Bei der Versorgung von instabilen Oberarmkopffrakturen geriatrischer Patienten ermöglichten die bisherigen Implantate insbesondere bei Osteoporose und schlechter Compliance keine sichere Versorgung. Immobilisationsfolgen bei zusätzlich nötiger Ruhigstellung oder Dislokationen von Fraktur und Implantaten waren nicht selten die Folge.

Die Komplikationen herkömmlicher Osteosyntheseverfahren wie Drahtdislokation bei der perkutanen Kirschner-Draht-Stiftung [14], Pinperforation bei der retrograden Bündelnagelung [12], Cerclagenausriss [13], Plattendislokation, Schraubendislokation, Humeruskopfnekrose besonders nach offenen Verfahren, sowie Repositionsverlust sind hinreichend beschrieben [15, 16, 28]. Es erschien daher sinnvoll, die Eignung eines neuen winkelstabilen, antegraden Marknagelsystems (Targon® PHN) für diese Problemfrakturen des älteren Menschen zu überprüfen.

Material und Methoden

Seit Dezember 2000 wurde bei Patienten >60 Jahren mit instabilen Oberarmkopffrakturen der proximale Humerusnagel 112-mal angewandt. Ausgeschlossen wurden Head-Split-Frakturen und Frakturen mit starker Dislokation im Bereich des Collum anatomicum. Wegen der hochgradigen Gefahr der Humeruskopfnekrose erfolgte bei diesen Patienten die Implantation einer Oberarmkopfprothese. Analysiert wurden die ersten 41 Implantationen an 40 Schultern mit >6-monatiger Nachbeobachtungszeit. Es handelte sich um geriatrische Patienten (33 weiblich/6 männlich) mit einem mittleren Alter von 81±10 (62–102) Jahren; 90% der Fälle konnten nachverfolgt werden. Eine klinische Nachuntersuchung durch den Erstautor erfolgte in 80% der Fälle (32 Schultern). Der Constant-Score wurde erhoben und hieraus ein altersadaptierter und seitenvergleichender Prozentwert berechnet [7, 9, 30].

Das funktionelle Ergebnis wurde bilddokumentiert. Es handelte sich um 16 2-Segment-Frakturen, 22 3-Segment-Frakturen und 3 4-Segment-Frakturen. In 5 Fällen lagen komplexe Arm-Schulter-Verletzungen vor, wie zusätzliche knöcherne Bankart-Läsion, eine gleichseitige Oberarmschaftfraktur und eine gleichseitige Radiusfraktur; 4 Patienten wurden nur telefonisch befragt. Ein Patient schied nach sekundärer Implantation einer Oberarmkopfprothese aus der Betrachtung aus. Drei Patientinnen (92 Jahre) verstarben postoperativ, bevor eine Nachuntersuchung mit Mindestabstand von 6 Monaten stattfand.

Nageldesign und Operationstechnik

Als Besonderheit weist der Targon-Humerusnagel 4 proximale Titanverriegelungsbolzen mit Gewinde auf. Durch die Fixierung der Verriegelungsbolzen im Nagel entsteht Winkelstabilität und Gleitstabilität der Konstruktion, ohne die sonst bekannten Probleme des „Spiels“ der Bolzen in den Nagelbohrungen. Durch das besondere Schraubendesign mit konischem und gewindetragendem Schraubenkopf ist eine zusätzliche Verbesserung der Fragmentfixierung im Vergleich zu üblichen gewindelosen und rundoval geformten Schraubenköpfen möglich. Durch das Schraubendesign entsteht ein doppelter Stelleffekt am Nagelgewinde und an der Kalottenkortikalis. Der Nagel steht in 2 Längen (150 und 220 mm) zur Verfügung.

Links- und Rechtsversion passen sich jeweils den Tuberkula und dem Bizepssehnensulkus an und schonen wichtige anatomische Strukturen. Die verminderte Relativbewegung der Fragmente sollte die Revaskularisierung begünstigen, die endostale Heilung beschleunigen und eine forcierte Rehabilitation ermöglichen. Eine Implantatentfernung ist bei komplikationslosem Verlauf nicht erforderlich.

Vier Operateure versorgten die Frakturen. 90% der Patienten wurden innerhalb von 24 h nach dem Unfall operiert. Der Eingriff erfolgte in halbsitzender Position des Patienten mit beweglich abgedecktem Arm, wobei der Kopf in einem Kopfring stabil gelagert wurde. Der Bildwandler war am Kopfende positioniert.

Die Operationsdauer betrug 90±27 min und die Durchleuchtungszeit 117±80s. Über einen ca. 4–5 cm langen Deltoideus-Split-Zugang mit subperiostaler Ablösung des Deltamuskels vom Vorderrand des Acromions und kurzstreckiger (1,5–2,0 cm) Längseröffnung der Supraspinatussehne dorsal der langen Bizepssehne erfolgte der Zugang zum Oberarmkopf. Die Reposition der Kopfkalotte erfolgte entweder geschlossen oder halboffen unter Nutzung eines 2,5-mm-Kirschner-Drahtes als Joystick.

Durch die Längsinzision der Supraspinatussehne konnte nach Fadenarmierung der Sehnenränder der Führungsdorn für die kanülierte Hohlfräse zentral in die kraniale Kopfkalotte eingebracht werden. Mit der Hohlfräse wurde ein ca. 3 cm langer Fräszylinder bestehend aus Knorpelschicht, subchondraler Knochenzone und Spongiosa aus dem Oberarmkopf entnommen. Über diesen Zugang zum Oberarmkopf wurde der Nagel eingeführt und der Schaftanteil aufgefädelt. Der Insertionsvorgang erfolgte ohne wesentlichen Kraftaufwand, um ein Hebeln über die verletzliche Kalotte zu vermeiden.

Die proximale Verriegelung erfolgte über den Zielbügel und Trokar-Hülsen-Kombinationen, die stets mit 4 Bolzen im Oberarmkopf verankert wurden. Dabei wurden die Tuberkula mit sich kreuzenden und in den Gewindelöchern des Nagels winkelstabilen Verriegelungsbolzen fixiert. Die Bolzen wurden mindestens 4 mm kürzer als ausgemessen gewählt, um ein Überstehen in das Gelenk oder in den Subakromialraum zu vermeiden. Eine zusätzliche Cerclagenfixierung erfolgte nicht. Eine Fadenfixierung der Rotatorenmanschette erfolgte nur, wenn die Verankerung der Verriegelungsbolzen in den Tuberkula kritisch erschien. Die Schaftverriegelung erfolgte mit 2 Schrauben ebenfalls über den Zielbügel (Abb. 1, 2).

Abb. 1
figure 1

Verriegelung über Handbügel: a Situs, b Schema

Abb. 2
figure 2

a Positionieren des Tellerführungsdorns, b Nagelinsertion, c Abschlussröntgenkontrolle a.-p. d Abschlussröntgenkontrolle tangential

Nachbehandlung

Krankengymnastik erfolgte ab dem 1. postoperativen Tag. Ein Gilchrist-Verband wurde in den ersten 1–2 Wochen angelegt. Während das Bewegungsausmaß zu Beginn der Serie für die ersten 6 Wochen auf 90° Abduktion und Elevation limitiert wurde, erfolgte zunehmend die Nachbehandlung unter völliger Freigabe des Bewegungsausmaßes. Maximale Rotationsausschläge sollten für 6 Wochen vermieden werden.

Ergebnisse

Bei 39 Patienten wurden 41 Nagelimplantationen durchgeführt. Von 40 Schultern konnten 36 Schultern (90%) bei 35 Patienten nachverfolgt werden. Bei 31 Patienten und 32 Schultern erfolgte die klinische Nachuntersuchung durch den Erstautor in der Regel in der häuslichen Umgebung oder im Heim; 4 Patienten wurden telefonisch persönlich und über den weiterbetreuenden Arzt evaluiert. Von der Nachbeobachtung waren 4 Patienten ausgenommen. Ein Patient erlitt nach erneutem Sturz eine komplette Redislokation der Fraktur sowie eine zusätzliche Frakturierung und einen Implantatausriss. Er erhielt eine Oberarmkopfprothese. Vor einer Nachkontrolle verstarben 3 Patientinnen mit mittlerem Alter von 92 Jahren.

Während des Nachbeobachtungszeitraums von 13±5 (Minimum 7) Monaten heilten alle Frakturen. Die Aktivitäten des täglichen Lebens waren wieder möglich. Die Patienten erreichten im Mittel einen Constant-Score von 57±12. Verglichen mit dem vorgesehenen Scorewert für die jeweilige Altersgruppe [9] erreichten die Patienten im Mittel 86±17%. Im Vergleich zur nicht betroffenen Gegenseite erreichten die Patienten im Mittel 90±7%.

Die Beurteilung der Constant-Scorewerte [4] zeigte für die altersadaptierten und seitenvergleichenden Werte in 72% bzw. 83% gute und sehr gute Ergebnisse. Die Verteilung der Ergebnisse ist in den Abb. 3, 4 aufgeschlüsselt.

Abb. 3
figure 3

Altersadaptierter Constant-Score

Abb. 4
figure 4

Seitenadaptierter Constant-Score

Die aktive Abduktion an der betroffenen Seite betrug im Mittel 119±32° (45–170°), an der nicht betroffenen Seite 134±32° (45–170°). Die aktive Flexion betrug an der betroffenen Seite 125±32° (60–170°), an der nicht betroffenen Seite 137±31° (60–175°). Die Außenrotation betrug an der betroffenen Seite 28±18° (−10–45°) und 36±15° (0–45°) an der nicht betroffenen Seite.

Betrachtet man die Ergebnisse abhängig von der Segmentzahl (Tabelle 1), zeigten Patienten mit komplexeren Verletzungen im Mittel keine schlechteren Ergebnisse.

Tabelle 1 Constant-Score und Verletzungsschwere (MW±STD)

Auffällig war der hohe Anteil von unkooperativen Patienten in der Gruppe der 2-Segment-Frakturen. Zwei Drittel der nachkontrollierten Patienten wiesen eine Demenz oder Alkoholkrankheit auf. In der Gruppe der 3-Segment-Frakturen lag der Anteil der Demenzpatienten an den nachuntersuchten Patienten bei 20%. In der kleinen Gruppe der Patienten mit 4-Segment-Frakturen war dagegen die Motivation zur postoperativen Physiotherapie extrem hoch. Dies mag die guten Ergebnisse bei den 3-Segment-Frakturen und 4-Segment-Frakturen ermöglicht haben.

Die Analyse der 8 jüngeren Patienten mit mittlerem Alter von 67 (63–72) Jahren (6 weiblich) zeigte im Mittel einen Constant-Score von 64 mit altersadaptiertem Score von 89% und seitenadaptiertem Score vom 88%.

Eine Impingementsymptomatik beklagten bei den klinischen Nachuntersuchungen nur 3 Patienten, bei denen ein Implantatüberstand im Röntgen vorlag. Einmal führten wir deshalb die Implantatentfernung nach Ausheilung durch. Die anderen Patienten wünschten einen weiteren Eingriff wegen der nur geringen Symptomatik nicht.

Obwohl die hochbetagten Patienten zu 50% eine schlechte Compliance in der postoperativen Nachbehandlung zeigten, war die Komplikationsrate gering: eine distale Schaftfissur beim Verriegeln eines Implantats, eine letale postoperative Pneumonie, 2 Implantatlockerungen der distalen Verriegelungsschrauben ohne Revisionsbedarf, eine Schraubenwanderung eines proximalen Bolzens ohne Revisionsbedarf, ein Implantatüberstand mit Impingementsymptomatik mit gutem Ergebnis nach Implantatentfernung und ein Bohrerbruch ohne Revisionsbedarf. Eine Redislokation mit Implantatausbruch ereignete sich nach Sturz über das Bettgitter. Dieser Patient erhielt eine Oberarmkopfprothese. Die Rate an revisionspflichtigen Komplikationen betrug somit 3 von 41 (7%). Es traten keine Infektionen und keine Blutungen und keine Pseudarthrosen auf.

Bei einer weiteren Patientin kam es nach erneutem Sturz zu einer Fraktur unterhalb des Implantats; 5 Wochen nach Primärversorgung kam es im Bereich der Primärfraktur weder zu einem Implantatversagen noch zu einem Repositionsverlust. Nach Entfernung des kurzen proximalen Humerusnagels konnte die zusätzliche Oberarmschaftfraktur mit einem langen proximalen Humerusnagel versorgt werden. Da das proximale Nageldesign übereinstimmt, waren nach Einbringen der langen Nagelvariante auf die gleiche Eindringtiefe die proximalen Verriegelungsoptionen wieder zu verwenden.

Die Patienten mit schlechten Ergebnissen im Constant-Score hatten beidseits, also auch am vermeintlich gesunden Arm, eine schlechte Schulterfunktion. Deshalb sind die Ergebnisse im seitenangepassten Score besser als im altersadaptierten Score. Die Patienten mit schlechten Scorewerten hatten ein gutes passives Bewegungsausmaß jedoch eine schlechte aktive Funktion der Schulter. Das schlechte Ergebnis konnte somit nicht in erster Linie der Nagelversorgung angelastet werden. Bei den 6 ausreichenden und schlechten Ergebnissen lag 3-mal eine schwere Compliancestörung bei Pflegebedürftigkeit vor. Einmal lag ein leichter Implantatüberstand vor. Einmal bestand eine schwere rheumatoide Arthritis mit beidseits schlechter aktiver Schulterbeweglichkeit.

Fallbeispiel 1

Die 77-jährige Patientin erlitt bei einem Sturz aus dem Stand eine Viersegmentfraktur (Abb.5a) des rechten Oberarmkopfes. Die operative Versorgung erfolgte primär innerhalb von 12 h nach dem Unfall. Nach Deltoideus-Split-Zugang mit kurzstreckiger Eröffnung der Rotatorenmanschette gelang die Reposition der Kalotte geschlossen. Das Tuberculum majus verblieb im Weichteilverbund und wurde mit dem Raspatorium reponiert.

Abb. 5
figure 5

a 77-jährige Patientin: Unfalltagröntgen einer Viersegmentfraktur. b 6-Wochen-Kontrolle Röntgen a.-p. c 6-Wochen-Kontrolle Röntgen tangential. d 9 Monate postoperativ, klinisches Ergebnis Abduktion. e 9 Monate postoperativ, klinisches Ergebnis Anteversion

Man erzwang die komplette Reposition des Tuberculum minus nicht, da sonst eine Freilegung und Weichteildenudierung hätte erfolgen müssen. Nichtresorbierbare Fäden und eine 0,7-mm-PDS-Kordel sicherten die Reposition der Tuberkula gegeneinander nach Vorlegen von 2,0-mm-Bohrkanälen. Danach erfolgte der Fräsvorgang durch die kraniale Kalotte und die Nagelinsertion. Für die Fixierung des Tuberculum minus nutzte man eine Unterlegscheibe (einziger Fall in der gesamten Serie). Für 6 Wochen war das Bewegungsausmaß auf 90° Abduktion und Flexion sowie 10° Außenrotation limitiert. Nach 7 Tagen stationären Aufenthalts setzte die Patientin die am 1. postoperativen Tag begonnene Krankengymnastik ambulant fort. Die Fraktur war nach 6 Wochen radiologisch (s. Abb. 5b, c) und klinisch geheilt. Nach 9 Monaten (s. Abb. 5d, e) bestand ein Constant-Score von 73 bei für die Altersgruppe vorgesehenen 69 Punkten. Im Seitenvergleich erreichte die beschwerdefreie und sehr zufriedene Patientin 95%.

Fallbeispiel 2

Die 82-jährige Patientin stürzte zuhause und zog sich eine instabile Dreisegmentfraktur zu. Am Unfalltag erfolgte die minimal-invasive Versorgung über einen Deltoideus-Split-Zugang mit kurzstreckiger Längsinzision der Supraspinatussehne. Nach manueller Reposition der Kalotte und des Tuberculum majus ohne Frakturfreilegung erfolgte das Aufbohren und die Nagelinsertion. Die proximale Verriegelung mit vier Bolzen erfolgte von lateral über den vorhandenen Zugang und perkutan von ventrolateral und dorsolateral über den Zielbügel und Trokar-Hülsen-Kombination.

Die funktionelle Nachbehandlung ohne Ruhigstellung erfolgte bei der alleinstehenden Patientin in der stationären Rehabilitation für insgesamt 5 Wochen nach dem Unfall. Nach 6 Wochen war die Fraktur konsolidiert und im Constant-Score erreichte die Patientin nach 7 Monaten 69 Punkte. Bei für die Altersgruppe im Regelfall vorgesehenen 64 Punkten erreichte sie damit 100% im altersadaptierten Score. Im seitenadaptierten Constant-Score erreichte sie 97% (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

a 82-jährige Patientin: Unfalltagröntgen a.-p.: intraoperativ Dreisegmentfraktur. b Unfalltagröntgen tangential, c 6-Wochen-Kontrolle Röntgen a.-p. d 6-Wochen-Kontrolle Röntgen tangential, e 7 Monate postoperativ, klinisches Ergebnis Abduktion , f 7 Monate postoperativ, klinisches Ergebnis Anteversion

Diskussion

Bei zunehmender Tendenz [3] betreffen 4–5% aller Frakturen den proximalen Humerus [19]. Frauen sind doppelt bis 3-mal so häufig betroffen wie Männer [21, 25]. Obwohl in 80% der Fälle Menschen >65 Jahre betroffen sind, fehlen Studien über Patienten mit mittlerem Alter >75 oder gar 80 Jahre. Die schlechte Verankerungsmöglichkeit der Implantate bei Osteoporose ist bekannt und die Vielfalt der Implantate und Versorgungsmethoden ist Ausdruck für das Fehlen einer allgemein akzeptierten Versorgungsform. Während die konservative Therapie der stabilen, nichtdislozierten Fraktur standardisiert ist und gute funktionelle Ergebnisse liefert, besteht weder in der Implantatwahl noch in der Frage des Kopferhalts oder der Hemiarthroplastik für die Mehrsegmentfrakturen und für die dislozierten Frakturen Einigkeit.

Die konservative Therapie sollte für die instabilen Oberarmkopffrakturen nicht mehr gewählt werden, auch wenn in einigen Serien in etwa 60% gute funktionelle Ergebnisse [17] erzielt wurden und 65% der Patienten subjektiv zufrieden waren [23]. Die Rate an schlechten und unbefriedigenden Ergebnissen ist in der Regel zu hoch.

Eine hohe primäre Stabilität der Versorgung wurde durch die bisherigen Implantate nicht erreicht. Komplikationen sind bei den bisherigen operativen Verfahren häufig [8, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 28]. Neue stabilere Implantate wie proximale Humerusnägel [1, 22, 29] und winkelstabile Humerusplatten sind seit kurzem eingeführt. Auch die Versorgung mit einer Oberarmkopfprothese stellt keine befriedigende Lösung dar. Es kommt zwar zu einer guten Schmerzreduktion und zu einem subjektiv guten Ergebnis, eine deutliche Einschränkung der aktiven Beweglichkeit und Kraft verbleibt aber [2, 5, 6, 24].

Das Konzept der winkelstabilen antegraden Nagelung verspricht eine hohe Primärstabilität und damit die Möglichkeit der frühfunktionellen Nachbehandlung.

Die Idee der Nagelung von dislozierten proximalen Oberarmfrakturen ist nicht neu [32]. Auch die proximale Verriegelung eines Nagels im Bereich der Oberarmkalotte wurde schon früher, z. B. mit einem modifizierten Zickelnagel, eigentlich einem Implantat zur Versorgung von pertrochantären Oberschenkelfrakturen, verwirklicht [20]. Neuere antegrade Nagelsysteme (Polarus®, Targon®) mit präzisen Zielbügeln und standardisierter Technik stehen aber erst seit kurzem zur Verfügung.

Obwohl das Durchschnittsalter des Patientenkollektivs mit 81 Jahren weit über dem mittleren Alter der Kollektive lag, über die in der Literatur berichtet wird, waren die Patienten trotz Osteoporose und schlechter Compliance mit dem antegraden Nagel mit geringer Komplikationsrate erfolgreich behandelbar. Die funktionellen Ergebnisse waren mit 90% des Constant-Scores der gesunden Gegenseite hervorragend und bestätigten die guten Ergebnisse der vorliegenden Studien [1, 22, 29]. Vergleichbare Daten aus der Literatur mit ähnlicher Altersstruktur der Patienten liegen auch für andere Implantate nicht vor, da die Patienten in der Regel deutlich jünger waren.

Für hochbetagte Patienten mit 4-Segment-Frakturen wird in der Literatur die Hemiarthroplastik empfohlen, wobei Constant-Scorewerte von ca. 50 erreicht werden, mit zwar guter Schmerzfreiheit jedoch schlechter Funktion [2, 5, 6, 24].

Eine Abduktion von 90° gilt allgemein als gutes Ergebnis bei der Frakturendoprothethik, da insbesondere die Resorbtion der Tuberkula ein noch nicht gelöstes Problem darstellt. Aufgrund der guten Funktion nach Versorgung mit dem Oberarmnagel wendeten wir mit zunehmender Erfahrung mit dem Implantat das Verfahren auch bei 4-Segment-Frakturen an. Die 3 Patienten mit 4-Segment-Frakturen erreichten deutlich bessere Scorewerte und eine bessere aktive Beweglichkeit, als dies mit einer Hemiarthroplastik unserer Ansicht nach erreichbar ist.

Größere Patientenzahlen und langfristige Verlaufsbeobachtungen insbesondere mit der Frage der Entwicklung einer Oberarmkopfnekrose stehen noch aus. Die klinische Relevanz der Entwicklung einer Oberarmkopfnekrose bei dem Durchschnittsalter von >80 Jahren in unserem Kollektiv halten wir jedoch für begrenzt. Zudem korrelieren radiologische Veränderungen und klinische Funktion nicht zwingend [10].

Kritisch zu diskutieren ist bei der Implantationstechnik der Zugang zum Oberarmkopf durch die Rotatorenmanschette. Auffällig war in unserer Serie der hohe Anteil (90%) noch intakter Rotatorenmanschetten bei den geriatrischen Patienten. Für die Positionierung des Tellerführungsdorns und das Aufbohren der Kalotte mit der Hohlfräse ist nur ein ca. 1,5 cm Längszugang durch die Supraspinatussehne dorsal der Bizepssehne nötig. Auch die Nagelinsertion benötigt keine weitere Eröffnung. Selbst bei Zuhilfenahme eines gebogenen Raspatoriums zur Unterstützung der Reposition ist eine Erweiterung der Rotatorenmanschetteneröffnung über 2 cm in der Regel nicht erforderlich. Der Verschluss dieses Zugangs erfolgte mit fortlaufendem PDS-Faden. In der Nachbehandlung wurde auf die kurzstreckige Eröffnung der Supraspinatussehne keine Rücksicht genommen. Die Nachbehandlung erfolgte frühfunktionell und zum Schluss der Serie so aktiv wie möglich.

Intraoperativ ist unserer Meinung nach die Wahl der Schraubenlängen subtil zu prüfen. Ein Durchbohren der Gegenseite sollte beim Bohrvorgang vermieden werden. In der Regel sind die Schrauben mindestens 4–6 mm kürzer als ausgemessen zu wählen, um einen Implantatüberstand in das Gelenk oder nach subakromial zu vermeiden. Die Position des Schraubenkopfes in den Weichteilen über der Kalotte ist manuell zu prüfen. Bei einem Überstand des Nagels über das Kalottenniveau kommt es sicher zu einem subakromialen Impingement, sodass bei der Insertion des Nagels und während der ersten proximalen Verriegelung auf das sichere Eintauchen in die Kalotte geachtet werden muss. Die in dem Operationsset befindliche Messlehre kann dabei behilflich sein.

Für die Nagelung des proximalen Oberarms gilt der Deltoideus-Split-Zugang als Standard. Die Morbidität ist u. E. vernachlässigbar. Durch die subperiostale Ablösung des Deltamuskels am Acromion und die transossäre Refixierung mit kräftigem fortlaufenden PDS-Faden haben wir keine Atrophie des vorderen Deltamuskels gesehen. Der sonst übliche Deltoideo-pectorale-Zugang zum Oberarmkopf für die Plattenosteosynthese oder die Cerclagenanlage erfordert entweder eine Ablösung des Deltamuskels oder eine mehr oder weniger ausgeprägte Abduktion und Außenrotation des Arms, welches eine korrekte Reposition erschwert.

Beim Deltoideus-Split-Zugang kann durch leichten Zug am hängenden Arm in der überwiegenden Zahl der Fälle geschlossen und ohne Weichteilablösung die Fraktur reponiert und versorgt werden. Die Fixierung des Tuberculum majus kann über die proximalen Verriegelungsbolzen ohne Probleme erfolgen. Die Reposition ist mit Hilfe eines Raspatoriums oder eines Häkchens möglich. Für multifragmentierte Segmente steht eine Unterlegscheibe mit Krallen zur Verfügung, die wir aber nur einmal genutzt haben, da sie u. E. zuviel Implantatüberstand mit der Gefahr des subakromialen Impingements verursacht. Zudem wird dadurch die Durchblutung der Fragmente eher kompromittiert.

Auch wenn bei der Verriegelung von ventrolateral die lange Bizepssehne theoretisch in Gefahr ist, haben wir eine Läsion mit distalisiertem Bizepsmuskel bei den Nachuntersuchungen nicht gesehen. Intraoperativ ist die Gefahr der Verletzung der langen Bizepssehne durch das Drehen des Nagels über den Zielbügel vor der ersten Verriegelung von lateral vermeidbar, da der Bizepssehnensulkus vom Deltoideus-Split-Zugang aus tastbar ist und die ventrolaterale Verriegelung entsprechend eingeplant werden kann.

Bei der proximalen Fixierung besteht ein theoretischer Vorteil der proximalen Verriegelung von Fraktursegmenten von ventral und dorsal, da die Knochenfestigkeit im Humeruskopf in den ventralen und dorsalen Abschnitten am größten ist. Durch die von ventral und dorsal schräg einzubringenden proximalen Verriegelungsbolzen kommt es damit zu höherer Stabilität als bei den alleinigen Verriegelung von lateral. Die Verriegelung mit allen 4 Bolzen erfolgte deshalb standardisiert.

Bei multifragmentierten Tuberkula sollte zusätzlich eine Sicherung der Reposition durch Fadenzuggurtung der Rotatorenmanschette und durch Fadenfixierung der Fragmente gegeneinander und an den Verriegelungsbolzen erfolgen.

Intramedulläre Nägel sorgen für eine stabilere Fixierung als perkutane Drähte [31] und als Zuggurtungen mit zusätzlichen Endernägeln [27]. Im Vergleich zu den bisherigen Implantaten ist der in unserer Studie verwendete Nagel jedoch extrem steif. Die Winkelstabilität der proximalen Bolzenfixierung sorgt für eine Minimierung der Fragmentbewegung. Dies kann insbesondere bei Osteoporose im Vergleich zu elastischeren Implantaten (z. B. winkelstabile Humerusplatte) am proximalen Humerus eher zu Lockerungen am Knochen-Implantat-Interface führen [18]. Bei der Reposition ist deshalb eine Distraktion zu vermeiden und die Fraktur im Bereich der Metaphyse tendenziell eher etwas einzustauchen, damit es nicht zu einem Sperren des Implantates mit Ausbleiben der Frakturheilung oder zu einer Implantatlockerung vor Frakturheilung kommt.

Fazit für die Praxis

Mit dem neuen winkelstabilen minimal-invasiven Marknagelsystem lassen sich instabile Oberarmkopffrakturen und proximale Humerusfrakturen auch bei alten Menschen mit mittlerem Alter >80 Jahren mit Osteoporose und schlechter Compliance übungsstabil versorgen. Die implantatbedingte Komplikationsrate war in unserer Serie gering. Pseudarthrosen traten nicht auf. Einmal kam es zum Implantatausriss nach erneutem Sturz.

Trotz häufig schlechter Patientencompliance sind gute funktionelle Ergebnisse mit mittlerem Constant-Score von 57, mittlerem altersadaptierten Constant-Score von 86% und mittlerem seitenadaptierten Constant-Score von 90% erreichbar. Die Primärstabilität ist nach Versorgung mit dem Oberarmkopfnagel groß und ermöglicht so eine frühfunktionelle Nachbehandlung auch von Oberarmkopfmehrsegmentfrakturen.

Unserer Ansicht nach bedeutet die antegrade winkelstabile Nagelung von instabilen proximalen Oberarmfrakturen bei geriatrischen Patienten einen deutlichen Fortschritt bei der Versorgung dieser immer zahlreicher auftretenden Verletzung.