Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags

  • wissen Sie, wie Sie eine Pseudarthrose diagnostizieren und korrekt klassifizieren,

  • kennen Sie die Unterschiede zwischen osteogen, osteoinduktiv und osteokonduktiv,

  • sind Ihnen die Standardtherapieverfahren zur Behandlung einer Pseudarthrose geläufig,

  • sind Ihnen alternative und neue Therapieverfahren zur Behandlung einer Pseudarthrose inklusive der hypothetischen Vor- und Nachteile bekannt,

  • können Sie die einzelnen Verfahren entsprechend ihrer klinischen Relevanz einordnen.

„No two cases of non-union are apparently alike.“ [1]

Pseudarthrosen stellen ein relevantes medizinisches und sozioökonomisches Problem dar. Die Behandlung ist häufig langwierig und individuell auf den Patienten abzustimmen. Für den Patienten bedeutet eine Pseudarthrose meist eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität. Für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft entstehen hohe Kosten. Somit kommen der Optimierung und Standardisierung der Therapie wichtige Bedeutung zu.

Definition

Eine einheitliche Definition für das Vorliegen einer Pseudarthrose fehlt [2].

Als verzögerte Frakturheilung bezeichnet man im Allgemeinen eine fehlende knöcherne Konsolidierung im erwarteten Zeitraum, meist nach 3 bis 6 Monaten, wobei der Heilungsprozess grundsätzlich fortschreitet und der Heilungsausgang zumindest unsicher ist [3].

Um eine Pseudarthrose handelt es sich, wenn – je nach Definition im Zeitraum von 3 bis 9 Monaten nach dem Trauma – der Heilungsprozess stillsteht und keine knöcherne Konsolidierung erfolgt [3]. Die FDA („Federal Drug Administration“) definierte eine Pseudarthrose als ausbleibende Frakturheilung nach 9 Monaten, wenn radiologisch keine Progression der Frakturdurchbauung über 3 Monate zu sehen ist [4]. In Deutschland spricht man in der Regel von einer Pseudarthrose, wenn die Fraktur nach > 6 Monaten nicht knöchern konsolidiert ist.

In der Praxis werden insbesondere die ausbleibende Dynamik der Frakturheilung sowie die fehlende kortikale Kontinuität bewertet.

Epidemiologie – Ätiologie – Pathogenese

Eine verzögerte Frakturheilung tritt bei 5–10 %, eine Pseudarthrose bei 1–5 % aller Frakturen auf. Allerdings variiert die Inzidenz erheblich in Abhängigkeit vom betroffenen Knochen, Weichteilschaden und individuellen Risikofaktoren. So sind bei Frakturen langer Röhrenknochen der unteren Extremität Pseudarthrosenraten von 3–48 % publiziert [5], bei offenen Tibiaschaftfrakturen wurden diese mit 10–30 % angegeben [6]. Ein weiteres Problem bei der Angabe der Pseudarthroseninzidenz stellt die uneinheitliche Definition der Pseudarthrose (s. oben) dar.

Die Gründe für die Ausbildung einer Pseudarthrose sind im Einzelfall oft unbekannt, wenngleich es Faktoren gibt, die die Knochenheilung erfahrungsgemäß negativ beeinflussen. Diese lassen sich in lokale und systemische bzw. in patientenabhängige und -unabhängige Faktoren unterscheiden ([4], Tab. 1).

Tab. 1 Die Knochenheilung beeinflussende Faktoren

Zu den patientenunabhängigen Faktoren zählen Frakturlokalisation und -muster sowie das Ausmaß des Weichteilschadens, die Durchblutungssituation und nicht zuletzt auch die Qualität der operativen Versorgung. Im Allgemeinen sind diaphysäre Frakturen häufiger betroffen als metaphysäre; offene Frakturen bzw. Frakturen mit erheblichem Weichteilschaden oder Knochenverlust haben ebenfalls ein erhöhtes Pseudarthroserisiko. An der unteren Extremität treten öfter Pseudarthrosen auf als an der oberen Extremität.

Zu den patientenabhängigen Risikofaktoren zählen Alter, vorhandene Komorbiditäten wie Diabetes mellitus oder pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit), aber auch Rauchen und Medikamente wie Steroide und Zytostatika, die die Knochenheilung negativ beeinflussen. Nach wie vor kontrovers diskutiert wird, ob NSAID („non steroidal anti-inflammatory drugs“) die Frakturheilung behindern. Die Gefahr einer Pseudarthrosebildung steigt entsprechend der vorliegenden individuellen Risikofaktoren.

Eine Kombination verschiedener Risikofaktoren, die sich gegenseitig beeinflussen, ist häufig.

Klassifikation

In der Literatur wird zwischen erworbenen posttraumatischen und kongenitalen Pseudarthrosen unterschieden. Die letztgenannten sind selten, auf sie wird deshalb im Folgenden nicht weiter eingegangen.

Klassifikation nach Vitalität und Heilungspotenzial (Klassifikation nach Weber u. Cech)

Die erworbenen Pseudarthrosen werden häufig nach Weber u. Cech [7] eingeteilt. Diese Klassifikation basiert auf der Vitalität und dem Heilungspotenzial des Knochens und differenziert zwischen vitalen/reaktiven Pseudarthrosen (mit ungestörtem Heilungspotenzial des Knochens) und avitalen/inaktiven Pseudarthrosen (mit gestörtem Heilungspotenzial des Knochens). Zu den vitalen bzw. reaktiven Pseudarthrosen zählen die hypertrophen, normotrophen und oligotrophen Pseudarthrosen. Die avitalen bzw. inaktiven Pseudarthrosen werden weiter unterteilt in dystrophe (mit interfragmentärem Drehkeil), nekrotisch-avaskuläre, atrophe und Defektpseudarthrosen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

a Hypertrophe Klavikulapseudarthrose, b atrophe Humeruspseudarthrose, c septische Pseudarthrose (Computertomographie: septische Pseudarthrose mit noch einliegendem Nagel; Röntgen: septische Pseudarthrose nach Revision mit Débridement und Ketteneinlage), d septische Defektpseudarthrose nach Mehretagentibiafraktur, infizierter Knochen bereits reseziert, mit lokalen Antibiotikaträgern aufgefüllter Defekt vor geplantem Segmenttransport

Klassifikation nach radiologischen Kriterien

In der klinischen Anwendung bewährte sich eine vereinfachte Klassifikation nach radiologischen Kriterien. Unterschieden werden hierbei

  • hypertrophe

  • atrophe und

  • oligotrophe Pseudarthrosen.

Die hypertrophen (Elefantenfuß-)Pseudarthrosen sind kallusreich, jedoch ohne die Fraktur ausreichend stabil zu überbrücken. Die Durchblutung ist ungestört, der Knochen ist vital und besitzt Heilungspotenzial. Hauptursache für die Ausbildung hypertropher Pseudarthrosen ist die mechanische Instabilität . Die Prognose ist gut (Abb. 1 a).

Bei atrophen Pseudarthrosen hingegen fehlt die Kallusbildung. Die Frakturenden sind sklerotisch und häufig verschmälert. Die Durchblutung ist gestört, der Knochen besitzt keine osteogenetische Potenz, also kein Heilungspotenzial. Ursache dieser Pseudarthrose ist häufig der primäre Schaden, der zu einer gestörten Durchblutung führt, aber auch iatrogen kann durch ausgedehnte Deperiostierung eine avitale Pseudarthrose entstehen (Abb. 1 b).

Bei den oligotrophen Pseudarthrosen ist der Knochen vital, biologisches Heilungspotenzial ist grundsätzlich vorhanden. Jedoch wird nur wenig oder gar kein Kallus gebildet. Radiologisch sind die Frakturenden – im Gegensatz zu den atrophen Pseudarthrosen – nicht verschmälert.

Klassifikation nach Paley

Sie unterscheidet bei Pseudarthrosen der Tibia Knochenverluste < 1 cm (Typ A) und > 1 cm (Typ B) mit weiteren Untergruppen [8]. Prinzipiell lässt sich diese Klassifikation auch auf andere Knochen übertragen.

Einteilung nach Infektionsstatus

Auch eine Differenzierung in aseptische und septische Pseudarthrosen ist möglich (Abb. 1 c,d).

Ursache der septischen Pseudarthrosen ist meist ein bakterieller Infekt , der akut, subakut oder chronisch verlaufen kann. Häufigster Erreger ist dabei Staphylococcus aureus. Bei initial zweit- und drittgradig offenen Frakturen steigt das Risiko, eine septische Pseudarthrose mit chronischer Osteitis zu entwickeln.

Cierny-Mader-Klassifikation

Hier wird nicht nur das Stadium der Osteomyelitis beurteilt, sondern die Patienten werden auch entsprechend ihres physiologischen Status stratifiziert [9]. Je nach Möglichkeit der individuellen Belastbarkeit werden die Patienten in Untergruppen eingeteilt, sodass das Risiko-Nutzen-Verhältnis der geplanten Therapie besser einschätzbar ist.

Neuere Score-Systeme

Sie haben zum Ziel, die Klassifikation der Pseudarthrose weiter zu spezifizieren.

Mit dem „non-union scoring system“ (NUSS) können komplexe Pseudarthrosen mit der Notwendigkeit aufwendiger therapeutischer Verfahren frühzeitig von einfachen Pseudarthrosen unterschieden werden [1].

Im „radiographic union scale for tibial fractures“ (RUST) werden die Kallusbildung und die Frakturlinie aller 4 Kortizes einzeln beurteilt [10]. Eine bessere Interobserverreliabilität im Vergleich zu anderen konventionellen Techniken zur Beurteilung der Frakturdurchbauung konnte nachgewiesen werden, allerdings fehlt bisher der Nachweis einer Korrelation mit dem funktionellen Outcome [10].

NUSS und RUST setzten sich in der Praxis bisher noch nicht durch.

Resümee

Grundsätzlich gilt: Die korrekte Klassifikation von Pseudarthrosen gibt bereits Aufschluss über die erforderliche Therapie, wobei die Übergänge zwischen den einzelnen Formen fließend sein können.

Diagnostik

Um eine Pseudarthrose sicher zu diagnostizieren, ist meist eine Kombination aus klinischen und radiologischen Kriterien erforderlich [11].

Anamnese, Klinik und Laborparameter

Bei der Anamnese ist auf bekannte Risikofaktoren, auf Schwierigkeiten bei der primären Frakturversorgung und auf einen komplizierten postoperativen Verlauf zu achten (Tab. 1).

Das wichtigste klinische Kriterium ist der Schmerz. Häufig liegen eine Belastungsinsuffizienz und/oder lokale Druckschmerzen vor [12]. Bedingt durch die Instabilität kann es zur Implantatlockerung oder zum Implantatbruch mit Achsabweichung kommen. Schwellung, Rötung und Überwärmung können sowohl durch die Instabilität bedingt als auch Hinweis auf einen Infekt sein. Typische Zeichen einer septischen Pseudarthrose sind Fisteln.

Die laborchemische Untersuchung ist bei Pseudarthrosen in der Regel unauffällig. Bei septischen Pseudarthrosen können die Infektparameter – C-reaktives Protein (CRP), Leukozyten und BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit) – erhöht sein. Bei chronischen oder Low-Grade-Infekten sind diese ggf. aber auch normwertig. Bei Patienten mit Pseudarthrose ohne bekannte Risikofaktoren sollte zudem eine endokrinologische Abklärung mit Bestimmung der Konzentrationen von Kalzium im Serum, Vitamin D, TSH (Thyroidea stimulierendes Hormon), Phosphat und alkalischer Phosphatase in Erwägung gezogen werden [4].

Insbesondere zur Risikoabschätzung sowie zur weiteren Therapieplanung müssen zudem die periphere Durchblutungssituation und der neurologische Status überprüft werden. Ist die untere Extremität betroffen, ist präoperativ zu ermitteln, ob eine Beinlängendifferenz vorliegt [4]. Auch Bewegungseinschränkungen der angrenzenden Gelenke sind vor dem Eingriff abzuklären.

Bildgebung

Röntgen

Nativradiologische Aufnahmen in 3 Ebenen (a.-p./seitlich/schräg) sind die Basis der bildgebenden Diagnostik. Als wichtigste radiologische Kriterien gelten kortikale Kontinuität sowie der progressive Verlust der Frakturlinie, weswegen der Vergleich mit vorangegangenen Röntgenaufnahmen unverzichtbar ist [12]. Kallusgröße und -ausdehnung sind weniger aussagekräftig, da Kallusbildung auch bei hypertrophen Pseudarthrosen zu beobachten ist. Zunehmende Frakturdislokation oder Materialversagen weisen auf eine Pseudarthrose hin [11]. Bei septischen Pseudarthrosen können Sequester, Spongiosasklerose, Osteolysen und periostale Reaktionen vorliegen.

Häufig sind nativradiologische Aufnahmen jedoch nicht eindeutig. Insbesondere metaphysäre Pseudarthrosen können hiermit schwierig zu diagnostizieren sein. In einer Studie von Bhattacharyya et al. [13] wurde die Sensitivität nur mit 54 % bei einer Spezifität von 63 % angegeben.

Weiterführende bildgebende Diagnostik

Bei unklaren Befunden in der nativradiologischen Diagnostik, aber auch zur Darstellung von avitalem Knochen und Sequestern sowie zur exakten präoperativen Planung ist die Computertomographie (CT) das Verfahren der Wahl. Bei einer Sensitivität von 100 % liegt die Spezifität der CT bei 62 % [13]. In den meisten Fällen wird heute vor einem Revisionseingriff eine CT durchgeführt.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) kommt v. a. beim Verdacht auf eine septische Pseudarthrose zur Diagnosesicherung und präoperativen Planung zum Einsatz. Das Ausmaß des Knochenbefalls und der Weichteilbeteiligung können mit der MRT dargestellt werden. Einliegendes Osteosynthesematerial erschwert jedoch die Auswertung der Aufnahmen bzw. macht sie ggf. sogar unmöglich. Zudem kann mittels MRT bei Weichteilveränderungen nicht sicher zwischen Ödem, postoperativen und septisch bedingten Veränderungen differenziert werden, was die Auswertung der Aufnahmen weiter einschränkt.

Mit der PET-CT (PET: Positronenemmissionstomographie) sind avitale Knochenanteile erkennbar. Die erforderliche Resektionshöhe kann so präoperativ bestimmt werden. In der Praxis wird dieses Verfahren jedoch nur selten eingesetzt.

Die 3-Phasen-Skelettszintigraphie dient dazu, einen erhöhten Knochenstoffwechsel nachzuweisen. Eine Differenzierung zwischen atrophen und oligotrophen Pseudarthrose ist mit diesem Verfahren möglich. Mit der Weiterentwicklung anderer diagnostischer Verfahren (v. a. PET-CT) verlor die Skelettszintigraphie jedoch an Bedeutung und wird nur selten genutzt.

Die Sonographie kann zur Verlaufskontrolle der Kallusbildung – auch beim Segmenttransport – verwendet werden, insbesondere bei oberflächlich gelegenen Knochen (z. B. Tibia). Allerdings ist das Untersuchungsergebnis erheblich von der Erfahrung des Anwenders abhängig, die Reproduzierbarkeit ist schlecht. Insgesamt kommt der Sonographie in der Diagnostik der Pseudarthrose nur eine untergeordnete Bedeutung zu.

Biopsie

Bei klinischem oder radiologischem Verdacht auf das Vorliegen einer septischen Pseudarthrose werden prä- bzw. intraoperativ eine Punktat- oder eine Biopsieentnahme empfohlen. Eine oberflächliche Abstrichentnahme – z. B. beim Vorliegen von Fisteln – ist in der Regel nicht ausreichend, da die Sensitivität gering ist. Die Ergebnisse können zudem durch Kontamination mit Hautkeimen verfälscht werden. Aber auch bei unter sterilen Kautelen gewonnenen Punktaten ist die Rate der falsch-negativen Resultate hoch. Die Sensitivität von Punktaten wird mit 45–100 % angegeben, die Spezifität mit 67–100 % [14]. Durch eine offene Biopsie kann die Rate der falsch-negativen Ergebnisse im Vergleich zu Punktaten gesenkt werden [15].

Resümee

Ziel der Diagnostik ist, eine Pseudarthrose möglichst frühzeitig sicher zu identifizieren und korrekt zu klassifizieren. Das Stellen der Diagnose wird dadurch erschwert, dass klinische Symptome wie Schmerzen bei einer stabilen Osteosynthese fehlen können und die radiologischen Befunde oft nicht eindeutig sind.

Es gibt zudem keine allgemeingültigen Kriterien, um die Entwicklung einer Pseudarthrose sicher vorherzusagen. Bei Patienten mit verzögerter Frakturheilung steigt mit zunehmender Zeit auch die spontane Heilungsrate [16]. Neben den oben genannten patientenabhängigen und -unabhängigen Faktoren, die das Risiko für die Entstehung einer Pseudarthrose erhöhen, gibt es neuerdings Hinweise, dass eine erniedrigte Serumkonzentration von TGF-β1 („transforming growth factor β1“) 4 Wochen nach dem Trauma ein Prädiktor für eine verzögerte Frakturheilung sein könnte [17].

Für eine gezielte Diagnose ist meist eine Abwägung aller Faktoren nötig, wobei insbesondere der Verlauf bzw. die Dynamik der Frakturheilung berücksichtigt werden müssen. Einen konkreten Zeitpunkt der Revision zu definieren, ist nicht sinnvoll.

Das diagnostische Vorgehen bei Verdacht auf das Vorliegen einer Pseudarthrose ist in Abb. 2 zusammengefasst.

Abb. 2
figure 2

Diagnostik von Pseudarthrosen, CRP C-reaktives Protein, CT Computertomographie, mind. mindestens, MRT Magnetresonanztomographie, OP Operation, PA Pseudarthrose, PET Positronenemmissionstomographie, pos. positiv, postop. postoperativ, Skelett-Szinti Skelettszintigraphie

Therapie

Ziel sind die achsgerechte knöcherne Frakturkonsolidierung und damit das Erreichen einer schmerzfreien Belastbarkeit der betroffenen Extremität. In der Regel ist eine operative Revision erforderlich.

„Diamond concept“

Knochenheilung ist ein dynamischer Prozess, der multifaktoriell bedingt ist.

Das „diamond concept“ beschreibt 5 Säulen, auf denen eine regelrechte Knochenheilung beruht [18, 19]:

  • Mechanische Stabilität

  • Osteogenese (mesenchymale Stammzellen): Vitale Zellen mit Knochen bildendem Potenzial sind vorhanden.

  • Osteoinduktion (Wachstumsfaktoren): Wachstumsfaktoren fördern die Differenzierung mesenchymaler Stammzellen, die Knochenneubildung wird angeregt.

  • Osteokonduktion (Gerüst): Materialien, die als poröses Gerüst die Matrix für neue Knochenzellen bilden, können osteokonduktiv wirken.

  • Vaskularität: Nicht nur der Knochen, sondern auch die umgebenden Weichteile müssen für eine regelrechte Knochenheilung ausreichend durchblutet sein.

Einfluss auf die Knochenheilung haben zudem prädisponierende Faktoren des Patienten. Bei einer gestörten Knochenheilung müssen die 5 Säulen gleichwertig beachtet und optimiert werden.

Prinzipien

Präoperativ sind eine exakte Analyse und Klassifikation der Pseudarthrose essenziell. Die Therapie erfolgt abhängig von der Ursache der Fehlheilung.

Hypertrophe Pseudarthrose entstehen durch mechanische Instabilität bei vitalem Knochen. Eine Osteosynthese mit höherer Stabilität ist in diesen Fällen meist ausreichend (Abb. 3). Bei atrophen Pseudarthrose hingegen sind die Frakturenden avital. Hier sind zusätzlich eine Verbesserung der Durchblutung sowie eine Stimulation der Osteogenese erforderlich (Abb. 4). Bei septischer Pseudarthrose steht die Infektsanierung im Vordergrund. Defektpseudarthrosen erfordern zudem einen Knochenaufbau (Abb. 5).

Abb. 3
figure 3

Therapie bei hypertropher Pseudarthrose, a hypertrophe Pseudarthrose bei mechanischer Instabilität, b Verfahrenswechsel mit Entfernung der einliegenden TENS („titanic elastic nails“) und anschließender Plattenosteosynthese, c Ausheilung

Abb. 4
figure 4

Therapie atrophe Pseudarthrose, a atrophe Pseudarthrose, b Pseudarthrosenrevision mit Dekortikation und autologer Spongiosaplastik, c Ausheilung

Abb. 5
figure 5

Therapiekonzepte von a hypertrophen, b atrophen, c therapierefraktären Pseudarthrosen, BMP „bone morphogenic protein“, Fix. ex. Fixateur externe

Unabhängig davon, welcher Typ einer Pseudarthrose vorliegt, ist eine ausreichende Weichteildeckung mit gut vaskularisiertem Gewebe für die Knochenheilung von großer Bedeutung.

Basierend auf dem „diamond concept“ stehen für die einzelnen Säulen verschiedene Verfahren zur Verfügung, die im Folgenden beschrieben werden (Tab. 2).

Tab. 2 Eigenschaften der einzelnen Verfahren

Mechanische Stabilität – Osteosynthesen

Die Wahl des Osteosyntheseverfahrens hängt im Wesentlichen vom betroffenen Knochen, der Frakturart sowie den vorangegangenen Osteosynthesen und der Weichteilsituation ab. In jedem Fall muss auf Weichteilschonung geachtet werden, eine Deperiostierung ist unbedingt zu vermeiden. Der Frakturspalt sollte minimiert werden, und – wenn möglich – sind die Frakturenden unter Kompression zu bringen [18].

Bei den häufigen Tibiaschaftpseudarthrosen ist der aufgebohrte Marknagel das Verfahren der Wahl. Durch das Aufbohren kommt es zu einer sog. inneren Spongiosaplastik und als weiteren Effekt zur Stimulation der Angioneogenese [20]. Die Dynamisierung eines Verriegelungsmarknagels oder die primäre Verwendung eines Kompressionsnagels bewirken eine weitere Kompression auf den Frakturspalt. Alternativ – auch additiv – können (Doppel-)Plattenosteosynthesen verwendet werden. Hier kommen zunehmend winkelstabile Implantate zum Einsatz, die minimalinvasiv eingebracht werden. Wichtig ist eine ausreichende Plattenlänge zu wählen.

Bei septischer Pseudarthrose ist der Fixateur externe – unilateral, dreidimensional oder als Ringfixateur – das Verfahren der Wahl.

Bei gebrochenen Implantaten kann das Verwerfen des Materials nach der Entfernung im Falle eines Regresses zu Lasten des Arztes ausgelegt werden. Im Einzelfall kann dies nach gefestigter Rechtsprechung bis zur Umkehr der Beweislast führen. Daher wird bei Implantatversagen nach der Materialentfernung eine Aufbewahrung von 10 Jahren für die gebrochenen Implantate empfohlen. Wird das Implantat dem Patienten ausgehändigt, sollte dieser den Erhalt schriftlich bestätigen.

Autologe Spongiosa

Sie ist der Goldstandard in der Pseudarthrosentherapie [21, 22, 23]. Sie verfügt als einziges Transplantat gleichzeitig über osteogene, osteoinduktive und osteokonduktive Eigenschaften.

Indikationen sind oligo- und atrophe, aber auch Defekt- und sogar septische Pseudarthrosen. Autologe Spongiosa hat keine primäre mechanische Funktion, die mechanische Stabilisierung muss daher anderweitig gewährleistet sein. Bei größeren knöchernen Defekten können alternativ trikortikale Beckenkammspäne oder freie vaskularisierte Knochentransplantate (z. B. Fibula) zur zusätzlichen Stabilisierung eingesetzt werden. Von Vorteil ist die schnelle und anhaltende strukturelle Abstützung, allerdings ist der Einsatz dieser Transplantate zeitaufwendig und technisch anspruchsvoll.

Bei hypertropher Pseudarthrose ist die Spongiosaplastik vom Prinzip her nicht erforderlich, da hier die mechanische Instabilität ursächlich ist. Eine stabile Osteosynthese mit Kompression auf den Frakturspalt führt in der Regel zur Ausheilung.

Häufigste Entnahmestellen für autologe Spongiosa sind der vordere und der hintere Beckenkamm.

Von Nachteil ist die hohe Entnahmemorbidität, die in der Literatur mit bis zu 30 % angegeben wird. Typische Komplikationen sind Hämatome, Infektionen und chronische Schmerzen an der Entnahmestelle [21]. Außerdem steht autologe Spongiosa nur in begrenzter Menge zur Verfügung. Ein weiteres Manko – auch aus ökonomischer Sicht – ist die zusätzliche Operationszeit, die für die Spongiosaentnahme benötigt wird.

Voraussetzung für den Erfolg einer Spongiosaplastik sind

  • eine gut vaskularisierte Umgebung,

  • ein enger Kontakt zwischen Spongiosa und Umgebung,

  • mechanische Stabilität.

Eine gut vaskularisierte Umgebung für die Spongiosa wird durch die Dekortikation geschaffen. Dabei ist die Pseudarthrose sorgfältig von Bindegewebe zu debridieren, der avitale Knochen wird reseziert. In der Literatur wurde von Judet [24] der Begriff der „decortication osteomusculaire“ geprägt, der eine suffiziente Technik der Dekortikation beschreibt. Dabei wird die Pseudarthrose dargestellt, indem das Periost scharf inzidiert wird, ohne es von der umgebenden Muskulatur abzulösen. Mit dem scharfen Osteotom sind bei diesem Vorgehen zirkulär – mindestens 2/3 der Zirkumferenz – dünne kortikale Späne abzutrennen, die im Verbund mit dem Periost und der Muskulatur bleiben. Auf diese Weise wird die Blutversorgung sichergestellt. Die Knochenenden sind zu debridieren, bis überall durchbluteter Knochen sichtbar ist. Anschließend wird die vorher entnommene Spongiosa um den nun vitalen Knochen herum angelagert. Eine Deperiostierung ist unbedingt zu vermeiden, da hierdurch neue Sequester entstehen. Auch eine Elektrokoagulation sollte unterbleiben, um die Durchblutung nicht zu verschlechtern. Die Dekortikation sollte an beiden Knochenenden 2–4 cm in den gesunden Knochen reichen.

Zusammenfassend konnte trotz aller Weiter- und Neuentwicklungen bisher für kein anderes Verfahren in der Monotherapie ein Vorteil gegenüber der autologen Spongiosa nachgewiesen werden.

RIA-System (RIA: Reamer Irrigator Aspirator)

Die Verfügbarkeit autologer Spongiosa aus dem Beckenkamm ist limitiert.

Mit dem RIA-System wird der Markraum langer Röhrenknochen aufgebohrt. Hierdurch können 25–90 cm3 autologer Knochenspäne mit Stammzellen und Wachstumsfaktoren gewonnen werden [25]. Hauptindikation für das RIA-System sind große knöcherne Defekte und vorangegangene Spongiosaentnahmen aus dem Beckenkamm.

Stammzellen/Knochenmarkaspirat

Mesenchymale Stammzellen (MSC) besitzen sowohl osteogene als auch osteoinduktive Eigenschaften. Im Gegensatz zur autologen Spongiosa fehlen osteokonduktive Merkmale.

Die Effektivität ist von der Anzahl der vorhandenen Zellen abhängig. Durch eine entsprechende Aufbereitung des Knochenmarkaspirats kann eine höhere Konzentration an MSC erreicht werden [26].

Vorteil der MSC ist die Möglichkeit der perkutanen Entnahme und Transplantation. Im Vergleich zur autologen Spongiosaplastik ist die Entnahmemorbidität geringer. Daher ist dieses Verfahren insbesondere bei kleinen Defekten und kritischen Weichteilen indiziert.

„Bone morphogenic proteins“ (BMP)

BMP gehören zur Superfamilie des transformierenden Wachstumsfaktors β (TGF-β). Sie besitzen osteoinduktive Eigenschaften, indem sie eine Kaskade zur Differenzierung mesenchymaler Stammzellen initiieren.

In der Klinik finden rhBMP-2 (rh: „recombinant human“, bei offenen Tibiafrakturen mit erhöhtem Pseudarthroserisiko) und rhBMP-7 Anwendung. rhBMP-7 ist zur Behandlung von traumatisch bedingten Tibiapseudarthrosen zugelassen, die seit mindestens 9 Monaten bei Patienten mit ausgewachsenem Skelett bestehen und bei denen eine Vorbehandlung mit autologer Transplantation fehlschlug oder eine solche nicht durchführbar ist.

Der osteoinduktive Effekt für rhBMP-7 wurde in verschiedenen Studien nachgewiesen. So fanden Friedlaender et al. [27] 2001 in ihrer Hauptstudie vergleichbare klinische und radiographische Ergebnisse für rhBMP-7 wie bei Verwendung eines autologen Knochentransplantats, jedoch ohne Entnahmemorbidität. Zudem wurden mit der Kombination von rhBMP-7 und Spongiosa synergistische Effekte erzielt [23]. Allerdings ist die Evidenz trotz zahlreicher Studien – meist Fallserien – limitiert. Ein Grund hierfür ist, dass die meisten Patienten, die in den Studien mit BMP-7 behandelt wurden, Kombinationstherapien erhielten, was die Zuordnung der Wirksamkeit erschwert. Eine Überlegenheit von rhBMP-7 gegenüber autologer Spongiosa konnte bisher in der Monotherapie in keiner Studie nachgewiesen werden [6, 23, 27, 28]. Insgesamt bestätigen die klinischen Ergebnisse derzeit noch nicht die hohen Erwartungen.

Hauptindikation für die Anwendung von rhBMP-7 ist daher die Revision bei therapierefraktärer Pseudarthrose.

Thrombozytenreiches Plasma (PRP: „platelet rich plasma“)

PRP enthält autologe Wachstumsfaktoren und besitzt somit osteoinduktive Eigenschaften.

Die Evidenz bezüglich der Anwendung von PRP in der Therapie von Pseudarthrosen ist limitiert. So waren beispielsweise in einer randomisierten Studie zur Pseudarthrosentherapie die Heilungsraten schlechter, wenn PRP anstelle von rhBMP-7 zum Einsatz kam [29]. Eine zusätzliche antibakterielle Aktivität von PRP wird aktuell diskutiert.

Eine klare Indikation zur Verwendung von PRP in der Pseudarthrosentherapie existiert derzeit nicht [23, 28].

Allogene Knochentransplantate/demineralisierte Knochenmatrix

Allogene Knochentransplantate können – je nach Art der Sterilisation – osteoinduktive und osteokonduktive Eigenschaften besitzen. Durch das Sterilisationsverfahren verlieren sie jedoch an biologischer Vitalität [30].

Allogene Transplantate spielen in der Pseudarthrosenbehandlung eine untergeordnete Rolle. Sie können bei therapierefraktären Verläufen nach mehrfach erfolgter Spongiosaplastik zum Einsatz kommen.

(Tri-)kalziumphosphat/-sulfat

Kalziumphosphate besitzen nur osteokonduktive Eigenschaften. Zur alleinigen Therapie in der Pseudarthrosenbehandlung sind sie daher nicht geeignet. Ihren Stellenwert haben sie v. a. bei metaphysären und großen knöchernen Defekten als sog. Streckmittel, da autologe Spongiosa nur in begrenzter Menge zur Verfügung steht [22, 28, 31]. Floride Infekte sind Kontraindikationen für Kalziumphosphate.

Grundsätzlich wird bei Kalziumphosphaten zwischen Keramiken und Zementen unterschieden. Häufig verwendete Kalziumphosphatkeramiken sind Trikalziumphosphat und Hydroxylapatit . Die Verbindungen variieren in Bezug auf Festigkeit, Resorption und Porosität [28, 30]. Letztere hat Einfluss auf die Osteointegration und die mechanische Belastbarkeit. Kalziumphosphate werden in unterschiedlichen Formen angeboten, z. B. als Block, Granulat oder als injizierbare Variante.

Kalziumsulfate besitzen wie Kalziumphosphat osteokonduktive Merkmale. Allerdings werden sie wesentlich schneller resorbiert, häufig nach 6 bis 12 Wochen [22, 30]. Kalziumsulfate werden zudem als Träger für Antibiotika eingesetzt.

Weitere Verfahren

Biogläser basieren auf sauren und basischen Oxiden und verfügen ausschließlich über osteokonduktive Eigenschaften. Durch die Bioaktivität ihrer Oberfläche kann neuer Knochen anwachsen [30]. Sie sind jedoch aufgrund ihrer geringen mechanischen Belastbarkeit den Kalziumphosphaten unterlegen.

In aktuellen Studien wird der Einsatz von Teriparatid , einem biosynthetischen humanen Parathormon, bei der Behandlung von Pseudarthrosen untersucht. Erste Ergebnisse sind vielversprechend bezüglich einer schnelleren Knochenheilung [32]. Allerdings muss die Wirksamkeit noch abschließend nachgewiesen werden. Eine allgemeine Empfehlung zur Anwendung kann deshalb derzeit (noch) nicht gegeben werden.

Knochendefektaufbau

Bei großen knöchernen Defekten – häufig bei septischen Pseudarthrosen – können die oben genannten Techniken nicht ausreichend sein und aufwendige Verfahren zum Knochenaufbau erforderlich werden. Möglichkeiten sind das Verfahren nach Masquelet u. Begue [33], der Segmenttransport (nach Ilizarov [34]) oder auch die Transplantation von gestielten Knochentransplantaten. Auf sie wird aufgrund ihrer Komplexität im Folgenden nicht weiter eingegangen.

Weichteilmanagement – Vaskularität

Insbesondere bei septischen Pseudarthrosen oder initial höhergradig offenen Frakturen sind die umgebenden Weichteile häufig in einem kritischen Zustand. Für eine erfolgreiche Frakturheilung muss der Knochen jedoch zwingend von Weichteilen gedeckt sein. Bei Weichteildefekten ist deshalb eine plastische Rekonstruktion erforderlich.

Bei der sog. klassischen Rekonstruktion (ohne Lappenplastik) erfolgen zunächst rezidivierende Débridements zur Weichteilkonditionierung. Hier etablierte sich in den letzten Jahren die VAC-Therapie (VAC: „vacuum-assisted closure“) , da damit einerseits ein temporärer Verschluss möglich ist, andererseits das Weichteilgewebe durch das VAC-System zur Granulation und zur Angiogenese angeregt wird [35]. Nach Weichteilkonditionierung kann die definitive Deckung mittels Spalthaut oder lokaler Lappenplastik erfolgen. Ist nach wenigen VAC-Wechseln keine durchgreifende Befundänderung eingetreten, muss die Ursache hierfür – z. B. ein persistierender Infekt – identifiziert und entsprechend therapiert werden.

Alternativ und insbesondere bei größeren Defekten kommen fasziokutane, gestielte oder freie Lappenplastiken zum Einsatz. Welche Lappenplastik gewählt wird, hängt von der Größe sowie der Lokalisation des Defekts ab. Voraussetzung für jede Lappenplastik ist ein radikales Débridement, wodurch die Defekte häufig noch größer werden. Zudem sind die Lappenplastikverfahren technisch anspruchsvoll und wesentlich invasiver mit dem zusätzlichen Risiko einer postoperativen Komplikation im Bereich der Lappenentnahmestelle.

Kritische Weichteilverhältnisse erfordern eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgie und Plastischer Chirurgie.

Septische Pseudarthrosen

Im Vordergrund steht die Infektsanierung. Sie folgt den Regeln der Osteitisbehandlung mit

  • Identifizierung des Keims,

  • chirurgischer Revision mit Débridement,

  • stabiler (externer) Fixierung,

  • Weichteildeckung,

  • begleitender systemischer Antibiose.

Operativ ist ein radikales Vorgehen essenziell. Meist sind mehrfache Débridements inklusive Resektion des avitalen Knochens erforderlich. Nicht selten entsteht hierdurch ein größerer Knochendefekt mit der Notwendigkeit des späteren Knochenaufbaus .

Einliegende Implantate müssen meist entfernt werden, da sie als Fremdkörper den Infekt unterhalten. Da Instabilität jedoch ebenfalls den Infekt unterhält, ist in der Regel stattdessen eine externe Fixierung nötig.

Die Dauer der systemischen antibiotischen Therapie wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Entscheidend ist, ob das gewählte Antibiotikum eine ausreichende Konzentration im Infektgebiet erreicht. Bei der Auswahl des geeigneten Antibiotikums sowie der Frage der Therapiedauer ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Mikrobiologen bzw. Infektiologen zu empfehlen.

Neben einer systemischen antibiotischen Therapie können lokale Antibiotikaträger – auch als Platzhalter bei Defekten – eingesetzt werden. Dies ist in Form von antibiotikahaltigen Ketten (Gentamycin) oder antibiotikahaltigem Zement (Gentamycin oder Vancomycin) möglich. Die Anwendung sollte jedoch auf maximal 3 bis 4 Wochen beschränkt werden. Danach können durch subinhibitorische Konzentrationen Resistenzentwicklungen inklusive der Bildung sog. „small colony variants“ gefördert werden [36].

Nach Infektberuhigung erfolgt der Knochenaufbau in der Regel zweizeitig nach den Grundsätzen des „diamond concepts“. Bevorzugt wird hierbei autologe Spongiosa.

Konservative Therapieverfahren

Niederenergetischer gepulster Ultraschall (LIPUS)

Durch eine 1-mal tägliche 20-minütige Anwendung von LIPUS sollen Osteoblasten und Vaskularisierung stimuliert und damit die Knochenheilung beschleunigt werden. Von Vorteil sind die nebenwirkungsfreie Anwendung sowie die Möglichkeit, dieses Verfahren zu Hause anzuwenden. Von Nachteil ist die lange Therapiedauer (60 bis 120 Tage).

In einigen Studien (Fallserien) wurde ein positiver Effekt von LIPUS auf die Knochenheilung nachgewiesen, insbesondere bei einem Frakturspalt < 1 cm und mechanischer Stabilität [37]. Randomisierte Studien fehlen jedoch.

Ein positiver Effekt von LIPUS in der Pseudarthrosebehandlung ist bis jetzt evidenzbasiert nicht ausreichend belegt, um die Anwendung generell zu empfehlen. Daher handelt es sich nach wie vor um eine Einzelfallentscheidung – auch bezüglich der Kostenübernahme durch die Versicherungen [37].

Weitere Verfahren

Weitere konservative Therapieverfahren sind die extrakorporale Stoßwellentherapie und die Behandlung mit gepulsten elektromagnetischen Feldern . Die klinische Relevanz dieser Verfahren ist bisher ebenfalls nicht abschließend geklärt, auch wenn es einzelne Studien gibt, die eine beschleunigte Knochenheilung nach Anwendung dieser Verfahren zeigten [38, 39]. Eine generelle Empfehlung für diese Therapien kann derzeit nicht ausgesprochen werden.

Auch für die hyperbare Sauerstofftherapie konnte ein eindeutiger Nutzen bisher nicht nachgewiesen werden. Aktuell befinden sich hierzu 3 randomisierte Studien in Arbeit.

Perspektive – Polytherapie

Auch wenn die autologe Spongiosa nach wie vor der Goldstandard in der Pseudarthrosetherapie ist, führt dieses Verfahren nicht immer zum gewünschten Erfolg. Insbesondere bei den therapierefraktären Pseudarthrosen scheint die Kombination verschiedener Verfahren – die Polytherapie – Erfolg versprechend [23, 40].

Werden Kalziumphosphate (osteokonduktiv) mit Wachstumsfaktoren (osteoinduktiv) kombiniert, entstehen sog. Komposite. Auch eine Kombination mit Stammzellen (osteogen) ist möglich. Hierdurch werden hochpotente Transplantate generiert.

Die Kombination von rhBMP-7 und Spongiosa wirkt synergistisch [21]. Seinen Stellenwert hat rhBMP-7 daher heute – auch unter ökonomischen Aspekten – v. a. in der Polytherapie bei komplexen und therapierefraktären Verläufen.

Ziel der nächsten Jahre wird es sein, mittels weiterer Studien die Konzepte der Pseudarthrosentherapie zu optimieren, die Wirksamkeit der Polytherapie nachzuweisen und dabei insbesondere zu differenzieren, welche Kombination für welche Pseudarthrose sinnvoll ist.

Fazit für die Praxis

  • Die korrekte Klassifikation ist Voraussetzung für die weitere Therapieplanung.

  • Die Indikation zur Revision wird anhand von klinischen und radiologischen Kriterien gestellt.

  • Das „diamond concept“ beschreibt die 5 Säulen der Knochenheilung.

  • Der Goldstandard bei der Pseudarthrosentherapie beinhaltet: Dekortikation – autologe Spongiosaplastik – Erreichen mechanischer Stabilität.

  • Die Polytherapie scheint für die Zukunft Erfolg versprechend zu sein.

  • Indikationen für die Polytherapie sind derzeit therapierefraktäre/Rezidivpseudarthrosen.

  • Die Wirksamkeit einzelner Polytherapiekonzepte ist noch nachzuweisen.

CME-Fragebogen

Welche Aussage zur Inzidenz der Pseudarthrosen trifft zu?

Pseudarthrosen treten in 10–15 % aller Frakturen auf.

Die Inzidenz ist bei metaphysären Frakturen höher als bei diaphysären Frakturen.

Geschlossene Frakturen haben ein erhöhtes Pseudarthrosenrisiko im Vergleich zu offenen Frakturen.

Die untere Extremität ist häufiger betroffen als die obere Extremität.

Vorerkrankungen des Patienten (z. B. Diabetes mellitus, pAVK) haben keinen Einfluss auf die Pseudarthroseninzidenz.

Für die sichere Diagnosestellung Pseudarthrose gilt:

Native Röntgenaufnahmen sichern die Diagnose Pseudarthrose.

Schwellung, Rötung und Überwärmung sprechen eindeutig für eine Infektpseudarthrose.

Die wichtigsten klinischen Kriterien sind Schmerz und Belastungsinsuffizienz.

Die Computertomographie ist ein wenig sensitives Verfahren bei der Diagnostik von Pseudarthrosen.

Die Magnetresonanztomographie wird zur Darstellung von Knochensequestern regelhaft eingesetzt.

Welche Aussage zur Klassifikation von Pseudarthrosen trifft zu?

Die Klassifikation nach Weber und Cech basiert auf dem Heilungspotenzial des Knochens.

Hauptursache für die Entwicklung atropher Pseudarthrosen ist die mechanische Instabilität.

Hypertrophe Pseudarthrosen haben aufgrund des gestörten Heilungspotenzials des Knochens eine schlechte Prognose.

Das „non union scoring system“ (NUSS) unterscheidet nur zwischen septischen und aseptischen Pseudarthrosen.

Septische Pseudarthrosen sind häufiger als aseptische Pseudarthrosen.

Welche Aussage zum „diamond concept“ trifft zu?

Das „diamond concept“ beschreibt die 3 Säulen der Frakturheilung.

Die Durchblutung findet keine Beachtung im „diamond concept“.

Osteoinduktion ist der wichtigste Faktor bei der Knochenheilung.

Osteokonduktion spielt für die Knochenheilung eine untergeordnete Rolle.

Mechanische Stabilität, Osteogenese, Osteoinduktion, Osteokonduktion und Vaskularität sind die 5 Säulen des „diamond concepts“.

Welche Aussage zur Behandlung von Pseudarthrosen trifft nicht zu?

Autologe Spongiosa ist der Goldstandard bei der Behandlung atropher Pseudarthrosen.

Autologe Spongiosa wird auch bei der Therapie von Infektpseudarthrosen eingesetzt.

Die Effektivität von Knochenmarkaspirat ist abhängig von der Konzentration der Stammzellen.

Mit dem RIA-System werden Spongiosa und Stammzellen gewonnen.

Autologe Spongiosa hat nur geringes osteogenes Potenzial.

Welche Aussage zur Osteoinduktion trifft zu?

BMP sind die potentesten osteoinduktiven Transplantate in der Monotherapie.

Osteoinduktiv wirkende Transplantate sind bei der Therapie atropher Pseudarthrosen als Monotherapie ausreichend.

Thrombozytenreiches Plasma ist ein synthetisches osteoinduktiv wirkendes Transplantat.

Kalziumphosphate haben hohes osteoinduktives Potenzial.

Die Kombination von autologer Spongiosa und BMP hat synergistische Effekte.

Welche Aussage zu osteokonduktiven Verfahren trifft zu?

Die Porengröße ist für die Wirkung osteokonduktiver Transplantate irrelevant.

Synthetische Kalziumphosphate sind v. a. bei Infektpseudarthrosen indiziert.

Die häufig verwendeten Trikalziumphosphate und Hydroxylapatite zählen zu den Zementen.

Osteokonduktive Transplantate sind für die Monotherapie in der Pseudarthrosenbehandlung nicht geeignet.

Kalziumphosphate sind nach 4 Wochen vollständig resorbiert.

Welche Aussage zu septischen Pseudarthrosen trifft zu?

Septische Pseudarthrosen entstehen in der Regel durch hämatogene Streuung.

Häufigster Erreger septischer Pseudarthrosen ist Pseudomonas aeruginosa.

Das Osteosyntheseverfahren der Wahl bei septischen Pseudarthrosen ist die Marknagelosteosynthese zur mechanischen Stabilisierung.

Neben einer systemischen Antibiose werden häufig lokale Antibiotikaträger eingesetzt.

Ein einmaliges chirurgisches Débridement ist meist ausreichend.

Bei einem 58-jährigen Patienten mit Infektpseudarthrose der Tibia konnte nach mehrfachen Revisionen mit radikalem Débridement eine Infektberuhigung erreicht werden. Nun besteht eine Pseudarthrose mit einem knöchernen Defekt von 5 cm. Welche Aussage zum weiteren Vorgehen trifft zu?

Das Verfahren der Wahl ist die Anlage eines unilateralen Fixateur externe, der Defekt wird mit Kalziumphosphaten aufgefüllt.

Bei einem Defekt dieser Größe kann ein Segmenttransport nach Ilizarov durchgeführt werden.

Der Defekt wird mit autologer Spongiosa aufgefüllt, weitere Maßnahmen sind nicht erforderlich.

Das Masquelet-Verfahren kommt nur bei Defekten < 3 cm in Frage.

Bei beruhigter Osteitis sind synthetische Transplantate vorzuziehen.

Ein 41-jähriger Mann hat eine Pseudarthrose der Tibia, eine bereits durchgeführte Revision mit Dekortikation und autologer Spongiosaplastik führte nicht zum Erfolg. Vier Monate nach der Revision sind keine Zeichen knöcherner Durchbauung zu finden. Die Frakturenden sind verschmälert, nativ-radiologisch ist ein Keilfragment erkennbar. Welche Aussage trifft am ehesten zu?

Da die Revision mit Dekortikation und autologer Spongiosa nicht zur Ausheilung der Pseudarthrose führte, liegt eine Infektpseudarthrose vor.

Vor der nächsten Revision ist eine Skelettszintigraphie zur Beurteilung der Vitalität der Knochenenden obligat.

Das abgesprengte Fragment muss bei der nächsten Revision osteosynthetisch mit den beiden Hauptfragmenten verbunden werden.

Eine erneute Spongiosaplastik ohne weitere Maßnahmen ist ausreichend.

Bei dem Keilfragment handelt es sich am ehesten um einen Sequester, der entfernt werden muss.