Hintergrund

Eine Erhebung der Vereinten Nationen (UN) geht davon aus, dass im Jahr 2050 ca. 2 Mrd. Menschen weltweit ein Alter von mindestens 60 Jahren erreicht haben. Auch das Statistische Bundesamt prognostiziert, dass bereits im Jahr 2060 35 % der Bevölkerung 65 Jahre und älter sind. Zusätzlich zu einer Osteoporose sind Stürze die wichtigsten Ursachen für die Frakturentstehung alter Patienten. Neben den unmittelbaren Folgen des Sturzes – z. B. eine Fraktur – sind auch die mittelbaren Folgen von großer Bedeutung: Funktionsdefizite, welche mittel- oder langfristig eine Institutionalisierung in ein Pflege- oder Altenheim nach sich ziehen können [5, 45, 46].

Mit einer Inzidenz von 1.120/100.000 stellt die proximale Humerusfraktur eine besonders häufige Verletzung des älteren Patienten dar [41]. Bis 2030 wird von einem Anstieg der Inzidenz um 50 % ausgegangen [37]. Die European Prospective Osteoporosis Study (EPOS) zeigte europaweit, dass proximale Humerusfrakturen mit einem Lebenszeitrisiko ab dem 50. Lebensjahr von 13 % bei Frauen und 5 % bei Männern einhergehen [31].

Mechanistisch muss fast ausnahmslos von einem Sturz direkt auf das Schultergelenk oder auf den ausgestreckten Arm ausgegangen werden. Dies gewinnt besondere Bedeutung, da 30–60 % aller selbstständig lebenden Menschen > 60 Jahren mindestens einmal pro Jahr stürzen [25]. Die Frage der optimalen Versorgung von komplexeren Humeruskopffrakturen ist bisher nicht abschließend geklärt. Die Plattenosteosynthese der proximalen Humerusfraktur stößt an ihre Grenzen, wenn reduzierte Knochenqualität, eine fortgeschritten degenerativ veränderte Rotatorenmanschette, eine Luxation oder ein „headsplit“ vorliegen. Als Folge kann es zum Osteosyntheseversagen mit z. B. „cut-out“ der Schrauben kommen. Auch Komplikationen, wie die Humeruskopfnekrose nach Osteosynthese, schmälern den postoperativen Erfolg im mittelfristigen Verlauf und machen z. B. einen Implantatwechsel zur Prothese erforderlich [3, 22, 33].

Ziel aller operativen Versorgungen ist das Erreichen einer schmerzarmen und möglichst guten Schulterfunktion [10, 19, 28]. Die inverse Frakturprothese stellt eine Alternative dar, welche weder eine Frakturkonsolidierung noch eine funktionsfähige Rotatorenmanschette zwingend erforderlich macht [10, 28]. Jedoch ist die Einheilung der Tuberkula bzw. der Rotatorenmanschette (insbesondere des M. subscapularis) von eminenter Bedeutung für die Funktionalität [1]. Da die Humeruskopffraktur v. a. im höheren Alter vorkommt, spielen kognitive Defizite wie z. B. die Demenz für das Outcome eine mögliche Rolle [18].

Zahlreiche Studien haben in der Vergangenheit die Ergebnisse nach inverser Frakturendoprothetik im Rahmen proximaler Humerusfrakturen erhoben. Bisher wurden körperteilspezifische Messinstrumente, wie die Neutral-0-Methode und der Constant-Score (CS) u. a. m. angewendet [14]. Insgesamt bleibt es jedoch von Interesse, in welchem Maße sich die Lebensqualität der Patienten verändert. Der EQ-5D™ ist ein nicht krankheitsspezifisches Instrument zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität [8]. Validität und Reliabilität des EQ-5D™ wurden bereits in mehreren Untersuchungen nachgewiesen [30, 40].

Ziele dieser retrospektiven Studie sind die Erfassung des Outcomes dislozierter 3- und 4-Fragment-Frakturen des proximalen Humerus im mittelfristigen Follow-up in Form von Lebensqualität mittels EQ-5D™, die Funktion der versorgten Extremität und das Ausmaß der Institutionalisierung bei Patienten oberhalb des 64. Lebensjahrs nach Implantation einer inversen Frakturprothese.

Geprüft wird die Nullhypothese, ob eine primäre inverse Frakturprothese bei proximaler Humerusfraktur die Lebensqualität wesentlich senkt, ein schlechtes funktionelles Outcome generiert wird und die Rate der Institutionalisierung und Komplikationen hoch ist.

Studiendesign und Methoden

Die inkludierten Patienten wurden im Zeitraum März 2011 bis Dezember 2013 konsekutiv operiert. Die Frakturen wurden anhand konventioneller Röntgenbilder in 2 Ebenen (a.p.-Strahlengang und y-View) sowie einer CT-Bildgebung nach Neer klassifiziert [36]. Entsprechend der Ein- und Ausschlusskriterien (Tab. 1) wurden 34 inverse Frakturprothesen bei 33 Patienten implantiert.

Tab. 1 Ein- und Ausschlusskriterien dieser Studie

Bei allen Patienten wurde eine modulare inverse Frakturprothese implantiert (Fa. Mathys, Affinis® Fracture Invers, Bettlach, CH, Abb. 1). Bezüglich der Einstellung einer möglichst optimalen Vorspannung des M. deltoideus stehen verschiedene Onlays und eine Variabilität in der Höhenwahl des Prothesenhalsteils zur Verfügung.

Abb. 1
figure 1

Affinis® Fracture Invers. (Mit freundl. Genehmigung der Fa. Mathys, Bettlach, CH)

Operationstechnik

Es erfolgte eine präoperative Planung der Prothesenimplantation mithilfe eines digitalen Planungsprogramms (mediCAD® obere Extremität Version 3.0, Hectec GmbH, Landshut, Deutschland). Die Operation erfolgte mit Single-shot-Antibiose und Allgemeinnarkose in Beachchairlagerung. Gewählt wurde ein deltoideopektoraler Zugang. Die lange Bizepssehne wurde tenotomiert und im Ansatzbereich des M. pectoralis major refixiert. Nach Entfernung der Humeruskalotte wurden die Tuberkula konfektioniert und mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial (FibreWire®, Arthrex, Naples, Florida, USA) angeschlungen. Es erfolgten die Präparation des Glenoids und die Implantation der Basis-Metaglene, welche mit 2 Pegs und 3 Schrauben (einmal winkelstabil) fixiert wurde. Anschließend folgte die Präparation der Humerusdiaphyse. Nach Einbringung eines Markraumstoppers wurde der Schaft mit Refobacin-Zement implantiert. Das Halsteil wurde mit 10° Retroversion fixiert, anschließend erfolgten das Aufschrauben der Polyethylen-Glenosphere, das Anbringen des Kobalt-Chrom-Inlays sowie die Reposition. Nach einer Stabilitätsprüfung schloss sich die Refixation der Tuberkula mit vorgelegten FibreWire®-Fäden in der Technik nach Boileau an [4]. Abschließend wurde eine intraoperative radiologische Kontrolle durchgeführt. Für die Situation einer instabilen Prothese standen verschiedene Inlayhöhen wie auch ein höhenverstellbares Halsteil zur Verfügung.

Constant-Murley-Score

Als Messinstrument der organbezogenen Schultergelenkfunktion wurde der Constant-Murley-Score genutzt. Der Score inkludiert subjektive wie auch objektive Kriterien, welche in Summe ein Bild der Schulterfunktion darstellen. Die Messung der Rotation erfolgte bei 90° abduziertem Arm, die Kraftmessung erfolgte am Ansatz des M. deltoideus in 90° Abduktion in der Skapulaebene. Die prozentualen Ergebnisse entsprechend dem altersadaptierten Normwert wurden in einer Ordinalskala von 1–5 klassifiziert [24]:

  • 1 sehr gut (91–100 %),

  • 2 gut (81–90 %),

  • 3 befriedigend (71–80 %),

  • 4 ausreichend (61–70 %),

  • 5 schlecht (< 61 %).

EuroQol 5 dimensional (EQ-5D™)

Der EQ-5D™ ist ein validierter Fragebogen zur Erfassung der nicht krankheitsspezifischen Lebensqualität. Er erfasst 5 Dimensionen [26]:

  • Mobilität,

  • Selbstversorgung,

  • allgemeine Tätigkeiten,

  • physische Beschwerden,

  • psychische Beschwerden.

Mithilfe dieser Bewertungen des Patienten können Modelle erstellt werden, welche einen bevölkerungsbasierten Lebensqualitätsindex von 0–1 bestimmen lassen. Der Wert „1“ entspricht dem bestmöglichen Zustand, während „0“ einem Zustand des Todes gleichzusetzen ist. Damit lässt sich die „health-related quality of life“ (HRQoL) bestimmen.

Kognitives Defizit

Die Diagnose Demenz wurde dann gestellt, wenn sowohl Defizite des Kurz- und Langzeitgedächtnisses und begleitend Störungen des abstrahierenden Denkens, eine Änderung der Persönlichkeit, eine reduzierte Orientierung oder andere Störungen kognitiver Funktionen vorliegen. Diese Einschränkungen müssen ferner länger als 6 Monate bestehen und sicher vom Delir abgegrenzt werden (S3-Leitlinie DGN und DGPPN).

Zur Erfassung eines kognitiven Defizits, z. B. einer Demenz und deren Schweregrad, wurde der Mini-Mental-Status-Test (MMST) durchgeführt und entsprechend der S3-Leitlinie Demenz der DGN und DGPPN nach Schweregrad quantifiziert:

  • 20 bis 26 Punkte: leichte Erkrankung,

  • 10 bis 19 Punkte: moderate Erkrankung,

  • weniger als 10 Punkte: schwere Erkrankung.

Patienten mit einer schweren kognitiven Dysfunktion wurden aus der Studie ausgeschlossen (Tab. 1).

Institutionalisierung

Zusätzlich wurde erfasst, ob die Studienteilnehmer in Folge der Versorgung mit inverser Frakturprothese entweder

  • institutionalisiert wurden oder nunmehr vermehrt Hilfe im Alltag benötigen (z. B. zuvor Selbstversorgung, nun häusliche Pflege, betreutes Wohnen oder Pflegeheim) oder

  • ob sich die Art/Intensität der Pflege/Institutionalisierung verändert hat.

Nachbehandlungsschema

Wir verfolgen ein Nachbehandlungsschema mit frühestmöglicher assistiert geführter und passiver Beübung. Postoperativ wurde ein Abduktionskissen angelegt. Dieses wurde intermittierend getragen. Am 1. postoperativen Tag wurde mit assistiert geführten Bewegungen begonnen, ergänzt durch passive Therapie im CPM-Stuhl und Beübung der angrenzenden Gelenke. Die Tuberkularefixierung limitiert die Nachbehandlung hinsichtlich aktiver Bewegung. Das freigegebene Bewegungsausmaß in der 1. bis 4. postoperativen Woche ist auf eine Anteversion und Abduktion bis 60° limitiert, in der 5. bis 6. postoperativen Woche Anteversion und Abduktion bis 90°. Aufgrund der Refixation des M. subscapularis wurde die Außenrotation bis zum Abschluss der 6. Woche auf maximal 20° limitiert. Anschließend erfolgte eine stationäre Anschlussheilbehandlung/geriatrische Rehabilitation. Alle Patienten erhielten ein identisches schulterbezogenes Nachbehandlungsschema, unabhängig davon, ob eine Anschlussheilbehandlung oder eine geriatrische Rehabilitation erfolgte, dies geschah nach den lokalen Vorgaben.

Statistik

Die erfassten Daten wurden mit dem Programm GraphPadPrism (Fa. GraphPad Inc., Version 3.0, La Jolla, CA, USA) aufgearbeitet. Es wird ein statistisches Signifikanzniveau von p < 0,05 angenommen. Genutzt wurde der Mann-Whitney-U-Test.

Die Untersuchung fand entsprechend den Richtlinien der Deklaration von Helsinki (Oktober 2013) im Einklang mit nationalem Recht statt. Jeder der Patienten bzw. der gesetzliche Betreuer willigte schriftlich in die Studienteilnahme ein.

Ergebnisse

Das mittlere Alter beträgt 79,8 Jahre (SD ± 6,7 Jahre). Achtundzwanzig Patienten sind weiblich, 5 männlich. Alle Patienten, welche im genannten Zeitraum eine inverse Frakturprothese erhielten, konnten nachuntersucht werden. Das Follow-up liegt im Mittel bei 23 Monaten (SD ± 10,65 Monate, Range 12–49). Die Frakturen stellten sich nach der Neer-Klassifikation wie folgt dar:

  • Neer IV bei 20 Frakturen (59 %),

  • Neer V bei 9 Frakturen (26 %) und

  • Neer VI bei 5 Frakturen (15 %, fünf 3- und 29 4-Fragment-Frakturen).

Funktionelles Ergebnis

Das funktionelle Ergebnis im Constant-Murley-Score zeigte im Mittel 53,6 Punkte (SD ± 9). Unter Berücksichtigung des altersadaptierten Normwerts nach Gerber im CS erreichten die Patienten 78,9 % der Punkte bezogen auf die Altersreferenzgruppe [24]. Dies entspricht einem befriedigenden Ergebnis. Die Hälfte der Patienten erzielten ein gutes Ergebnis (n = 17, 50,0 %), 6 Patienten erreichten ein sehr gutes Ergebnis (17,6 %).

Der Schmerzlevel betrug im Mittel 1,88 Punkte (SD ± 1,77) auf der visuellen Analogskala (VAS). Bezüglich des Parameters Kraft konnten die Patienten im Mittel 1,91 kg in 90° Abduktion für 5 s halten (SD ± 0,95). Das Bewegungsausmaß betrug im Mittel (Abb. 2):

Abb. 2
figure 2

Übersicht des aktiven Bewegungsausmaßes in Grad (°)

  • Anteversion 102° ± 24°,

  • Abduktion 91,0° ± 19°,

  • Außenrotation 16,3° ± 5,1°,

  • Innenrotation 59,4° ± 21,8°.

Von allen Patienten wiesen 13 ein kognitives Defizit in Form einer Demenz auf (> 9 Punkte MMSE), die übrigen 21 Patienten wiesen kein kognitives Defizit auf. Eine Übersicht der Studienteilnehmer ist in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Darstellung einzelner Parameter der teilnehmenden Patienten

Geriatrische Rehabilitation/Anschlussheilbehandlung

Der stationäre Akutkrankenhausaufenthalt dauerte im Mittel 9,8 ± 3,1 Tage. Von den inkludierten Patienten gingen 27 (79,4 %) in eine frührehabilitative geriatrische Komplexbehandlung und 7 (20,6 %) in eine gewöhnliche stationäre Anschlussheilbehandlung. Weder im funktionellen Outcome noch hinsichtlich Lebensqualität oder Institutionalisierung zeigten sich Unterschiede zwischen der Art der Anschlussheilbehandlung (frührehabilitative geriatrische Komplexbehandlung oder Anschlussheilbehandlung). Der Vergleich des funktionellen Ergebnisses zwischen diesen 2 Gruppen zeigt statistisch keinen relevanten Unterschied (54 vs. 53 Punkte im CS; p = 0,6525).

Lebensqualität

Die Lebensqualität nach Versorgung einer proximalen Humerusfraktur mittels inverser modularer Frakturprothese zeigte nach Erhebung des EQ-5D™ eine HRQoL (EQ-5D™-Indexwert) von 0,802 (SD ± 0,09, Range 0,6–0,927). Auch zwischen Patienten mit/ohne Demenz zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied (p = 0,207; 95 %-Konfidenzintervall [CI] − 0,1126–0,01396).

Institutionalisierung

Als wichtiges Kriterium für ein posttraumatisches relevantes Funktionsdefizit kann auch die Minderung des Ausmaßes von Selbstständigkeit bzw. deren Verlust angesehen werden. Gemeint ist die Inanspruchnahme fremder Hilfe bis hin zur Aufgabe des eigenen Haushalts (Tab. 2). In mittelbarer Folge der proximalen Humerusfraktur änderte sich die Institutionalisierung bei einem Patienten dauerhaft (2,94 %), dieser Patient musste bei deutlichem funktionellem Defizit dauerhaft in ein Pflegeheim institutionalisiert werden, ein Patient benötigte im Mittel einmal pro Tag Hilfe durch Angehörige, jedoch im eigenen Haushalt, und ein weiterer Patient benötigte temporär eine Kurzzeitpflege (für 4 Wochen). Zu weiteren Neuinstitutionalisierungen oder Institutionalisierungsveränderungen kam es nicht. Jener Patient mit dauerhafter Institutionalisierung weist einen vergleichsweise niedrigen CS-Wert auf (Tab. 2).

Komplikationen

Zum Nachuntersuchungszeitpunkt war eine Komplikation zu verzeichnen (2,94 %). Bei dieser Komplikation (nicht revisionspflichtig) handelt es sich um eine inkomplette N.-radialis-Parese, welche sich in Regression befindet. Entsprechend neurologischer Untersuchung handelt es sich am ehesten um einen Traktionsschaden. Luxationen, Infektionen oder andere Komplikationen traten nicht auf.

Diskussion

Die eingangs gestellte Nullhypothese, ob die proximale Humerusfraktur mit folgender Versorgung durch eine inverse Schultergelenkstotalendoprothese die Lebensqualität wesentlich reduziert, ein schlechtes funktionelles Outcome generiert und eine hohe Institutionalisierungsrate aufweist, konnte in Bezug auf alle 3 Punkte widerlegt werden.

Die Anzahl an Studien zur primären Versorgung proximaler Humerusfrakturen mit inverser Schulterendoprothese ist gering. Es konnte keine Studie gefunden werden, welche sich mit der Lebensqualität und/oder Institutionalisierung nach inverser Frakturprothesenimplantation nach Humeruskopffraktur beschäftigt.

Funktionelles Ergebnis

Klein et al. [32] postulierten 2008 an 20 Patienten mit einem mittleren Alter von 75 Jahren ein Bewegungsausmaß nach inverser Prothesenimplantation von Anteversion 123° und Abduktion 112°. Vergleichbare Ergebnisse konnten Merschin u. Stangl [35] auch in einer vorherigen Studie zeigen. Tab. 3 stellt einen Überblick über Studien zur inversen Frakturprothese dar. Je nach Fraktursituation bestehen auch Optionen zur Osteosynthese oder Hemiarthroplastie.

Tab. 3 Übersicht von Studien zur Versorgung proximaler Humerusfrakturen mit inverser Prothese

Gallinet et al. [22] publizierten 2009 eine vergleichende Studie zwischen inverser Schulter- und Hemiprothese. Im Constant-Score war die inverse Prothese der Hemiprothese überlegen (53 vs. 39 Punkte). Das Fazit der Autoren ist eine gute aktive Beweglichkeit nach inverser Prothesenversorgung mit vorhersehbaren Ergebnissen, jedoch eingeschränkter Rotation.

Einige Jahre später veröffentlichten Gallinet et al. [21] vergleichbare Ergebnisse bei 41 Patienten. Hier wies die Gruppe mit konsolidierten Tuberkula deutlich bessere funktionelle Ergebnisse im CS auf (65 vs. 50 Punkte), gleichwohl ein Ausbleiben der Heilung nicht zu einem funktionellen Desaster führt.

In einer Untersuchung von Cazeneuve et al. [11] waren 42 % der Patienten mit dem Ergebnis unzufrieden – v. a. infolge der reduzierten Rotation. Es bleibt jedoch zu erwähnen, dass ein sehr inhomogenes Follow-up (1 bis 17 Jahre) vorlag [11].

Reitman et al. [43] zeigten 2011 in einer vergleichenden Studie bessere Ergebnisse für die Hemiprothese (CS 84 Punkte) gegenüber der inversen Frakturprothese (CS 67 Punkte). Die Autoren empfehlen die inverse Schulterprothese lediglich als „salvage procedure“.

Ebenfalls vergleichbare Ergebnisse zeigten Valenti et al. [47] mit einem CS von 54,9 Punkten nach 22,5 Monaten (mittleres Follow-up).

Die Funktion auf der einen Seite wie auch die frühest mögliche Belastbarkeit der versorgten Extremität spielen im Alltag eine entscheidende Rolle, um diese bei voller axialer Belastbarkeit zeitnah als Stützorgan nutzen zu können [44]. Dies ist bedeutsam hinsichtlich der Selbstständigkeit/Selbstversorgung in gewohnter Umgebung aus der Zeit vor dem Trauma, wie auch zur Prävention weiterer Verletzungen.

Lebensqualität

Bereits im Jahr 2011 untersuchten Olerud et al. [40], ob der EQ-5D™ ein geeignetes Instrument zur Evaluation der Lebensqualität nach singulärer Verletzung in Form einer proximalen Humerusfraktur darstellt. Das Ergebnis war die Empfehlung dieser Methode zur Erhebung der Lebensqualität nach proximaler Humerusfraktur. In einer weiteren Untersuchung an 60 Patienten zeigten Olerud et al. mit einem 2-Jahres-Follow-up einen EQ-5D™-Indexwert von 0,70 nach winkelstabiler Plattenosteosynthesenversorgung gegenüber 0,59 nach konservativer Therapie (p = 0,26 [39]). Die von den Autoren erhobenen Ergebnisse zeigen eine bessere Lebensqualität nach Versorgung mit inverser Frakturprothese (HRQoL 0,802). Sowohl Patienten mit Demenz (HRQoL 0,8298) und ohne Demenz (HRQoL 0,7836) zeigen hier bessere Ergebnisse als nach Plattenosteosynthesenversorgung (Philos®, Fa. Synthes) oder konservativer Therapie [39]. Trotz des etwas reduzierten Werts bei Patienten ohne Demenz liegt hier kein statistisch signifikanter Unterschied vor.

Gleichfalls ist zu erwähnen, dass die fehlende Erfassung des kognitiven Defizits vor Trauma und Intervention eine Schwäche der Studie darstellt. Ebenfalls 2011 zeigten Olerud et al. [38] die Überlegenheit hinsichtlich der Lebensqualität (HRQoL 0,81) der Hemiarthroplastie (Global Fx®, Fa. DePuy) gegenüber der konservativen Therapie (HRQoL 0,65). Diese Ergebnisse nach Hemiarthroplastie zeigen folglich ähnlich gute Ergebnisse hinsichtlich der HRQoL wie hier nach inverser modularer Schulterprothese dargestellt. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass eine derartige Verletzung einen erheblichen negativen Einfluss auf die Lebensqualität hat. Resümierend stellt die hier gewählte Versorgungsoption dennoch eine hervorragende Wiederherstellung einer guten Lebensqualität dar. Interessant wäre zusätzlich die Erhebung der Lebensqualität vor dem Traumaereignis. Weiterhin können die hiermit gewonnenen Daten genutzt werden, um eine Effizienzerhebung zur Bestimmung der „quality-adjusted life years“ (QALYs) im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung durchzuführen. Nach unserer Kenntnis hat sich bisher keine andere Studie mit der Lebensqualität nach inverser Schulterprothesenimplantation bei proximalen Humerusfrakturen beschäftigt.

Institutionalisierung

Die Institutionalisierung wird im Wesentlichen durch eine verminderte Funktion beeinflusst, ferner durch eine Reduktion des Gesamtgesundheitszustands inkl. des kognitiven Zustands. Weitere Faktoren sind Alter, Geschlecht, Anzahl der Kinder, Familienstand und ökonomische Faktoren [6]. Bisher gibt es ausgesprochen wenig Literatur, welche sich mit den nichtorganspezifischen Folgen nach proximaler Humerusfraktur beschäftigt. Mittelbare Folge einer solchen Verletzung mit akutstationärer Krankenhausbehandlung kann auch eine (Teil-)Aufgabe der Selbstständigkeit/Selbstversorgung sein. Covinsky et al. 15] wiesen bereits 2003 nach, dass akute Erkrankungen ein erhöhtes Institutionalisierungsrisiko darstellen. Besonders gefährdet sind Personen mit kognitiven Defiziten [9].

Um der Institutionalisierung zu entkommen, haben sich Anschlussheilbehandlungen, inkl. der geriatrischen Rehabilitation, als zielführend erwiesen. Funktionelle Fähigkeiten können verbessert werden, um eine Pflegebedürftigkeit zu vermeiden [2]. Eine vergleichbare Wirksamkeit bei dementen Patienten wird aktuell diskutiert [18]. Mitunter werden bereits demenzspezifische Rehabilitationsprogramme angeboten. Diese zeigten vergleichbare Ergebnisse zu Patienten ohne Demenz [18, 29, 42]. Sowohl Fusco et al. [20] wie auch Denti et al. [17] konnten die Demenz jedoch als negativen Prädiktor des Outcomes nachweisen. In unserer Untersuchung zeigte sich die Demenz nicht als negativer Prädiktor für das funktionelle Outcome. Die einzige (sekundär) institutionalisierte Patientin wies keine Demenz auf.

Einsiedel et al. [19] untersuchten 2006 u. a. den Anteil institutionalisierter Patienten nach proximaler Humerusfraktur. In der Folge wurden 17 % der Patienten institutionalisiert (von daheim in betreutes Wohnen 15 %; von betreutem Wohnen in ein Pflegeheim 2 %). Ferner zeigten Einsiedel et al., dass das 90-Tages-Mortalitätsrisiko mit einer Odds Ratio (OR) von 1,4 (95 %-CI 1,3–1,5) kaum unter jenem einer proximalen Femurfraktur liegt (OR 1,6; 95 %-CI 1,5–1,6). Eine Institutionalisierung muss auch unter dem Aspekt des Sturzrisikos vermieden werden. Granacher et al. [25] zeigten 2013, dass das Sturzrisiko bei Pflegeheimbewohnern auf 1,6 Stürze/Jahr steigt (Referenz: selbstständig daheim lebende Menschen ca. 0,7 Stürze/Jahr). Nach unserer Kenntnis hat sich bisher keine andere Studie mit der Institutionalisierung nach inverser Schulterprothesenimplantation bei proximalen Humerusfrakturen beschäftigt.

Komplikationen

In der vorhandenen Literatur werden die Komplikationen zwischen 8 und 55 % angegeben [13]. Die relativ häufigste Komplikation stellt die Luxation mit 7–31 % dar, für gewöhnlich tritt diese frühzeitig innerhalb der ersten 6 Monate auf [7, 12, 13, 16, 23, 27, 34]. Die hier erfasste Komplikationsrate von 2,94 % liegt entsprechend deutlich darunter. Interessant ist, dass trotz einer Fallzahl von n = 34 keine Luxation auftrat. Chalmers et al. [12] ermittelten die nachstehenden Faktoren als begünstigend für eineeine Luxation:

  • BMI > 30 kg/qm,

  • männliches Geschlecht,

  • Voroperation am betroffenen Schultergelenk und

  • Insuffizienz des M. subscapularis.

Die Studie weist einige Stärken auf. Dazu gehört die definierte Patientengruppe, die definierte Verletzungsart, die Durchführung der Operation durch einen erfahrenen Schulterchirurgen, die Nachuntersuchungsquote von 100 % und auch die Nutzung validierter Instrumente zur Erhebung von Lebensqualität und Funktion wie EQ-5D™ und Constant-Score. Zusätzlich wurden die Ergebnisse durch einen unbefangenen Untersucher erhoben. Limitierungen sind: Infolge der Patientenzahl von 34 stellen die statistischen Ergebnisse nur Assoziationen dar, jedoch keine signifikanten Unterschiede. Auch wäre eine Erfassung der Lebensqualitätsänderung nach Trauma/operativer Intervention und des kognitiven Defizits interessant. Dies setzt jedoch eine prospektive Erfassung voraus. Es handelt sich um eine retrospektive Studie mit inhomogenem Follow-up ohne Vergleichsgruppe.

Fazit für die Praxis

  • Durch die primäre Versorgung proximaler Humerusfrakturen mit inverser Endoprothese lassen sich eine sehr gute Schmerzreduktion und gute bis befriedigende funktionelle Ergebnisse in der Altersgruppe ≥ 65 erreichen.

  • Die Ergebnisse werden bei Vorliegen eines kognitiven Defizits nicht negativ beeinflusst.

  • Eine gute gesundheitsbezogene Lebensqualität kann wiederhergestellt werden.

  • Die Institutionalisierungsrate nach inverser Frakturprothese ist sehr gering.

  • Ziel der Therapie einer solchen Fraktur ist neben Funktionsherstellung und Schmerzreduktion auch die „Rehabilitation vor Pflege“ zum Erhalt einer bestmöglichen Selbstständigkeit.