Medien besitzen bei Kindern im Vor- und Grundschulalter einen hohen Stellenwert. Welche Auswirkungen dies auf die Sprachentwicklung mehrsprachig aufwachsender Kinder besitzt, zeigt die vorliegende Studie. Die kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen sollten die spezifischen Mediengewohnheiten ein- und mehrsprachig aufwachsender Kinder beachten.

Das Aufwachsen mit mehreren Sprachen stellt in Deutschland schon lange keine Ausnahmesituation mehr dar. Dennoch ist eine genaue Angabe des Anteils mehrsprachiger Kinder in Deutschland schwer möglich, da dieser Anteil in den offiziellen Statistiken nicht direkt ausgewiesen wird. Ausgehend von den Angaben des Statistischen Bundesamts [27] hat über ein Drittel der Kinder (37,2 %) zwischen 5 und 10 Jahren einen Migrationshintergrund, welcher häufig, aber nicht zwingend, mit Mehrsprachigkeit einhergeht. Umso kontroverser scheint es, dass das Sprechen und Verstehen mehrerer Sprachen in unserer Gesellschaft einerseits gewünscht ist, unser Bildungssystem andererseits monolingual ausgerichtet ist. Eine Berücksichtigung der verschiedenen Sprachen findet in Bildungseinrichtungen in Deutschland nicht statt, im Gegenteil: Das Beherrschen der Umgebungssprache Deutsch ist ein wichtiger Faktor für den Lern- bzw. Schulerfolg [11]. Die Untersuchung möglicher Einflussfaktoren auf den Spracherwerb mehrsprachig aufwachsender Kinder stellt daher ein relevantes Forschungsfeld dar.

Für den bilingualen Erwerb von Sprache sind Qualität und Quantität des sprachlichen Inputs besonders wichtig [1]. Neben sprachkompetenten Interaktionspartnern liefern Medien sprachliche Angebote, und Kinder verbringen damit viel Zeit. Eine große Mehrheit der Kinder in Deutschland wächst in medial reich ausgestatteten Haushalten auf und nutzt Medien umfangreich [17].

Aufgrund ihres hohen Stellenwertes ist die Mediennutzung in der Diskussion von Sprachförderpotenzialen von großer Relevanz. Insbesondere dem Lesen und Vorlesen von Büchern wird eine förderliche Wirkung für die Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten zugeschrieben [7, 9]. Die Wirkung von audiovisuellen Medien (z. B. des Fernsehens) wird hingegen kritisch diskutiert [12]. Die Forschungsgruppe um Ritterfeld (z. B. [24]) schlägt in diesem Kontext vor, bei der Analyse möglicher Auswirkungen zwischen sprachlichen Medien (z. B. Büchern) und bildlichen Medien (z. B. TV) zu unterscheiden. Bei bildlichen Medien können Bilder ausreichen, um ein Unterhaltungspotenzial zu entfalten, ohne dass das Sprachangebot verarbeitet werden muss. So können sprachauffällige Kinder ihre Schwächen durch die visuell dargebotenen Informationen kompensieren [19]. Entsprechend konnten Ritterfeld et al. [25] für das Kindergartenalter und Lagemann und Ilić [13] für Sechs- und Siebenjährige nachweisen, dass mehrsprachige Kinder die als potenziell sprachförderlich eingestuften Medien seltener als ihre einsprachigen Gleichaltrigen nutzen und häufiger fernsehen.

Fragestellungen der Studie

Die vorliegende Studie untersucht den Mediengebrauch mehrsprachiger Kinder. Zu diesem Zweck werden ein- und mehrsprachige Kinder in der durchschnittlichen täglichen Mediennutzdauer verglichen. Es wird erwartet, dass mehrsprachige Kinder bildliche Medien in einer höheren Frequenz und sprachliche Medien in einer geringeren Frequenz nutzen als einsprachige Kinder. Da medienbezogene Vorlieben mit dem Bildungsniveau der Eltern, dem Alter der Kinder und ihrem Geschlecht zusammenhängen [17], werden diese Merkmale kontrolliert.

Es wird außerdem für die Gruppe der mehrsprachigen Kinder untersucht, ob der Medienkonsum den aktiven Wortschatz beeinflusst. Neben dem Alter haben auch das Geschlecht und der elterliche Bildungsstand einen Einfluss auf den Spracherwerb [28]. Daher sollen diese Merkmale sowie die Kontaktzeit zur deutschen Sprache berücksichtigt werden.

Methode

Stichprobe

Die Teilnahme der Kinder war freiwillig und kam nur mit dem schriftlichen Einverständnis der Eltern zustande. Die Datenerhebung erfolgte von Mai bis November 2017. Zur Rekrutierung wurden monolingual deutschsprachige Kindergärten und Grundschulen in Bremen und Niedersachsen kontaktiert. Es konnten 16 Einrichtungen als Kooperationspartner für das Projekt gewonnen werden; insgesamt wurden 1042 Eltern angesprochen. Die Gesamtstichprobe belief sich auf 346 Kinder (33,21 %). Es wurden 134 Kinder aufgrund des Alters (<5 [wurden mit einem anderen Sprachtest überprüft]), 2 Kinder aufgrund einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung, ein Kind mit einer umschriebenen Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten und 14 Kinder, die sich aktuell in sprachtherapeutischer Behandlung befanden (ein Kind davon zusätzlich mit ADS), ausgeschlossen. Für die vorliegende Studie ergab sich eine Stichprobe von 195 Kindern im Alter von 5 bis 8 Jahren. Von diesen sind 142 Kinder einsprachig und 53 Kinder mehrsprachig. Als mehrsprachig werden hier Kinder betrachtet, die, nach Angaben der Eltern, neben der deutschen Sprache noch mindestens eine weitere Sprache sprechen und/oder verstehen; ausgenommen sind Kinder, die in Form eines gesteuerten Spracherwerbs eine weitere Sprache in der Schule lernen. Der Sprachhintergrund dieser Kinder ist sehr heterogen (insgesamt 15 Sprachen). Die größte Gruppe bilden Kinder, die Russisch (n = 9) oder Polnisch (n = 9) sprechen. Von den mehrsprachig aufwachsenden Kindern erzielen 32,1 % im aktiven Wortschatz ein Testergebnis im auffälligen Bereich. Damit liegt der Anteil deutlich über dem Anteil einsprachiger Kinder (4,9 %) mit einem auffälligen Testergebnis (χ2(1) = 26,351, p = 0,000).

Beide Gruppen waren hinsichtlich Alter, IQ (erhoben mit der Wechsler Nonverbal Scale of Ability (WNV, [20]) oder dem Snijders-Oomen non-verbalen Intelligenztest (SON-R 2‑8, [29])) und Geschlecht vergleichbar. Während keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf den schulischen Abschluss des Vaters bestehen (χ2(2) = 0,827, p = 0,661), zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern im Schulabschluss der Mutter (χ2(2) = 14,508, p = 0,001). Aufgrund dessen wird der Schulabschluss der Mutter als Kovariate in die Analyse zur Überprüfung des Unterschieds zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern in der Nutzungsfrequenz der Medien mitaufgenommen.

Erhebungsverfahren

Soziodemografische Daten und Medienkonsum

Die soziodemografischen Daten sowie Informationen zum Medienkonsum der Kinder wurden erfragt. Für den Medienkonsum wurden die Eltern gebeten, für verschiedene Medien (Bilderbücher, Lesebücher, Comics/Zeitschriften, Fernsehen/DVD [im Folgenden: „Fernsehen“], PC-/Videospiele, PC/Laptop, Smartphone, Musik, Radio, Hörbücher/-spiele [im Folgenden: „Hörmedien“]) die Dauer der Nutzung (nach Auswahl pro Woche oder pro Tag) in Stunden anzugeben. Für die Analysen wurde für jedes Kind die durchschnittliche Dauer des Konsums in Minuten pro Tag berechnet. Darüber hinaus wurde von den mehrsprachigen Familien erfragt, in welcher Sprache die Medien überwiegend vom Kind genutzt werden.

Aktiver Wortschatz

Der aktive Wortschatz wurde anhand der Rohwerte des Untertests „Bildbenennung“ des Sprachstandserhebungstests für Kinder im Alter zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5–10 [21]) erhoben. Cronbachs α liegt für diesen Untertest bei 0,91 [21]. Analysen zur Kriteriumsvalidität ergeben mittlere bis hohe Korrelationen zwischen dem Untertest „Bildbenennung“ und dem Untertest „WWTexpressiv“ des Wortschatz- und Wortfindungstest für 6‑ bis 10-Jährige [22].

Intelligenz

Für die teilnehmenden Kinder wurde der IQ mit einem sprachfreien Intelligenztest ermittelt. Hierfür wurden die WNV [20] und der SON-R 2‑8 [29] eingesetzt. Die WNV wurde in der Zweiuntertestversion verwendet, welche aus den Untertests „Matrizen-Test“ und (je nach Altersgruppe) „Formen wiedererkennen“ bzw. „Visuell-Räumliche Merkspanne“ besteht. Die Reliabilität des Gesamt-IQ der WNV liegt bei r = 0,90 [20], die des SON‑R 2‑8 bei α = 0,91 [29]. Die Verfahren korrelieren mit r = 0,74 miteinander [29].

Statistische Methoden

Zunächst werden die prozentualen Häufigkeiten der Sprache, in der mehrsprachige Kinder die verschiedenen Medien nutzen, berichtet. Zur Analyse der Unterschiede zwischen ein- und mehrsprachig aufwachsenden Kindern in der durchschnittlichen Nutzdauer der Medien wird eine multivariate Varianzanalyse, mit dem Schulabschluss der Mutter als Kovariate, durchgeführt. Um den Einfluss der Nutzdauer auf den aktiven Wortschatz zu analysieren, werden zunächst bivariate Korrelationen berechnet. Im Anschluss wird eine schrittweise lineare Regression durchgeführt, in der die mit dem aktiven Wortschatz korrelierenden Merkmale eingeschlossen werden.

Ergebnisse

In Tab. 1 sind die prozentualen Häufigkeiten der Sprache, in der die mehrsprachigen Kinder die verschiedenen Medien überwiegend nutzen, angegeben. Es wird deutlich, dass mit Ausnahme von Fernsehen und Musik alle Medien zu mehr als drei Viertel der Kinder überwiegend auf Deutsch genutzt werden. Außerdem scheint eine ausgeglichene Nutzung in beiden Sprachen verhältnismäßig selten vorzukommen.

Tab. 1 Prozentuale Häufigkeit der Sprachen, in denen Medien von mehrsprachigen Kindern genutzt werden

Um zu untersuchen, ob sich ein- und mehrsprachige Kinder in der durchschnittlichen Nutzungsfrequenz (Durchschnitt Min/Tag), mit der verschiedene Medien genutzt werden, unterscheiden, wurde eine multivariate Varianzanalyse durchgeführt. Es resultiert ein signifikanter Einfluss des Faktors Gruppe (F(10;181) = 2,980, p = 0,002, η2 = 0,141). Ebenso zeigt sich für die Kovariate Bildungsniveau der Mutter (F(10;181) = 4,866, p = 0,000, η2 = 0,212) ein signifikanter Effekt. Signifikante Unterschiede zwischen ein- und mehrsprachig aufwachsenden Kindern in der Häufigkeit der Nutzung des Fernsehers (F(1;190) = 5,068, p < 0,05, η2 = 0,026), des Smartphones (F(1;190) = 7,872, p < 0,05, η2 = 0,040) und des Hörens von Hörmedien (F(1;190) = 11,118, p < 0,05, η2 = 0,055) verdeutlicht Tab. 2.

Tab. 2 Unterschiede zwischen ein- und mehrsprachig aufwachsenden Kindern in der Nutzfrequenz von Medien (univariater Vergleich)

Um den Einfluss des Medienkonsums auf den aktiven Wortschatz mehrsprachiger Kinder zu analysieren, wurden zunächst Korrelationen zwischen dem aktiven Wortschatz und möglichen Prädiktoren berechnet. Das Alter, das Kontaktalter zur deutschen Sprache (= Lebensjahr, seit dem Kontakt zur deutschen Sprache besteht), das Geschlecht und der IQ des Kindes sowie der Schulabschluss der Mutter und des Vaters wurden kontrolliert. Von den Medien korrelieren die Nutzungshäufigkeit der Bilder- und der Lesebücher (r = −0,321, p = 0,019; r = 0,287, p = 0,037), des Fernsehens (r = −0,459, p = 0,001) und des Hörens von Hörmedien (r = 0,372, p = 0,006) signifikant mit dem aktiven Wortschatz. Als weitere Prädiktoren wurden das Alter des Kindes (r = 0,670, p = 0,000), der IQ (r = 0,630, p = 0,000), der Schulabschluss der Mutter (r = 0,535, p = 0,000) und des Vaters (r = 0,309, p = 0,026) und das Kontaktalter zur deutschen Sprache (r = −0,335, p = 0,014) identifiziert. Diese Merkmale wurden in die anschließende Regressionsanalyse als Prädiktoren aufgenommen. Zur Vorhersage der Leistung im aktiven Wortschatz wurden in das Modell mit der größten Varianzaufklärung das Alter, der IQ, die Fernsehdauer, die Dauer der Nutzung von Hörmedien und die Kontaktzeit eingeschlossen (F(5,46) = 27,034, p = 0,000). Diese Prädiktoren erklären 71,8 % der Varianz (korrigiertes R2; R = 0,746). Die standardisierten β‑Koeffizienten in Tab. 3 verdeutlichen, dass das Alter des Kindes (24,6 %) den größten Einfluss besitzt. Die Dauer des Fernsehkonsums trägt mit 6,7 % und die Dauer des Hörbuch‑/Hörspielkonsums mit 4,7 % zur Varianzaufklärung bei. Einen weiteren Beitrag leisten der IQ des Kindes (5,1 %) und das Kontaktalter zur deutschen Sprache (3,4 %).

Tab. 3 Ergebnisse der schrittweisen multiplen Regressionsanalyse zur Vorhersage des aktiven Wortschatzes

Zusätzlich wurde untersucht, welches der beiden Medien (Fernsehen vs. Hörbücher/-spiele) von den Kindern länger genutzt wird. Für die beiden Variablen Fernsehen (M = 71,09, SD = 52,5) und Hörmedien (M = 19,63, SD = 24,2) zeigte sich ein signifikanter Unterschied in der Dauer des Konsums zugunsten des Fernsehkonsums (t(52) = −6,280, p = 0,000, r = 0,657).

Diskussion

Um die Mediennutzung mehrsprachig im Vergleich zu einsprachig aufwachsenden Kindern zu untersuchen, wurde die durchschnittliche tägliche Nutzdauer verschiedener Medien zwischen den Gruppen verglichen. Es wurde deutlich, dass der Fernseher sowohl von den einsprachig (Minuten/Tag: M = 52,94, SD = 38,8) als auch den mehrsprachig (Minuten/Tag: M = 71,09, SD = 52,5) aufwachsenden Kindern das am meisten genutzte Medium darstellt, was die Ergebnisse der KIM-Studie [17] bestätigt. Beim Vergleich mit der täglichen Nutzdauer fällt auf, dass diese in beiden Gruppen unterhalb der in der KIM-Studie festgestellten durchschnittlichen Dauer von 88 Minuten liegt [17]. Allerdings übersteigt der durchschnittliche tägliche Fernsehkonsum in beiden Gruppen die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [2] empfohlene Maximaldauer von 45 Min/Tag für den Altersbereich 6 bis 9 Jahre. Es wird auch klar, dass bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern die Mittelwerte der eher bildlichen Medien tendenziell höher und jene der sprachlichen Medien (mit Ausnahme von Musik) niedriger ausgeprägt sind als bei den einsprachigen Kindern. Signifikante Unterschiede zeigen sich in der Dauer der Fernsehnutzung, der Smartphone-Nutzung und der Hörbuch‑/Hörspielnutzung. Im Einklang mit anderen Befunden zeigt sich, dass mehrsprachige Kinder einerseits im Durchschnitt länger fernsehen und das Smartphone verwenden und andererseits durchschnittlich kürzer Hörmedien nutzen als ihre einsprachigen Gleichaltrigen [8, 13, 25]. Die gefundenen Unterschiede können nicht auf den schulischen Hintergrund der Eltern zurückgeführt werden. Fraglich bleibt allerdings, ob die Unterschiede tatsächlich eine Folge der sprachlichen Barrieren durch die Mehrsprachigkeit darstellen oder kulturelle Spezifika widerspiegeln [25].

Die Studie verdeutlicht, dass neben dem Alter, der Kontaktzeit zur Umgebungssprache sowie dem IQ auch die Dauer des Fernsehkonsums und der Hörbuch‑/Hörspielnutzung den aktiven Wortschatz mehrsprachig aufwachsender Kinder beeinflusst. Die dargestellten Ergebnisse unterstützen damit die Befunde aus Beobachtungsstudien [15] und experimentellen Studien [18, 19], die Hörmedien ein sprachförderliches Potenzial zuschreiben. Dieses Förderpotenzial wird u. a. darauf zurückgeführt, dass die Rezeption im Wesentlichen auf Sprachverarbeitung beruht und kein visueller Input zur Verfügung steht [23]. Außerdem fördert das Unterhaltungspotenzial von Hörspielen die Aufmerksamkeit, was eine erhöhte Verarbeitung der medialen Inhalte zur Folge hat [24]. Der häufig angenommene – und in dieser Studie ebenfalls gefundene – negative Einfluss des Fernsehkonsums stützt sich auf eine Reihe sog. Hemmungshypothesen. Die wohl gängigste dieser Hypothesen ist die Verdrängungshypothese, nach welcher der Fernsehkonsum andere Freizeitbeschäftigungen und sprachfördernde Interaktionen verdrängt. Insbesondere für junge Kinder konnten in nationalen und internationalen Studien Zusammenhänge zwischen dem Fernsehkonsum und den sprachlichen Fähigkeiten bzw. Unterschiede zwischen „Viel- und Wenigsehern“ identifiziert werden [3,4,5, 14, 30].

Erstaunlich ist außerdem die identifizierte negative Korrelation zwischen der Nutzung von Bilderbüchern und dem aktiven Wortschatz der Kinder. Über das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern entsteht ein Dialog, in dem Kinder die Möglichkeit haben, den Wortschatz und Kenntnisse sprachlicher Strukturen in hohem Maße zu erweitern. Wenn kein Interaktionspartner zur Verfügung steht, besteht bei dem Betrachten von Bilderbüchern lediglich ein visueller Input, und ein Verständnis sprachlicher Inhalte ist nicht notwendig. Leider liegen uns hierzu keine genauen Angaben vor, sodass die sich daraus ergebende Hypothese in dieser Studie nicht untersucht werden kann.

Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die Sprache, in der die Medien genutzt werden, in den Analysen nicht berücksichtigt wurde. So ist z. B. in der vorliegenden Stichprobe der Anteil der Kinder, die den Fernseher überwiegend in ihrer Familiensprache nutzen (22,6 %), vergleichsweise hoch. Möglicherweise stellt der rein deutschsprachige Fernsehkonsum in einem rein anderssprachigen Familienkontext eine sinnvolle sprachliche Ergänzung dar. Der Einfluss eines ausschließlich deutschsprachigen Konsums wäre separat zu prüfen. Zwar nutzen die mehrsprachigen Kinder dieser Stichprobe die Medien auch in ihrer Familiensprache (Tab. 1), insgesamt zeigt sich jedoch, dass sie die verschiedenen Medien zu einem Großteil überwiegend in der deutschen Sprache nutzen. Die vorliegenden Daten widersprechen damit der Annahme, Familien mit nichtdeutscher Herkunft würden ihre deutschen Sprachkompetenzen auch deshalb weniger ausbilden, weil sie Medien v. a. in ihrer Familiensprache nutzen, und unterstützen die Forschungsbefunde von Ritterfeld et al. [25].

In dieser Studie wurden medienspezifische und situative Faktoren nicht berücksichtigt. Insbesondere für den Fernsehkonsum werden solchen Faktoren (z. B. Qualität von Fernsehsendungen) eine wichtige Rolle in Bezug auf das Sprachförderpotenzial des Fernsehens zugeschrieben [16]. Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Dauer der Mediennutzung sehr stark variierte. Für die Stichprobe ist anzumerken, dass keine Kenntnis darüber besteht, ob ein oder beide Elternteile eine andere Sprache als Deutsch beherrschen. Dies sollte in zukünftigen Studien erfragt werden. Darüber hinaus scheint die Frage nach einem simultan vs. sukzessiv mehrsprachigen Aufwachsen in diesem Kontext interessant.

Zusammenfassend verdeutlichen die dargestellten Befunde einen Trend dahingehend, dass mehrsprachige Kinder im Alter von 5 bis 8 Jahren im Vergleich zu einsprachig aufwachsenden Kindern eher bild- als sprachlastige Medien nutzen. Dabei besitzt das bildlastige Medium Fernsehen einen negativen und das sprachlastige Medium Hörspiel/-buch einen positiven Einfluss auf ihren aktiven Wortschatz im Deutschen. Dies ist v. a. vor dem Hintergrund der signifikant längeren durchschnittlichen täglichen Nutzdauer des Fernsehens im Vergleich zu den Hörmedien bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern und dem gleichzeitig großen Anteil von Kindern mit auffälligen Testergebnissen im aktiven Wortschatz besorgniserregend. Positiv hervorzuheben ist, dass die Gruppe mehrsprachig aufwachsender Kinder Hörbücher/-spiele überwiegend in der deutschen Sprache nutzt.

Schlussfolgerungen für die kinderärztliche Praxis

Die deutlichen Unterschiede in der Mediennutzung und ihre Auswirkungen auf den aktiven Wortschatz sind im Rahmen der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen und bei Sprachstandserhebungen im Rahmen der ärztlichen Schuleingangsuntersuchung zu beachten. Wie bereits angedeutet, sind möglicherweise einige Eltern mehrsprachiger Kinder aufgrund der eigenen Sozialisation nicht mit dem Medium Hörbuch vertraut. An dieser Stelle können Anregungen, beispielsweise durch den Verweis auf Bibliotheken oder spezifische Onlineportale, gegeben werden. Die Präferenz für Bildschirmmedien kann genutzt werden, indem alternative Strategien der Nutzung besprochen werden. So können digitale Geräte auch für das gemeinsame Lesen verwendet werden. Ehmig und Seelmann [6] konnten zeigen, dass Vorlese-Apps das Potenzial bieten, Väter und bildungsferne Familien zum Vorlesen zu motivieren. Außerdem gibt es auf dem Markt mittlerweile Apps, die sich zur Förderung der sprachlichen Fähigkeiten eignen. Zu beachten ist, dass auch bei sprachtherapeutisch basierten Apps nicht ohne Weiteres von Effektivität ausgegangen werden kann [26]. Für das Fernsehen konnte belegt werden, dass es neben der Quantität eine Reihe von Faktoren gibt, die einen Einfluss haben können. Zu diesen zählen etwa das gemeinsame Schauen, Hintergrundfernsehen und v. a. auch die Qualität der Sendung [10, 16]. Neben der differenzierten Aufklärung über den möglichen konstruktiven oder hemmenden Effekt von Medien sollten Eltern dazu angeregt werden, ihr eigenes Nutzverhalten zu reflektieren und als positives Beispiel voranzugehen.