Für die Diagnostik und die differenzierte Behandlung von Verletzungen des Kahnbeins (Os scaphoideum) sind profunde Kenntnisse der normalen Anatomie und Biomechanik dieses Knochens unbedingte Voraussetzung. Anatomie und Pathobiomechanik des Kahnbeins wurden bislang gar nicht oder noch viel zu wenig thematisiert. In der Tat ist der Aufbau des Kahnbeins sehr komplex und schwierig zu verstehen, aber die enorme klinische Bedeutung erfordert die intensivere Auseinandersetzung mit der Anatomie und Pathobiomechanik des Skaphoids.

Hintergrund

Das Kahnbein ist der klinisch bedeutsamste Knochen des Handgelenks. Von allen Frakturen des Carpus ist das Kahnbein mit über 70 % am häufigsten betroffen, und gerade dieser Bruch am beweglichsten Knochen der Handwurzel wird häufig nicht sofort erkannt. Die Folge nichtadäquater Behandlung ist fast regelmäßig eine Pseudarthrose des Kahnbeins mit weitreichenden negativen Konsequenzen für das gesamte Handgelenk und die Gebrauchsfähigkeit der Hand.

Das Kahnbein wird durch ein komplexes intrinsisches und extrinsisches Bandsystem jeweils in verschiedenen Positionen des Handgelenks stabilisiert. Das Band zwischen Kahn- und Mondbein (skapholunäres Band, SL-Band) hat in den letzten Jahren enorme Bedeutung in der Klinik bekommen, da eine SL-Band-Ruptur ebenso schwerwiegende Folgen für das Handgelenk hat.

Nomenklatur

Der Erste, der Namen für die einzelnen Handwurzelknochen in die medizinische Literatur einbrachte, war der aus Leipzig stammende und in Kopenhagen arbeitende Michael Lyser (1626–1660). In seinem Buch Culter anatomicus aus dem Jahr 1653 bezeichnete er die Knochen folgendermaßen: Os cotyloid (Os scaphoideum), Os lunatum (dito), Os cuneiforme (Os triquetrum), Ossiculum magnitudine pisi sativa (Os pisiforme), Os trapezoides (oder auch cubiforme; beachte: Os trapezium), Os trapezium (beachte: Os trapezoideum), Os maximum et crassium in postica parte capitulum obtinens (Os capitatum) und Os unciforme (Os hamatum). Den Namen für das Kahnbein leitete er von dem griechischen „κοτυλη“ (kotyle): Becher oder Löffel ab.

Im Jahr 1726 existierten zwei Veröffentlichungen, die auf die Namen der Handwurzelknochen eingingen: In Deutschland bzw. den Niederlanden wählte Bernhard Siegfried Albinus (geb. 1697 in Frankfurt an der Oder, gestorben 1770 in Leiden) für das Kahnbein den lateinischen Begriff „Os naviculare“ vom lateinischen „navicula“: Schifflein, Kahn. In Edinburgh entschied sich Alexander Monro I. (Primus; geb. 1697 in London; gestorben 1767 in Edinburgh) für die Bezeichnung „Os scaphoideum“ aus dem griechischen „σκαφη“ (skaphe): Kahn, Graben, Grube.

Schaut man sich die Grube im Kahnbein zum Os capitatum an, liegt die Assoziation zu einem Löffel oder Becher näher als zu einem Boot. Da das Kahnbein aber auch der einzige Handwurzelknochen ist, der einen längsverlaufenden Sulcus (Graben: skaphe) besitzt, konnte es in der Knochensammlung möglicherweise ebenfalls daran leicht identifiziert werden, was zur Namensgebung geführt hat.

Die deutschen Begriffe „Handwurzel“ und „Kahnbein bzw. kanförmiges Bein“ finden sich erstmals im Buch von Johann Gottlieb Walter (geb. 1734 in Königsberg, gestorben 1818 in Berlin) aus dem Jahr 1763 mit dem Titel Abhandlung von troknen Knochen des menschlichen Körpers.

Die Bezeichnungen Os naviculare und Os scaphoideum wurden lange Zeit parallel angewendet. Zu Irritationen kam es allerdings, da für den Fußwurzelknochen ebenfalls der Begriff Os naviculare benutzt wurde. Daher wurde zwischenzeitlich das Os naviculare manus vom Os naviculare pedis unterschieden. Die Festlegung eines definierten Begriffs erfolgte 1955 auf der Nomina anatomica in Paris: Dort wurde entschieden, dass das Kahnbein der Hand als Os scaphoideum und das der Fußwurzelknochen als Os naviculare bezeichnet wird. Allerdings wird diese Definition bis heute, mehr als 60 Jahre später, immer noch nicht überall konsequent angewandt.

Anatomie

Lage

Das Kahnbein liegt in der proximalen Reihe der Handwurzelknochen und befindet sich am weitesten radial. Die Längsachse des Kahnbeins steht aus seitlicher und aus dorsopalmarer Sicht etwa 45° zur Längsachse der Hand. Das Kahnbein hat am Gewicht aller Karpalknochen einen Anteil von 17,19 % und ist mit 40 % des Gewichts der größte Knochen in der ersten Karpalreihe, aber nach dem Os capitatum nur der zweitgrößte Knochen der Handwurzel [20, 32, 33].

Gesamtform

Das Kahnbein hat eine komplex aufgebaute dreidimensionale Struktur, die als unregelmäßiges Ellipsoid [9, 27, 42, 47, 49, 54] bezeichnet werden kann, das leicht S‑förmig verdreht und gebogen ist (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Gesamtform des Kahnbeins als verdrehtes Ellipsoid. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Knöcherner Aufbau

Abschnitte und ihre Frakturanfälligkeit

Insgesamt kann das Kahnbein in 3 verschiedene Abschnitte eingeteilt werden. Einen proximalen tetraederförmigen Pol (Abb. 2 violett), einen konvex und konkav gebogenen Mittelteil (Abb. 2 grün: Corpus) und einen grob eiförmigen distalen Tuberculum-Anteil (Abb. 2 blau). Klinisch relevante Frakturen treten fast ausschließlich im mittleren (grünen) Abschnitt auf. Frakturen im distalen (blauen) Abschnitt können meist konservativ behandelt werden. Der tetraederförmige proximale Abschnitt (violett) ist in der Regel selbst von Frakturen verschont, bricht aber nicht selten vom mittleren Abschnitt als Ganzes ab.

Abb. 2
figure 2

Drei Abschnitte des Kahnbeins. Erklärungen s. Text. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Form und Maße einzelner Bereiche

In vielen Literaturquellen wird der Anteil der Knorpeloberfläche an der Gesamtoberfläche des Kahnbeins mit 70–80 % angegeben [41]. Gemäß den Messungen von Botte et al. [6] beträgt aber die Gesamtoberfläche des Kahnbeins 1482 ± 212 mm2. Die artikulierende mit Knorpel überdeckte Fläche des Kahnbeins beträgt 622 ± 95 mm2 und die nichtartikulierende Fläche 860 ± 137 mm2. Damit umfassen die artikulierende Knorpeloberfläche des Kahnbeins 42 % und die nichtartikulierende Oberfläche 58 %.

Die große Knorpeloberfläche des Kahnbeins hat ihre Ursache in den vielen Gelenkflächen zu den benachbarten Knochen (Abb. 3): zum Radius die konvexe Facies articularis radii (Abb. 3 grün), zum Mondbein die fast plane Facies articularis lunata (Abb. 3 blau), zum Kopfbein die Facies articularis capitata (braun-violett; [31]) sowie zum Trapezium und Trapezoideum die Facies articulares trapezoidea et trapezia (Abb. 3 rosa).

Abb. 3
figure 3

Gelenkflächen des Kahnbeins in verschiedenen Ansichten. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Die palmare Seite (Abb. 4), an der sich das Lig. radioscaphocapitatum befindet, ist ebenfalls konkav geformt. Durch die beiden konkaven Flächen des Kahnbeins im mittleren Bereich erscheint dieser Abschnitt als Einschnürung bzw. als Taille.

Abb. 4
figure 4

Anatomie des Kahnbeins von palmar mit ansetzenden Bändern. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Der Taillenbereich des Kahnbeins kann meist nicht genau abgegrenzt werden, und je nach Definition ist dieser Bereich sehr schmal oder so breit, dass einige Autoren den mittleren Bereich schlicht als Corpus scaphoidei bezeichnen. Auf der Dorsalseite (Abb. 5) dieses Taillenbereichs findet sich kein Knorpel, sondern ein Anheftungsbereich der dorsalen Handgelenkkapsel mit zahlreichen Blutgefäßeintritten und -austritten in das Kahnbein. Diese Gefäße liegen innerhalb einer längs verlaufenden Grube („dorsal ridge“, Sulcus oder Fossa scaphoidei), die distal einen kleinen Kamm bilden kann, den Pfitzner [41] als Crista dorsalis ossis scaphoidei bezeichnet hat.

Abb. 5
figure 5

Anatomie des Kahnbeins von dorsal mit ansetzenden Bändern. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Die größte Gelenkfläche ist die zum Radius (Facies articularis radii), die in der Fovea scaphoidea radii liegt.

Die Gelenkflächen zum Trapezium und Trapezoideum sind in 80 % der Fälle durch eine kleine Kante trennt. Diese Kante verläuft von radiodorsal und ulnopalmar. Die beiden Gelenkflächen zusammengenommen haben nach Moritomo [35] einen durchschnittlichen Winkel von 68° (55–90°) zur Sagittalebene des Handgelenks.

Winkel

Aufgrund der umgebenden Gelenkflächen weisen der proximale und der distale Pol jeweils eine andere Ausrichtung auf, sodass von intraskaphoidalen Winkeln gesprochen werden kann. In der sagittalen Ebene beträgt der normale intraskaphoidale Winkel je nach Messverfahren 19–29° oder 27–37°, in der koronalen Ebene dagegen 37–43° oder 36–44° [4]. Ein Messverfahren zur alternativen Bestimmung des intraskaphoidalen Winkels mithilfe einer CT-Untersuchung entwickelten Schmidle et al. 2014 in Innsbruck [46]. Als Referenzen zur Messung dienen für den proximalen Pol eine Linie durch die distalen Spitzen der Articulatio scapholunare, für den distalen Pol eine Linie, die der Kante zwischen der Articulatio scaphotrapeziale und der Articulatio scaphotrapezoideale entspricht. Mithilfe dieser Messmethode wurde ein durchschnittlicher Winkel von 67° ermittelt.

Die konstruierte Längsachse des Skaphoids zieht von dorsozentral proximal nach distal palmar radial. Belsole et al. [1] fanden einen durchschnittlichen dreidimensionalen Winkel zwischen Skaphoid und Os capitatum von 73°.

Äußere Maße

Zu den äußeren Maßen des Kahnbeins existieren in der Literatur verschiedene Angaben. Heinzelmann et al. [20] geben folgende Werte an: Die maximale Länge des Kahnbeins ist bei Männern mit 31,3 ± 2,1 mm um etwa 4 mm größer als bei Frauen mit 27,3 ± 1,7 mm. Dies entspricht auch etwa den Erfahrungswerten bei der Osteosynthese des Kahnbeins, bei der zwangsläufig nicht die maximale Länge des Kahnbeins ausschlaggebend ist, sondern die optimale Schraubenposition. Viele Autoren sprechen von einer durchschnittlichen Schraubenlänge [37] für das Kahnbein bei Männern von 24 mm und bei Frauen von 20 mm.

Nach den Messungen von Le Minor [37] und Heinzelmann [20] beträgt die Breite des Kahnbeins im proximalen Polbereich 4,5 ± 1,4 mm für Männer und 3,7 ± 0,5 mm für Frauen. Der mittlere Abschnitt (Corpus) des Kahnbeins weist eine Breite von 13,6 ± 2,6 mm bei Männern und 11,1 ± 1,2 mm bei Frauen auf. Der distale Pol des Kahnbeins ist bei Männern 7,2 ± 1,0 mm und bei Frauen 7,2 ± 1,2 mm breit.

Kong [26] gibt nach seinen Untersuchungen für die chinesische Männer und Frauen folgende Werte an (ab- und aufgerundet):

  • maximale Länge des Kahnbeins bei Männern 27,9 mm ± 2,5 mm, bei Frauen 26,5 mm ± 0,6 mm,

  • Breite des Tuberculums: Männer 6,8 mm, Frauen 6,3 mm,

  • Höhe des Tuberculums: Männer 11,4 mm, Frauen 10,8 mm,

  • Breite des Corpus: Männer 12,2 mm, Frauen 11,7 mm,

  • minimaler Durchmesser der Skaphoidtaille: Männer 6,6 mm, Frauen 6,4 mm,

  • Breite des Sulcus scaphoidei:

    • distal: Männer 6,9 mm, Frauen 5,8 mm,

    • im Corpus: Männer 5,5 mm, Frauen 4,5 mm und

    • proximal: Männer 4,7 mm, Frauen 4,0 mm.

Gefäßversorgung

Die Regionen, in denen Blutgefäße in das Kahnbein ziehen können, sind durch die großflächigen Knorpelüberzüge (42–80 %) begrenzt. Bei Operationen im Bereich des Kahnbeins können diese kleinen Gefäße innerhalb der Kapselstrukturen kaum dargestellt werden, und es besteht die Gefahr, dass die wichtigsten Blutgefäße zum Kahnbein unabsichtlich durchtrennt werden. Aus diesem Grund ist die Kenntnis der Blutgefäße zum und innerhalb des Kahnbeins von besonderer Bedeutung ([3, 12, 17,18,19, 26, 28, 39, 48]; Abb. 6 und 7).

Abb. 6
figure 6

Durchblutung des Kahnbeins von dorsal. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Abb. 7
figure 7

Durchblutung des Kahnbeins von palmar. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Das Kahnbein wird durch seine radiale Lage im Handgelenk entsprechend von radial, also aus der A. radialis, mit Blut versorgt. Im Bereich der Tabatiere zieht die A. radialis von proximal palmar kommend radialseitig am Kahnbein vorbei nach dorsal distal über das Os trapezium zur Basis der 1. Kommissur, um hier wieder nach palmar zu ziehen und den Arcus palmaris profundus zu bilden. In diesem Abschnitt der A. radialis finden sich palmarseitig 3 mittelgroße Abgänge, dorsalseitig 4 mittelgroße Arterienäste und radialseitig mehrere kleine Äste zum Tuberculum scaphoidei.

Auf der Palmarseite zeigen sich zunächst der Arcus radiocarpalis palmaris, auch als A. carpi transversa palmare bezeichnet, der palmar der „watershed line“ des distalen Radius verläuft (auch Kuhlmann-Arterie genannt), dann der R. palmaris der A. radialis, der zum oberflächlichen Hohlhandbogen zieht, und der Arcus intercarpalis palmaris. Dorsalseitig ziehen ein Ast aus der A. radialis über den Processus styloideus radii zum 2. Strecksehnenfach, die A. intercompartimentalis 1–2 supraretinaculare oder auch Zaidenberg-Arterie, dann der Arcus radiocarpalis dorsalis und der R. dorsalis scaphoidei sowie schließlich der Arcus intercarpalis dorsalis.

Für die Blutversorgung des Kahnbeins ist der dorsale Ast, der R. dorsalis scaphoidei der A. radialis, der wichtigste. Kleinere Äste aus dem Arcus intercarpalis palmaris zur Palmarseite und kleine direkte Äste aus der A. radialis zum Tuberculum scaphoidei stellen die zweitwichtigste Blutversorgung des Kahnbein dar. Dass eine dritte – inkonstante und schmächtige – Blutversorgung über das SL-Bandsystem erfolgen soll, wird von einigen Autoren [17] heftig bestritten.

Die proximalen 70–80 % des Kahnbeins werden durch die dorsalen Äste versorgt, während die distalen 20–30 % mithilfe der palmaren Äste durchblutet werden [13]. Einige Autoren sind der Meinung, dass der proximale und der distale Skaphoidanteil intraossär nicht kommunizieren [17] während andere Autoren [39] dies bestreiten.

Die Foramina nutricia zum Kahnbein sind insbesondere auf der Dorsalseite im Sulcus scaphoidei zahlreicher als auf der Palmarseite. Dubey et al. [12] fanden auf der Dorsalseite zwischen 4 und 32 Foramina, wobei zu 65 % 11 bis 20 Foramina identifiziert werden konnten. Außerhalb dieses Sulcus waren auf der Dorsalseite meist nicht mehr als eins bis 3 Foramina jeweils proximal oder distal des Sulcus zu verzeichnen. Auf der Palmarseite des Os scaphoideum zeigten sich dagegen nur ein bis maximal 8 Foramina nutricia.

Bänder und Biomechanik

Bewegungen des Skaphoids und Interaktionen mit seinen Bändern

Das Kahnbein stellt eine sehr wichtige biomechanische Komponente in der proximalen Reihe dar und ist somit ein essenzielles Element bei Steuervorgängen zwischen Radius und distaler Reihe, bei Flexionen und Extensionen sowie Radial- und Ulnarduktionen des Handgelenks.

Im Vergleich zu den anderen Handwurzelknochen ist das Kahnbein ein sehr beweglicher Knochen. Diese Beweglichkeit macht zahlreiche Bänder erforderlich (Abb. 4 und 5). Verlauf sowie Stärke dieser Bänder geben weitere wichtige Hinweise auf die Biomechanik des Kahnbeins.

Beispielsweise ist das Skaphoid trotz der festen Bandverbindungen zum Os lunatum deutlich beweglicher als dieses. So verändert sich der skapholunäre Winkel von 76° in Handgelenkflexion auf 35° in Extensionsstellung des Handgelenks ([36]; Abb. 8). Nach Kauer [23] eilt das Kahnbein bei der Flexion dem Mondbein um 30° voraus. Diese „einfache Bewegung des Handgelenks“ aus Flexion in Extension bedeutet aber nicht, dass sich das Kahnbein ebenfalls nur in Flexion- und Extensionsrichtung bewegt. Bei der Bewegung des Handgelenks aus der Neutralposition in die Flexionsposition macht das Kahnbein eine durchschnittliche Bewegung von 58° in Flexionsrichtung, aber zusätzlich auch 18° in Ulnardeviations- und 10° in Pronationsrichtung. Aus der Neutralposition in die Extensionsstellung des Handgelenks vollzieht das Skaphoid eine Extensionsbewegung von 50°, eine Radialdeviation von 4° und eine Supinationsbewegung von 6° [13, 14].

Abb. 8
figure 8

Bewegungen von Skaphoid und Lunatum bei Dorsalflexion (blau) und Palmarflexion aus seitlicher Sicht (rot). (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Dadurch, dass das Gelenk zwischen dem Os scaphoideum und dem Os capitatum nicht flach, sondern sphärisch – also fast passgenau konvex-konkav – ist, lässt sich eine Rotationsbewegung des Kahnbeins um das Zentrum des proximalen Os-capitatum-Pols nachvollziehen [24]. Die Rotationsachse des Kahnbeins bei der Extension-Flexion-Bewegung des Handgelenks verläuft aber nicht genau durch das sphärische Zentrum des Os capitatum, sondern einige Millimeter weiter distal davon [14]. Hier spielt der Verlauf des Lig. radioscaphocapitatum, zum dem diese Bewegungsachse fast parallel verläuft, eine wichtige Rolle. Das Kahnbein scheint sich bei der Flexion über dieses Band hinüberzubeugen und es leicht einzubuchten (Abb. 9).

Abb. 9
figure 9

Interaktion zwischen dem Skaphoid und dem Lig. radioscaphocapitatum. Der proximale Abschnitt des Kahnbeins von palmar aus gesehen (a) wird zum großen Teil vom Lig. radioscaphocapitatum abgedeckt und stabilisiert (b). Bei der Radialdeviation des Handgelenks wird der distale Kahnbeinabschnitt über dieses Band gebeugt und buchtet dieses Band ein (c). Erklärungen s. Text. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Aus diesem Grund rotiert der proximale Pol des Os scaphoideum auch nicht in der Fovea scaphoidea, sondern gleitet bei der Handgelenkbewegung aus der Flexion in die Extension von radial nach ulnar palmar [5].

Bei der Radialduktion im Handgelenk (Abb. 10) findet die Hauptbewegung im Mediokarpalgelenk statt. Das Kahnbein zeigt nur eine sehr geringe Radialduktion von etwa 5°. Durch die Bewegung von Trapezium und Trapezoideum muss das Kahnbein aber nach palmar ausweichen, sodass eine Palmarflexion des Kahnbein von etwa 13° zu beobachten ist [5, 14]. Ob gleichzeitig eine geringe Pronation oder Supination auftritt, scheint individuell unterschiedlich zu sein.

Abb. 10
figure 10

Bewegung des Skaphoids bei Radialduktion (rot) und Ulnarduktion (blau). (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Bei der Ulnardeviation des Handgelenks von etwa 30° (Abb. 10) entstehen eine Aufrichtung des Kahnbeins von durchschnittlich 18°, eine Ulnardeviation von 16° und eine Pronation von 11°.

Die wichtige Erkenntnis, dass eine minimale Bewegung des Kahnbeins bei der eigentlichen Hauptbewegung des Handgelenks, „dart-throwing motion“ (DTM), auftritt, stammt von Crisco et al. [10]. Bei dieser Handgelenkbewegung von radiodorsal nach ulnopalmar bleibt fast die ganze erste Reihe der Handwurzelknochen (Kahn‑, Mond- und Dreiecksbein) im Radiokarpalgelenk unbeweglich, während nahezu die komplette Bewegung aus dem Mediokarpalgelenk kommt (Abb. 11). Die Bewegungsachse dieser DTM verläuft durch das Lig. scaphotrapeziale, das Tuberculum scaphoidei, das Lig. scaphocapitatum, das Zentrum des Os capitatum und den dorsalen Anteil der proximalen Spitze des Os hamatum. Wird axial durch diese Bewegungslinie geröntgt, erscheint eine ringförmige Projektion, gebildet aus den Gelenkflächen des Os capitatum mit der proximalen Reihe und den Gelenkflächen des distalen Skaphoidpols mit dem Trapezium und Trapezoideum.

Abb. 11
figure 11

Nur minimale Bewegung des Skaphoids bei der „Dart-throwing motion“ von radiodorsal (blau) nach ulnopalmar (rot). (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Bänder im Einzelnen

Die Bänder im Einzelnen sind in den Abb. 4 und 5 dargestellt.

Lig. scaphotrapeziale

Das V‑förmige Lig. scaphotrapezium befindet sich an der Radiopalmarseite des distalen Scaphoidpols und zieht zum Os trapezium [4, 29, 30, 54, 55]. Hier sind die Bänder zusammen mit den Lig. scaphocapitatum für die bewegliche Befestigung des distalen Skaphoidpols verantwortlich. Dadurch, dass dieses Bandsystem genau in der DTM-Bewegungsachse liegt, kommt ihm wohl größere Bedeutung zu.

Lig. scaphocapitatum

Ebenfalls in dieser Bewegungsachse zwischen Kahnbein und Os capitatum liegt das Lig. scaphocapitatum. Dieses Band hat sogar den größten Anteil der Fläche aller Bandursprünge am Kahnbein. Seine Fasern sind sehr kurz, das Band ist inoperativ schlecht zu erreichen und macht daher große Probleme bei der Exzision des Skaphoids im Rahmen verschiedener Operationen (z. B. mediokarpale Teilarthrodese oder der „proximal row carpectomy“).

Lig. scaphotrapezoidale

Das Lig. scaphotrapezoidale ist nur relativ klein und scheint auch klinisch von untergeordneter Bedeutung zu sein.

Lig. radioscaphocapitatum

Das Lig. radioscaphocapitatum hat nur einen relativ kleinen Ansatz am Os scaphoideum. Der Großteil des Bands zieht palmar am Skaphoid vorbei zum Os capitatum.

Skapholunäres Band

Die herausragende Rolle des Bandes zwischen Kahn- und Mondbein (interossäres SL-Band) ist heute hinreichend bekannt. In den meisten Publikationen wird allerdings die Faserrichtung seines dorsalen Hauptanteils falsch dargestellt. Dieser Bandanteil verläuft in einer Faserrichtung von fast 45° von radial-distal nach ulnar-proximal und nicht transversal.

Lig. radioscapholunare

Das kleine Lig. radioscapholunare (Testut-Band) hat meist so wenig richtige Faseranteile, dass ihm der Bandcharakter abgesprochen wird. Van Overstraeten et al. beschrieben 2013 dorsal des SL-Bands ein zusätzliches Septum zur dorsalen Handgelenkkapsel, das „dorsal capsulo-scapholunate septum“ (DCSS; [11, 50]). Inwieweit diese Struktur bei der SL-Band-Ruptur und ihrer Rekonstruktion eine Rolle spielt, muss noch geklärt werden.

Lig. intercarpale dorsale

Das auf der Dorsalseite an der Crista dorsalis ansetzende Lig. intercarpale dorsale ist, phylo- und ontogenetisch betrachtet, wahrscheinlich ein Rest der ursprünglichen Nachbarknochen/-knorpel Os centrale ulnare distale und Os centrale radiale distale. Die Konstanz und die Größe dieses Bands lassen auf eine größere Bedeutung als Stabilisator des Handgelenks schließen.

Retinaculum flexorum

Da das Kahnbein auch Anheftungsregion für das Retinaculum flexorum ist, liegt die Frage nahe, welche Einflüsse die Karpaldachspaltung auf die Position des Kahnbeins und für das karpale Gefüge haben [13, 15, 16, 21, 22]. Nach einer Durchtrennung des Retinaculum flexorum konnte nachgewiesen werden, dass die Weite des Karpalbogens um etwa 11 % zunimmt. Die Stellung des Kahnbeins ändert sich signifikant nach einer Karpaldachspaltung, wenn das Handgelenk in einer Ulnardeviation von mehr als 15° steht. Nach der Durchtrennung des Retinaculums nimmt mit zunehmender Ulnardeviation (von 15° auf 40°) die Extension des Kahnbeins deutlich zu (von 11,4° statt normal 6,6° auf 31,2° statt normal 12,2°). Nach Salva-Coll et al. [44] zeigt das Skaphoid nach der Operation eine verminderte Flexion und eine höhere Radialinklination.

Gemäß Bujize et al. [7, 8] haben die Bandursprünge und Bandansätze am Os scaphoideum die in Tab. 1 aufgeführten Oberflächenanteile (Fläche aller Bandansätze zusammen: 100 %; [25]).

Tab. 1 Oberflächenanteile der Bandursprünge und Bandansätze am Os scaphoideum

Die Stabilitäten (Spannung bis zum Zerreißen: „yield strength“) der einzelnen Bänder wurden von Berger (1999), Novak (1991), Viegas (1993), Moritomo (2000), Patterson (2003) und Rajan (2015) [2, 34, 38, 40, 43, 45, 51,52,53] wie in Tab. 2 zusammengestellt und modifiziert, angegeben.

Tab. 2 Länge, Querschnitt und Stabilität der Bänder des Skaphoids

Die proximale Reihe der Handwurzelknochen ist bei der Hauptbewegung des Handgelenks, der DTM von dorsal-radial nach palmar ulnar, nur wenig in die Bewegung involviert, während bei der unüblichen Bewegung des Handgelenks von dorsal-ulnar nach palmar-radial (Näherinnenbewegung) fast nur die proximale Reihe bewegt wird.

Die Belastungen der einzelnen Gelenkflächen des Carpus werden in der Literatur mit mäßiggradigen Abweichungen in beide Richtungen etwa wie folgt angegeben:

Die Druckbelastung der distalen auf die proximale Reihe (Abb. 13) erfolgt zu 30 % von Os trapezium und Os trapezoideum auf den distalen Skaphoidpol, zu 29 % vom Os capitatum auf die Fossa capitata, zu 27 % vom Os capitatum und Os hamatum auf das Os lunatum und zu 14 % vom Os hamatum auf das Os triquetrum. Die Druckbelastung von der ersten karpalen Reihe auf den distalen Radius und die distale Ulna („triangular fibrocartilage complex“, TFCC) erfolgt zu 46 % vom Skaphoid auf die Fossa scaphoidea radii, zu 35 % vom Os lunatum und partiell der Spitze des Skaphoids auf die Fossa lunata radii sowie zu 19 % vom Os lunatum und Os triquetrum auf den Discus ulnocarpalis (Abb. 12). Das heißt, dass die Kraft zu 81 % auf den Radius übertragen wird und nur 19 % auf den TFCC. Dies gilt für die Neutralposition. In Supination erhöht sich der Druck auf den Radius auf 86 %, und in Pronation fällt der Druck auf den Radius auf 63 %. Der Druck vom Skaphoid auf den Radius steigert sich auch deutlich bei Radialdeviation (87 %, Abb. 14), während der Druck bei Ulnardeviation auf 71 % (Abb. 15) absinkt.

Abb. 12
figure 12

Druckverteilung innerhalb des Handgelenks. Erklärungen s. Text (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Abb. 13
figure 13

Trabekelstruktur des Skaphoids. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Abb. 14
figure 14

Belastung des Radioskaphoidalgelenks in Radialduktion. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Abb. 15
figure 15

Belastung des Radiokarpalgelenks in Ulnarduktion. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Interessanterweise konnten Viegas et al. [52] feststellen, dass die Kontaktfläche des Os scaphoideum zum Radius 1,47-mal größer ist als die des Os lunatum.

Pathobiomechanik

Frakturmechanismen

Der Sturz auf den ausgestreckten, im Handgelenk hyperextendierten Arm ist sicherlich das häufigste Ereignis, das zur Skaphoidfraktur führt (Abb. 16).

Abb. 16
figure 16

Sturz auf die hyperextendierte Hand. Der distale Skaphoidpol ist durch den Kontakt mit dem Boden sowie die Bandsysteme zum Trapezium fixiert; dorsal wirkt die Radiuskante wie ein Meißel und palmar drücken die radioskaphokapitalen Bänder den proximalen Pol nach dorsal. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Je nach Stellung des Handgelenks beim Sturz (mehr Radialduktion oder mehr Ulnarduktion) und je nach Krafteinwirkung finden sich unterschiedliche Frakturtypen (Abb. 17). Dabei spielen das Mediokarpalgelenk als mobiler Anteil und der Processus styloideus radii als feststehender Anteil eine besondere Rolle. Überwiegen die seitlich einwirkenden Kräfte, entstehen eher transversale Frakturen, während es bei axial einwirkenden Kräften auch zu eher sagittalen Frakturen kommen kann.

Abb. 17
figure 17

Unterschiedliche Frakturlokalisation (Pfeile) bei unterschiedlichen Stellungen des Handgelenks während eines Sturzes. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Bei der häufigsten Fraktur durch den Corpus (B2-Fraktur) klappt das Skaphoid palmar auf (Abb. 16). In den meisten Fällen kommt es zur spontanen Reposition, sodass die Fraktur nur schwer erkannt werden kann. In der weiteren Folge klappt das Skaphoid aber dorsal auf; man spricht von einer Humpback-Deformität (Abb. 18). Ausschlaggebend für diese Humpback-Stellung ist die auf die proximale Reihe einwirkende spiralförmige Spannung (Abb. 19). Der radiale Abschnitt der proximalen Handwurzelreihe hat die Tendenz zur Palmarflexion, während der ulnare Abschnitt eine Tendenz zur Dorsalflexion aufweist.

Abb. 18
figure 18

Skaphoidfraktur mit Ausbildung einer Humpback-Deformität. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Abb. 19
figure 19

Spiralförmige Verspannung der proximalen Handwurzelreihe. (Mit freundlicher Genehmigung © M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Bei einer Ruptur des interossären SL-Bands (Abb. 20) flektiert das Skaphoid nach palmar, während Lunatum und Triquetrum nach dorsal gedreht werden (DISI-Stellung des Lunatums: „dorsal intercaleted segment instability“). Dabei wird der proximale Pol des Skaphoids an oder über die dorsale Radiuskante gedrückt. An dieser Stelle entstehen dann zuerst schmerzhafte arthrotische Veränderungen.

Abb. 20
figure 20

Gegenläufige Verdrehung vom Skaphoid gegenüber dem Lunatum und dem Triquetrum bei der SL-Band-Ruptur. (Mit freundl. Genehmigung von M.F. Langer. Alle Rechte vorbehalten)

Bei der Humpback-Stellung haben nur die palmaren Kanten des proximalen und des distalen Skaphoidfragments einen minimalen Kontakt zueinander (Abb. 18). Die hohe Rate an Pseudarthrosen ist zum großen Teil auf diesen unzureichenden Kontakt der Fragmente bei konservativen Therapieversuchen zurückzuführen. Auf Röntgenaufnahmen kann das Ausmaß (Größe des Aufklappwinkels) der Humpback-Deformität nicht abgeschätzt werden. Dieser Winkel ist nur mithilfe der Computertomographie und parasagittaler Schnittführung (in der Längsachse des Skaphoids) sicher zu bestimmen.

Fazit für die Praxis

  • Das Skaphoid ist der beweglichste Knochen im Handgelenk und weist eine komplexe dreidimensionale Struktur auf.

  • Die Durchblutung des Skaphoids erfolgt zum größten Teil von dorsal.

  • Die wichtigsten direkten Bandverbindungen sind das skapholunäre Band und die skaphotrapezoidalen Bänder, eine sehr wichtige Rolle spielt aber auch das Lig. radioscaphocapitatum auf der Palmarseite.

  • Bei der Handgelenkbewegung von dorsoradial nach ulnopalmar (DTM) bewegt sich die proximale Handwurzelreihe nur sehr wenig.

  • Die proximale Handwurzelreihe ist spiralförmig verspannt. Unterbrechungen dieser Spirale wirken sich in gegenläufigen Verdrehungen der radialen und der ulnaren Abschnitte aus.