Isolierte Lebertraumata stellen bei stumpfen Verletzungen Schwerstverletzter eher eine Rarität dar. Verletzungen der Leber führen aber vermutlich aufgrund der komplexen Funktion dieses Organs zu einer deutlichen Erhöhung der posttraumatischen Letalität. Die immunologischen Veränderungen, die durch ein stumpfes Lebertrauma hervorgerufen werden, sind daher ebenso schwierig eindeutig der Leber zuzuordnen wie die spezifische Letalität. Mit steigender Schwere der Leberverletzung sind weitere Organsysteme beteiligt, sodass sich die Gesamtletalität zunächst offensichtlich nur aus der Kumulation aller verletzten Organe ergibt. Es existieren jedoch eindeutige Hinweise, die vermuten lassen, dass eine Mitbeteiligung der Leber die Gesamtletalität überproportional deutlich erhöht [9, 10, 11, 13].

Die in der Literatur dokumentierte Letalitätsrate nach Lebertrauma hat eine große Streubreite und bewegt sich zwischen 7 und 36% [1, 2]. Hierbei wird zwischen der Frühletalität (meistens aufgrund des Blutverlusts) und der Spätletalität unterschieden. Die Spätletalität begründet sich nicht selten auf sekundäre Komplikationen bei intensivmedizinischer Behandlung, die in Verbindung mit dem immunologischen Versagen nach Trauma eine Sepsis/SIRS (systemic inflammatory response syndrome) sowie ein Multiorganversagen (MOV) bedingen kann [2]. Die tatsächliche spezifische Bedeutung der Leberverletzung für die Entstehung derartiger Komplikationen ist in diesem Geschehen jedoch bis heute nur unvollständig bekannt.

Die Leber stellt ein entscheidendes Organ in der posttraumatischen Rekonvaleszenz eines Schwerverletzten dar. In ihr werden Proteine gebildet, die u. a. Bausteine der Gerinnung und der unspezifischen Abwehr darstellen. Sie beeinflusst entscheidend inflammatorische Prozesse und stellt das Zentrum des Energiestoffwechsels dar. Darüber hinaus stellen die von Kupffer-Sternzellen den größten Makrophagenpool des Menschen dar. Die Erkenntnis, dass alleine die Schädigung der Leber sowohl die Früh- als auch die Spätletalität negativ beeinflusst, könnte einen ersten Ansatz darstellen, der zu einer organspezifischen posttraumatischen Behandlung führen kann.

In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es in den letzten 2 Jahrzehnten bezüglich der chirurgischen Behandlung von Leberverletzungen zu einem deutlichen Paradigmenwechsel gekommen ist [3]. Sowohl durch die Einführung der Computertomographie (CT) als auch durch die Verfügbarkeit von Gerinnungsfaktoren wurde die konservative Behandlung der Leberverletzung zur Methode der Wahl bei hämodynamisch stabilen Patienten nach stumpfem Lebertrauma [4]. Unterschiedliche Studien zeigten, dass 71–89% aller Patienten mit stumpfem Lebertrauma erfolgreich konservativ behandelt werden können. Die Überlebensrate liegt hierdurch bei 85–94% [5]. Allerdings besteht auch Einigkeit darüber, dass trotz aller Möglichkeiten der intensiven Flüssigkeits-, Blut- und Gerinnungssubstitution hämodynamisch instabile Patienten operiert werden müssen [6].

Anhand einer Analyse der Daten des Traumaregisters der DGU (Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie) von 1993–2005 (n=24.711) wurde in der vorliegenden Arbeit untersucht, ob die beteiligende Verletzung der Leber bei polytraumatisierten die Inzidenz für Sepsis und MOV überproportional erhöht und ob die Überlebensrate nach Polytrauma durch eine Leberbeteiligung entscheidend gesenkt wird.

Patienten und Methoden

Zwischen 1993 und 2005 wurden insgesamt 24.771 Patienten aus 113 Kliniken des Traumaregisters der DGU prospektiv erfasst. Im Rahmen dieser prospektiv erhobenen Daten wurden folgende Einschlusskriterien für das zu untersuchende Patientenkollektiv festgelegt:

  • „Injury Severity Score“ (ISS) ≥16,

  • primäre Aufnahme in eines der Traumzentren,

  • Ausschluss isolierter Kopfverletzungen.

Der ISS sowie die auf Körperregionen bezogene Verletzungsschwere wurden anhand der „Abbreviated Injury Scale“ (AIS, edition 1990, revised 1998) bestimmt. Das Vorliegen einer Sepsis wurde anhand der Kriterien der ACCP/SCCM-Konsensuskonferenz definiert [7]. Die Definition des Organversagens (OV) wurde durch den SOFA-Score (sequential organ failure assessment) bestimmt [8]. Ein OV wurde durch einen Punktwert von 3 oder 4 im SOFA-Score definiert, ein MOV wurde definiert, wenn für ≥2 Organe gleichzeitig ein OV dokumentiert worden ist.

Alle Patienten mit einer dokumentierten Leberverletzung (AISLeber=2–5 und AISAbdomen<3) wurden der Gruppe „Lebertrauma“ zugeordnet. Patienten mit Abdominalverletzungen (AISAbdomen=2–5 oder führend, AISLeber<3) wurden der Gruppe „Abdominaltrauma“ zugeordnet. Alle übrigen Patienten (unter Ausschluss derjenigen Patienten mit isolierten Kopfverletzungen), bei denen AISLeber oder AISAbdomen<3 waren, wurden einer 3. Gruppe (Kontrollgruppe) zugeordnet.

Durch die Bedingung eines ISS≥16 wurde sicher gestellt, dass in den jeweiligen Untersuchungsgruppen eine Mindestverletzungsschwere von AIS=3 für die führende Region vorliegt.

Um das auf der initialen Verletzungsschwere beruhende Letalitätsrisiko beurteilen zu können, wird innerhalb der Untersuchungsgruppen eine Prognoseschätzung mit Hilfe der „Revised Injury Severity Classification“ (RISC) vorgenommen. Dieses Instrument, das im DGU-Traumaregister entwickelt und validiert wurde, kombiniert Alter, ISS, Kopf- und Beckenverletzung, „Glasgow Coma Scale“ (GCS), Blutdruck, partielle Thrombinzeit (PTT), „base excess“, Hb-Wert, Bluttransfusion und Herzstillstand. Daraus leitet sich eine Prognoseschätzung ab, die den Zustand bei Aufnahme des Patienten berücksichtigt (s. Jahresbericht des DGU-Traumaregisters). Die so ermittelte voraussichtliche Letalität wird der beobachteten Letalität in der entsprechenden Gruppe gegenüber gestellt. Das Verhältnis von vorhergesagter Letalität zur tatsächlichen Letalität wird durch die standardisierte Mortalitätsrate (SMR) ausgedrückt.

Statistik

Die Daten wurden auf Papierbögen gesammelt und eingegeben (1993–2001) und ab 2002 mit einer Online-Dateneingabesoftware mit integrierten Plausibilitätsprüfungen zentral erfasst. Die anonymisierten Daten wurden mit dem Statistikprogramm (SPSS Vers. 14, Chicago, Ill., USA) ausgewertet. Inzidenzen werden mit Fallzahl und Prozenten, Messwerte mit Mittelwert und Standardabweichung (SD) dargestellt. Auf ausführliche statistische Testvergleiche wurde wegen der Vielfachvergleiche (mehrere Gruppen und Outcomeparameter) sowie der teilweise sehr hohen Fallzahl verzichtet. In ausgesuchten Fällen wurden die Daten der Gruppe mit Lebertrauma den übrigen Gruppen gegenüber gestellt und teststatistisch verglichen (χ2-Test für Inzidenzen bzw. U-Test für Messwerte).

Ergebnisse

Von den insgesamt 24.711 dokumentierten Patienten des Traumaregisters der DGU wurden über die Einschlusskriterien 10.469 primär versorgte schwerstverletzte Patienten [Zeitraum 1993–2005, ISS≥16 Punkte, ohne isoliertes Schädel-Hirn-Trauma (SHT)] herausgefiltert. Diese hatten ein durchschnittliches Alter von 39,6±19,5 Jahren, 72,8% waren männlich. Der durchschnittliche ISS betrug 31,9±12,1 Punkte (Tab. 1). Die Unterteilung der dargestellten Gruppen erfolgte spezifisch nach der führenden Verletzungsregion Leber (AISLeber=3–5 und AISAbdomen<3) und Abdomen ohne Leber (AISAbdomen=3–5, AISLeber<3)

Im Hinblick auf demographische Parameter zeigte sich außerdem, dass Patienten mit Lebertrauma im Gegensatz zu Patienten mit führendem Abdominaltrauma durchschnittlich jünger (Leber=34,9±15,6; Abdomen=37,7±18,2) und häufiger weiblich (66 vs. 73,5%) waren. Die Anzahl stumpfer Traumata war in der Lebergruppe mit 91,8% nur unbedeutend geringer als in der Abdomengruppe (93,5%). Die Inzidenz einer führenden Leberverletzung nach den genannten Kriterien war mit 3,1% im untersuchten Gesamtkollektiv eher gering (Abdomen 5,5%).

Tab. 1 Demographische und klinische Daten nach primärer Aufnahme in ein Traumazentrum und Ausschluss isolierter Kopfverletzungen

Letalität

Die Letalität innerhalb der Gruppe Lebertrauma war mit 34,9% im Vergleich zu den Patienten aus der Gruppe Abdominaltrauma (12%) und den Patienten ohne führende Leber- oder Abdominalverletzung (Kontrollgruppe 12%) signifikant erhöht [Tab. 2, das Verhältnis von vorhergesagter Letalität zur tatsächlichen Letalität wird durch die standardisierte Mortalitätsrate ausgedrückt (Letalität, RISC und SMR falls RISC-Prognose vorhanden)]. Die weitergehende Analyse dieser Unterschiede zwischen der Gruppe Abdominaltrauma und der Kontrollgruppe zeigte, dass sich die höhere Letalität in der Kontrollgruppe durch die hohe Letalität begleitender Kopfverletzungen erklärt. So zeigt eine Zwischenauswertung, dass von den 9574 Traumapatienten der Kontrollgruppe 2160 Patienten eine relevante Kopfverletzung (AIS>3) erlitten hatten. In dieser Subgruppe betrug die Letalität sogar 32,8%. Die Untersuchung der Frühletalität zeigte, dass mit 27,3% innerhalb von 24 h in der Gruppe Lebertrauma so viele Patienten verstarben wie in keiner der beiden anderen Gruppen (Abdominaltrauma 6,6%).

Tab. 2 Die Schweregradadjustierung erfolgte mit dem RISC-Score (n=9.424)

Transfusionsbedarf

Im Vergleich zu Patienten mit Abdominalverletzungen (48%) war bei Patienten mit schwerem Lebertrauma mit 67% ein deutlich höherer Bedarf an Erythrozytentransfusionen notwendig (67 vs. 48%). Der hohe Blutverlust in der Lebergruppe lässt sich auch am Blutdruckverlauf sowohl präklinisch als auch in der Schockraumphase ablesen. So betrug die Häufigkeit eines initialen Blutdruckes von <90 mmHg präklinisch 36,4% in der Lebergruppe und 30,0% in der Abdomengruppe. Beide Gruppen heben sich dabei deutlich vom Durchschnitt ab (22,0%, s. Tab. 1).

Der Blutdruck konnte während der initialen klinischen Versorgung (Schockraumphase) in der Lebergruppe im Gegensatz zur Abdomengruppe nicht entscheidend angehoben werden (RR<90 mmHg, Leber: 32,2% mit ΔRR=4,2 mmHg; Abdomen: 18,2% mit ΔRR=11,2 mmHg). Im Schockraum war außerdem die Häufigkeit eines initialen Hämoglobingehalts von <8 g/dl in der Lebergruppe mit 38,1% (gegenüber der Abdomengruppe mit 16,9% und der Kontrollgruppe mit 13,9%) deutlich höher. Analog dazu war die durchschnittliche Menge transfundierter Erythrozytenkonzentrate (EK) bis zur Aufnahme auf die Intensivstation in der Gruppe der Patienten mit Leberverletzung (8,6 IE) gegenüber der Abdomengruppe mit 4,5 IE und der Kontrollgruppe mit 2,1 IE deutlich erhöht.

Aus der Leber- und Abdomengruppe wurden diejenigen Patienten herausgefiltert, welche die Kriterien einer Massentransfusion erfüllten [Anzahl der transfundierten EK>10, Tab. 3: Vergleich polytraumatisierter Patienten mit Abdominaltrauma ohne und mit schwerer Leberverletzung nach Massentransfusion (>10 EK)]. Da die durchschnittliche Anzahl an EK und der durchschnittliche ISS in den beiden Gruppen Leber- und Abdominaltrauma nahezu gleich war (Leber: 20,9 EK, ISS=39,2; Abdomen: 19,9 EK, ISS=38,5), konnte hierdurch die mögliche Einflussgröße einer unterschiedlichen EK-Menge egalisiert werden. Somit ist die hohe Gesamtletalität in der Lebergruppe (55,8%) im Vergleich zur Abdomengruppe (36,5%) durch die Anzahl der EK nicht zu erklären. Das gleiche gilt für die erhöhte MOV- (96 vs. 60%) und Sepsisrate (72 vs. 36%) der Überlebenden.

Tab. 3 Aus den Patientengruppen mit schwerer Leberverletzung und den Patienten mit Abdominalverletzung ohne schwere Leberverletzung wurden 2 Untergruppen gebildet, die >10 EK erhalten haben

Sepsis und Organversagen

Die erhöhte Frühletalität in der Lebergruppe führte aber im Vergleich mit den anderen Gruppen nicht gleichzeitig zu einer Verminderung der Spätletalität. Die Patienten mit einer Leberverletzung zeigten – abgesehen von den Patienten mit Kopfverletzungen – eine durchschnittliche Spätletalität von 7,8%. Eine Ursache für die (im Vergleich mit nicht an der Leber verletzten Patienten) erhöhte Spätletalität ist möglicherweise die hohe Sepsisrate (19,9%), wenn die ersten 24 h überlebt wurden (Tab. 4). Die erhöhte Sepsisrate in der Lebergruppe spiegelt sich auch in der Häufigkeit von OV (OV=48,6%) und Multiorganversagen (MOV=33,3%) wieder. Alle 3 Merkmale sind im Vergleich zu Patienten mit Abdominalverletzungen ohne schweres Lebertrauma signifikant stärker ausgebildet (Sepsis=11,0%; OV=33,2%; MOV=16,6%). Patienten aus der Kontrollgruppe zeigten ebenfalls eine signifikant verminderte Inzidenz für Sepsis und MOV.

Tab. 4 Angabe der Inzidenz von Sepsis, OV und MOV entsprechend der oben genannten Einteilung (in %, n=8.941)

In Tab. 5 ist die Letalität von allen Patienten mit einer relevanten Leberverletzung (AIS>2) vor und nach 2000 angegeben. Die Häufigkeit einer Laparotomie reduziert sich ab dem Jahr 2001 von 71,6% (vor 2001) auf 60,4%. Bemerkenswerterweise reduziert sich die Letalität im selben Zeitraum von 35,5 auf 33,1%. Der ISS ist mit 39,7 vs. 38,8 nahezu identisch (Tab. 5).

Tab. 5 Patienten mit Leberverletzung, die vor und nach 2000 behandelt worden sind

Schweregradadjustierung

Die Schweregradadjustierung mit dem RISC-Score zeigt, dass Patienten mit einem Lebertrauma signifikant häufiger versterben als erwartet. Der beobachteten Letalität von 33,0% (95%-Konfidenzintervall = 27,6–38,4) steht eine prognostische Letalitätsrate von nur 23,4% gegenüber. In den beiden anderen Verletzungsgruppen weicht die prognostizierte Letalität dagegen kaum von der beobachteten Letalität ab. Damit ist die schwere Leberverletzung hinsichtlich der Letalität als deutlich kritischer zu beurteilen als die übrigen Verletzungen des Abdomens, bei denen die RISC-Prognose sehr gut die reale Letalität abbildet.

Diskussion

Ziel dieser retrospektiven Untersuchung war die Bewertung möglicher Unterschiede bezüglich der Merkmale Früh- und Spätletalität, Sepsis und MOV in Abhängigkeit vom verletzten Organgebiet. Die Betrachtung rein isolierter OV würde der Komplexität eines Polytrauma nicht gerecht und führt möglicherweise zu Schlussfolgerungen ohne klinische Relevanz. Das Auswahlkriterium „hohe Verletzungsschwere“ eines spezifischen Organsystems ohne Beachtung der durchschnittlichen Häufigkeit und Schwere von Zusatzverletzungen würde die Aussagefähigkeit im Hinblick auf organspezifische Charakteristika ungenau abbilden. So ist bekannt, dass Verletzungen der Leber nahezu immer mit Verletzungen anderer Organsysteme einhergehen. Nur isolierte Leberverletzungen zu betrachten würde jedoch dazu führen, ein Kollektiv zu beschreiben, welches in der Realität in dieser Form nicht vorkommt. Mit der hier vorgelegten Untersuchung an einem Kollektiv, welches ein Organsystem als das am schwersten verletzte abbildet, wurde der Ansatz gewählt, die Auswirkungen eines Organsystems unter Berücksichtigung anderer Zusatzverletzungen auf die Entwicklung der Merkmale Frühletalität, Transfusionspflichtigkeit, Sepsis, OV und Spätletalität zu untersuchen.

Die Auswirkungen einer isolierten oder führenden Leberverletzung auf immunologische Funktionsparameter ist weder am Menschen noch im Tiermodel bisher untersucht worden. Alleine eine retrospektive Auswertung, die nach Organsystemen gewichtet ist, kann einen ersten Beitrag leisten, um ihre Bedeutung für Outcome, Sepsis und MOV genauer zu verstehen.

Die hier dargestellten Ergebnisse zeigen einen deutlichen Anstieg der Sepsisinzidenz eines MOV und der Früh- und Spätletalität bei einer schweren Leberverletzung. Dieser Anstieg scheint leberspezifisch zu sein und hebt sich deutlich von den anderen untersuchten Organsystemen ab. Die Durchsicht der Literatur zeigt, dass die Zuordnung spezifischer (z. B. immunologischer) Konsequenzen zu unterschiedlichen Organsystemen nach Polytrauma bisher nicht untersucht wurde. Dies gilt sowohl für experimentelle als auch klinische Untersuchungen, sodass die hier dargestellten Ergebnisse nur eingeschränkt vor der diesbezüglichen geringen Literatur diskutierbar erscheinen.

Trotz weniger Daten erscheint es als unstrittig, dass die Beteiligung der Leber beim Traumageschehen zu einer Zunahme der Mortalität führt. Es existieren jedoch einige indirekte Hinweise, die die Leber als zentrales Organ nach Trauma charakterisieren können. Nachdem erstmals Tinkhoff et al. [9] Anfang der 1990er Jahre einen Zusammenhang zwischen Zirrhose und Outcome nach Trauma aufzeigten, konnte diese Hypothese von zahlreichen Autoren bestätigt werden. Dangleben et al. [10] konnten in einer Matched-pairs-Studie nachweisen, dass die Leberzirrhose einen unabhängigen Prognosemarker der Mortalität darstellt, hierbei konnten sie auch eine Korrelation zwischen Mortalität und dem Grad der Leberzirrhose (Definition nach Child-Turcotte-Pugh) aufzeigen. Diese Ergebnisse konnten von Christmas et al. [11] zusätzlich verifiziert werden. Sie zeigten neben einer Zunahme der Letalität und Liegedauer auch eine signifikante Steigerung der Sepsisrate nach Trauma. Insgesamt verstarben in ihrer Studienpopulation 55% der Patienten mit Leberzirrhose aufgrund einer Sepsis; 33% der Patienten mit Zirrhose verstarben im Vergleich zu nur 1% in der nicht leberzirrhotischen Kontrollgruppe [11]. Diese dargestellten Studien zur Leberzirrhose und Polytrauma zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Leberfunktion und Outcome nach Trauma.

Im Tierexperiment führt eine Leberteilresektion je nach Menge des entfernten Lebergewebes zu einer deutlichen Einschränkung der Syntheseleistung insbesondere für Gerinnungsprodukte [12]. Zusätzlich wird die Clearancefunktion für bakterielle Endotoxine deutlich reduziert [13]. Die Folgen können sich einerseits in einem entgleisten Gerinnungssystem bis hin zu einem DIC als auch in einem spontanen MOV nach Sepsis oder im volumenrefraktären Schock ausdrücken [14, 15, 16]. Insofern ähneln sich die Auswirkungen einer Leberteilresektion mit denen einer traumatischen Leberzerstörung.

Jedoch ist die traumatische Schädigung der Leber nicht notwendigerweise mit einer messbaren Funktionsminderung der Leber vergesellschaftet. So konnten beispielsweise Perdrizet et al. [17] in einem Schweinemodel, in welchem ein stumpfes Lebertrauma mit einem hämorrhagischen Schock kombiniert wurde, eine deutliche Erhöhung der Frühletalität nach Reperfusion demonstrieren. Die Erhöhung der Letalität ergab sich aus einer anhaltenden postischämischen Schocksituation.

Die Bedeutung der Leber auch im frühen Traumageschehen konnten beispielsweise Perl et al. [18] nach Thoraxtrauma in einem Mausmodel demonstrieren. Sie zeigten erstmalig eine Antwort auf von Kupffer-Zellen nach Thoraxtrauma innerhalb von 30 min. Hierbei wurde von der Leber IL-6, TNF-α und IL-10 in hoher Konzentration gebildet ohne das die Leber selbst traumatisiert war.

Es ist eindeutig belegt, dass ein Gewebetrauma zu einer signifikanten Verminderung der immunologischen Potenz führt. Die Leber ist als ein zentrales Organ des retikuloendothelialen Systems (RES) und in ihrer Bedeutung innerhalb der Infektabwehr mehrfach beschrieben worden.

In den hier dargestellten Ergebnissen aus dem Traumaregister zeigt sich in der Gruppe mit schwerem Lebertrauma eine deutliche Zunahme der Anzahl an EK in der Früh- und Spätphase nach Trauma. Diese Beobachtung nach Lebertrauma wird auch von anderen Arbeitsgruppen unterstützt. So stellt z. B. die Anzahl transfundierter EK einen unabhängigen Prognosefaktor in der posttraumatischen Periode nach Lebertrauma dar. Die Autoren argumentieren, dass alleine die Blutprodukte möglicherweise über ihre Antigenität zu einer Zunahme der Sepsisinzidenz führen [19]. Sowohl Moore et al. [20] als auch Malone at al. [21] zeigten einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Anzahl transfundierter EK und dem Auftreten eines posttraumatischen OV. Melone et al. [21] zeigten diesen Zusammenhang bereits innerhalb der ersten 24 h nach Trauma.

Kritisch sollte in diesem Zusammenhang jedoch die Fragestellung zulässig sein, ob und inwieweit die Gabe von Erythrozyten eine Immunparalyse bedingen, zumal Traumapatienten auch ohne Erythrozytengabe eine Sepsis und ein MOV entwickeln können. Damit ist zu diskutieren, ob die Korrelation zwischen EK und Letalität möglicherweise nur als Epiphenomen z. B. einer verlängerten Gewebeischämiezeit betrachtet werden muss. So ist die Anzahl transfundierter Blutprodukte auch immer ein Marker für Verletzungsschwere, Schockinzidenz und Ischämiedauer. Dies kann durch eine Multivarianzanalyse nicht eindeutig getrennt werden. Um diese Frage genauer zu untersuchen, wurden in der vorliegenden Analyse zusätzlich 2 Subgruppen gebildet (Tab. 3). Hier zeigt sich eindrucksvoll, dass trotz einem ähnlichen ISS und Anzahl transfundierter EK die Patienten mit einer schweren Leberbeteiligung weiterhin bezüglich Letalität, Sepsis und MOV deutlich führend sind. In diesem Zusammenhang können immunmodulierende Substanzen zu einer deutlichen Reduktion infektiöser Komplikationen beitragen. Nach Polytrauma können Proteine wie der Granulozyten-Makrophagen-kolonienstimulierender Faktor (GM-CSF) oder Interferon-γ zu einer Verbesserung der posttraumatischen Immunparalyse führen [22, 23]. Patienten mit einer z. B. auch durch einen Leberschaden bedingten Immuninsuffizienz könnten von einem frühen Einsatz immunmodulierender Substanzen profitieren [22, 23].

Die Auswertung der Daten des Traumaregisters bezüglich Lebertrauma (AIS>2) und Behandlung vor und nach 2000 zeigt den in der Einleitung bereits dargestellten Paradigmenshift ab dem Jahr 2000 [3]. Die Reduktion der Laparotomierate ab dem Jahr 2000 in den ans Traumaregister angeschlossenen Kliniken um 11,2% beweist ein Umdenken bei der Versorgung nach Abdominalverletzung. Hierdurch ergab sich eine Reduktion der Letalität am ähnlichen Krankengut (ISS=39,7 vs. 39,8) um 2,4%. Um diesen Vorteil der konservativen Behandlung jedoch besser untermauern zu können sind jedoch genauere Untersuchungen notwendig, da auch insgesamt sowohl die präklinische als auch die klinische Versorgung im selben Zeitraum Fortschritte vollzogen hat. Während früher fast immer eine explorative Laparotomie erfolgte, wird nun bei kreislaufstabilen Verhältnissen zunehmend eine konservative Therapie empfohlen [24]. So betrug der Anteil in einer amerikanischen (multizentrischen) Studie 47%. Bei 404 Patienten wurde hier eine Erfolgsrate von 98,5% mitgeteilt, wobei Blutungen und andere Komplikationen nur in 3,5% auftraten [25].

In einer weiteren Serie von 495 konservativ behandelten Patienten lag die Erfolgsrate bei 94% und die mittlere Krankenhausbehandlung bei 13 Tagen, wobei durchschnittlich nur 1,9 EK/Patient transfundiert werden mussten. Die Komplikationsrate lag bei 6,2%, wobei es sich nur in 2,8% um Blutungen handelte. Leberbedingte Todesfälle oder übersehene Darmverletzungen wurden nicht beobachtet [1]. In beiden Kollektiven handelte es sich überwiegend um leichtere Lebertraumen, während Verletzungen vom Typ Moore IV und V (14%) eher selten waren.

In einer Studie aus Deutschland wurden bis zum Jahr 2004 nur 14% aller Patienten konservativ behandelt. Auch die leichteren Verletzungen vom Typ I–III wurden in zwei Drittel der Fälle (31/44) operiert, wobei keine leberbedingte Sterblichkeit beobachtet wurde. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass in Hinblick auf die überzeugenden Daten der genannten multizentrischen Studien und zahlreicher weiterer, z. T. großer Patientenkollektive die Laparotomie bei einem Großteil der Patienten mit Verletzungen vom Typ I–III wohl eine Übertherapie darstellt, die im Hinblick auf Überleben, Morbidität und Behandlungsdauer keine Vorteile zu erbringen scheint [26]. Diese Aussage wird durch die eigenen Daten untermauert (Tab. 5).

Die Frage nach den dringlichen Kriterien zum operativen Vorgehen nach Bauch- und Lebertrauma ist nicht eindeutig aus der Literatur zu beantworten. Die Kriterien sind nicht einheitlich und beziehen sich auf nicht selten auf den Begriff „instabil“. Von Clarke et al. [27] konnte jedoch gezeigt werden, dass die Letalität nach Trauma im Rahmen eines Blutungsschocks alle 3 min um 1% zunimmt, sodass die Zeit vom Eintreffen im Schockraum bis zur Laparotomie entscheidend das Outcome beeinflusst.

Fazit für die Praxis

Unserer Meinung nach sollten instabile Patienten über folgende Parameter erkannt werden:

  • Ort der Blutungsquelle, d. h. freie Flüssigkeit im Abdomen im initialen Ultraschall ggf. mit Zunahme im Verlauf,

  • Volumenverlust, d. h. Substitutionspflicht zur Kreislaufstabilisierung bei Abfall des systolischem Blutdruck <80–90 mmHg,

  • Zeichen der systemischen Mangelperfusion mit negativem Basenüberschuss und pH und ggf. bei einem initialen Hämoglobin <8 mg/dl mit Zeichen der Verbrauchskoagulopathie.

Die Kenntnis der hier dokumentierten zusätzlichen Gefahren, wie sie durch eine Verletzung der Leber entstehen können, kann durch z. B. eine spezifische Gerinnungstherapie und eine frühzeitige Substitution von EK möglicherweise positiv beeinflusst werden. Die immunologischen Veränderungen, wie sie durch die Verletzung der Leber zu erwarten sind, können möglicherweise die mittlerweile vielfach beschriebene Immunsuppression nach Trauma noch verstärken.