Multiplanare dorsale Beckenringinstabilitäten betreffen typischerweise das Os ilium, das Iliosakralgelenk, das Sakrum und/oder eine Kombination dieser anatomischen Strukturen [15]. Sie können aber auch nach kranial propagieren und den lumbosakralen Übergang involvieren und so zu einer lumbopelvinen Instabilität führen [25].

Instabile Sakrumfrakturen kommen in ca. 17–30 % der Patienten mit einer Beckenringverletzung vor [2, 6]. Sie resultieren häufig aus Hochenergietraumen wie z. B. Verkehrsunfälle, gerade Motorradunfälle, Stürze aus großen Höhen oder Arbeitsunfälle/Industrieunfälle mit Quetschungen des Beckenbereichs. Typischerweise ist der Verletzungsmechanismus eine indirekte Krafteinwirkung auf den lumbosakralen Übergang mit Flexion oder Extension der Wirbelsäule in Relation zum Becken und einer axialen Stauchungsverletzung. Darüber hinaus können komplexe Frakturen des lumbosakralen Übergangs auch bei Patienten mit Osteoporose und verminderten Knochenmineralsalzgehalten auftreten [1].

Derzeitige Standard ist die offene oder geschlossene Reposition und interne Fixation der Frakturen

Der derzeitige Standard in der Behandlung solcher Verletzungen ist die offene oder geschlossene Reposition und interne Fixation der Frakturen, z. T. kombiniert mit lumbosakraler Wurzeldekompression bei neurologischen Begleitverletzungen im Bereich des Sakralkanals und der Neuroforamina. Darüber hinaus muss bei häufig assoziierten Verletzungen des lumbosakralen Übergangs auch die untere Lendenwirbelsäule (LWS), insbesondere das L5-Segment, in die Beurteilung und Behandlung von multiplanaren Beckenringinstabilitäten mit einbezogen werden. Zum besseren Verständnis der komplexen Verletzungen, aber auch zum Einleiten einer standardisierten Versorgung, gibt es mehrere Frakturklassifikationen, auf die im Folgenden genauer eingegangen werden soll. Des Weiteren soll auf biomechanische Aspekte der Beckenringinstabilitäten und anerkannter möglicher Standardosteosynthesetechniken hingewiesen werden.

Klassifikation

Sakrumfrakturen im Rahmen von dorsalen Beckenringverletzungen und lumbopelvinen Instabilitäten werden zumeist zunächst in ihrer Bedeutung für die Gesamtstabilität des Beckenrings nach der AO (Arbeitsgruppe für Osteosynthese) einklassifiziert. Je nach Risiko für eine Involvierung neurologischer Strukturen werden die Sakrumfrakturen nach Denis strukturiert [2]. Beide allgemein bekannten Klassifikationen führen aber nicht zu einem besseren Verständnis gerade von multiplanar verlaufenden Sakrumfrakturen, die neben dem Beckenring auch noch den lumbopelvinen Übergang mit einbeziehen können. Um dieses Defizit zu beheben, gibt es einerseits eine Klassifikation der Verletzungsformen alleinig im lumbopelvinen Facetten- und Übergangsbereich nach Isler [7], zum anderen aber auch eine anatomisch deskriptive Beschreibung der Sakrumfrakturverläufe [14], sowie eine auf den Verletzungsmechanismus ausgerichtete Beschreibung der Frakturen im lumbopelvinen Übergang [1].

AO- bzw. OTA-Klassifikation

In der AO-/OTA-Klassifikation („Orthopaedic Trauma Association“) werden die Sakrumfrakturen im Rahmen einer nachfolgenden den gesamten Beckenring betreffenden Instabilität eingestuft. Sakrumfrakturen, die zu einer alleinigen horizontal instabilen Beckenringverletzung führen, werden als Typ-B- (61-B-1.1, 61-B-1.2, 61-B-2.1, 61-B-2.2, 61-B-3.2, 61-B-3.3) und Sakrumfrakturen mit kombinierter horizontaler und vertikaler Beckenringinstabilität werden als Typ-C-Verletzungen (61-C1.3, 61-C2.3, 61-C3.2, 61-C3.3) bewertet. Bei dieser Klassifikation wird nicht der Verletzungsmechanismus, sowie der Typ, das Ausmaß und die Dislokationsrichtung berücksichtigt, was gerade aber bei der Beurteilung und nachfolgenden operativen Versorgung von zentralen und multiplanar instabilen Sakrumfrakturen im Zusammenhang mit lumbopelvinen Frakturdislokationen besonders in Erwägung gezogen werden müsste.

Denis-Klassifikation

In der Klassifikation nach Denis werden die Sakrumfrakturen nach ihrem Verlauf relativ zu den Neuroforamina in drei Zonen aufgeteilt (Abb. 1, [2]). Zone-1-Frakturen verlaufen transalar, Zone-2-Frakturen verlaufen transforaminal, und Zone-3-Frakturen beteiligen die zentralen sakralen Bereiche. Zur Einklassifizierung gilt jeweils die am weitesten medial verlaufende Frakturlinie. Diese Klassifikation beruht darauf, dass mit zunehmender Zone ein höheres Risiko für eine neurologische Begleitverletzung besteht. Zentrale Frakturverläufe gerade bei lumbopelvinen Verletzungsformen werden allerdings nicht weiter unterschieden. Daher können auch bei dieser Klassifikation bei zentralen Sakrumfrakturen keinerlei Rückschlüsse auf verschiedene lumbopelvine Instabilitäten oder daraus folgende Indikationen für verschiedene operative Stabilisationsverfahren und Therapien gezogen werden.

Abb. 1
figure 1

Denis-Klassifikation der Sakrumfrakturen

Isler-Klassifikation

Isler [7] konnte zeigen, dass vertikal instabile Sakrumfrakturen in 38 % der Patienten seines Kollektivs eine Beteiligung des lumbosakralen Übergangs im Bereich der L5/S1-Facetten aufweisen. Je nach Bedeutung der Verletzung für eine L5/S1-Instabilität unterteilt er diese Verletzungen je nach Verlauf relativ zum Facettengelenk (Abb. 2). Ein stabiler lumbosakraler Übergang bei L5/S1 besteht bei Frakturverläufen lateral zur Facette (Typ A). Die Frakturlinien bei Typ-B-Verletzungen verlaufen medial und lateral zur Facette, wobei das Facettengelenk selbst intakt ist. Damit ist aber eine lumbosakrale Instabilität die Folge. Bei Typ-C-Verletzungen verläuft die Frakturlinie medial zur Facette. Bei dieser Verletzungsform ist das Facettengelenk mitbetroffen und es resultiert eine lumbosakrale Instabilität.

Abb. 2
figure 2

Lumbosakrale Instabilität mit L5/S1-Facettengelenkverletzung nach Isler

Klassifikation lumbosakraler Frakturdislokationen

Sakrumfrakturen im Zusammenhang mit lumbosakralen Frakturdislokationen und gegebenenfalls folgenden lumbopelvinen Instabilitäten können deskriptiv beschreibend nach Frakturverlaufsform oder durch ihren Verletzungsmechanismus gesondert charakterisiert werden [1, 14].

Bei der deskriptiven Frakturbeschreibung ist zunächst die U-Fraktur bekannt, die einen U-förmigen Verlauf mit bilateralen vertikalen Schenkeln in S1 und/oder S2 bis zu einer horizontalen Frakturkomponente typischerweise in der Höhe S2 aufweist ([14], Abb. 3). Bei dieser Frakturform besteht eine reine lumbopelvine Instabilität. Die Stabilität des Beckenrings als solches ist erhalten geblieben, da distal der horizontalen Sakrumfrakturkomponente (Querfraktur) der dorsale Beckenring und das Sakrum sich in continuitatem und damit intakt finden. Bei der sakralen H-Fraktur verlaufen die bilateralen Frakturschenkel distal der horizontalen Frakturlinie (Querfraktur) weiter. So kommt es zu einer bilateralen Kontinuitätsunterbrechung des dorsalen Beckenrings im Bereich des Sakrums. Damit führt eine H-Fraktur zu einer gleichzeitig bestehenden bilateralen Beckenringinstabilität und zu einer lumbopelvinen Dissoziation mit lumbosakralen Instabilität.

Komplette vertikale Sakrumfrakturkomponenten bei diesen Frakturformen gehen häufig mit assoziierten vorderen Beckenringverletzungen einher. Neben diesen beiden beschriebenen Formen gibt es nun weitere Zwischentypen der zentralen Sakrumfrakturen, jeweils mit kompletten und inkompletten ein- und beidseitigen Beckenringinstabilitäten und vertikalen Sakrumfrakturlinien. Je nach Frakturverlauf bezeichnet man sie als Y-, L-, T- oder Lamda-Frakturen.

Abb. 3
figure 3

Deskriptive Frakturklassifikation der Sakrumfrakturen mit lumbosakralen Instabilitäten. H-, U-, Lamda - und T-Fraktur. Die U- und H-Frakturen am lumbosakralen Übergang werden in der AO-Klassifikation als Typ C1-C3.3-Beckenfrakturen klassifiziert

Roy-Camille et al. [23] haben eine weitere hilfreiche Klassifikation der zentralen Sakrumfrakturen und lumbopelviner Frakturdislokationen mit lumbosakraler Instabilität beschrieben (Abb. 4). Sie beruht auf dem Frakturmechanismus und ist nach Schweregrad und der Wahrscheinlichkeit für eine neurologische Begleitverletzung eingestuft.

  • Typ-1-Verletzungen zeigen eine einfache Flexionsdeformität im kranialen Sakrum. Sie gehen typischerweise auf eine axiale Stauchung bei flektierter LWS oder eine forcierte Flexionsverletzung zurück.

  • Typ-2-Verletzungen sind eine progressive Form der Typ-1-Verletzung, bei der der kraniale Sakrumanteil (typischerweise S1) sich flektiert und nach dorsal in den Sakralkanal verschoben darstellt. Hier besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für eine neuronale Beteiligung. Der Frakturmechanismus ist aber im Prinzip der gleiche wie bei der Typ-1-Verletzung, allerdings mit weiter andauernder Krafteinwirkung.

  • Typ-3-Verletzungen hingegen gehen auf ein ausgeprägtes Hyperextensionstrauma in Höhe des lumbosakralen Übergangs oder eine axiale Stauchung in Extensionsstellung der LWS zurück. Durch diesen Verletzungsmechanismus kommt es zu einer anterioren Translation des kranialen Sakrums.

  • Strange-Vognsen u. Lebech [35] beschrieben später eine Typ-4-Fraktur. Zu dieser Fraktur kommt es durch eine alleinige axiale Stauchungsverletzung und Implosion der LWS in das obere Sakrum. Sie ist durch eine segmentale Trümmerung im kranialen Sakrumbereich (meist S1) ohne Gesamtverschiebung der Sakrumkontinuität charakterisiert.

Alle diese vier Frakturtypen gehen auf eine indirekte Krafteinwirkung zurück. Direkte Krafteinwirkungen, wie sie z. B. bei Schussverletzungen [26] oder Pfählungsverletzungen [27] auftreten, können zu zentralen Sakrumfrakturen mit einer kompletten multisegmentalen lumbosakralen Instabilität und Trümmerung führen. Diese Frakturform wird durch die beschriebenen vier Frakturtypen nicht berücksichtigt und kann deshalb als Typ-5-Fraktur eingestuft werden (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Klassifikation nach Roy-Camille

Klassifizierung neurologischer Begleitverletzungen

Die oben genannten Frakturklassifikationen tragen nur den knöchernen Verletzungen und lumbosakralen Dissoziationen Rechnung. Obwohl sich der Schweregrad in den Klassifizierungen oft nach der Wahrscheinlichkeit eines Auftretens von neurologischen Komplikationen richtet, müssen diese im Zusammenhang mit der Beschreibung der Verletzungen gesondert eingeschätzt werden.

Die Schwere von neurologischen Verletzungen des Rückenmarks und der Cauda equina wird durch die ASIA-Klassifikation eingeteilt

Grundsätzlich wird die Schwere von neurologischen Verletzungen des Rückenmarks und der Cauda equina suffizient durch die „American Spinal Injury Association-“ (ASIA-)Klassifikation eingeteilt. Diese geht auf eine Originalarbeit von Frankel zurück [31]. Sie bezieht sich allerdings v. a. auf die sensomotorische Funktion der Extremitäten und ist dadurch von geringerem Wert bei Verletzungen der sakralen Nervenwurzeln und des sakralen Nervenplexus, da Verletzungen der Nervenwurzeln in diesem Bereich verschiedenste Ausfälle auch außerhalb der Extremitäten, wie z. B. der Blasen- und Mastdarmfunktion, nach sich ziehen können. Daher werden neurologische Verletzungen im Zusammenhang mit Sakrumfrakturen sinnvollerweise durch die weniger bekannte Klassifikation nach Gibbons beurteilt [6]. Hierbei werden vier Verletzungstypen unterschieden. Typ 1 weist keine Verletzung neurologischer Strukturen auf, bei Typ-2-Verletzungen bestehen lediglich Parästhesien in den unteren Extremitäten, bei der Typ-3-Verletzung finden sich motorische Defizite der unteren Extremitäten mit intakter Blasen- und Mastdarmfunktion, und schließlich beinhaltet die Typ-4-Verletzung eine eingeschränkte Blasen- und/oder Mastdarmfunktion als Folge einer sakralen Nerven- oder Plexusschädigung im Rahmen der Sakrumfraktur ([6], Tab. 1).

Tab. 1 Die Gibbons-Klassifikation von neurologischen Verletzungen bei Sakrumfrakturen

Das Auftreten und der Grad einer funktionellen Blasen- und/oder Mastdarmverletzung haben einen signifikanten Einfluss auf den Schweregrad und das Outcome der Sakrumverletzungen, sowie auf die daraus folgende Indikation und Art einer eventuellen operativen Versorgung. Zur Einschätzung dieser Verletzungen spielen weniger formale Klassifikationen eine Rolle als die Durchführung objektivierbarer neurologischer und urologischer Untersuchungen. Es ist dabei gerade an die Pudendus-SSEP (somatosensibel evozierte Potentiale) und gegebenenfalls auch an die Analsphinkter-EMG-Untersuchung (typischerweise mit verzögerter Manifestation) zu denken, da durch sie eine objektivierbare Einschätzung einer neurologischen sakralen Plexusschädigung nachgewiesen werden kann. Von diesen Befunden hängen die Indikation für eine eventuelle sakrale Laminektomie und Foraminotomie ab.

Biomechanische Aspekte von dorsalen Beckenringverletzungen und Sakrumfrakturen

Voraussetzung einer erfolgreichen Behandlung von dorsalen Beckenring- und Sakrumfrakturen sowie Instabilitäten ist das anatomische und biomechanische Verständnis des physiologischen Kraftflusses im Becken, der Einfluss einer frakturbedingten Instabilität im Sakrumbereich, sowie die dahingehende Bedeutung verschiedener Osteosynthesetechniken.

Zunächst erstellt das knöcherne Becken einen Rahmen dar, der als Ursprung und Ansatz eines Teils der Rumpf- und Oberschenkelmuskulatur dient [4]. Diese Muskelstrukturen und ihre Funktionen müssen dem Operateur durchweg klar sein, da bei Frakturen alleine schon die physiologischen Muskelzugkräfte einer Osteosynthese signifikant entgegen wirken und zu einem Versagen einer Osteosynthese beitragen können. Weiter ist es die biomechanische Aufgabe des Beckens die Last des Körpers auf die unteren Extremitäten zu übertragen und dabei Bewegung, Statik und hohe Kraftübertragung zu koordinieren. Der Kraftfluss verläuft dabei beim aufrechten Gang beidseits vom Schenkelhals bzw. Hüftkopf über das Acetabulum nach dorsal in das Iliosakralgelenk und weiter in das Sakrum zum lumbopelvinen Übergang (Abb. 5, [4]). Der dorsale Anteil des Beckenrings ist deshalb bei der Betrachtung von Beckenringverletzungen besonders zu beachten. Entsprechend sind dorsale Osteosynthesetechniken auf ihre biomechanischen Eigenschaften hin im Zusammenhang mit der verletzungsbedingten dorsalen Instabilität besonders zu beleuchten.

Abb. 5
figure 5

Krafteinwirkung der Wirbelsäule über die Iliosakralgelenke beidseits auf die Acetabuli, ligamentäre Zuggurtung intrapelvin [12]

Knöchern ist es wichtig, zu verstehen, dass das Sakrum dorsal schmaler ist als ventral. Bei Belastung durch den aufrechten Gang tendiert es daher zu einer Verschiebung nach ventral-kaudal. Auch bei einer Sakrumfraktur (insbesondere bilateralen Verletzung und lumbopelvinen Frakturdislokation) kommt es typischerweise zu dieser Verschieberichtung. Ausgeprägt starke ligamentäre Strukturen wirken einer solchen Verschiebung physiologischerweise entgegen (Lig. iliolumbale, Lig. sacroiliaca ventralia, Lig. sacroiliaca interossea, Lig. sacroiliaca dorsalia). Die in diesem Zusammenhang häufig ebenfalls erwähnten Lig. sacrotuberale und Lig. sacrospinale wirken allerdings eher einer Außenrotation und Flexion, als einer ventrokaudalen Sakrumverschiebung zuwider [4]. Alle diese Bandstrukturen können bei Beckenringinstabilitäten und Sakrumfrakturen rupturiert oder knöchern ausgerissen sein. Eine osteosynthetische Stabilisierung des hinteren Beckenrings und Sakrums muss daher gerade diesen erwähnten Verschiebekräften suffizient entgegen wirken, insbesondere wenn eine frühzeitige Patientenmobilisation und Vollbelastung angestrebt wird.

Von besonderer Wichtigkeit ist es, die Rotationszentren am lumbopelvinen Übergang und im dorsalen Beckenring zu verstehen, die beim aufrechten Stand oder Gang, d. h. beim phasischen Wechsel zwischen Ein- und Zweibeinstand, zur Wirkung kommen. Zunächst werden Rotationskräfte um eine sagittale Achse im Bereich der Sakroiliakalgelenke wirksam. Um diesen Drehpunkt wirken die lateral ansetzenden kranial ausgerichteten Kräfte durch eine Hüftkopfbelastung und die medial ansetzenden entgegengesetzt wirkenden Kräfte durch die Belastung des Sakrums über die LWS (Abb. 6). Durch eine vertikal instabile Sakrumfraktur wird dieser Drehpunkt nach medial in die Sakrumfraktur selbst verschoben. Des Weiteren greifen Rotationskräfte um eine transversale Achse durch die Ilisakralgelenke an, die dadurch zustande kommen, dass der Drehpunkt im Bereich der Sakroiliakalgelenke dorsal vom Mittelpunkt der Femurköpfe liegt (Abb. 6, [4]). Diese Drehachse spielt insbesondere bei der Versorgung instabiler bilateraler Sakrumfrakturen und lumbopelviner Sakrumfrakturdislokationen eine Rolle, bei der diese Drehachse nahezu direkt im Frakturbereich liegt. Die beschriebenen Rotationskräfte in beiden Ebenen sind bei intakten Ligg. sacrotuberale und sakrospinale im Gleichgewicht. Allerdings ist es ja gerade ein Zeichen einer Typ-C-Beckenringverletzung, dass auch diese Bandstrukturen entweder rupturiert oder knöchern ausgerissen sind, weshalb die osteosynthetischen Stabilisierungen den genannten Rotationskräften entgegen wirken müssen.

Abb. 6
figure 6

Darstellung der Rotationskräfte des Beckens: a A.-p.-Ansicht: Drehachse sagittal im Bereich der Iliosakralgelenke (IS) medial vom Mittelpunkt des Femurkopfes (F), ausgeglichene Situation bei intakten Beckenbodenbändern (1). b Seitliche Ansicht: transversale Drehachse im Bereich der Iliosakralgelenke (IS) dorsal vom Mittelpunkt des Femurkopfes (F), ausgeglichene Situation bei intakten Ligg. sacrospinale (1) und sacrotuberale (2)

Biomechanische Aspekte verschiedener Osteosynthesetechniken

In der Vergangenheit wurden zahlreiche Osteosynthesetechniken zur Stabilisierung von hinteren Beckenringfrakturen und Verletzungen des lumbopelvinen Übergangs entwickelt und durchgeführt. Heutzutage gibt es folgende perkutane und offene Osteosynthesetechniken, die standardisiert akzeptiert und in der Mehrheit diskutiert werden: Iliosakralschraubenosteosynthese [5, 13, 19, 20, 21, 22, 36], transiliakale Plattenosteosynthese [1, 5, 23, 35], dorsale Gewindestabosteosynthese [3, 5, 32, 34], lokale Plattenosteosynthese [16, 17], alleinige lumbopelvine Abstützung/Distraktionsspondylodese [10] und trianguläre Osteosynthese als Kombination einer vertikal gerichteten lumbopelvinen Abstützung und einer horizontal orientierten Iliosakralschraubenosteosynthese bzw. transiliakaler Plattenosteosynthese [8, 9, 24, 28, 29].

Alle diese Osteosynthesetechniken haben ihre spezifischen Indikationen, sowie ihre klinischen Vor- und Nachteile.

Diese müssen mit den biomechanischen Aspekten der einzelnen Fixationen vor ihrem Einsatz in klinischen Einklang gebracht werden. Im Folgenden werden nun lediglich die biomechanischen Aspekte der verschiedenen Osteosynthesetechniken diskutiert, die wohlweislich nicht alleinig für den jeweiligen klinischen Einsatz ausschlaggebend sind.

Grob orientierend kann man die genannten Osteosynthesetechniken biomechanisch in horizontale, in vertikale und in kombiniert ausgerichtete Fixationen einteilen. Während Iliosakralschrauben, transiliakale Platten und Gewindestäbe zu den horizontalen Fixationen zählen, wirken die alleinige lumbopelvine Abstützung bzw. Distraktionsspondylodese mit 2-Punkt-Fixation hauptsächlich vertikal, und die trianguläre Osteosynthese, vielleicht auch die lokale Plattenosteosynthese, in einer kombinierten Ausrichtung.

Bei den dorsalen horizontalen Fixationstechniken ist zu beachten, dass sie nahe der transversalen Rotationsachse durch das Sakrum liegen. Dies gilt insbesondere für die Iliosakralschrauben. Gerade bei verschobenen lumbopelvinen Instabilitäten, wie z. B. der U-Fraktur, liegen die Iliosakralschrauben nahezu neben der und parallel zur transversalen Rotationsachse, um die ein sekundärer Repositionsverlust in Flexion erfolgen kann.

Iliosakralschrauben wirken biomechanisch effektiv durch orthogonale Kompression über die typischerweise vertikal verlaufende Sakrumfrakturfläche oder eine Iliosakralfugensprengung. Daher kann die Fixation auch zur Reposition mit Teilgewindezugschrauben durchgeführt werden, solange es durch die Kompression an der Frakturfläche nicht zu einer Kompression der neuronalen Strukturen kommt. Einer dorsokranialen Verschiebung und Flexion des lateralen Sakrums bzw. des instabilen Hemipelvis wirken sie effektiv allerdings nur im Verbund mit stabilen vorderen Beckenringverhältnissen und/oder einer hohen Scherstabilität im Frakturbereich nach Reposition und knöchern-spongiöser Interdigition entgegen, dies aber auch in Abhängigkeit von Schraubenlage und deren Länge. Gerade für die knöchern-spongiöse Interdigition ist eine gute Knochenqualität wichtig. Bei Mehrfragment- und Trümmerfrakturen des Sakrums, osteoporotischen Knochenverhältnissen, palliativen Tumorstabilisationen, Knochendefekten (z. B. durch septische Prozesse etc.) oder Pseudarthrosen, kann eine alleinige Iliosakralverschraubung gegebenenfalls mechanisch nicht ausreichend sein [11, 18].

Die transiliakale Plattenosteosynthese wirkt als eine Zuggurtungsosteosynthese über dem hinteren Beckenring in der horizontalen Ebene. Multiple Schrauben werden in den intakten und instabilen dorsalen Anteilen des Sakrums und beidseitigen Iliums verankert. Dadurch ist eine multidirektionale Verankerung möglich. Bei optimalem Setzen der lateralen Plattenschrauben können diese auch gegebenenfalls als kurze Iliosakralschrauben positioniert werden. Biomechanisch scheint diese Fixation nicht stabiler zu sein als eine herkömmliche Iliosakralverschraubung, jedoch bietet die variable Schraubenverankerung, wenn auch mit deutlich kürzeren Schrauben, Alternativverankerungen in Sondersituationen am hinteren Beckenring [16, 29, 33].

Die dorsale Gewindestabosteosynthese verläuft dorsal des Sakrums als eine Zuggurtung. Mit dieser Fixation soll der hintere Beckenring und damit eine dorsale Fraktur komprimiert werden. Da die Kompression aber dorsal der Rotationsachse am hinteren Beckenring zu liegen kommt und die Fraktur nicht direkt stabilisiert wird, funktioniert sie lediglich bei bestehender Stabilität im vorderen Beckenring, da es sonst zu einer Öffnung der Fraktur im anterioren Frakturanteil kommt (Abb. 6). Außerdem basiert die Gewindestabosteosynthese auf einer 2-Punkt-Fixation, wodurch einer vertikalen Verschiebung des instabilen Hemipelvis meist nur unzureichend entgegengewirkt werden kann.

Eine alleinige vertikale Stabilisierung, wie durch eine einseitige lumbopelvine Abstützung, wirkt einer kranialen Verschiebung des instabilen Hemipelvis zunächst entgegen. Diese Technik erlaubt eine gute Schraubenverankerung im Pedikel von L5 und/oder L4 sowie im Ilium [10]. Durch eine lumbopelvine Abstützung werden die vertikal wirkenden Kräfte über dem hinteren Beckenring um die Fraktur und das Sakrum herum geführt. Die Belastung durch den Rumpf wird direkt unter Umgehung der Frakturzone über das Implantat in das Ilium transferiert und zum Acetabulum weitergeleitet. Da die Eintrittspunkte einer solchen Fixation aber nicht direkt vertikal übereinander liegen, kommt es insbesondere bei einer frühzeitigen Belastung und Zweipunktfixierung, z. B. im Pedikel L5 und im Ilium im Bereich der Spina iliaca posterior superior, zu einem erhöhten Risiko für ein Auseinanderweichen der Fraktur. Eine alleinige vertikale Abstützung kann dem nur als 3- und Mehrpunktfixation entgegenwirken. Dies kann z. B. durch folgende Fixationskombination erreicht werden: L4/L5/Ilium oder L5/S1/Ilium oder L5/2xIlium etc.

Die trianguläre Osteosynthese wirkt stabilisierend sowohl in der horizontalen wie auch der vertikalen Ausrichtung [8, 9, 24, 28, 29]. Sie ist eine Kombination der schon besprochenen lumbopelvinen Abstützung und einer horizontalen Osteosynthese, wie z. B. einer zusätzlichen Iliosakralschrauben- oder transiliakalen Plattenosteosynthese. Damit werden die zuvor beschriebenen Nachteile einer alleinigen horizontalen oder vertikalen Fixation suffizient ausgeglichen. Durch Setzen von extra langen Iliumschrauben als langem Hebel wirkt diese Technik einem sekundärem Repositionsverlust gerade in der Flexion und Vertikalverschiebung entgegen [30]. Ein Auseinanderweichen der Fraktur wird weiter durch eine über die Frakturzone komprimierend wirkende Iliosakralschraube vermieden. Bei beidseitigen Sakrumfrakturen oder auch lumbopelvinen Instabilitäten wird so effektiv insbesondere die multidirektionale Instabilität multiplanar ausgeglichen [25, 29]. Ist bei ausgeprägten sakralen Knochendefekten oder Frakturzonen und beidseitiger lumbopelviner Abstützung eine zusätzliche horizontale Schrauben- oder Plattenosteosynthese nicht möglich, so kann eine horizontale Zuggurtung und Stabilisation auch durch einen, besser zwei Querträger zwischen den beidseitigen Längsstäben des Pedikelsystems erreicht werden. Die trianguläre Osteosynthese scheint in biomechanischen Versuchen signifikant stabiler zu sein als alle anderen Osteosynthesetechniken am hinteren Beckenring. Dies würde auf ihre multidirektional wirkende Stabilisation und Schraubenfixation mit langen Hebeln zurückzuführen sein.

Die Stabilität der einzelnen Osteosyntheseverfahren hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Dazu gehören zunächst Frakturform und -verlauf, sowie Frakturreposition. Je nach Frakturform, aber auch deren Reposition besteht eine inhärente Frakturstabilität, die eine angepasste Osteosynthesetechnik zur mechanischen Stabilisierung erlaubt. Eine Trümmerfraktur oder Fraktur mit knöcherner Defektzone bedingt allerdings typischerweise eine hochgradige multiplanare Instabilität, die in das angewandte Osteosyntheseverfahren mit einbezogen werden muss. Gerade Defektzonen müssen durch die Stabilisierung entweder direkt oder indirekt suffizient multiplanar stabil bis zur knöchernen Überbauung überbrückt werden. Auch pathologische Frakturen müssen diesbezüglich wie eine Fraktur mit knöchernem Defekt behandelt werden und bedingen je nach Situation die Anwendung einer multiplanaren Verbundosteosynthese.

In den letzten Jahren haben gerade die osteoporotischen Frakturformen drastisch zugenommen.

Zur suffizienten Frakturstabilisierung muss das Knochen-Implantat-Interface der jeweilig verwandten Osteosynthese in die präoperative Überlegung mit einbezogen werden. Je nach Osteosynthesetechnik haben die Schrauben ihren Halt in spongiösem (z. B. Iliosakralschrauben) oder kortikalem Knochen bzw. Knochenkanälen (z. B. Pedikelschrauben). Eine höhere Schraubenverankerungsstabilität kann dabei durch Schraubenlänge und Dicke, sowie entsprechend adäquatem Gewinde erhöht werden. Grundsätzlich haben sich bei stark osteoporotisch geprägten Frakturen entweder umfangreichere multiplanare Osteosynthesen, gegebenenfalls mit Winkelstabilität, oder Verbundosteosynthesen, z. B. durch Zement verstärkte Iliosakralschrauben, bewährt.

Fazit für die Praxis

  • Gerade bei Sakrumfrakturen und hinteren Beckenringverletzungen mit lumbopelvinen Instabilitäten ist das Verständnis für den Frakturverlauf, deren Instabilitätsform mit Berücksichtigung der lokalen assoziierten Knochenstruktur und weiterer Verletzungen, sowie den daraus abzuleitenden mechanischen Folgen eine wichtige Grundlage für die Wahl eines stabilisierenden Osteosyntheseverfahrens. Dazu sind die unterschiedlichen bekannten Fraktur- und Verletzungsklassifizierungen hilfreich.

  • Um aber eine der klinischen Situation angepasste Osteosynthese auch schließlich adäquat einzusetzen, bedarf es zusätzlich einem grundlegenden Verständnis der mechanischen Möglichkeiten der verschiedenen Osteosyntheseformen.