Psychische Reaktionen auf belastende Lebensereignisse sind schon immer Gegenstand wissenschaftlichen Interesses in Psychologie und Psychiatrie gewesen [24, 25, 14] und haben auch in internationalen Klassifikationssystemen wie dem ICD-10 oder DSM-IV ihren Niederschlag gefunden. Das ICD-10 beschreibt unter dem Kapitel F 43 (Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen) drei Kategorien reaktiver psychischer Störungen, die akute Belastungsreaktion (F 43.0), die posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) und die Anpassungsstörungen (F 43.2), sowie im Kapitel F 6 (Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen) die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.1).

In den letzten Jahren hat insbesondere die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) vermehrt Aufmerksamkeit erfahren [12, 10]. Sie ist definiert als „eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“ [26] und ist charakterisiert durch die Hauptsymptome Intrusionen, Hyperarousal und Vermeidung. Es ist mittlerweile die Tendenz zu beobachten, diese diagnostisch klar definierte Kategorie der posttraumatischen Belastungsstörung auch auf Störungen auszuweiten, die aus der Konfrontation mit weniger schweren Ereignissen hervorgegangen sind, obwohl hierfür eigentlich die Kategorie der Anpassungsstörungen vorgesehen ist. Auslösende Ereignisse dieser Art können z. B. tiefgreifende Konflikte am Arbeitsplatz („Mobbing“), Arbeitslosigkeit, der Tod eines Angehörigen, Scheidung, schwere Krankheit oder Trennungs- und Verlusterlebnisse sein. Obwohl es eine umfangreiche Literatur zu psychischen Reaktionen auf solche nicht direkt lebensbedrohlichen Ereignisse gibt mit Evidenz für eine hohe Prävalenz [22, 25, 4, 13, 20, 9], so wird doch die Diagnose einer Anpassungsstörung eher selten gestellt. Auch in epidemiologischen Studien zu psychischen Störungen werden diese Erkrankungen regelhaft nicht berücksichtigt [17]. Ein Grund hierfür ist das Fehlen eines präzisen Diagnosealgorithmus und auch das Konzept, dass Belastungsreaktionen sich spätestens nach einem halben Jahr zurückgebildet haben sollten und bei fortbestehender Symptomatik von einer sonstigen Störung auszugehen ist. Anpassungsstörungen stellen daher eher eine diagnostische Restkategorie dar [8, 21, 6, 16, 7, 23]. Wenn die Kriterien für andere Störungen erfüllt sind, dann gilt auch beim Vorliegen eindeutiger Belastungsereignisse, dass die Phänomenologie diagnostisch größeres Gewicht hat als der Auslöser.

Wie die wissenschaftliche Bearbeitung der PTSD inzwischen aber gezeigt hat, gibt es jedoch auch psychische Störungen, die nach Kontextbedingungen (lebensbedrohliches außergewöhnliches Ereignis), Zeitverlauf (Störungsbeginn in eindeutigem Zusammenhang mit dem Ereignis) und eben auch Psychopathologie (Intrusionen, Vermeidung spezifischer Orte) diagnostisch nur dann adäquat eingeordnet werden können, wenn Psychopathologie und Auslöser gemeinsam berücksichtigt werden. Im Folgenden soll analog zur PTSD eine weitere Störung dieser Art beschrieben werden, die „posttraumatische Verbitterungsstörung“ (posttraumatic embitterment disorder PTED) [11].

Die posttraumatische Verbitterungsstörung

Nach dem Zusammenbruch der DDR und den sozialen Umwälzungen in Ostdeutschland mussten mindestens 10% der Bevölkerung einschneidende negative biographische Brüche verarbeiten und etwa ein Drittel der Bevölkerung sieht sich als Verlierer [18]. Während unmittelbar nach der Wende keine erhöhte Inzidenz psychischer Störungen zu beobachten waren [1], stellten sich in den folgenden Jahren zunehmend Patienten vor, die über beeindruckende psychische Beschwerden klagten, die sie als direkte Folge von beruflichen oder privaten Veränderungen bzw. biographischen Brüchen in Folge der Wende erlebten. Dieses gehäufte Auftreten einer schon immer vorhandenen pathologischen Reaktion auf einschneidende Lebensereignisse hat ermöglicht, einen charakteristischen psychopthologischen und ätiologischen Reaktionstyp zu erkennen und zu beschreiben.

Auslöser ist ein außergewöhnliches, wenn auch lebensübliches negatives Lebensereignis, wie z. B. eine Kündigung, das einschneidende negative Konsequenzen für den Betroffenen hat und regelhaft mit einer persönlichen Kränkung und einer Verletzung zentraler Lebenswerte bzw. sog. kognitiver Grundannahmen einhergeht. In der Folge entwickeln die Betroffenen einen ausgeprägten und langanhaltenden Verbitterungsaffekt, weshalb von einer posttraumatischen Verbitterungsstörung (PTED) gesprochen werden kann. Es besteht eine Parallelität zur PTSD insofern, als charakteristische Symptome Intrusionen und auch die Vermeidung von Situationen oder Objekten sind, die mit dem Ereignis in Zusammenhang stehen. Es finden sich emotionale Entgleisungen bei Erinnerung an das kritische Ereignis, Suizidalität, dauerhafte Herabgestimmtheit, Antriebsverlust und häufig auch Aggressionsphantasien (Tabelle 1). Ein wichtiger Unterschied zur Depression ist die erhaltene affektive Modulation. Die Patienten sind bei Ablenkung oder auch, wenn Rachephantasien angestoßen werden, zu einem holothymen und positiven Affekt in der Lage.

Tabelle 1 Diagnostische Kriterien der posttraumatischen Verbitterungsstörung

Verbitterung ist eine Emotion eigener Qualität, die von Depressivität, Hoffnungslosigkeit oder Ärger unterschieden werden kann, obwohl sie durchaus auch gemeinsam auftreten können [2, 5]. Obwohl Verbitterung eine eindrucksvollere und vor allem auch zerstörerischere Emotion ist als Depression oder Angst, gibt es bislang nur wenig Forschung darüber. Sie findet in einschlägigen Psychopathologiemanualen keine Erwähnung [3]. Pirhacova beschreibt Verbitterung als Folge sozialer Ungerechtigkeit [15]. Zemperl und Frese beobachteten diese Emotion als Reaktion auf längere Phasen der Arbeitslosigkeit [27]. Baures beschreibt Verbitterung und Hass im Zusammenhang mit extremen Traumata [5]. Von Znoj wurde eine Skala entwickelt (Berner Verbitterungsfragebogen) zur Erfassung dieser Emotion bei Krebskranken [28].

Die posttraumatische Verbitterungsstörung kann trotz partieller Symptomüberschneidungen als eine spezifische Form einer Anpassungsstörung (ICD-10 F 43.2) angesehen werden. Allerdings passt diese diagnostische Kategorie nur bedingt, da sich über die Zeit hin in der Regel keine Rückbildungstendenz erkennen lässt, sondern eher eine Progredienz, so wie es auch bei vielen PTSD-Patienten der Fall ist. Diagnostisch kann die posttraumatische Verbitterungsstörung daher auch den andauernden Persönlichkeitsänderungen nach Extrembelastung (F 62.1) zugeordnet werden, obwohl damit das ätiologisch wie psychopatholoisch Charakteristische dieser Störung nicht erfasst wird. Die Verbitterungsstörung kann differenzialdiagnostisch Abgrenzungsprobleme zu anderen affektiven Störungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Angststörungen machen. Die posttraumatische Verbitterungsstörung kann bei manchen Patienten wegen der Herabgestimmtheit und Antriebshemmung auf den ersten Blick wie eine endogene vital gestörte Depression anmuten. Im Gegensatz zu Depressionen ist jedoch die Modulationsfähigkeit der Stimmung erhalten. Zusätzlich finden sich als Symptome, die untypisch für eine Depression sind, Intrusionen und wiederholte Rückerinnerungen an das Ereignis mit Wiedererleben negativer Emotionen. Ähnlich wie bei der PTSD oder manchmal auch der Agoraphobie findet sich ein phobisches Vermeidungsverhalten. Der Unterschied ist allerdings, dass kein lebensbedrohliches oder angstauslösendes Ereignis am Anfang der pathologischen Entwicklung steht, sondern ein durchaus lebensübliches, wenn auch subjektiv kränkendes Ereignis, auf das eine prolongierte Verbitterung folgt.

Verbitterungsstörungen können nach unterschiedlichsten Lebensereignissen entstehen wie zum Beispiel Kündigung, Mobbing oder Trennung. Solche Lebensbelastungen kommen prinzipiell zu allen Zeiten vor, jedoch scheinen gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die Umwälzungen in Folge der Wende mit einer erhöhten Inzidenz derartiger Belastungsstörungen einherzugehen, da durch sie bei einer größeren Zahl von Menschen zentrale Lebensentwürfe infrage gestellt und verletzt werden.

Im Folgenden soll zur Illustration ein Fallbeispiel geschildert und anschließend das Ergebnis einer ersten empirischen Untersuchung zur posttraumatischen Verbitterungsstörung berichtet werden.

Falldarstellung

Eine 49-jährige Patientin wurde unter der Diagnose einer depressiven Episode zur stationären Rehabilitationsbehandlung aufgenommen, nachdem sie 12 Monate zuvor unerwartet aus „betrieblichen Gründen“ als langjährige Küchenleiterin eines Seniorenheimes gekündigt worden war und ihr von Vorgesetzten nachträglich „erhebliche Arbeitsmängel“ unterstellt worden waren, um die Kündigung formell zu rechtfertigen. Anamnestisch gab es bis zu diesem kritischen Lebensereignis keinen Anhalt für psychische Beeinträchtigungen; eher war die Patientin eine sehr engagierte und konstant tüchtige Mitarbeiterin, die ein gutes Verhältnis zu Vorgesetzten und Mitarbeitern hatte.

Nach der Kündigung entwickelte die Patientin innerhalb weniger Tage eine anhaltende psychische Störung mit erheblicher Behinderung im Alltagsleben. Symptome waren rezidivierende Stimmungseinbrüche mit heftigem Weinen, Verbitterung, Ärger, Wut, Selbstvorwürfen, Hoffnungslosigkeit, Resignation sowie sozialem Rückzug, begleitet von somatischen Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Libidoverlust, Gewichtsabnahme, Erschöpfung und diffusen Schmerzen. Außerdem entwickelte die Patientin seit dem kritischen Lebensereignis ein phobisch anmutendes Vermeidungsverhalten, was die räumliche Nähe zu ihrer alten Arbeitsstelle, Kontakt zu ehemaligen Kollegen sowie direkte Erinnerungen an das Kündigungsereignis betraf. Die Patientin lehnte zudem auch jegliche Hilfsangebote und therapeutische Zuwendung ab („Ich möchte nur in Ruhe gelassen werden und mich vor der hartherzigen Welt verkriechen“). Sie machte sich zugleich auch selbst heftige Vorwürfe, weil sie so dumm war, all die Jahre treu zu arbeiten, sich ausbeuten zu lassen und auch noch den eigenen Nachfolger auszubilden. Gleichzeitig berichtete sie über anhaltende quälende Rachegedanken gegenüber der Chefin („sie sollte auch mal so leiden wie ich“, „ich könnte sie umbringen“).

Im Gegensatz zu einer Depression zeigten sich die Stimmungsbeeinträchtigungen jedoch deutlich stimulusbezogen. Beim Ansprechen der Arbeitsplatzproblematik reagierte die Patientin mit einer emotionalen Entgleisung, bitterer Enttäuschung, Verletztheit und aggressiver Empörung. Andererseits zeigte die Patientin bei Ablenkung z. B. durch Mitpatienten phasenweise auch einen ausgeglichenen, ja sogar fröhlichen Affekt mit guter Schwingungsfähigkeit. Beim Gedanken an Rache gegenüber der ehemaligen Chefin schämte sie sich zwar dafür, grinste aber dennoch dabei über das ganze Gesicht.

Das Besondere an dem kritischen Lebensereignis ist, dass die 49-jährige Patientin für sie unerwartet nach jahrzehntelanger Tätigkeit in einem Seniorenheim (zuletzt als Küchenleiterin) schriftlich gekündigt und ihre Stelle einem jüngeren Mitarbeiter übertragen wurde, den sie selbst ausgebildet und gefördert hatte. Trotz ihres jahrelangen Dienstes lehnte ihre Vorgesetzte ein klärendes Gespräch über die Kündigung ab und wertete zudem ihre bisherige jahrelange Arbeit mit dem Vorwurf von „Arbeitsmängeln“ ab. Dieser Vorwurf musste nach einem Arbeitsgerichtsprozess zwar zurückgenommen und der Patientin eine Abfindung gezahlt werden, ihre Stelle konnte sie aber nicht wieder antreten.

Zur prämorbiden Persönlichkeit ist festzustellen, dass die Patientin sich über viele Jahren im Seniorenheim mit großem Engagement und Überstunden von einer Stationshilfe zur Küchenleiterin emporgearbeitet hatte. Sie galt als zuverlässig, belastbar und hilfsbereit, und es bestand ein gutes Verhältnis zu Mitarbeitern und Vorgesetzten. Sie hatte bereits früh im Leben gelernt, sich durch „ehrliche, harte Arbeit und viel Fleiß“ zu behaupten und andere Menschen nach ihren Möglichkeiten zu unterstützen. Sie bezeichnete sich selbst als gutmütigen, freundlichen und geselligen Charakter, der oft zu vertrauensselig sei, sich für das Wohl anderer einsetze und gelegentlich auch ausgenutzt werde. Sie habe oft ihrem Beruf Familienaktivitäten, andere Interessen und Sozialkontakte untergeordnet.

Auf diesem Hintergrund stellen die Kündigung und vor allem die formalen Rahmenbedingungen für die Patientin eine schwere Kränkung dar, die ihr ganzes bisheriges Lebenswerk infrage stellen. Sie meinte, sie habe sich über Jahre für das Seniorenheim aufgeopfert, keine Überstunden und Mehrbelastungen gescheut und sich insbesondere immer für das „gute Miteinander“ der Kollegen eingesetzt. Sie habe Jungköche gefördert und nach besten Kräften ausgebildet. Jetzt verliere sie ihre Stelle an den eigenen „Nachwuchs“, da Jungköche wirtschaftlich besser einzusetzen seien, während ihre eigene jahrelange Arbeit „ohne Ausbildung“ herabgewürdigt werde. Auf dem Hintergrund einer Selbstunsicherheit und Verletzlichkeit wegen der fehlenden Ausbildung fühlte sie sich durch die herabwürdigenden Äußerungen der Vorgesetzten und das passive Verhalten des Nachfolgers wie ihrer anderen Mitarbeiter in dieser Situation gedemütigt und zutiefst enttäuscht („man entsorgt mich wie ein Stück wertlosen Müll und verbreitet Unwahrheiten“).

Die sozialen Konsequenzen sind einschneidend. Sie kümmerte sich nicht mehr um eine neue Anstellung, verlangte quasi als Kompensation der ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse eine Frühberentung, zog sich völlig aus dem sozialen Leben zurück und beschäftigte sich fast nur noch mit ihren Haustieren. Seit der Kündigung hatte sie sich völlig in den häuslichen Bereich zurückgezogen, grübelte viele Stunden am Tag mit heftigen Affekten von Groll, Bitterkeit und Verzweiflung, weinte häufig, hegte Lebensüberdrussgedanken, lehnte Hilfsangebote von Freunden ab und vernachlässigte ihr Äußeres. Insbesondere vermied sie vehement den Kontakt zu ehemaligen Arbeitskollegen („die haben mich im Stich gelassen“) und die räumliche Nähe zum Seniorenheim („wenn ich nur daran denke, kommt alles an Erinnerungen mit Bitterkeit hoch und ich verliere völlig die Fassung“).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Erklärung für diese eindrucksvolle psychische Reaktion der Zusammenhang zwischen dem subjektiv belastenden kritischen Lebensereignis (Kündigung) und der damit einhergehenden erheblichen Verletzung basaler Grundüberzeugungen und lebensgeschichtlich entwickelter Ideale ist. Die Patientin erlebt eigene Grundüberzeugungen vom Nutzen rechtschaffener Arbeit, uneingeschränkter Solidarität und Zurückstecken eigener Bedürfnisse zugunsten der Gemeinschaft durch die unerwartete Kündigung als entwertet und erlebt ihre langjährigen Lebensentwürfe („wir sind alle für einander da“) als herabgewürdigt und nicht mehr gültig.

Ergebnisse einer Pilotuntersuchung

Wie bereits dargelegt haben Patienten mit einer posttraumatischen Verbitterungsstörung die Tendenz sich zu verkriechen und Hilfe abzulehnen. Sie lassen sich von Hausärzten krankschreiben, ohne jedoch gezielte Hilfestellungen zu akzeptieren. Daher kommen eine Reihe dieser Patienten erstmals dann in spezifische Behandlung, wenn sie aufgrund langzeitiger Krankschreibung über den medizinischen Dienst der Krankenkassen, teilweise sogar gegen den erklärten eigenen Willen, in eine Rehabilitationsklinik eingewiesen werden. Im Folgenden wird eine erste empirische Untersuchung an Patienten der Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik der Rehabilitationsklinik Seehof der BfA in Teltow/Berlin berichtet. Diese Klinik bekommt einen Großteil ihrer Patienten aus den neuen Bundesländern zugewiesen.

Population und Erhebungsinstrumente

Es wurden 20 Patientinnen und ein Patient, bei denen nach klinischer Einschätzung die Diagnose einer posttraumatischen Verbitterungsstörung gestellt wurde, in eine erste empirische Untersuchung eingeschlossen. Die Patienten waren unter den unterschiedlichsten Diagnosen zu einer voll- oder teilstationären psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung in die Abteilung für Verhaltenstherapie und Psychosomatik eingewiesen worden. Das Alter lag zwischen 36 und 60 Jahren. Die Untersuchung zur Entwicklung und Ausprägung der Störung erfolgte mit einem halbstandardisierten Interview. Die Diagnosestellung im Rahmen der Studie erfolgte mittels des MINI (Mini International Neuropsychiatric Interview, German Version 4.4) [19].

Ergebnisse

Die Patienten berichteten alle von mindestens einem einschneidenden, kritischen Lebensereignis, das sie subjektiv äußerst gekränkt, aufgeregt oder verbittert habe. Alle befragten Patienten sahen dieses Ereignis als direkt ursächlich für ihre aktuelle gestörte psychische Befindlichkeit an. Kritische Auslöserereignisse waren in 38% Arbeitsplatzverluste, gefolgt mit 24% von Arbeitsplatzkonflikten, 14% Tod von Angehörigen oder Freunden, 14% familiären Konflikten und 10% sonstigen Ereignissen.

Im Interview gaben 90,5% der untersuchten Patienten an, das kritische Lebensereignis als ungerecht und unfair erlebt zu haben, 90,5% sahen keine Möglichkeit, den Verursacher zur Rechenschaft zu ziehen und 76,2% fühlten sich dem Ereignis oder dem Verursacher gegenüber hilflos ausgeliefert. 81% der verbitterten Patienten berichteten, dass ihre Grundstimmung seit dem kritischen Lebensereignis häufig gedrückt ist. 61,9% erlebten sich darüber hinaus häufig als gereizt. Alle Patienten gaben an, bei Ablenkung auch eine normale Stimmung erleben zu können. 42,9% der befragten Patienten bejahten eine resignative Grundhaltung seit dem kritischen Lebensereignis und äußerten das Gefühl, dass es keinen Sinn mehr mache sich anzustrengen. Befragt nach dem aktuellen psychischen Erleben äußern die Patienten als im Vordergrund stehende Emotionen Verbitterung, Traurigkeit, Ärger und Hilflosigkeit (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Emotionsspektrum bei Gedanken an das kritische Lebensereignis

81% der Patienten gaben an, Orte bzw. Personen zu vermeiden, die sie an das kritische Lebensereignis erinnern. 70% der Patienten berichteten über Einschränkungen in beruflichen Aktivitäten, 65% in Freizeitaktivitäten und 57,1% in familiären Aktivitäten.

Im standardisierten klinischen Interview fand sich eine umfangreiche psychische Komorbidität (Abb. 2). Im Vordergrund standen Angsterkrankungen und depressive Störungen. Obwohl die Patienten auch über multiple somatoforme Symptome klagen, konnte aufgrund der Ausschlusskriterien des MINI (Alter über 30 Jahre, viele körperliche Beschwerden über mehrere Jahre, Beginn der Beschwerden vor dem 30. Lebensjahr, starke Beeinträchtigungen im Alltagsleben) keine Diagnose einer Somatisierungsstörung gestellt werden.

Abb. 2
figure 2

Psychische Komorbidität

Diskussion

So wie die posttraumatische Stresserkrankung zu einer fruchtbaren Forschung und vor allem auch der Entwicklung entsprechender Behandlungsmöglichkeiten geführt hat, so wird auch mit der Abgrenzung der posttraumatischen Verbitterungsstörung [11] die Hoffnung verbunden, dadurch den Betroffenen therapeutisch besser helfen zu können. Wie das Fallbeispiel zeigt, sind diese Patienten schwer zu behandeln. Sie begeben sich nicht ohne weiteres selbst in Behandlung, sondern weisen Hilfsangebote manchmal sogar entschieden zurück. Deswegen sieht man sie weniger in psychiatrischen Kliniken als vielmehr in Begutachtungsverfahren oder in Rehabilitationskliniken, wohin sie nach langer Arbeitsunfähigkeit über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen eingewiesen werden.

Wenn man nach der Krankheitswertigkeit dieser Zustände fragt, dann gilt ähnlich wie bei den Angsterkrankungen oder Depressionen, dass auch Verbitterung ein dimensionales Phänomen ist und eine Krankheitswertigkeit dann gegeben ist, wenn eine Mindestschwere vorliegt, wenn wesentliche Zusatzsymptome hinzutreten und vor allem wenn die Erfüllung von Alltagsaufgaben nicht mehr möglich ist. Alle diese Kriterien sind bei den von uns behandelten Patienten fraglos erfüllt. Die Prognose ist eher schlecht. Entgegen den Kriterien für Anpassungsstörungen zeigen sie wenig Tendenz zur Spontanremission, sondern stattdessen eher zu einer Chronifizierung mit zunehmender Lebenseinengung. Die posttraumatischen Verbitterungsstörungen sind Erkrankungen, die mit großem subjektiven Leid und einschneidenden negativen sozialmedizinischen Konsequenzen einhergehen. Insofern wird die Diagnose wie die Krankheitswertigkeit nicht über das Ereignis, sondern über die Art, die Schwere und den Verlauf der Psychopathologie festgestellt.

Allerdings ist die Berücksichtigung des Auslöseereignisses für die diagnostische Charakterisierung unverzichtbar, da nur auf diese Art die Entwicklung und die Art der Symptomatologie verstanden werden kann und vor allem eine Therapie ohne Bezug zum Auslöser nicht denkbar ist. Die Auslöser sind nicht alltägliche aber dennoch durchaus lebensübliche Ereignisse. Die Frage stellt sich daher, ob es richtig ist, von einem psychischen „Trauma“ zu sprechen. Aus der Sicht der Betroffenen ist dies ohne Zweifel so, da sie den Beginn ihres Leidens auf den Tag und die Stunde festlegen und auch inhaltlich sich als „verletzt“, d. h. traumatisiert erleben. Auch aus klinischen und wissenschaftlichen Überlegungen erscheint der Begriff „Trauma“ angezeigt, da er deutlich macht, dass es hierbei um mehr geht als eine eher unspezifische Beziehung zwischen Belastung einerseits und psychischer Reaktion andererseits, so wie es für das Auslöserkonzept bei depressiven Erkrankungen gilt. Bei der posttraumatischen Verbitterungsstörung besteht ein inhaltlich spezifischer Zusammenhang zwischen der Art des Ereignisses und der Psychopathologie, wie z. B. dem Inhalt der Intrusionen oder der Art der phobischen Reaktionen. Während bei der PTSD Todesangst und Panik als ätiologisch spezifisch anzusehen sind, ist die posttraumatische Verbitterungsstörung eine Erkrankung, an der die potenzielle Malignität von Information erkennbar wird. Insofern stellt sie auch für die gesamte psychopathologische Diskussion ein interessantes Konzept von grundsätzlicher Bedeutung dar.

Durch die vorgelegte Pilotuntersuchung werden erste klinische Daten über diese Störung vorgelegt. Die untersuchten Patienten können keine Repräsentativität für sich beanspruchen, da sie aus einer Rehabilitationsklinik stammen und zu wesentlichen Teilen aus Ostdeutschland kommen. Sie können dennoch einen Eindruck von den Entstehungsbedingungen und der Symptomatik geben und die differenzialdiagnostischen Probleme verdeutlichen. Es gibt eine Reihe von Aspekten, die weiterer empirischer Forschung bedürfen: Die Qualität und diagnostische Erfassung des Leitaffektes der „Verbitterung“ ist zu präzisieren. Die Art des kritischen Ereignisses ist weiter zu untersuchen. Hierbei ist vor allem die von der PTSD her bekannte Unterscheidung zwischen singulär-situativen und sequenziell-kumulativen Ereignissen von Interesse. Es ist nach Risikofaktoren für die Entwicklung einer Verbitterungsstörung zu fragen. Wenn auch zu verlangen ist, dass keine prämorbide psychische Erkrankung vorliegt, die die aktuelle Symptomatik erklären könnte, so zeigt der Hinweis auf die Verletzung zentraler Grundannahmen doch, dass in der Entwicklung dieser Störung möglicherweise Persönlichkeitsakzentuierungen von Bedeutung sind, die die Fähigkeit von Individuen zur Bewältigung komplizierter Lebenssituationen reduzieren. Damit stellt sich dann auch die Frage, was an der posttraumatischen Symptomatik im Sinne einer andauernden Persönlichkeitsveränderung als primär oder sekundär anzusehen ist. Schließlich bedarf es diagnostischer wie epidemiologischer Untersuchungen durch andere Arbeitsgruppen, in anderen Settings und möglicherweise auch in speziellen Populationen. Wegen der ausgeprägten aggressiven und Wiedergutmachungsphantasien ist z. B. an sozialgerichtliche Begutachtungsfälle oder an forensische Populationen zu denken.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Verbitterungsstörung nicht um eine neue menschliche Erfahrung handelt. Aristoteles beschreibt in der Nickomanischen Ethik:

„Verbittert ist der schwer zu Versöhnende, der lange den Zorn festhält; er verschließt die Erregung in seinem Innern und hört damit erst auf, wenn er Vergeltung geübt hat. Denn geübte Vergeltung beschwichtigt die Erregung, indem sie das Gefühl des Schmerzes durch ein Gefühl der Befriedigung ersetzt. Geschieht das nicht, so wirkt der Druck weiter. Denn da die Erregung nicht offen heraustritt, so kann einem solchen auch keiner gut zureden; innerlich aber die Erregung zu verarbeiten, dazu braucht es Zeit. Diese Art von Menschen ist sich selbst und den vertrautesten Freunden die schwerste Last.“