50% der MS-Betroffenen zeigen zumindest leichte kognitive Störungen, die als nicht spontan reversibel gelten [18, 23] und negative Auswirkungen auf soziale Alltagsfunktionen und auf das Arbeits- und Erwerbsleben [2] haben.

Zur frühen und sensitiven Erfassung kognitiver Störungen bei Multipler Sklerose (MS) werden wenig aufwändige neuropsychologische Screening-Instrumente benötigt [7]. Wenngleich die hier zitierte Arbeitsgruppe einen neu entwickelten Selbst- und Fremderhebungsfragebogen vorstellte, wurde an anderer Stelle bezweifelt, dass ohne Testung valide Aussagen zu kognitiven Störungen bei MS-Kranken getroffen werden können [6].

Screening-Instrumente, die als „Goldstandard“ bezeichnet werden könnten, gibt es noch nicht [6], allerdings ist die BRB-N eine der am häufigsten [1, 5, 12, 17, 21, 22, 27, 28, 30] angewandten neuropsychologischen Testbatterien und hat insbesondere in Zulassungsstudien Verwendung gefunden, da sie als wiederholbare Testbatterie konstruiert wurde [14]. Ursprung für dieses halbstündige Screening-Instrument war eine umfassende Batterie, die einige Stunden Testzeit in Anspruch nahm [20, 23].

Normierungsversuche für einzelne Tests der BRB-N liegen vor, vereinzelt eine Normierung der gesamten Batterie [9]. Die Boringa-Normen [9] stammen aus dem niederländischen Sprachraum. Ob Normen von aus der Batterie isolierten Einzeltests valide sind, ist zweifelhaft [9, 25].

Die hier vorgelegte deutschsprachige Normierung anhand einer Probandenzahl von über 200, deren Ergebnisse einer Validitätsüberprüfung durch 2 MS-Kollektive unterzogen wurden, ist die erste ihrer Art. Sie soll dazu dienen, die BRB-N im nervenärztlichen Alltag bei MS zu etablieren. Die hier untersuchte Version der BRB-N entspricht weitestgehend der in den meisten Studien angewandten Fassung [8, 9] und der ersten von beiden Parallelformen, die von der European Study Group on Interferon β-1b in Secondary Progressive MS für deutschsprachige Länder durchgeführt wurden [14].

Patienten und Methoden

Gesunde Probanden

Es wurden 241 gesunde Probanden, die über Zeitungsannoncen rekrutiert worden waren, in der neurologischen Abteilung der Psychiatrischen Klinik der Freien Universität Berlin, Standort Eschenallee, mit der BRB-N getestet. Bei der Probandenauswahl wurde auf eine Gleichverteilung des Geschlechts, Alters und Bildungsstandes geachtet, um in jeder der 24 Kategorien (4 Altersgruppen × 3 Bildungsgruppen × 2 Geschlechtsgruppen) eine ausreichende Besetzung mit Personen zu erreichen. Von den Untersuchten waren 121 weiblich und 120 männlich. In den Altersgruppen 20–29, 40–49 und 50–59 wurden jeweils 60, in der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen wurden 61 Probanden untersucht. Das mittlere Alter betrug 40,2 Jahre (19–60). Dabei wurde ein 19-Jähriger der Gruppe „20–29“ und ein 60-Jähriger der Gruppe „40–59“ zugerechnet. Von den Probanden hatten 81 Hauptschule, 79 Mittlere Reife und 81 Abitur. Alle Teilnehmer gaben nach Aufklärung ihr schriftliches Einverständnis. Ausschlussgründe waren: zentralnervöse Krankheiten, bedeutsame psychiatrische Krankheiten, Suchterkrankungen aktuell oder in der Vorgeschichte, Konsum psychotroper Substanzen, Schädel-Hirn-Trauma mit Bewusstlosigkeit in der Vorgeschichte, Lernbehinderung, bedeutsame vaskuläre Schäden oder Risikofaktoren und andere ernsthafte medizinische Problemen (z. B. bösartige Neubildungen). Alle Probanden hatten ein ausreichendes Hör- und Sehvermögen, hinreichende feinmotorische Funktionen der Hände und Deutsch als Muttersprache.

MS-Patienten

Die 1. Gruppe bestand aus 43 schubförmig remittierenden MS-Patienten (RRMS) aus der MS-Ambulanz der Neurologischen Abteilung der Psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin, Standort Eschenallee. Das mittlere Alter betrug 34,0 Jahre (18–55), die Krankheitsdauer 8,4 Jahre (1–27), der EDSS (Expanded Disability Status Scale) wies einen Median von 3,0 (0–5,0) auf; 20,8% hatten Hauptschule, 41,7% Mittlere Reife bzw. einen Abschluss der Polytechnischen Oberschule und 37,5% Abitur; 72,9% waren weiblich und 27,1% männlich.

Die 2. Gruppe bestand aus den 60 sekundär progredienten MS-Patienten (SPMS) der 5 Berliner Studienzentren der europäischen Interferon-β-1b-Zulassungsstudie bei sekundär progredienter MS [14] mit einem mittleren Alter von 42,7 Jahren (27–56), einer Krankheitsdauer von 13,0 Jahren (1,5–36), einem EDSS von 4,75 (Median; 3,0–7,0); 26,7% hatten Hauptschule, 33,3% Mittlere Reife, 40,0% Abitur; 66,7% waren weiblich, und 33,3% waren männlich. Bei 4 der 60 Patienten waren die Daten der neuropsychologischen Testung aufgrund von Visusminderung und Ataxie unvollständig.

Neuropsychologische Testuntersuchung

Die BRB-N (ca. 30 min Dauer) wurde auf standardisierte Art und Weise von einem/einer der 3 trainierten Untersucher (HB, HG, PS) in folgender Testreihenfolge durchgeführt: Selective Reminding Test (SRT); 10/36-Spatial Recall Test (SPART); Symbol Digit Modalities Test (SDMT); Paced Auditory Serial Addition Test (PASAT); Selective Reminding Test, Delayed Recall (SRTDR); 10/36-Spatial Recall Test, Delayed Recall (SPARTDR) und Word List Generation (WLG; WORD).

Selective Reminding Test (SRT)

Es handelt sich um einen Test für verbales Lernen und Gedächtnis. Eine Liste aus 12 Wörtern wird in 6 Durchgängen präsentiert [11]. Die 12 Wörter werden dem Probanden mit einer Rate von einem Wort pro Sekunde vorgelesen. Möglichst alle 12 Wörter sollen vom Probanden aus dem Gedächtnis wiederholt werden. In den folgenden Durchgängen werden jeweils nur diejenigen Wörter erneut vorgelesen, die vom Untersuchten nicht genannt wurden. Etwa 15 min später soll der Proband noch einmal alle 12 Wörter nennen (Delayed Recall, Spätabruf). Der SRT vermag zwischen Kurzzeit- und Langzeitkomponenten des Gedächtnisses zu unterscheiden und untersucht zusätzlich die Konsistenz des Abrufes aus dem Langzeitgedächtnis.

Drei Messwerte wurden ausgewertet [11]. Von einem Wort, das in 2 aufeinander folgenden Läufen korrekt genannt wurde, egal, ob es auch in den folgenden Läufen auftauchte, wurde angenommen, dass es in das Langzeitgedächtnis transferiert wurde (Long Term Storage, LTS). Die Summe aller LTS-Werte der 6 Läufe wurde berechnet (SLTS: Summe aller 6 LTS). Wenn ein Wort, das die LTS-Kriterien erfüllte, konsistent auch in den folgenden Läufen korrekt genannt wurde, wurde es als konsistent im Langzeitgedächtnisabruf (Consistent Long Term Retrieval, CLTR) betrachtet. Die Summe aller 6 Läufe ergab die SCLTR (Summe aller 6 CLTR). Der Spätabruf führte zu dem SRTDR (SRT-Delayed Recall, Spätabruf), der die Summe aller frei reproduzierten Wörter (maximal 12) bedeutete. Insgesamt erbrachte der SRT also 3 Messgrößen: SLTS, SCLTR und SRTDR.

10/36-Spatial Recall Test (SPART)

Der SPART [9, 22, 23] ist ein Test zur Erfassung von visuospatialem Lernen und freiem Spätabruf. Es werden 10 Spielsteine auf einem quadratischen, aus 6×6 Quadraten bestehenden „Spielbrett“ pseudorandomisiert (fest vorgegebenes, wie zufällig aussehendes Muster) angeordnet. Der Proband darf sich das Muster 10 s lang ansehen. Danach wird er aufgefordert, das Muster aus dem Gedächtnis nachzulegen und die korrekt gelegten Steine werden gezählt (maximal 10). Es wurden insgesamt 3 Läufe (jeweils Präsentation und freier Abruf) durchgeführt und die Summe aller korrekt gelegten Steine (maximal 30) gezählt [SSPART (Summe aller Spatial-Recall-Punkte)]. Der Spätabruf (SPARTDR) erfolgte nach ca. 15 min.

Symbol Digit Modalities Test (SDMT)

Der SDMT erfasst Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, anhaltende Aufmerksamkeit und Konzentration, wobei in erster Linie komplexes visuelles Scannen und Trackingfunktionen beansprucht werden [25]. Es sind 9 Symbole in einer während des gesamten Tests sichtbaren Vorlage jeweils einer Ziffer von 1–9 zugeordnet. In einer Liste von Symbolen soll nacheinander jedem Symbol die zugehörige Ziffer zugeordnet werden, indem der Proband die entsprechende Ziffer laut nennt. Gezählt wurde die Anzahl korrekter Symbol-Ziffer-Zuordnungen, die innerhalb von 90 s erzielt wurde (SDMT).

Paced Auditory Serial Addition Test (PASAT)

Dieser Test beansprucht anhaltende Aufmerksamkeit sowie Konzentration und produziert ein Maß für Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit. Akustisch präsentierte Ziffern (Tonkassette) sollen paarweise addiert werden [16]. Zwei Läufe wurden durchgeführt. Zunächst erfolgte der Test mit einer Rate von einer Ziffer alle 3 s, danach mit den gleichen Ziffern, aber in anderer Reihenfolge und einer Rate von einer Ziffer alle 2 s. Es sollten 60 Ziffernpaare addiert werden, indem jeweils die gehörte Ziffer mit der unmittelbar zuvor gehörten Ziffer zusammengezählt wurde. Das Ergebnis sollte genannt werden; es durfte eine gehörte Ziffer nicht zu dem selbst berechneten Ergebnis, sondern ausschließlich zu der zuvor gehörten Ziffer addiert werden; die soeben genannte Summe sollte also wieder „vergessen“ werden. Von beiden Läufen wurden jeweils Scores gebildet, indem die Anzahl korrekter genannter Additionen gezählt wurde (PASAT3 und PASAT2).

Word List Generation: kategoriell, „Obst und Gemüse“ (WLG, WORD)

Dieser Test bildet ein Maß für die semantische Wortflüssigkeit („verbaler Antrieb“), abhängig vom semantischen Wissen, den Fähigkeiten des Wortabrufs und der Kategorienbildung. Er beansprucht unter anderem Exekutivfunktionen [15]. Innerhalb von 90 s sollen so viele Begriffe wie möglich aus der vorgegebenen Kategorie „Obst und Gemüse“ aufgezählt werden. Wiederholungen (Perseverationen) und nicht dazugehörige Begriffe (Regelbrüche) sind zu vermeiden. Gezählt wurde die Anzahl korrekter Begriffe abzüglich Wiederholungen (WORD).

Statistische Analysen

Die statistischen Berechnungen wurden mit SPSS für Windows durchgeführt. Insgesamt ergaben sich 9 Rohwerte aus einer BRB-N-Testuntersuchung. Das Regressionsmodell als Möglichkeit, Einflussgrößen-adjustierte Normwerte zu berechnen, wurde unter anderem in [15] beschrieben.

Zunächst wurden aus den 9 Rohwerten „schrittweise lineare Regressionsmodelle“ (schrittweise multiple lineare Regressionen) gerechnet, wobei als Zielgrößen (prädizierte Variablen, abhängige Variablen) die entsprechenden Rohwerte der Testgrößen und als Einflussgrößen (prädizierende Variablen, unabhängige Variablen) die Altersgruppe (20–29; 30–39; 40–49; 50–59), das Geschlecht (weiblich; männlich) und die Bildungsgruppe (Hauptschule; Mittlere Reife; Abitur) eingegeben wurden. Als Kennziffern wurden Regressionskoeffizienten mit 95%-Konfidenzintervallen und Varianzanteile, die durch die Regressionsmodelle erklärt wurden, berechnet.

Die Rohwerte (z. B. SCLTR) wurden in einem nächsten Schritt als standardisierte bildungs-, geschlechts- und altersadjustierte z-Werte dargestellt (z. B. ZSCLTR), indem die Testmittelwerte der Gesamtgruppe (adjustiert nach Alter, Geschlecht und Bildung) von den Residuen jedes individuellen Testergebnisses (individueller Rohwert minus prädizierter Wert) abgezogen wurden und das Ergebnis durch die Standardabweichung der Verteilung der prädizierten Werte der Gesamtgruppe geteilt wurde, sodass aus den Rohwerten entsprechende adjustierte z-Werte mit einem Mittelwert von 0 und einer Standardabweichung von 1 hervorgingen.

Da die z-Werte hinsichtlich ihrer Verteilung vergleichbar waren, konnten sie zu Score-Werten addiert werden. Durch Additionen wurden Scores für Gedächtnis (ZSCOGED: ZSCLTR, ZSLTS und ZSSPART), für Langzeitgedächtnisabruf (ZSCOGED-DR: ZSRTDR und ZSPARTDR), für Konzentration und Aufmerksamkeit (ZSCOKONZ: ZPASAT3, ZPASAT2 und ZSDMT) und für Exekutivfunktionen sowie verbalen Antrieb (ZSCOEXEK: ZWORD) gebildet. Die Scoreverteilungen wurden erneut in Standardnormalverteilungen transformiert und als entsprechende standardisierte z-Werte ausgegeben. Außerdem wurde aus allen z-Werten der 9 Messgrößen der BRB-N ein Summenscore (Gesamtindex der BRB-N, ZSCOINDEX) gebildet, indem die 9 z-Werte addiert wurden und die Summenverteilung in eine Standardnormalverteilung transformiert wurde, wiederum mit dem Ergebnis eines z-Wertes (Mittelwert 0, Standardabweichung 1).

Die 9 z-Werte der Einzeltests, die z-Werte der 4 Scores (ZSCOGED, ZSCOGED-DR, ZSCOKONZ, ZSCOEXEK) und des Gesamtscores (ZSCOINDEX) wurden an 2 MS-Kollektiven (RRMS und SPMS) geprüft. Die kognitiven Leistungsprofile beider MS-Gruppen wurden miteinander verglichen.

Alle z-Werte wurden hinsichtlich ihrer Fähigkeit, die 5%-Perzentilen korrekt einzuschätzen, überprüft, und es wurde nach statistisch signifikanten Abweichungen von den vorhergesagten 5%-Perzentilen gesucht.

Ergebnisse

Alters-, geschlechts- und bildungsadjustierte z-Werte bei 241 Gesunden

Bei allen Zielgrößen ergaben sich signifikante lineare Regressionsmodelle, die rasch (in 1–3 Iterationen) konvergierten. Alle prädiktiven Variablen, die in der schrittweisen Regressionsanalyse signifikant waren, sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Die Variablen Alter, Geschlecht und Bildung erklärten 2,7–25,0% der Varianz der Testscores. Am wenigsten hatten Alter, Geschlecht und Bildung Einfluss auf das Ergebnis der Verbal Fluency (R 2=0,027), am meisten auf das Ergebnis des SDMT (R 2=0,25).

Tabelle 1 Lineare Regressionsanalyse bei Gesunden. Die dargestellten Variablen zeigten einen signifikanten Zusammenhang (p<0,05) zu den Testergebnissen (Zielgrößen)

Die resultierenden Gleichungen für jede Testvariable sind in Tabelle 2 dargestellt. Die Gleichungen beschreiben die Herleitung der alters-, bildungs- und geschlechtsadjustierten z-Werte aus den Testrohwerten und den Kategorieziffern für Alter, Geschlecht und Bildung.

Tabelle 2 Berechnung der z-Werte aus den Testrohwerten. Alle angegebenen Faktoren, mit denen A (Altersgruppe), B (Bildungsgruppe) und G (Geschlecht) multipliziert werden, jedoch auch alle Konstanten, waren signifikante Einflussgrößen (p≤0,05), s. Tabelle 1

Die Berechnungsformeln für die Summenscores, die bereits in Standardnormalverteilungen transformiert wurden, sind in Tabelle 3 angegeben. Für alle z-Werte, die bei Einzeltestergebnissen oder Summenscores verwendet wurden, gilt, dass hohe negative z-Werte schlechte Testergebnisse und hohe positive z-Werte gute Testergebnisse bedeuten.

Tabelle 3 Berechnungsformeln für die BRB-N-Scores

Im Folgenden wurde ein z-Wert als pathologisch angenommen, wenn er −1,68 betrug oder diesen Wert unterschritt, was etwa der 5%-Perzentile entspricht. Die z-Werte (−1,68) und Perzentilen (5%) der 241 Probanden wurden auf ihre Entsprechung hin überprüft. Die Erwartungswerte (Normalverteilungsannahme) und die tatsächlich beobachteten Häufigkeiten unterschieden sich lediglich im PASAT3 und SRTDR signifikant (je 7,88% pathologisch, p=0,017). Nach Bonferroni-Korrektur konnte kein signifikanter Unterschied zwischen beobachteten und erwarteten Häufigkeiten von Testversagern gefunden werden. Die z-Werte entsprachen damit mit hinreichender Genauigkeit den erwarteten Perzentilen.

Anwendung der Normdaten bei MS-Patienten

Die alters-, geschlechts- und bildungsadjustierten Normwerte wurden auf die beiden Gruppen von MS-Patienten angewandt. In Abb. 1 sind die Ergebnisse dargestellt. Im linken Teil der Abbildung sind die 9 z-Werte der BRB-N dargestellt, im rechten Teil der Abbildung die z-Werte der Summenscores. Die in Tabelle 2 gezeigten Gleichungen wurden dabei bei jedem MS-Patienten angewandt, um aus Testrohwerten adjustierte z-Werte zu berechnen (pathologisch: z≤−1,68). Am häufigsten waren RRMS-Patienten im SDMT (37,2%) und PASAT (30,2%) beeinträchtigt (helle Balken in Abb. 1). Im Wesentlichen zeigte sich ein vergleichbares Testprofil bei den SPMS-Patienten (schwarze Balken in Abb. 1), allerdings waren im Vergleich zu RRMS-Patienten signifikant (p<0,05) mehr Beeinträchtigungen in den Gedächtnistests SRTDR (40,0% vs. 25,6%) und SCLTR (30,0% vs. 16,3%) festzustellen. Auch die Wortflüssigkeit schien bei SPMS-Patienten signifikant häufiger (23,3% vs. 19,1%) beeinträchtigt zu sein. Der 2-Sekunden-PASAT wurde von RRMS-Patienten signifikant häufiger (30,2%) unzureichend bearbeitet als von SPMS-Patienten (21,7%). In den zusammenfassenden Scores (rechter Teil der Abbildung) ergaben sich keine signifikanten Unterschiede (p≥0,05) im Kognitionsprofil zwischen SPMS- und RRMS-Patienten. Tendenziell wiesen SPMS-Patienten jedoch mehr Beeinträchtigungen als RRMS-Patienten auf, was insbesondere im Indexscore zum Ausdruck kam.

Abb. 1
figure 1

Anteil von MS-Patienten (%) mit pathologischen alters-, geschlechts- und bildungsadjustierten z-Werten in der BRB-N. Abbildung links: Testergebnisse. Abbildung rechts: Zusammenfassende Scores. Gruppenunterschiede SPMS (schwarz) vs. RRMS (grau): * p<0,05; ** p<0,01; *** p<0,001. Abkürzungen s. Tabelle 1, 2 und 3

Diskussion

Bei RRMS-Patienten waren 38,1% und bei SPMS-Patienten 46,4% als auffällig in der BRB-N zu beurteilen. Letztere Prozentangabe entsprach den von Rao et al. publizierten 46% [23]. Hinsichtlich EDSS [MW 4,1; (0–8)], Krankheitsdauer [MW 14,2; (1–49)] und Alter (MW 45, SD 11,3) war die MS-Gruppe [23] näherungsweise mit den hier vorgestellten SPMS-Patienten vergleichbar.

Bei Schädel-Hirn-Trauma-Patienten gilt der SDMT als besonders sensitiv zur Erfassung von Konzentrationsstörungen und sogar dem PASAT überlegen [26]. Die hier vorgestellten Daten schienen die hohe Sensitivität des SDMT auch bei MS-Patienten zu bestätigen.

In Tabelle 4 wird die hier gefundene Abhängigkeit der Testergebnisse von Alter, Geschlecht und Bildung mit Literaturangaben verglichen. Früher erhobene Normdaten des SDMT [25, 26] sind aufgrund anzunehmender Lernphänomene nicht verwertbar, da der hier vorgestellte orale SDMT dort nach einem schriftlich durchgeführten SDMT stattfand. Die beiden Literaturstellen wurden daher nicht in Tabelle 4 berücksichtigt.

Tabelle 4 Abhängigkeiten von Testergebnissen der BRB-N von Alter, Geschlecht und Bildung in der Literatur [Ziffern s. Literaturverzeichnis] und in der vorliegenden Studiea

Die WLG (WORD) zeigte eine umstrittene Abhängigkeit vom Alter [24]. Boringa et al. [9] fanden eine Abhängigkeit von Geschlecht und Bildung; in unserer Untersuchung lag lediglich eine Geschlechtsabhängigkeit vor. Nur die Boringa-Daten sind mit den hier vorliegenden Daten vergleichbar, da dort wie hier die WLG mit 90 s Dauer in Form der kategoriellen Verbal Fluency, „Obst und Gemüse“, eingebettet als letzter Test innerhalb der BRB-N, durchgeführt wurde.

Insgesamt sprachen die hier vorliegenden Daten wie bei Boringa et al. [9] für eine Altersabhängigkeit der Testvariablen mit Ausnahme des PASAT2. Die Bildungsabhängigkeit stimmte mit den Boringa-Daten überein, außer für WLG (WORD), bei der wir keine Bildungsabhängigkeit fanden. Eine zusätzliche Bildungsabhängigkeit fanden wir allerdings bei allen SRT- und SPART-Variablen. Die Geschlechtsabhängigkeit stimmte für SLTS, SCLTR und WLG mit den Boringa-Daten überein. Wir fanden jedoch keine Geschlechtsabhängigkeit für den SDMT, dagegen eine zusätzliche Geschlechtsabhängigkeit für den PASAT2. Die Richtung der Abhängigkeiten stimmte mit den Boringa-Daten überein: je älter, desto schlechtere, je höher die Bildung, desto bessere Testergebnisse.

Im Gegensatz zu Boringa et al. [9] verwendeten wir Altersgruppen anstatt des Alters in Jahren und Bildungsgruppen an Stelle von Bildungsjahren; in Deutschland sagt die Zahl von erfolgreichen Bildungsjahren nicht unbedingt etwas über den tatsächlichen Bildungsstand aus.

Wie erwartet, hatten SPMS-Patienten tendenziell häufiger kognitive Beeinträchtigungen als RRMS-Patienten. Die Vermutung, dass im MS-Verlauf zunächst eine Verlangsamung der Informationsverarbeitung, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, im späteren chronisch progredienten Verlauf zusätzlich Gedächtnisstörungen prominent werden [2, 3, 18], ließ sich hier bestätigen.

Während die Normdaten der Einzeltests der BRB-N eine neuropsychologische Profilerstellung (9 Messgrößen) bei MS-Kranken ermöglichen, kann mit den ermittelten Scores (4 kognitive Domänen: Gedächtnis, Langzeitgedächtnis, Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen) ein grobes Profil der kognitiven Dimensionen erstellt und mit dem Indexwert (SCOINDEX) eine Gesamtbewertung der BRB-N im Sinne einer globalen kognitiven Beurteilung vorgenommen werden. Letztere erlaubt eine sensitive Aussage, ob überhaupt Störungen vorhanden sind, ohne diese zu spezifizieren. Ein Index entspricht dem Integral über alle kognitiven Störungen, die gemessen wurden, ist daher sensitiv aber unspezifisch.

Der PASAT mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad (PASAT2) zeigte signifikant häufiger pathologische Ergebnisse in der RRMS-Gruppe, verglichen mit der SPMS-Gruppe, während der PASAT3 in beiden Gruppen vergleichbar häufig pathologisch ausfiel. Eine mögliche Erklärung für die paradoxen Ergebnisse des PASAT2 ist die stärkere Motivationsabhängigkeit [4] dieses als belastend empfundenen und schwierigen Tests. Falls diese Hypothese zutrifft, müssen Ergebnisse des PASAT2 generell kritisch betrachtet werden.

Mit den Ergebnissen dieser Studie liegt eine im deutschsprachigen Raum brauchbare BRB-Normierung vor. Die Normierung gilt dabei für Personen mit einem Alter zwischen 20 und 60. Bislang fehlt eine Verlaufsnormierung, die es ermöglicht, z. B. bei jährlicher Messung (Version A und Version B im Wechsel), den kognitiven Verlauf zu beurteilen. Die Versionen A und B sind jedoch nicht ausreichend vergleichbar [9]. Insbesondere SPART, SDMT und WLG scheinen in der B-Version für Probanden einfacher zu sein. Deshalb, aber auch wegen der notwendigen Berücksichtigung von Lerneffekten erscheint es sinnvoll, für eine Verlaufsnormierung eine Längsschnittnormierungsstudie an Gesunden mit abwechselnder Durchführung beider Versionen der BRB-N durchzuführen.

Interessenkonflikt

Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.