Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wird nach der ICD 10 auch als hyperkinetisches Syndrom bezeichnet. Es handelt sich um eine besonders häufige Störung des Kindes- und Jugendalters. Die Prävalenzraten im Kindesalter werden mit 3–6% angegeben [10, 15, 23, 26]. Sichere Erkenntnisse über die Prävalenz im Jugendalter, besonders aber bei Erwachsenen, sind mangels epidemiologischer Studien bis heute nicht vorhanden. Katamnestische Untersuchungen legen nahe, dass die ADHS bei 10–60% der Betroffenen als Teilsyndrom oder Vollbild im Erwachsenenalter persistiert [11, 13, 14, 17, 21].

Nach diesen Erwartungswerten müsste in der ambulanten und klinischen Psychiatrie die Diagnose ADHS auch bei Erwachsenen mit erheblicher Frequenz angetroffen werden [12, 18]. Dies ist tatsächlich aber nicht der Fall. Adulte ADHS-Diagnosen sind ausgesprochen selten. Ein Grund für dieses Missverhältnis könnte mit dem Umstand zusammenhängen, dass die ADHS selten isoliert beobachtet werden kann. In der Regel sind eine oder mehrere komorbide Störungen zu diagnostizieren. Besonders häufig als Komorbidität registriert werden Verhaltensstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Abhängigkeitserkrankungen, affektive Störungen und Lernstörungen [20, 26]. Es ist zu vermuten, dass die ADHS meist erst dann diagnostiziert wird, wenn bereits eine andere komorbide Störung erkannt wurde.

Eine weitere wichtige Ursache für die Zurückhaltung bei der Formulierung einer ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter ist in dem weitgehenden Fehlen geeigneter diagnostischer Instrumente in unserem Sprachraum zu sehen. Dagegen kennt die amerikanische Psychiatrie eine Reihe von diagnostischen Verfahren [5, 7, 19], von denen die Conners-Skalen [4], die Wender-Utah-Rating-Scale [26] und das Wender-Reimherr-Interview [26] besonders hervorzuheben sind. Die Übersetzung dieser Instrumente in die deutsche Sprache und ihre Validierung an geeigneten Stichproben sind erst in ihren Anfängen [9,22].

Für den diagnostischen Prozess beim Erwachsenen sind verschiedene Komponenten erforderlich:

  • Retrospektive Einschätzung kindlicher ADHS-Symptome und des Störungsbeginns

  • Erfassung der ADHS-Symptomatik beim Erwachsenen

  • Überprüfung der diagnostischen Kriterien nach ICD 10 oder DSM IV

In dem hier interessierenden Zusammenhang wurde das Ziel verfolgt, ein Instrumentarium zur Diagnostik nach den ICD 10-Forschungs- und den DSM IV-Kriterien [1, 6] zu entwickeln. Zwar unterscheidet sich der diagnostische Ansatz der beiden Klassifikationssysteme, da nach DSM neben der kombinierten ADHS (314.01) noch die beiden Subtypen ADHS mit vorherrschenden Aufmerksamkeitsstörungen (314.00) und ADHS mit vorherrschender Hyperaktivität (314.01) unterschieden werden, während die ICD 10 die einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0) und die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens kennt (F90.1) Bei der letzteren Diagnose müssen zusätzlich die Kriterien für die Störung des Sozialverhaltens (F91) erfüllt sein. Indessen sind die 18 psychopathologischen Kriterien aus den Bereichen Aufmerksamkeitsstörungen, Überaktivität und Impulsivität in beiden Verfahren nahezu identisch. Unterschiedlich sind die Schwellenwerte für die Diagnosestellung ausgelegt. Bei der einfachen ADHS nach ICD 10 müssen mindestens 6 von 9 Aufmerksamkeitsstörungen, 3 von 5 Überaktivitätszeichen und 1 von 4 Impulsivitätsmerkmalen vorhanden sein. Bei der vergleichbaren kombinierten ADHS nach DSM IV bedarf es jeweils 6 von 9 Kriterien aus den beiden Bereichen Aufmerksamkeitsstörungen und Impulsivität/Überaktivität.

Es bot sich daher an, ein Instrument zu entwickeln, das beiden Diagnosensystemen im Sinne eines polydiagnostischen Ansatzes gerecht wird. In der amerikanischen Psychiatrie sind Verfahren der genannten Art bereits erfolgreich in Gebrauch [18, 19].

Untersuchungsmethoden

Instrumente

Ausgegangen wurde von den 18 Diagnosekriterien der ICD 10-Forschungskriterien und des DSM IV, die für den Gebrauch im Erwachsenenalter umformuliert wurden. Hinweise auf spezifische kindliche Lebenssituationen wie Schule oder Spielsachen wurden modifiziert oder eliminiert. Dabei wurden 2 Entwicklungslinien verfolgt, einerseits wurde eine Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB) für den Gebrauch durch den Patienten konstruiert, andererseits eine Diagnosecheckliste (ADHS-DC) für die Anwendung durch einen Diagnostiker. Die ADHS-SB ist im Anhang wiedergegeben, die ADHS-DC kann bei den Autoren bezogen werden.

Zu den 18 psychopathologischen Merkmalen kamen noch 4 weitere Kriterien hinzu, die sich auf das Alter bei Störungsbeginn, das mit der Symptomatik verbundene Leiden, dessen Generalisierung in verschiedenen Lebensfeldern und auf berufliche und Kontaktprobleme beziehen.

Bei strenger Anwendung der Kriterien von ICD 10 und DSM IV wird lediglich gefragt, ob ein Phänomen vorhanden ist oder nicht. Eine Graduierung ist nicht vorgesehen. Bei vielen Fragestellungen, besonders wenn Therapieeffekte beurteilt werden sollen, erweist sich eine Quantifizierung der diagnostischen Merkmale als unverzichtbar. Daher wurde für die Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB) eine Graduierung der Einzelmerkmale eingeführt, die sich in ihrer Struktur an das Entscheidungsschema des AMDP-Systems [2] anlehnt und von 0 (nicht vorhanden) über 1 (leicht) und 2 (mittel) bis 3 (schwer) reicht. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, für die 3 Symptombereiche Syndromscores und für die Gesamtskala einen Summenwert zu bilden. Das Quantifizierungsschema der Selbstbeurteilungsskala wurde auch für die Diagnosecheckliste (ADHS-DC) übernommen. Für die Skalierung von 0–3 sprach wiederum das Bedürfnis, in Verlaufs- und Interventionsstudien die Möglichkeit einer Symptomgraduierung auch für die Fremdbeurteilung zu haben.

Als Variante für den ausschließlichen Gebrauch zur Feststellung der ICD- oder DSM-Diagnose wurde eine ADHS-DC ohne Quantifizierung mit einer dichotomen Merkmalsbeurteilung nach dem Schema vorhanden (n=1) oder nicht vorhanden (n=0) entwickelt. Über diesen Skalentyp wird hier nicht berichtet.

Studiendesign

Zur Entwicklung und Evaluation der Skalen wurden 3 Studien durchgeführt.

Studie 1

Mit der Studie 1 wurde die Retestreliabilität untersucht. Hier wurde geprüft, inwieweit mit der Selbstbeurteilungsskala zeitlich stabile psychopathologische Syndrome erfassbar sind. 30 Patienten, je 15 Frauen und Männer, mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren bearbeiteten die ADHS-SB im Abstand von 6 Wochen. Es handelte sich um 16 Patienten mit einer ICD 10-Diagnose aus dem Bereich der Persönlichkeitsstörungen (F60.2, F60.3, F60.4, F61.0), 10 Patienten mit einer Diagnose einer psychischen Störung durch psychotrope Substanzen (F11–F15) und 4 Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1). Von diesen Patienten erfüllten 15 Personen zugleich die Diagnose einer adulten ADHS (F90.0 und F90.1).

Studie 2

Allgemeine psychometrische Gütekriterien wie innere Konsistenz und verschiedene Validitätsaspekte wurden in Studie 2 evaluiert. Untersucht wurden 250 Personen. Die 199 Männer und 51 Frauen waren durchschnittlich 30 Jahre (SD±12 Jahre) alt. Es handelte sich um 112 psychiatrische Gutachtenfälle aus verschiedenen Rechtsgebieten, 98 Patienten aus psychiatrischen Kliniken und Praxen sowie um 40 gesunde Kontrollen. Bei den psychiatrischen Patienten wurden die Diagnosen nach ICD 10 gestellt. Folgende Diagnosenverteilung wurde angetroffen: F06–F07: n=6, F10–F19: n=47, F20.5: n=25, F32–F34: n=14, F43: n=19, F60 und F65: n=41, F70: n=10, F9: n=48.

In der Stichprobe enthalten waren 48 Patienten, die seit ihrer Kindheit von einem Kinderpsychiater wegen einer ADHS behandelt worden waren und die auch im Erwachsenenalter wegen einer fortbestehenden Symptomatik therapiert wurden.

Die Patienten aus Studie 2 bearbeiteten die ADHS-SB. Zur Bestimmung der konvergenten und divergenten Validität wurden die Patienten zusätzlich mit dem I7-Test [8] untersucht, der Impulsivität, Waghalsigkeit und Empathie erfasst. Daneben verwendeten wir die deutsche Kurzform der Wender-Utah-Rating-Scale (WURS-K [22]), die retrospektiv für das Kindesalter Symptome aus dem Spektrum des ADHS erfassen kann. Zur Bestimmung der Beziehungen zur allgemeinen Persönlichkeitsdiagnostik bearbeiteten die Patienten ferner das NEO-5-Faktoren-Inventar (NEO-FFI [3]).

Studie 3

In Studie 3 wurde die Übereinstimmung der Fremdbeurteilung mit der Selbstbeurteilung bei 52 Patienten, 41 Männern und 11 Frauen, untersucht, die durchschnittlich 34,4 Jahre (SD±10,7 Jahre) alt waren. Die Patienten bearbeiteten zunächst die ADHS-SB, später wurde nach einem diagnostischen Interview durch den Untersucher die ADHS-DC ausgefüllt. Für jedes Einzelmerkmal und die Teil- und Summenscores wurden die Intraklassenkoeffizienten (ICC) als Maß für die Übereinstimmung bestimmt.

Alle statistischen Berechnungen wurden mit SPSS (Version 11.0) vorgenommen.

Untersuchungsergebnisse

Die Ergebnisse der Retestreliabilitätsstudie sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Die Koeffizienten f bewegten sich zwischen .78 und .89. Die Bestimmung der inneren Konsistenz der ADHS-SBS ergab Werte für Cronbachs α zwischen .72 und .90 (Tabelle 1).

Tabelle 1 Psychometrische Eigenschaften der ADHS-SB, Retestreliabilitätskoeffizienten und Evaluation der inneren Konsistenz der ADHS-SB

Konvergente und divergente Validitätsaspekte wurden mit der WURS-K, dem NEO-FFI und mit dem I7-Test bestimmt. Die Korrelationen mit den Kriterien nach ICD 10 und DSM IV sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

Tabelle 2 Konvergente und divergente Validierungsuntersuchungen des ADHS-SB

Signifikante, meist mittlere Korrelationen wurden mit der WURS-K, der Skala Neurotizismus aus dem NEO-FFI und mit der Skala Impulsivität aus dem I7 gemessen. Die Korrelationen zwischen dem Konstrukt Waghalsigkeit aus dem I7 und den Kriterienbereichen Überaktivität und Impulsivität der ADHS-SB waren signifikant, nicht jedoch die Korrelationen mit den Aufmerksamkeitsstörungen und der Gesamtzahl der ADHS- Kriterien.

Die diagnostische Fähigkeit der ADHS-SB, jene 48 Patienten zu identifizieren, die seit ihrer Kindheit wegen einer ADHS behandelt worden waren, wurde mit einer ROC-Analyse untersucht. Aus der Studienpopulation 2 (n=250) wurde die Subpopulation mit 40 Kontrollfällen ohne psychiatrische Diagnose entnommen und mit den 48 prototypischen ADHS-Fällen zusammengefasst. Die ROC-Analyse ergab bei einem Cut-off-Wert von 18 Punkten eine Sensitivität von 65% bei einer Spezifität von 92%. Bei diesem Cut-off-Wert wurde die beste Spezifität bei gerade noch akzeptabler Sensitivität erreicht. Bei einem Trennwert von 10 lag die Sensitivität bei 88%, und die Spezifität wurde mit 67% bestimmt. Der Cut-off von 10 Punkten bietet maximale Sensitivität bei noch befriedigender Spezifität. Bei einem Cut-off-Wert von 15 verhielten sich Sensitivität mit 77% und Spezifität mit 75% etwa gleichgewichtig.

Die Übereinstimmung der Fremdbeurteilung durch die ADHS-DC mit der ADHS-SB wurde mit ICC-Koeffizienten bestimmt (Tabelle 3). Diese erreichten Werte zwischen .41 und .92. 2 ICC-Koeffizienten waren kleiner als .59; 20 von 25 ICC-Werten lagen über oder bei .75.

Tabelle 3 Untersuchung der Übereinstimmung von Fremd- und Eigenbeurteilung mit der ADHS-SB und der ADHS-DC, Stichprobe 3, n=52

Diskussion

Bei der Diagnose ADHS im Erwachsenenalter handelt es sich um eine Erkrankung mit hoher zeitlicher Stabilität der Merkmale über Jahre. Dies gilt v. a., wenn keine therapeutischen Interventionen erfolgen. Ein diagnostisches Instrument muss, wenn es relativ zeitstabile Muster messen will, eine ausreichend hohe Retestreliabilität aufweisen. Stieglitz [26] forderte für die Individualdiagnostik Reliabilitätskoeffizienten ≥.70. Die Kriteriensätze aus den Bereichen Aufmerksamkeitsstörungen, Überaktivität und Impulsivität sowie die Gesamtskala erfüllten diese Vorgabe. 4 der 5 Kriteriensätze entsprachen der noch weiter gehenden Forderung von Lienert [16] nach Reliabilitätskoeffizienten ≥.80. Damit kann die Fähigkeit der ADHS-SB, zeitstabile psychopathologische Muster zu messen, als gesichert gelten.

Mit ADHS-SB können zeitstabile psychopathologische Muster gemessen werden

Ein weiteres wichtiges Reliabilitätskriterium für eine diagnostische Skala ist deren innere Konsistenz [25], für deren Bestimmung von Cronbachs α als ein geeignetes Verfahren gilt. Dabei werden als kritische Grenzwerte .70–.80 vorgeschlagen [25]. Diese Anforderungen konnte die ADHS-SB erfüllen. Alle α-Werte betrugen mindestens .72. Die hohe innere Konsistenz sowohl der Teilskalen als auch der Gesamtskala erscheint nicht selbstverständlich. In diesem Zusammenhang waren auch die Ergebnisse der konvergenten Validitätsprüfung interessant. Alle Skalen der ADHS-SB korrelierten entweder in gleicher Weise mit den Außenkriterien (s. unten) oder es wurden keine Korrelationen gefunden. Diese Ergebnisse unterstreichen die Homogenität der diagnostischen Konstrukte, die der ADHS-SB zugrunde liegen. Mit vergleichbaren Skalentypen, z. B. der SCL 90-R (Franke 1995 [9], S. 20), sind übrigens ähnlich hohe innere Konsistenzen gemessen worden.

Hinsichtlich der Validität der ADHS-SB sind unter dem Aspekt der konvergenten Validität zunächst die mittleren Korrelationen mit der WURS-K zu erwähnen. Die WURS-K [22] erfasst retrospektiv Symptome aus dem Spektrum der ADHS im Alter zwischen 8 und 10 Jahren, sie zielt inhaltlich auf eine ähnliche Symptomatik wie die ADHS-SB. Wenn man bedenkt, dass nicht bei allen ADHS-Patienten die Symptomatik im Erwachsenenalter fortbesteht oder nur in Teilaspekten nachweisbar bleiben kann, wird plausibel, dass keine höheren Korrelationen erwartet werden konnten. Es ist zusätzlich zu bedenken, dass die WURS-K nur in Teilen ähnliche Kriterien benutzt wie die ICD 10 oder die DSM IV. Die Symptomatik der WURS-K erfasst zusätzlich Affektlabilität, trotziges, aufsässiges und sozial deviantes Verhalten.

Die verschiedenen psychopathologischen Teilaspekte des Konstrukts ADHS zeigen Homogenität

Die Korrelationen zwischen der ADHS-SB und der Skala Impulsivität aus dem I7 bewegten sich ebenfalls in einem mittleren Bereich. Diese Skala bildet aktuelle Impulsivität ab [8). Dabei verdient der Umstand Beachtung, dass die I7-Impulsivität mit allen 3 Symptombereichen des ADHS-SB in gleicher Weise korrelierte und nicht etwa selektiv nur mit deren Impulsivitätsmerkmalen. Wir werten dies als Hinweis auf die Homogenität der verschiedenen psychopathologischen Teilaspekte des Konstrukts ADHS. Im Unterschied dazu bestanden signifikante, aber niedrige Korrelationen der Dimension Waghalsigkeit aus dem I7 mit den ADHS-Teilaspekten Überaktivität und Impulsivität, nicht jedoch mit den Aufmerksamkeitsstörungen.

Mit dem Konstrukt Empathie aus dem I7 und der ADHS-SB bestanden eine Nullkorrelation und mehrere negative Korrelationen. Anteilnahme und Einfühlungsvermögen sind im Sinne eines divergenten Validitätskriteriums als unabhängig von der ADHS oder sogar als gegenläufig zu betrachten.

Schneller Stimmungswechsels und emotionale Übererregbarkeit sind Bestandteile der adulten ADHS

In 2facher Hinsicht aufschlussreich sind die Ergebnisse der Korrelationsuntersuchungen zwischen der ADHS-SB und den „Big-five“-Persönlichkeitsfaktoren, gemessen mit dem NEO–FFI [3]. Zunächst wurde nachgewiesen, dass die 3 Symptombereiche der ADHS Aufmerksamkeitsstörungen, Überaktivität und Impulsivität in Verbindung mit der Persönlichkeitsdimension Neurotizismus stehen. Dies ist plausibel, denn mit Neurotizismus nach dem NEO-FFI werden inhaltlich Verstimmbarkeit, Pessimismus, Misslaunigkeit, Unsicherheit und mangelhafte Bedürfniskontrolle erfasst. Insofern besteht eine beachtliche Überschneidung zwischen den psychopathologischen Konstrukten ADHS und Neurotizismus, wobei in den ICD- und DSM-Kriterien die Symptomatik des schnellen Stimmungswechsels und der emotionalen Übererregbarkeit nicht berücksichtigt wird. Diese Symptomatik wird allgemein als wichtiger Bestandteil der adulten ADHS angesehen [15, 26]. Sie wird daher bei der Ausarbeitung zukünftiger, speziell auf das Erwachsenenalter zugeschnittener Diagnosekriterien zu berücksichtigen sein.

Andererseits ergaben sich negative signifikante Korrelationen der ADHS-SB mit den Skalen Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit aus dem NEO-FFI. Als divergentes Validitätskriterium ist dies nachvollziehbar. Verträglichkeit nach dem NEO-FFI bedeutet im Kern Altruismus, Verständnis und Mitgefühl mit anderen, Kooperationsbereitschaft, Vertrauen und Nachgiebigkeit. Personen mit ADHS werden vielfach als antagonistisch zu solchen Beschreibungen charakterisiert. Deren Unfähigkeit, die Dinge vom Standpunkt des anderen zu betrachten, wird von erfahrenen Klinikern als ein typisches diagnostisches Zeichen des Erwachsenenalters angesehen [15].

Ähnlich verhält es sich mit der Dimension Gewissenhaftigkeit aus dem NEO-FFI. Gemeint sind damit Zielstrebigkeit, Ausdauer, Systematik, Disziplin, Ordentlichkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit [3]. Demgegenüber erscheinen Erwachsene mit ADHS als ohne Ausdauer, unsystematisch, desorganisiert und disziplinlos [26].

Die Skalen Extraversion und Offenheit gegenüber Erfahrungen boten keine Korrelationen mit der ADHS-Symptomatik. Dies bedeutet, dass Heiterkeit, Optimismus, Selbstsicherheit und Aktivität auf der einen Seite und Wissbegierigkeit, Experimentierfreude und Fantasiebegabung andererseits von den Phänomen der ADHS unabhängig sind.

Bei zusammenfassender Betrachtung erscheint die ADHS-SB als ein diagnostisches Instrument mit angemessenen psychometrischen Gütekriterien.

Von spezieller Bedeutung für die Anwendung der ADHS-SB ist die Auswahl eines geeigneten diagnostischen Cut-off-Werts. Wenn man das Verfahren als Screeningmethode einsetzt, wofür es primär entwickelt wurde, ist es nahe liegend, die diagnostische Schwelle niedrig zu halten, um möglichst viele Verdachtsfälle erfassen zu können. Bei einem Cut-off von 10 wird eine Sensitivität von 88% erreicht. Die Spezifität liegt mit 67% erkennbar niedriger. Kommt es hingegen darauf an, die Zahl der falsch-positiven ADHS-Diagnosen gering zu halten, kann die Spezifität bei einem Cut-off von 18 auf 92% angehoben werden. Die Sensitivität beträgt dann noch 65%. Einen Kompromiss bietet ein Cut-off-Wert von 15 mit einer Sensitivität von 77% bei einer Spezifität von 75%.

Der Einsatz von Selbstbeurteilungsverfahren in der psychiatrischen Diagnostik ist eine besonders ökonomische Arbeitsmethode, die allerdings nur dann legitimiert ist, wenn sich der Nachweis erbringen lässt, dass eine ausreichend hohe Übereinstimmung mit der Fremdbeurteilung durch einen qualifizierten Diagnostiker erzielt werden kann. Als Maß für die Übereinstimmung auf der Messebene der Symptome und der Syndromscores wurde in unserer Untersuchung der ICC gewählt. Dabei gelten Koeffizienten zwischen .75 und 1.0 als ausgezeichnet, Werte zwischen .60 und .74 als gut, bei .40–.59 spricht man von einer mäßigen Übereinstimmung [25]. Demnach muss die Übereinstimmung der Kriterien A5 und A7 (organisatorische Fähigkeiten und Gegenstände verlegen) als mäßig bezeichnet werden. Versuche mit geänderten Merkmalsbeschreibungen ergaben keine besseren Resultate. Bei weiteren 2 der 18 Diagnosekriterien ergaben sich gute Übereinstimmungen (B5 und C2). Die verbleibenden 14 ICD 10- und DSM-Kriterien boten ausgezeichnete Werte für die Übereinstimmung von Fremd- und Selbstbeurteilung. Die für die Diagnose des ADHS entscheidenden Summenscores auf der Ebene der Syndrome Aufmerksamkeitsstörung, Überaktivität und Impulsivität und auf dem Niveau aller 18 Kriterien ergaben ausnahmslos ausgezeichnete Übereinstimmungen.

Symptomatik der adulten ADHS kann quantitativ durch die Methode der Selbstbeurteilung bewertet werden

In einer Linie mit anderen Untersuchungen [5, 19] hat sich damit gezeigt, dass die Symptomatik der adulten ADHS einer quantitativen Beurteilung durch die Methode der Selbstbeurteilung zugänglich ist. Damit stehen die ADHS-SB und die ADHS-DC als gleichberechtigte Untersuchungsinstrumente nebeneinander. Bei anderen psychischen Störungen lassen sich derartig gute Übereinstimmungen zwischen Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren nicht immer erreichen (vgl. im Überblick Spencer et al. [25]).

Weil das Verfahren vom Patienten in 5–7 min bearbeitet werden kann, eignet es sich nicht nur für den klinischen Gebrauch, sondern auch für die Praxis. Als Hauptanwendungsgebiete werden das diagnostische Screening und die Verlaufsdokumentation empfohlen. Die Auswertung wird durch ein Computerprogramm wesentlich erleichtert, das zugleich als Datenpool ausgelegt ist und beim federführenden Autor bezogen werden kann.

Die ADHS-DC ist für den erfahrenen Diagnostiker geeignet, der über die Selbstbeurteilung des Patienten hinaus selbst die zentralen Diagnosekriterien von ICD und DSM überprüfen will.

Auch bei diesem Instrumenttyp besteht die Möglichkeit der Quantifizierung der Symptomatik, die sich bei der Bewertung von therapeutischen Interventionen und der Verlaufsbeurteilung in amerikanischen Studien bewährt hat [24].