Zusammenfassung
Die neuronalen Zeroidlipofuszinosen (NCL) sind eine Gruppe lysosomaler Stoffwechselstörungen, die zu den häufigsten hirndegenerativen Krankheiten im Kindesalter zählen. Charakteristisch ist bei allen Formen eine Kombination von Demenz, Visusverlust, Epilepsie und motorischem Abbau. Die Ausprägung dieser Symptome variiert, ebenso das Erkrankungsalter – von der Geburt bis in das junge Erwachsenenalter. Die genetische Heterogenität der NCL mit bislang 14 identifizierten Genen (CLN1–CLN14) sowie eine hohe Phänotypvariabilität erschweren ihre Diagnose. Die Klassifizierung der NCL auf der Basis des mutierten Gens und des Erkrankungsalters erlaubt eine eindeutige und praktische Festlegung der NCL-Form für jeden Patienten. Ein klarer Algorithmus zur Identifizierung der einzelnen Formen wird vorgestellt. Die präzise Diagnose ist nicht nur für die Familienberatung von Bedeutung, sondern auch für die palliative Behandlung, die wegen zahlreicher Komplikationen eine Herausforderung darstellt und der Zusammenarbeit mit einem entsprechend erfahrenen Team bedarf. Da noch bei keiner NCL-Form der eigentliche Pathomechanismus aufgeklärt wurde, ist die Entwicklung kausaler Therapien schwierig.
Abstract
Neuronal ceroid lipofuscinoses (NCL) are a group of lysosomal storage disorders which are the most common degenerative brain diseases in childhood. All NCL forms are characterized by a combination of dementia, visual loss, epilepsy and decline in motor skills. The characteristics of these symptoms can vary and the age at disease onset ranges from birth to young adulthood. The genetic heterogeneity with 14 identified NCL genes (CLN1–CLN14) as well as a high phenotype variability render the diagnosis difficult. A new NCL classification based on the affected gene and the age at disease onset allows a precise and practicable definition of each form of NCL. A clear diagnostic algorithm to identify each NCL form is presented. A precise diagnosis is essential not only for genetic counseling of the affected family but also for specialized palliative care. The latter represents a true challenge due to various possible complications. Therefore, collaboration with a specialized team of NCL clinicians is recommended. As the underlying pathomechanism remains unclear for all NCL forms, the development of curative therapies is still difficult.
Avoid common mistakes on your manuscript.
Die Diagnose von Demenzkrankheiten im Kindesalter stellt eine Herausforderung dar. Zu den häufigsten Ursachen gehören die neuronalen Zeroidlipofuszinosen (NCL), eine heterogene Gruppe unheilbarer Speicherkrankheiten, die zu Demenz, Epilepsie, Visusverlust und motorischem Abbau mit frühem Tod führen [8]. Die Zahl der sie verursachenden Gene ist groß, und die Genotyp-Phänotyp-Variabilität ist beträchtlich; dennoch kann die Diagnose einer NCL mit Hilfe weniger Diagnostikschritte kosteneffektiv und rasch gestellt werden.
Neue Nomenklatur der NCL-Krankheiten
Traditionell wurden die NCL nach dem Erkrankungsalter eingeteilt. Zusätzlich wurden auch Benennungen nach Autoren (M. Haltia-Santavuori, M. Jansky-Bielschowsky, M. Batten, M. Spielmeyer-Vogt, M. Kufs) verwendet [14]. Die NCL-Krankheiten sind jedoch viel heterogener als früher angenommen, zudem können Mutationen in einem Gen zu unterschiedlichen Verlaufsformen führen [10, 12]. Auch Bezeichnungen wie finnische oder türkische NCL-Variante sind veraltet, da die entsprechenden Mutationen weltweit vorkommen [11]. Die bisherige Nomenklatur ist daher überholt.
Eine international erarbeitete neue NCL-Nomenklatur benennt die Krankheiten molekulargenetisch und klinisch eindeutig (Tab. 1, [14]): Dabei werden sowohl das defekte Gen (CLN1–CLN14) als auch das Erkrankungsalter (kongenital, infantil, spätinfantil, juvenil oder adult) angegeben.
Eine exakte Diagnose ist Voraussetzung für eine umfassende Familienberatung, Prognosestellung und optimale palliative Therapie.
Spektrum der NCL-Krankheiten
Genetisches Spektrum
Derzeit sind 14 NCL-Formen bekannt, von denen 2 bisher nicht veröffentlicht, sondern kürzlich durch Smith et al. (CLN13) und Staropoli et al. (CLN14) bei der 13. International Conference on Neuronal Ceroid Lipofiscinoses 2012 in London vorgestellt wurden (Tab. 1, [2, 4, 9, 10, 15, 16]). Mit weiteren bisher nicht identifizierten NCL-Genen ist zu rechnen, da einige Patienten trotz typischer Symptome und Nachweis charakteristischen Speichermaterials keine Mutation in den bekannten Genen aufweisen.
Die intrazelluläre Lokalisation und – soweit bekannt – Funktion der defekten Proteine sind unterschiedlich: 4 NCL-Formen werden durch Defekte lysosomaler Enzyme verursacht (CLN1, CLN2, CLN10, CLN13), bei anderen sind Transmembranproteine betroffen (CLN3, CLN6, CLN7, CLN8; [9]). Auch Defekte einer ATPase (CLN12) und eines Kaliumkanals (CLN14) scheinen zu NCL führen zu können [4]. Das kürzlich identifizierte CLN4-Gen (DNAJC5) kodiert für ein Protein mit vermuteter Funktion in Synapsen [2]. Wie die Defekte zur Neurodegeneration führen, ist ungeklärt.
Klinisches Spektrum
Klinisch haben die NCL trotz ihrer Heterogenität viele Gemeinsamkeiten. Dies hat sowohl für die Diagnostik als auch für die (palliative) Behandlung Bedeutung. Eine Heilmethode gibt es bislang für keine der NCL.
Bei fast allen NCL-Formen erscheinen die Patienten anfänglich völlig gesund und normal entwickelt.
Die Leitsymptome sind eine Kombination von Demenz, Visusverlust, Epilepsie und motorischem Abbau.
Dabei kann der Krankheitsbeginn zwischen Geburt und jungem Erwachsenenalter liegen. Die Reihenfolge des Auftretens der Symptome ist variabel. Erstsymptome bei Kleinkindern sind Stillstand und Rückschritte der psychomotorischen Entwicklung oder Epilepsie. Bei Schulkindern kommt es meist zunächst zu einem Visusverlust, der von einer Demenz gefolgt ist [14].
Auf pathologischer Ebene ist den verschiedenen NCL-Formen die intrazelluläre Speicherung von autofluoreszierendem Material mit charakteristischer Ultrastruktur in fast allen Geweben gemeinsam (Abb. 1). Im Gehirn geht der Speicherprozess mit dem Absterben von Neuronen einher.
Nachfolgend werden die verschiedenen klinischen Verlaufsformen skizziert [14]:
Kongenitaler Krankheitsbeginn
Die Kinder sind bereits ab der Geburt eindeutig krank. Verdächtig sind der intrauterine oder unmittelbar postnatale Beginn von Krampfanfällen sowie eine angeborene Mikrozephalie.
Die Krankheit schreitet rasch fort bis zum Tod.
Infantiler Krankheitsbeginn
Erste Anzeichen der Erkrankung sind meist im Alter von 10 bis 18 Monaten ein Stillstand und nachfolgend Rückschritte der psychomotorischen Entwicklung, gefolgt von Muskelhypotonie, die in Spastik übergeht, sowie Myoklonien und Epilepsie. Eine rasch progrediente Hirnatrophie führt zu zunehmender Mikrozephalie. Das EEG (Elektroenzephalogramm) wird spannungsarm bis völlig flach. Als Symptom der Retinopathie geht der Blickkontakt verloren.
Der Tod tritt im frühen Kindesalter ein.
Spätinfantiler Krankheitsbeginn
Erste Krankheitszeichen treten im Alter von 2 bis 3 Jahren auf mit muskulärer Hypotonie, Ataxie und Entwicklungsrückschritten. Gleichzeitig kann es zu therapieresistenten epileptischen Anfällen kommen. Das EEG zeigt bei mehreren Formen (CLN2, CLN5, CLN6) posteriore Spikes unter langsamer Photostimulation, das MRT (Magnetresonanztomogramm) eine zerebrale und zerebelläre Atrophie. Der Visusverlust wird wegen der schweren neurologischen Störungen oft spät bemerkt. Weitere Probleme sind zunehmende Spastik und nichtepileptische Myoklonien.
Die Lebenserwartung beträgt 10 bis 15 Jahre.
Juveniler Krankheitsbeginn
Diese Verlaufsform beginnt im frühen Schulalter (5 bis 7 Jahre), meist mit einem Visusverlust durch Degeneration der Retina. Wegweisend sind ein früh ausgelöschtes Elektroretinogramm, später fundoskopische Pigmentverschiebungen und dünne Gefäße (Abb. 2).
Als Symptome der Hirndegeneration treten demenzielle Veränderungen (unerwartetes Absinken schulischer Leistungen), Grand-Mal-Anfälle und motorische Störungen hinzu. Die Bewegungsabläufe werden parkinsonartig mit kleinschrittigem Gang und Rigor. Spastik und Myoklonien treten selten und spät auf. Große Probleme bereitet oft in der Pubertät ein psychoorganisches Syndrom mit Angst- und Panikzuständen, Halluzinationen und depressiven oder aggressiven Stimmungsschwankungen. Ältere Patienten haben häufig kühle, livide Extremitäten bei Sinusbradykardie. Durch Verbesserungen der palliativen Therapie [u. a. PEG-Sonden-Ernährung (PEG: perkutane endoskopische Gastrostomie) bei Schluckstörungen] verlängerte sich die Lebenserwartung auf bis über 30 Jahre.
Adulter Krankheitsbeginn
Das Erkrankungsalter bei adulter NCL liegt im Durchschnitt bei 39 Jahren bei weiter Streuung [3]. Die Erstsymptome sind sehr variabel. Es wurden ein klinischer Typ A (initial progressive Myoklonusepilepsie, Demenz und Ataxie) und ein Typ B (initial Verhaltensauffälligkeiten und motorische Probleme) unterschieden, beide ohne Visusverlust [3].
Mit Identifikation der zugrunde liegenden Gendefekte steigt gegenwärtig die Zahl der diagnostizierten Fälle.
Therapie bei NCL
Spezialisierte palliative Therapie
Wegen der vielen Komplikationen ergeben sich besondere Herausforderungen. So wird die Behandlung häufig dadurch erschwert, dass Patienten sich nicht sprachlich mitteilen können, und ohne suffiziente Kommunikation mit ihnen ist die Identifikation der Ursache der Probleme kompliziert:
Spastische Krisenzustände können durch Schmerzen ausgelöst werden
Schmerzen
Sie sind im Bauchraum häufig durch eine Obstipation bei krankheitsbedingter Darmträgheit oder Fehlernährung bedingt, können in Einzelfällen aber auch anderer, nichtkrankheitsspezifischer Ursache (z. B. Appendizitis) sein. Wichtig ist, dass bei spastischen Krisenzuständen immer auch an Schmerzen als auslösende Ursache gedacht werden muss.
Wie bei der Ursachenfindung ist auch bei der medikamentösen Therapie typischer NCL-Probleme die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Team hilfreich. Tab. 2 gibt einen Überblick über medikamentöse Therapiemöglichkeiten bei häufigen Symptomen von NCL-Patienten, basierend auf Erfahrungen aus der NCL-Sprechstunde der Autoren.
Spastik
Eine schmerzhafte Spastik ist behandlungsbedürftig. Wirksam sind Baclofen und Tizanidin, Tetrahydrocannabinol (THC; vorsichtig zu handhaben) kann zusätzlich hilfreich sein (Tab. 2). Benzodiazepine wie Tetrazepam sind eher ungünstig (geringere Wirksamkeit, Verschleimung, im Verlauf schwerer therapierbare Epilepsie). Auch physikalische Therapiemaßnahmen und die Suche nach Auslösern einer krisenhaften Zuspitzung der Spastik sollten bedacht werden.
Myoklonien
Sie sind häufig schwer therapierbar. Von Patienten werden sie oft als weniger störend empfunden als von betreuenden Personen. Relativ gut wirksam sind Levetiracetam, Zonisamid und Piracetam (Tab. 2). Wegen der negativen Wirkungen der Benzodiazepine sind diese bei der Behandlung der Myoklonien möglichst zu vermeiden. Einige Antiepileptika können Myoklonien verstärken. So führt bei antiepileptischer Multipharmakotherapie oft allein die Reduktion der Medikamente zu einer Besserung der myoklonischen Symptomatik.
Epilepsie
Sie ist bei NCL meist als therapieresistent anzusehen. Der fortschreitende Abbauprozess des Gehirns führt zu einer sich verändernden Reaktionsweise auch auf Medikamente. Aus diesem Grund sollte bei der Epilespiebehandlung Folgendes beachtet werden:
-
Weder völlige Krampffreiheit noch EEG-Normalisierung sind realistische Ziele.
-
Das EEG hat bei NCL eher eine Monitoringfunktion. Therapie leitend ist der klinische Zustand.
-
Die Therapie mit mehr als 2 Antiepileptika führt häufig zu schwer einschätzbaren Wechsel- und Nebenwirkungen und nicht zur Verbesserung der Anfallssituation.
-
Bei NCL gibt es empfehlenswerte Antiepileptika wie Valproat und Lamotrigin (Tab. 2), aber auch solche mit negativer Wirkung auf den Krankheitsverlauf wie Carbamazepin, Phenytoin und Vigabatrin.
-
Die Therapie sollte dem Grundsatz so viel wie nötig und so wenig wie möglich folgen.
Psychopathologische Symptome
Die Erkennung und Behandlung quälender psychopathologischer Symptome wie Schlafstörungen, Angst, aggressives Verhalten, Depression und Halluzinationen stellen eine besondere Herausforderung dar. Eine psychopharmakologische Therapie sollte in Zusammenarbeit zwischen Kinderneurologen, Kinder- und Jugendpsychiatern, Eltern und Betreuern erfolgen. Nur so können Nebenwirkungen der Medikamente und andere Ursachen für Unruhe- und Angstzustände früh erkannt werden.
Pädagogische Fragen
Sie sind bei jugendlichen Patienten ein wichtiges Grenzgebiet zwischen Eltern, Lehrern und Ärzten.
Experimentelle Therapien
Da die Pathomechanismen nicht aufgeklärt sind, ist die Entwicklung kausaler Therapien schwierig. Bei CLN1- und CLN2-Krankheit werden derzeit Verträglichkeitsstudien mit der Transplantation embryonaler Stammzellen durchgeführt [17].
Erste Versuche zu virusvermittelten Gentransfertherapie gibt es bei Patienten mit CLN1 und CLN2, für CLN3 bislang nur im Tiermodell [7].
Kürzlich wurden erste positive Ergebnisse zur intrathekalen Enzymersatztherapie bei Hunden mit CLN2 vorgestellt, wodurch eine Therapiestudie am Patienten in greifbare Nähe rückte.
Bei CLN3-Patienten wurde eine Verträglichkeitsstudie zur immunmodulatorischen Therapie mit Mycophenolat durchgeführt.
Ein internationales NCL-Patienten-Register wird etabliert
Die Wirksamkeit dieser Therapien lässt sich derzeit schwer beurteilen. Ein Grund hierfür sind fehlende Evaluationsinstrumente zur Bewertung klinischer Effekte. Hierfür sind die Sammlung und Auswertung retrospektiver und prospektiver klinischer Daten einer großen Zahl von NCL-Patienten notwendig. Da dies nur in internationaler Zusammenarbeit möglich ist, setzte sich ein durch die europäische Kommission gefördertes FP7-Projekt DEM-CHILD (http://www.DEM-CHILD.eu) u. a. den Ausbau eines internationalen NCL-Patienten-Registers zum Ziel.
Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf NCL
Die Identifikation neuer NCL-Gene sowie die zunehmende Kenntnis der Phänotypvariabilität der NCL-Formen führten zu veränderten Empfehlungen für die Diagnostik (Tab. 3). Die Strategie hängt dabei entscheidend vom Alter des Kindes bei Krankheitsbeginn ab.
Beginn bei Geburt
Hier ist die Enzymaktivität von Cathepsin D zu messen (in Leukozyten und Fibroblasten, Trockenblutmethode in Entwicklung). Bei fehlender Aktivität folgt die Mutationsanalyse des CLN10-(CTSD-)Gens.
Beginn im Kleinkindalter
Zunächst wird die Aktivität der beiden Enzyme Palmitoylproteinthioesterase 1 (PPT1) und der Tripeptidylpeptidase 1 (TPP1) gemessen, was in einer Trockenblutprobe möglich ist [13]. Fehlende Aktivität von PPT1 bestätigt die Diagnose CLN1-Krankheit, fehlende Aktivität von TPP1 diejenige einer CLN2-Krankheit. Eine entsprechende Mutationsanalyse sollte angeschlossen werden. Formen von CLN10-Krankheit mit Beginn im Kleinkindalter sind bisher nicht beschrieben, aber denkbar, sodass ggf. auch die Enzymaktivität von Cathepsin D gemessen werden sollte.
Bei normalen Enzymaktivitäten erfolgt eine elektronenmikroskopische Untersuchung (Hautbiopsat oder Lymphozyten). Falls typisches NCL-Speichermaterial (Abb. 1) gefunden wird, handelt es sich um eine seltenere NCL-Variante. Hier kommen Defekte in den Genen CLN5, CLN6, CLN7, CLN8 oder CLN14 in Frage. Hierbei ist zu beachten, dass Mutationen im KTCD7-Gen (CLN14) auch bei EPM3 („progressive myoclonic epilepsy type 3“) beschrieben sind (MIM #611726; [18]).
Beginn im Schulalter
Zunächst wird im Blutausstrich nach Lymphozytenvakuolen gesucht. Lichtmikroskopisch kommen große helle Vakuolen im Zytoplasma der Lymphozyten (Abb. 3) wohl nur bei der CLN3-Krankheit vor. Einschlüsse im Zytoplasma von Lymphozyten sind auch bei anderen metabolischen Krankheiten nachweisbar.
Der elektronenmikroskopische Nachweis von typischem Speichermaterial jedoch bestätigt das Vorliegen einer Krankheit aus dem NCL-Spektrum [1].
Bras et al. [4] beschrieben kürzlich bei 4 Patienten eine NCL-Form (CLN12), bei welcher eine Mutation im ATP13A2-Gen vorlag und elektronenmikroskopisch NCL-ähnliches Speichermaterial gefunden wurde. Bei diesen Patienten begann die Krankheit im Alter von 13 bis 16 Jahren mit Ataxie und Myoklonus, gefolgt von Rigor, Akinesie, Dysarthrie und Demenz. Ein Visusverlust trat nicht auf [4]. Mutationen im ATP13A2-Gen sind auch für eine seltene Parkinson-Variante mit juvenilem Krankheitsbeginn und Demenz (Kufor-Rakeb-Syndrom, MIM #606693) verantwortlich [6]. Die Überlappung der Krankheitsbilder ist noch unklar.
Bei Fehlen von Lymphozytenvakuolen folgt die enzymatische Diagnostik wie oben. Gewisse Mutationen der Gene CLN1, CLN2 und CLN10 können Krankheitsbilder mit Beginn im Jugendalter verursachen. Bei normalen Enzymaktivitäten folgt die Elektronenmikroskopie. Falls typisches NCL-Speichermaterial gefunden wird, kommen Defekte im CLN5 -, CLN6 -, CLN7 - oder CLN8 -Gen in Frage.
Beginn im jungen Erwachsenenalter
Bei jungen Erwachsenen stehen neu aufgetretene Auffälligkeiten bezüglich Kognition, Verhalten oder Motorik neben Epilepsie und Ataxie im Vordergrund.
Diagnostisch ist zunächst eine protrahierte Form einer CLN1-, CLN2- oder CLN10-Krankheit in Betracht zu ziehen und durch enzymatische Untersuchungen zu überprüfen (s. oben), bei niedriger Enzymaktivität muss nach dem jeweiligen Gendefekt gesucht werden. Bei normalen Enzymaktivitäten ist die Elektronenmikroskopie einzusetzen Bei Nachweis von typischem Speichermaterial kann die Diagnose einer NCL gestellt werden. Bei dominantem Erbgang folgt die Mutationsanalyse des DNAJC5-Gens (CLN4), bei fehlenden Hinweisen darauf der Gene CLN6, GRN (CLN11) und CTSF (CLN13). Hierbei ist zu beachten, dass Mutationen im GRN-Gen (CLN11) auch bei „frontotemporal lobar degeneration with TDP43 inclusions“ (MIM #607485) beschrieben sind [5].
Resümee
Da in Zukunft die Kosten genetischer Diagnostikverfahren fallen dürften, ist zu erwarten, dass die gleichzeitige Analyse mehrerer NCL-Gene zunehmend Routine werden wird. Dennoch sind der dargestellte diagnostische Algorithmus und die Kenntnis der verschiedenen NCL-Phänotypen wesentlich zur Interpretation molekulargenetischer Befunde und der Entscheidung, ob es sich bei einer Anomalie in der Gensequenz um einen Polymorphismus oder eine krankheitsverursachende Mutation handelt.
Diskussion
Die NCL-Krankheiten wurden wegen ihrer genetischen Heterogenität sowie der hohen Phänotypvariabilität neu klassifiziert. Ein klarer Algorithmus ermöglicht eine präzise Diagnosestellung. Da die Pathomechanismen noch weitgehend unbekannt sind, ist die Entwicklung kausaler Therapien schwierig. Die Optimierung palliativer Therapiemöglichkeiten ist möglich, stellt aber wegen zahlreicher Komplikationen eine Herausforderung dar und bedarf der Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Team.
Fazit für die Praxis
-
NCL-Krankheiten sind eine Gruppe genetischer hirndegenerativer Krankheiten, die bei Kindern jeden Alters und jungen Erwachsenen auftreten.
-
Charakteristisch sind Demenz, Visusverlust und Epilepsie in variablen Kombinationen.
-
Ursache der NCL-Krankheiten sind Mutationen in zahlreichen Genen (CLN1–CLN14). Zur genetischen Heterogenität gesellt sich eine phänotypische Variabilität.
-
Der Pathomechanismus betrifft die intrazelluäre Akkumulation von Speichermaterial und das Absterben von Neuronen, ist jedoch weitgehend unbekannt.
-
Bei Verdacht auf eine NCL-Krankheit gibt es eine klare diagnostische Strategie.
-
Die palliative Behandlung stellt wegen zahlreicher Komplikationen eine Herausforderung dar, die der Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Team bedarf.
-
Experimentelle Therapien waren bisher wenig erfolgreich, doch stehen Verfahren wie die Enzymersatztherapie bei der CLN2-Krankheit vor der Anwendbarkeit bei Menschen.
Literatur
Anderson G, Smith VV, Malone M et al (2005) Blood film examination for vacuolated lymphocytes in the diagnosis of metabolic disorders; retrospective experience of more than 2,500 cases from a single centre. J Clin Pathol 58:1305–1310
Arsov T, Smith KR, Damiano J et al (2011) Kufs disease, the major adult form of neuronal ceroid lipofuscinosis, caused by mutations in CLN6. Am J Hum Genet 88:566–573
Berkovic SF, Carpenter S, Andermann F et al (1988) Kufs‘ disease: a critical reappraisal. Brain 111(Pt 1):27–62
Bras J, Verloes A, Schneider SA et al (2012) Mutation of the parkinsonism gene ATP13A2 causes neuronal ceroid-lipofuscinosis. Hum Mol Genet 21:2646–2650
Brouwers N, Nuytemans K, Zee J van der et al (2007) Alzheimer and Parkinson diagnoses in progranulin null mutation carriers in an extended founder family. Arch Neurol 64:1436–1446
Bruggemann N, Hagenah J, Reetz K et al (2010) Recessively inherited parkinsonism: effect of ATP13A2 mutations on the clinical and neuroimaging phenotype. Arch Neurol 67:1357–1363
Crystal RG, Sondhi D, Hackett NR et al (2004) Clinical protocol. Administration of a replication-deficient adeno-associated virus gene transfer vector expressing the human CLN2 cDNA to the brain of children with late infantile neuronal ceroid lipofuscinosis. Hum Gene Ther 15:1131–1154
Haltia M (2006) The neuronal ceroid-lipofuscinoses: from past to present. Biochim Biophys Acta 1762:850–856
Jalanko A, Braulke T (2009) Neuronal ceroid lipofuscinoses. Biochim Biophys Acta 1793:697–709
Kousi M, Lehesjoki AE, Mole SE (2011) Update of the mutation spectrum and clinical correlations of over 360 mutations in eight genes that underlie the neuronal ceroid lipofuscinoses. Hum Mutat 33:42–63
Lebrun AH, Storch S, Rüschendorf F et al (2009) Retention of lysosomal protein CLN5 in the endoplasmic reticulum causes neuronal ceroid lipofuscinosis in Asian sibship. Hum Mutat 30:E651–661
Lebrun AH, Moll-Khosrawi P, Pohl S et al (2011) Analysis of potential biomarkers and modifier genes affecting the clinical course of CLN3 disease. Mol Med 17:1253–1261
Lukacs Z, Santavuori P, Keil A et al (2003) Rapid and simple assay for the determination of tripeptidyl peptidase and palmitoyl protein thioesterase activities in dried blood spots. Clin Chem 49:509–511
Mole SE, Williams RE, Goebel HH (Hrsg) (2011) The neuronal ceroid lipofusinoses (Batten disease). Oxford University Press, Oxford
Noskova L, Stranecky V, Hartmannova H et al (2011) Mutations in DNAJC5, encoding cysteine-string protein alpha, cause autosomal-dominant adult-onset neuronal ceroid lipofuscinosis. Am J Hum Genet 89:241–252
Smith KR, Damiano J, Franceschetti S et al (2012) Strikingly different clinicopathological phenotypes determined by progranulin-mutation dosage. Am J Hum Genet 90(6):1102–1107
Tamaki SJ, Jacobs Y, Dohse M et al (2009) Neuroprotection of host cells by human central nervous system stem cells in a mouse model of infantile neuronal ceroid lipofuscinosis. Cell Stem Cell 5:310–319
Van Bogaert P, Azizieh R, Desir J et al (2007) Mutation of a potassium channel-related gene in progressive myoclonic epilepsy. Ann Neurol 61:579–586
Danksagung
Die NCL-Spezialsprechstunde an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf wird unterstützt durch Spenden des Vereins der Freunde der Kinderklinik Eppendorf e. V.
Der Ausbau eines internationalen NCL-Patienten-Registers wird im Rahmen des DEM-CHILD-Projektes durch Gelder des 7. Rahmenprogramms der Europäischen Union (FP7/2007–2013) unter GA N° 281234 gefördert.
Interessenkonflikt
Die korrespondierende Autorin gibt für sich und ihren Koautor an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Schulz, A., Kohlschütter, A. Neuronale Zeroidlipofuszinosen (NCL). Monatsschr Kinderheilkd 160, 734–741 (2012). https://doi.org/10.1007/s00112-012-2685-6
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00112-012-2685-6