Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Problemen der frühkindlichen Verhaltensregulation. Sie reichen von passageren Krisen [9] bis zu hartnäckigen Störungsbildern mit Risiken für die kindliche Entwicklung, die Eltern-Kind-Beziehung und die Familie [17]. Schlafstörungen sind im Säuglings- und Kleinkindalter mit 20–30% häufig [1, 19] und tendieren zur Chronifizierung und Persistenz [4].

Der vorliegende Beitrag informiert über Ätiologie, Symptomatik und Belastungen der Eltern-Kind-Beziehungen im Entwicklungskontext und die Wirksamkeit bewährter Interventionen. Damit sollen Kinderärzte in die Lage versetzt werden, ihre Rolle in der psychosomatischen Grundversorgung wahrzunehmen, d. h. Eltern vorbeugend zu beraten und bei manifesten Störungen – über Abklärung und Behandlung von möglichen Begleiterkrankungen hinaus – Belastungen und Hilfebedarf der betroffenen Familien zu erkennen und bedarfsgerecht Schlafberatung anzubieten bzw. weiterführende Hilfen in die Wege zu leiten (s. auch Infobox 1) [10].

Schlaf-Wach-Organisation- und Nachtschlafentwicklung im 1. Lebensjahr

Die Entwicklung von Wachen und Schlafen und ihrer zyklischen Organisation ist mit phasenspezifischen neurobiologischen Reifungs- und Anpassungsprozessen verbunden [7, 9, 10]. Dies zeigt sich im Laufe des 1. Lebensjahres

  • in einer generellen Abnahme des Schlafbedarfs von anfangs durchschnittlich 16 auf 14 h,

  • in einer Umverteilung des Schlafes von annähernder Gleichverteilung auf Tag und Nacht auf konsolidierten Nachtschlaf von 12 h,

  • im Übergang von einem polyphasichen Zyklus mit 6–8 Schlafzeiten zu einem biphasischen Zyklus,

  • in einer Synchronisation zirkadianer und homöostatischer Steuerungsprozesse mit dem Tag-Nacht-Wechsel,

  • in einer Abnahme von aktivem REM-Schlaf (REM: „rapid eye movements“) und Übergangsstadien zugunsten des langsamer reifenden Tiefschlafs (NonREM) und

  • in einer Verlagerung des REM-Schlafs in die zweite Hälfte des Nachtschlafs.

Bemerkenswert ist die ausgeprägte individuelle Variabilität . Sie betrifft den zeitlichen Ablauf der Reifungsprozesse [7] ebenso wie den individuellen Schlafbedarf, der biologisch vorgegeben ist und bei der Mehrzahl der Säuglinge zwischen 14 und 18 h/24 h liegt [9]. Die Ausbildung eines stabilen Schlaf-Wach-Rhythmus hängt beim Menschen nicht nur vom Licht-Dunkel-Wechsel, sondern v. a. auch von sozialen Zeitgebern ab, d. h. beim Säugling, von der Einführung eines regelmäßigen Tagesablaufs durch die Eltern, einschließlich Schlafritual und Anpassung der Bettzeit an den individuellen Schlafbedarf [9, 17].

Entwicklungsaufgaben für Eltern und Kind

Phasen

1. Trimenon

In dieser Phase stehen Regulation und Konsolidierung der Verhaltenszustände, von Wachen und aktiven und ruhigen Schlafzuständen sowie deren zyklischer Wechsel und zirkadiane Synchronisation im Vordergrund [9, 20]. Diese Phase einer passageren Unreife der Schlaf-Wach-Organisation geht mit vermehrtem unspezifischem Schreien und bei jedem 4.–5. Säugling mit exzessivem Schreien einher [5, 20]. Exzessiv schreiende Säuglinge lassen sich in den Wachzeiten besonders leicht irritieren, sind rasch überreizt und überfordert und benötigen permanente Beruhigungshilfen. Unruhe, Quengeln und Schreien nehmen im Tagesverlauf zu und gipfeln in unstillbaren Schreiepisoden in den Abendstunden. Trotz Mangels an erholsamen Schlafphasen am Nachmittag ist das abendliche Einschlafen extrem erschwert und gelingt oft erst gegen Mitternacht [14].

2. Trimenon

Die phasentypischen Regulationsprobleme des 1. Trimenons „wachsen sich“ in der Regel im Zuge eines ersten biopsychosozialen Entwicklungsschubs mit etwa 3 Monaten „aus“. Fortschritte in den selbstregulativen Fähigkeiten des Kindes zeigen sich im 2. Trimenon in einer Zunahme aktiv-aufmerksamer Wachphasen. Gleichzeitig sind rund 70% der 3-monatigen und 90% der 5-monatigen Säuglinge in der Lage, bei Müdigkeit und befriedigten Grundbedürfnissen von selbst im eigenen Bettchen in den Schlaf zu finden [9], bei kurzem nächtlichem Erwachen wieder einzuschlafen [1] und in der Nacht eine Mahlzeit zu überschlafen (das so genannte „Durchschlafen“ von 6–8 h). Anfängliche Abhängigkeiten von elterlichen Einschlafhilfen (Herumtragen, Wiegen, Saugen an der Brust u. a.) nehmen zugunsten der vom Kind selbst regulierbaren Beruhigungshilfen, wie Saugen an Fingern, Schnuller oder Schmusetuch, ab.

2. Halbjahr

Um dessen Mitte findet sich eine erneute biopsychosoziale Reorganisationsphase im Vorfeld des 2. allgemeinen Entwicklungsschubs mit neuen Anpassungs- und Entwicklungsaufgaben. Dabei kommt es gehäuft zu nächtlichem Aufwachen und Schreien [17]. Schlafstörungen in dieser Phase hängen zum einen mit neurophysiologischen Veränderungen der Schlafstruktur zusammen [10], zum andern mit dem Beginn der personenspezifischen Bindung . Es geht daher auch und gerade im Kontext des Ein- und Durchschlafens verstärkt darum, Nähe, Geborgenheit und Sicherheit zu vermitteln, Trennungsängste zu bewältigen oder mit dem Abstillen verbundene Ablösungsprozesse zwischen Mutter und Kind zu verarbeiten [2]. Gegen Ende des 1. Lebensjahres kann ein vertrautes T-Shirt der Mutter, Schmusewindel oder Kuscheltier zum „Übergangsobjekt“ werden, das die Nähe der Mutter repräsentiert und dem Kind das zum Einschlafen wichtige Gefühl von Geborgenheit vermittelt.

Kinder >1 Jahr

Um die Mitte des 2. Lebensjahres bestehen die gemeinsamen Entwicklungsaufgaben von Eltern und Kind darin, eine gute Balance zwischen den wachsenden Autonomiebedürfnissen des Kindes und den gerade dadurch erneut beobachtbaren Nähebedürfnissen herzustellen, sowie notwendige Regeln und Grenzen einzuführen und durchzusetzen. Dies kann auch im Kontext des abendlichen Einschlafens oder nächtlichen Aufwachens zum alles beherrschenden Thema werden [3, 17].

Im 3. und 4. Lebensjahr kommt es in Zusammenhang mit der erblühenden Fantasietätigkeit des Kindes erneut zu einer Zunahme von abendlichen oder nächtlichen Schlafstörungen. Die Kinder wachen voller Angst aus Alpträumen auf, entwickeln Angst vor Dämmerung und Dunkelheit und suchen die schützende Nähe der Eltern [9].

Eltern-Kind-Kommunikation und Bettzeitinteraktionen

Bei der Lösung der phasentypischen Entwicklungsaufgaben spielt die Qualität der Eltern-Kind-Kommunikation beim Schlafenlegen und nächtlichen Beruhigen eine zentrale Rolle, Missverständnisse und dysfunktionale Interaktionen können zu krisenhaften Entwicklungen führen [14].

Je nach Alter des Kindes werden dabei an die Eltern unterschiedliche Anforderungen gestellt. Im frühen Säuglingsalter geht es um:

  • Gewöhnung an regelmäßige, am Schlafbedürfnis des Kindes orientierte Schlaf-, Wach- und Ruhezeiten und an ein Einschlafritual [20].

  • Orientierung an Signalen von Aufnahmebereitschaft und Ruhebedürfnis, von Müdigkeit, Übermüdung und Überforderung sowie Vermeidung von Überreizung

  • Intuitiv abgestimmte Regulationshilfen durch Körperkontakt, Stillen, rhythmisches Streicheln und Wiegen und Vermitteln von Nähe, Sicherheit und Geborgenheit

  • Unterstützung selbstregulativer Fähigkeiten zum Einschlafen.

Gegen Ende des 1. Lebensjahres kommen zunehmend Aufgaben der emotionalen Regulation ins Spiel, wie das Gute-Nacht-Sagen als kleiner Abschied und vorübergehende Trennung für die Zeit der Nacht. Im zweiten Lebensjahr und später können die Bettzeitinteraktionen beim Aushandeln von Bettgehzeiten und gewohnten Einschlafhilfen zu Machtkämpfen entgleisen.

Ein- und Durchschlafstörungen

Entstehung

Frühkindliche Ein- und Durchschlafprobleme entstehen meist als Folge krisenhafter Zuspitzungen beim Bewältigen der normalen schlafrelevanten Entwicklungsaufgaben. Die Krisen neigen unter ungünstigen Risikobelastungen zur Persistenz, unter dem Einfluss von Temperamentsmerkmalen, die die kindliche Selbstregulation erschweren, und/oder von psychischen und psychosozialen Belastungen, die die Eltern in ihren intuitiven Kommunikations- und späteren Erziehungsfähigkeiten in Interaktion mit dem Kind überfordern. Die daraus resultierenden dysfunktionalen Bettzeitinteraktionen halten die Probleme aufrecht oder lassen sie eskalieren [17].

Bei knapp 80% der in der Münchner Spezialambulanz behandelten Schlafstörungen lag der Beginn im ersten Trimenon mit exzessivem Schreien und den assoziierten Problemen der Schlaf-Wach-Organisation [17]. Die bei diesen dysregulierten Säuglingen anfänglich unumgänglichen elterlichen Einschlafhilfen werden trotz Reifungsschub weiterhin schreiend eingefordert und von den Eltern aufgrund unterschiedlicher Belastungen beibehalten.

Ein Zusammenhang von hartnäckigen Schlafstörungen mit Temperamentsmerkmalen wie erhöhte Erregbarkeit, hohem Aktivitätsniveau, Reizoffenheit, negativer Emotionalität, mangelnder Anpassungsfähigkeit und eingeschränkter Fähigkeit zur Selbstberuhigung gilt als erwiesen [1, 13, 17]. Überhöhte Reizaufnahme und erschwertes Abschalten behindern das Einschlafen und können zu unruhigem Schlaf und häufigem Erwachen beitragen.

Darüber hinaus entstehen oder eskalieren Schlafprobleme gehäuft im Zusammenhang mit Lebensereignissen , die die natürlichen Bindungsbedürfnisse des Kindes aktivieren und Anpassung an unbekannte Situationen, fremde Personen oder gar Trennung von der Mutter verlangen [17]. Typische Auslöser sind:

  • ungewohnte Schlafarrangements im Urlaub oder nach dem Umzug,

  • fremde Babysitter,

  • akute Infekte,

  • Hospitalisation von Mutter oder Kind,

  • Übergang zur Tagesbetreuung,

  • Ambivalenz der Mutter in Bezug auf Rückkehr zur Arbeit,

  • Schwangerschaft und Geburt eines Geschwisters und

  • (drohende) Trennung der Eltern.

In solchen Situationen ist das Kind mit seinen erhöhten Bedürfnissen nach Nähe und emotionaler Sicherheit gerade auch im Einschlafkontext vorübergehend auf elterliche Regulationshilfen angewiesen. Anhaltende Schlafprobleme resultieren, wenn sich das Kind weigert, die lieb gewordenen Einschlafhilfen wieder aufzugeben und die Eltern sie weiterhin gewähren.

Das Risiko persistierender Schlafstörungen ist auch dann erhöht, wenn das nächtliche Weinen des Kindes elterliche Nähe- und Sicherheitsbedürfnisse oder Verlassenheitsgefühle weckt, die mit ungelösten Trennungs- oder Verlusterfahrungen aus der eigenen Vorgeschichte oder Problemen in der Paarbeziehung zusammenhängen [2, 17]. Indem die Mutter ihre unbewussten Ängste und Nähebedürfnisse auf das Kind projiziert, wird das Schreien als Ausdruck kindlicher Angst erlebt, was die Mutter zur Beibehaltung ihrer Einschlafhilfen zwingt.

In anderen Fällen kann verzweifeltes nächtliches Schreien tatsächlich Ausdruck unerfüllter Bindungsbedürfnisse des Kindes sein und auf emotionale Vernachlässigung und unsichere oder desorganisierende Bindungserfahrungen hinweisen [13].

Erscheinungsbild

Bei frühkindlichen Ein- und Durchschlafstörungen ist in der Regel nicht der Schlaf als solcher gestört, das Problem besteht vielmehr im Unvermögen des Kindes, ohne Einschlafhilfen der Eltern einzuschlafen und/oder nach physiologischen kurzen Aufwachepisoden in der Nacht wieder in den Schlaf zu finden [19]. Die elterliche Unterstützung fordern die Kinder meist durch vehementes Schreien ein. Die Bettzeitinteraktionen entgleisen zu dysfunktionalen Teufelskreisen [14]. Das kindliche Einfordern und elterliche Gewähren von aufwändigen, z. T. bizarren Einschlafhilfen (wie stundenlanges Herumtragen, nächtliches Spielen, Umherfahren im Auto, 2–3 Milchflaschen pro Nacht, Nesteln im Haar der Mutter) behindert die Entwicklung selbstregulatorischer Fähigkeiten des Kindes beim Einschlafen, was wiederum anhaltendes Einfordern der vertrauten Unterstützung durch die Eltern zur Folge hat. Die gemeinsame Regulation versagt, und es droht eine Eskalation.

Am Tag sind die Kinder bei extremen Schlafstörungen mit Schlafdefizit erschöpft, irritierbar und häufig unzufrieden. Die Eltern sind aufgrund des eigenen Schlafmangels ebenfalls erschöpft und reizbar. Die Überlastung beeinträchtigt die elterliche, auf die Fähigkeiten des Kindes abgestimmte, regulatorische Unterstützung.

Diagnose

Diagnostische Trias und Abgrenzung

In Bezug auf das Symptomenbild von Störungen des Ein- und Durchschlafverhaltens stimmt die internationale Literatur überein. Eine viel beklagte Krux der Schlafforschung liegt jedoch im Fehlen einheitlicher diagnostischer Kriterien in Bezug auf die Anzahl und die Dauer der Aufwachepisoden und die Häufigkeit gestörter Nächte. Angelehnt an die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ergeben sich die in Infobox 2 aufgeführten diagnostischen Kriterien in Abgrenzung zum Pavor nocturnus, der nicht zu den regulatorischen Schlafverhaltensstörungen gerechnet wird [6].

In der praktischen Diagnostik und Beratung sind die Anzahl gestörter Nächte, die Häufigkeit und die Dauer der Aufwachepisoden weit weniger relevant als das Wohlergehen des Kindes in den Nächten und am Tag und die subjektive Belastung von Mutter, Vater und Eltern-Kind-Interaktion.

Frühkindliche Schlafstörungen beeinträchtigen sowohl das Kind als auch seine Eltern und deren Paarbeziehung, und sie manifestieren sich in erster Linie in dysfunktionalen Bettzeitinteraktionen , die die Eltern-Kind-Beziehungen belasten. Wie bei anderen Regulationsstörungen ist die systemische Trias der Symptome sowohl diagnostisch als auch in Beratung und Therapie maßgebend (Infobox 3) [14, 18].

Ebenso wichtig ist die Differenzierung einer isolierten Schlafstörung von einer Schlafstörung im Rahmen einer generalisierten Regulationsstörung, die gleichzeitig Regulationsprobleme in anderen Entwicklungsbereichen erkennen lässt (z. B. Fütterstörung, soziale Ängstlichkeit, ausgeprägte Spielunlust, exzessives Trotzen oder aggressiv-oppositionelles Verhalten) [17].

Störungsspezifische Diagnostik

Die diagnostische Einschätzung der Schlafstörung sucht die Symptomtrias – Auffälligkeiten im Schlafverhalten des Kindes, Art und Ausmaß der elterlichen Belastung und Bettzeitinteraktionen – zu erfassen. [Vorlagen zum Ausdruck von Schlafprotokoll, Entscheidungsbäume zu Diagnostik und Therapie und Screeningfragebögen zur U5–U7 sind auf der CD „Regulationsstörungen der frühen Kindheit“ verfügbar (Infobox 1, [15]).]

Folgende Vorgehensweisen haben sich bewährt [17]:

Schlafbezogene Anamnese

  • Beginn, Entstehungsbedingungen, Ursachen, Auslöser, bisherige Interventionen und Verlauf

  • Wachbefindlichkeit des Kindes, Verhalten beim Zubettgehen und nächtlichen Erwachen

  • Art und Umfang elterlicher Einschlafhilfen, Einschlafritual, Schlafsetting und Schlafgewohnheiten der Familie

  • Subjektive und objektive Belastungen sowie Ressourcen von Mutter, Vater und Paarbeziehung

  • Verhaltensprobleme in anderen Alltagskontexten (Füttern, Wickeln, Trennungssituationen, Grenzensetzen, Spiel)

Körperliche Untersuchung

  • Abklärung und Mitbehandlung möglicher somatischer, das Schlafen beeinträchtigender Störungen

  • Einschätzung der Selbstregulationsfähigkeiten und Temperamentsmerkmale des Kindes

  • Einschätzung der emotionalen Bezogenheit von Kind und Eltern

Beziehungsrelevante Fragen

  • Wie erleben die Eltern Schlafritual und Bettzeitinteraktionen?

  • Welche Gefühle werden durch das Schreien geweckt?

  • Welche Ursachen und Gefühle schreiben die Eltern dem nächtlichen Schreien zu?

  • Wie sind die Rollen von Mutter und Vater verteilt?

  • Gibt es Konflikte in Bezug auf Einschlafhilfen oder Schlafsetting?

Mehrtägiges Schlafprotokoll [15]

Es sollte einen Überblick geben über

  • Schlafzeiten und Schlafbedarf

  • Häufigkeit und Dauer nächtlicher Wachzeiten

  • Art und Umfang elterlicher Einschlafhilfen

  • tageszeitliche Verteilung von Mahlzeiten

  • Unruhe- und Schreiphasen

Mitgebrachtes Video einer typischen Bettzeitinteraktion

Schlafberatung in der Praxis

Im frühen Säuglingsalter, speziell bei dysregulierten jungen Säuglingen mit exzessivem Schreien, kann eine an den Entwicklungsaufgaben orientierte präventive Elternberatung zur Einübung positiver Schlafgewohnheiten und Strukturierung des Tagesablaufs wirksam einer späteren Schlafstörung vorbeugen [12].

Anhand der Schlafprotokolle lässt sich zunächst das individuelle Schlafbedürfnis des Kindes ermitteln [7]. Manche nächtliche Aufwachepisoden verschwinden, wenn die Bettzeit entsprechend angepasst wird und das Kind nicht länger im Bett liegt, als es schlafen kann [9].

Bei ausgeprägten Ein- und Durchschlafstörungen haben sich verschiedene verhaltenstherapeutische Techniken als wirksam erwiesen [11, 12, 16, 18] und werden von der American Academy of Sleep Medicine empfohlen: Sie reichen vom einfachen „Löschen“ über „geplantes Wecken“ bis zum in Deutschland verbreiteten „Checking“ („abgestuftes Löschen“) [8]. Sie lösen das Schlafproblem ohne nachweisbare negative Auswirkungen auf die emotionale Entwicklung, verbessern vielmehr das Wohlbefinden des Kindes am Tag und zeigen positive Wirkungen in Bezug auf Depressivität und Selbstwirksamkeitserleben der Mutter und Zufriedenheit der Paarbeziehung.

Allerdings stellt die Intervention hohe Anforderungen an die Selbstregulations- und Lernfähigkeit des Kindes und die emotionalen Ressourcen der Eltern. Trotz der positiven wissenschaftlichen Evidenz ist daher die Zahl der Eltern wieder im Zunehmen begriffen, die vom „Checking“ Abstand nehmen, vorzeitig abbrechen oder aber aufgrund von Ambivalenz und Ängsten vor einer Traumatisierung des Kindes mit der Intervention erfolglos bleiben.

Bewährt hat sich die in München entwickelte Modifikation des „Checking“ im Sinne einer Kommunikationsanleitung zur Unterstützung selbstregulierten Einschlafens [14] (Infobox 4).

Mit dem Schlaflernprogramm sollte erst nach gründlicher Vorbereitung beider Eltern begonnen werden. In der Beratung ist darauf zu achten,

  • dass die Eltern ihrem Kind das Erlernen des Einschlafens zutrauen,

  • dass sie sich beide die zu erwartenden emotionalen Belastungen zutrauen und sich gegenseitig zu unterstützen bereit sind und

  • dass zum Zeitpunkt der Intervention Kind und Eltern gesund sind, beide Eltern sich Zeit nehmen können und keine größeren Veränderungen (z. B. Umzug, Urlaub) anstehen.

Ebenso wichtig ist es, mögliche Ängste, ambivalente Gefühle oder Streitpunkte im Vorhinein anzusprechen und auszuräumen und die zu erwartende Belastung gegenüber einem Fortdauern der Schlafstörung mit ihren negativen Auswirkungen auf die ganze Familie abzuwägen [17].

Eltern, denen es schwerfällt, sich auf die in Infobox 4 beschriebene Intervention einzulassen, bevorzugen oft ein abgestuftes Vorgehen , das akut weniger belastet, wohl aber in der Regel sehr viel länger dauert [7]. Dabei liegt der Fokus zunächst auf der Anpassung der Bettzeit an den Schlafbedarf und der Regelmäßigkeit des Tagesablaufs. Bei der Unterstützung des selbstregulierten Einschlafens bleibt ein Elternteil zunächst noch am Bettchen, um sich dann schrittweise zurückzuziehen.

Eine Überweisung an eine Spezialambulanz ist generell bei Kindern und Eltern mit besonderem Unterstützungsbedarf indiziert, bei Schlafstörungen im Rahmen von generalisierten Regulationsstörungen [13, 20] sowie bei geringen Ressourcen und multiplen psychischen Belastungen der Eltern, der Eltern-Kind-Beziehungen und/oder Konflikten in der Paarbeziehung.

Fazit für die Praxis

Als vertrauten Ansprechpartnern kommt Kinderärzten in der Praxis eine Schlüsselrolle in der psychosomatischen Grundversorgung in Bezug auf frühkindliche Schlafstörungen zu: Sie können der Entwicklung von Schlafstörungen durch frühzeitige entwicklungsorientierte Beratung vorbeugen, manifeste Ein- und Durchschlafstörungen diagnostisch klären, Belastungen und Hilfebedarf der betroffenen Familien frühzeitig erkennen, bei einfachen Schlafstörungen wirksame Beratungshilfen anbieten und bei Vorliegen einer generalisierten Regulations- oder Beziehungsstörung den Weg zu einer Spezialambulanz ebnen. Sie wirken so dem erheblichen Persistenzrisiko frühkindlicher Ein- und Durchschlafstörungen und den damit verbundenen Belastungen und Gefährdungen der Eltern-Kind-Beziehungen entgegen.

CME-Fragebogen

Welche Aussage trifft in der Regel auf Schlafstörungen in den ersten beiden Lebensjahren zu?

Ursache sind natürliche Ängste des Kindes vor dem Einschlafen.

Sie sind normal und bedürfen keiner Intervention.

Das Kind wacht auf, weil es Hunger hat.

Das Kind ist unfähig, ohne Hilfe einzuschlafen.

Ursache ist eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung.

Was antworten Sie, wenn Eltern fragen: Wie viel Schlaf braucht mein Kind im Alter von 1 Jahr?

Schauen Sie die Normalkurve an, demnach braucht es 14 h Schlaf.

Es gibt keine Regel. Sie müssen es selbst herausfinden.

Der Schlafbedarf liegt meist zwischen 12 und 14 h.

Vor allem sollte Ihr Kind noch mehrmals am Tag schlafen.

Wenn Sie möchten, dass Ihr Kind länger schläft, stecken Sie es früher ins Bett.

Was muss ein mehrtägiges Schlafprotokoll nicht beinhalten?

Überblick über Schlafzeiten und Schlafbedarf.

Häufigkeit und Dauer nächtlicher Wachzeiten.

Vitalparameter (Puls, Körpertemperatur, O2-Sättigung).

Art und Umfang elterlicher Einschlafhilfen.

Unruhe- und Schreiphasen.

Worauf kommt es bei der Anleitung zu selbstgesteuertem Einschlafen an?

Konsequentes Ignorieren des Schreiens.

Beim Schreien erst einmal auf den Arm nehmen und trösten.

Strenge.

Nichtverbale Botschaften von Sicherheit und Zutrauen.

Schreien lassen.

Ben, 15 Monate alt, wacht mindestens 4-mal in der Nacht schreiend auf. Die Mutter leidet unter postpartaler Depression, die Eltern sind zerstritten und frustriert mit dem Kind, die Großeltern machen Vorwürfe, die Nachbarn protestieren. Wer oder was ist hier behandlungsbedürftig?

Das Kind mit seinem Durchschlafproblem.

Die Depression der Mutter.

Die multipel belastete Eltern-Kind-Beziehung.

Der elterliche Beziehungskonflikt.

Die mangelnde familiäre und soziale Unterstützung.

Worin besteht die Symptomtrias der frühkindlichen Schlafstörungen?

Verlängerte Einschlafphase, gehäuftes Aufwachen in der Nacht, kurze Schlafphasen am Tag.

Schlafdefizit der Eltern, Schlafdefizit des Kindes, exzessives Schreien.

Übermäßige elterliche Einschlafhilfen, lange Schlafphasen am Tag, aktive Wachphasen in der Nacht.

Einschlafen nur mit externen Hilfen, große Erschöpfung der Eltern, Bettzeitinteraktionen mit ungewöhnlichen, bizarren Einschlafhilfen.

Schlafen im Elternbett, Paarkonflikt der Eltern, Depression der Mutter.

Welcher der folgenden Aussagen stimmen Sie nicht zu?

Ein- und Durchschlafstörungen entstehen aufgrund der noch nicht erlernten Fähigkeit des Kleinkindes, selbstreguliert in den Schlaf zu finden.

Ein intensives Beschäftigen des Kindes vor dem Schlafengehen führt zu Übermüdung und erleichtert das Einschlafen.

Kinder mit Ein- und Durchschlafstörungen sind am Tag leicht irritierbar und wirken häufig unzufrieden.

Ein- und Durchschlafstörungen bringen die Eltern rasch an den Rand ihrer Kräfte.

Die im Laufe des ersten Lebensjahres wachsenden selbstregulativen Fähigkeiten eines Kindes wirken sich auch auf das selbstgesteuerte Einschlafen aus.

Was können und sollten Eltern zum „selbstregulierten Ein- und Durchschlafen“ beitragen?

Einführen eines regelmäßigen Tagesablaufs von früh auf.

Nichts Spezielles, da es sich nur um einen Reifungsprozess auf Seiten des Kindes handelt.

In den ersten Monaten Schlafenlegen nach festem Zeitplan alle 4 h.

Herumtragen und an der Brust saugen lassen, bis das Baby tief eingeschlafen ist.

Tagsüber möglichst lange wach halten, damit es nachts besser schläft.

Bei der Erhebung einer Anamnese bei Ein- und Durchschlafstörungen ist folgende Information nicht störungsspezifisch relevant:

Wohlbefinden des Kindes am Tag.

Geburtsverlauf.

Schlafarrangement der Familie.

Subjektive Belastung der Eltern.

Verhaltensprobleme in anderen Bereichen.

Unter welcher Bedingung sollte von einer Schlafintervention vorerst Abstand genommen werden?

Hoher Leidensdruck und Veränderungsbereitschaft der Eltern.

Beginn in einer Zeit, in der gerade weitere Veränderungen anstehen.

Zutrauen der Eltern in die Fähigkeiten des Kindes.

Ausschluss somatischer Erkrankungen.

Belastbarkeit der Eltern.