Zusammenfassung
Hintergrund
Es wird der Frage nachgegangen, ob mit Hilfe eines Elternfragebogens (ELFRA-2) Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen im Alter von 24 Monaten ausreichend sicher identifiziert werden können.
Material und Methoden
251 Eltern von 24 Monate alten Kindern wurden der ELFRA-2 (Rücklaufquote 74%) und 1 Jahr später ein weiterer Fragebogen zur Beurteilung des Sprachentwicklungsstands zugeschickt. Zur Auswertung standen vollständige Daten von 149 einsprachig deutsch aufwachsenden Kindern zur Verfügung.
Ergebnisse
Für den ELFRA-2 ergaben sich eine Sensitivität von 69%, eine Spezifität von 92% und ein RATZ-Index von 64%. Als Prädiktoren für die Sprachentwicklung von „late talkers“ erwiesen sich die Schwere der Sprachretardierung und der Bildungsstand der Mutter. Ihre Vorhersagekraft war aber relativ gering.
Schlussfolgerungen
Der ELFRA-2 kann für die U7 als generelles Sprachscreening empfohlen werden. Mit ihm können etwa 2/3 der 3-jährigen sprachgestörten Kinder bereits im Alter von 2 Jahren erkannt und somit frühzeitig durch Spezialisten für Kommunikationsstörungen gefördert werden. Die Akzeptanz des ELFRA-2 von Seiten der Eltern ist hoch.
Abstract
Background
The aim of this study was to determine the predictive value of the German version (ELFRA-2) of the McArthur Communicative Development Inventories (CDI) for 24-month old children.
Methods
To evaluate the questionnaire, parents of 24-month old children were sent ELFRA-2 (n=251, return rate=74%) and a further questionnaire was filled in 1 year later. The final sample of monolingual German speaking children contained 149 subjects.
Results
We found a sensitivity of 69%, a specificity of 92% and a RATZ-index (relative improvement of the hit rate in comparison to the random hit rate) of 64% for ELFRA-2. Predictors of the further language development of the late talkers were severity of the language delay and educational background of the mother.
Conclusions
ELFRA-2 seems to be a useful parent-report screening instrument which is well accepted by parents. Two thirds of the 3 year old children with developmental language disorders can already be identified at the age of 24 months.
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Hintergrund und Fragestellung
Effektivität der Vorsorgeuntersuchungen
Früherkennungsuntersuchungen finden in Deutschland große Akzeptanz, etwa 90% der Familien nehmen mit ihren Kindern daran teil. Vorsorgeuntersuchungen beanspruchen in pädiatrischen Praxen über 1/3 der Zeit. Die Früherkennung psychischer Entwicklungsstörungen bereitet aber trotz der engmaschigen Kontrollen bislang erhebliche Probleme. Meunzel [8] wertete die Vorsorgehefte von 225 Kindern mit mittelschweren bis schweren geistigen Behinderungen und/oder infantilen Zerebralparesen aus. Bei der U7 waren 77% der Kinder mit einer geistigen Behinderung nicht als entwicklungsgestört erkannt worden. In der Bayerischen Längsschnittstudie zeigte sich, dass eine Intelligenzstörung (IQ<70) bis zum Alter von 4 1/2–5 Jahren lediglich bei jedem 2. Kind im Rahmen der üblichen Vorsorgeuntersuchungen aufgefallen war [14].
Wir überprüften, wie zuverlässig Verzögerungen in der Sprachentwicklung bis zur U7 erfasst werden. Unter 65 Kindern, die im Alter von 24 Monaten weniger als 50 Wörter sprachen („late talkers“), fand sich im Vorsorgeheft nur bei jedem 4. eine Eintragung über die Verzögerung des Spracherwerbs [19]. Eine Verbesserung des Methodeninventars zur Früherkennung psychischer Entwicklungsstörungen ist somit dringend erforderlich.
ELFRA-2
Damit Sprachentwicklungsverzögerungen nicht übersehen werden, entwickelten Grimm u. Doil [3] den „Elternfragebogen für 2-jährige Kinder: Sprache und Kommunikation“ (ELFRA-2). Dieser erlaubt die Beurteilung des Entwicklungsstands eines Kindes auf den Skalen Wortschatz, Syntax und Morphologie. Die Autorinnen empfahlen, den Fragebogen bei der U7 routinemäßig durch die Mütter im Wartezimmer ausfüllen zu lassen. Für das Alter von 24 Monaten stehen Normwerte (kritische Werte) zur Verfügung.
Der Fragebogen enthält eine Wortliste mit 260 Wörtern und 36 Fragen mit Beispielen für Sätze und Wortendungen. Die Eltern sollen ankreuzen, welche Wörter bzw. Satzbeispiele und Wortendungen vom Kind gesprochen werden. Der aktive Wortschatz ergibt sich aus der Anzahl der angekreuzten Wörter. Ist der kritische Wert von 50 unterschritten, gilt der Spracherwerb als verzögert. Die Satzbeispiele des Fragebogens sind der Skala Syntax und die für Wortendungen der Skala Morphologie zugeordnet. Für die Identifikation von „late talkers“ werden die beiden letzten Bereiche nur dann herangezogen, wenn der produktive Wortschatz zwischen 50 und 80 liegt und die kritischen Werte auf beiden Skalen unterschritten werden.
Eignung von Elternfragebögen zur Beurteilung des Sprachentwicklungsstands
Der ELFRA-2 ist eine Adaptation der „MacArthur Communicative Development Inventories“ (CDI) [1]. Der CDI ist ein Elternfragebogen mit 2 Versionen für unterschiedliche Altersstufen. Der ELFRA-2 beruht auf der Version für 16–30 Monate alte Kinder und beurteilt neben dem aktiven Wortschatz Syntax und Morphologie. Er ist wie der CDI ein reiner Sprachproduktionstests, der das Sprachverständnis unberücksichtigt lässt. Bei der Entwicklung des ELFRA-2 wurde zusätzlich zum CDI die Wortschatzliste des „Language Development Survey“ (LDS) [11] herangezogen. Dieser besteht aus einer Wortliste mit 310 Wörtern und ist für 18–35 Monate alte Kinder konzipiert.
Um zu klären, wie genau Elternfragebögen den aktiven Wortschatz eines Kindes erfassen, protokollierten Robinson u. Mervis [17] alle Äußerungen eines Jungen vom 9. bis zum 24. Lebensmonat. Bis zu einem Wortschatz von etwa 100 Wörtern stimmten CDI und Tagebucheintragungen weitgehend überein. Je größer der Wortschatz des Kindes wurde, umso deutlicher unterschätzte der CDI den Wortschatz. Mit 24 Monaten sprach das Kind etwa 1200 Wörter, während vom CDI die Zahl auf etwa 500 geschätzt wurde. Insgesamt belegt diese Studie, dass der CDI den Wortschatz, so lange dieser unter 100 Wörtern liegt, zuverlässig beurteilt.
Dass Elternfragebögen geeignet sind, bei 2-jährigen Kindern nicht nur den Wortschatz zu bewerten, sondern auch Sprachentwicklungsverzögerungen verlässlich zu erkennen, wurde in mehreren Studien belegt. Hohe Korrelationen zwischen dem mit einem Sprachtest gemessenen produktiven Wortschatz und dem CDI- (r=0,78 [15]) bzw. LDS-Befund (r=0,74 [12]) wurden in größeren Kindergruppen nachgewiesen. Klee et al. [5] konnten zeigen, dass der LDS „late talkers“ mit hoher Zuverlässigkeit erfasst. Damit ist belegt, dass Elternfragebögen für die Diagnostik von Sprachentwicklungsverzögerungen im Alter von 24 Monaten prinzipiell geeignet sind.
Die prognostische Aussagefähigkeit des ELFRA-2 ist aber bislang ungeklärt. Es existieren lediglich Angaben der Testautorinnen über Korrelationen zwischen dem Wortschatz zum Zeitpunkt der U7 und Grammatikleistungen im Alter von 36 Monaten. Die berichteten Korrelationen sind mittelhoch (r=0,50–0,57) und klären etwa 30% der Varianz der Sprachleistungen mit 3 Jahren auf.
Fragestellungen
In der vorliegenden Studie wird der Frage nachgegangen, wie häufig 2-jährige Kinder mit einem auffälligen ELFRA-2-Befund („late talkers“) im Alter von 3 Jahren tatsächlich eine Sprachentwicklungsstörung aufweisen (prognostische Validität) und ob sich Prädiktoren für die Sprachentwicklung identifizieren lassen. Auch wurden Daten darüber erhoben, wie hoch die Akzeptanz des ELFRA-2 von Seiten der Eltern ist.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
251 ELFRA-2-Bögen wurden von uns mit einem Anschreiben und einem Fragebogen u. a. zu soziodemografischen Daten einige Tage vor dem 2. Geburtstag des Kindes an die Familien geschickt. Die Adressen wurden dem Geburtsanzeiger einer Münchener Zeitung entnommen. Die Rücklaufquote betrug 74% (n=185).
Um die prognostische Validität des ELFRA-2 zu bestimmen, erhielten 178 der 185 Eltern (7 Eltern wurden aus unterschiedlichen Gründen nicht wieder angeschrieben) 1 Jahr später erneut einen Fragebogen zur Beurteilung des Sprachentwicklungsstandes. 158 Fragebögen kamen ausgefüllt zurück (Rücklaufquote 89%). Die Daten der einsprachig deutsch aufwachsenden Kinder (n=149) wurden zur Auswertung herangezogen.
Für die Nachuntersuchung setzten wir eine abgewandelte und im Handbuch beschriebene Version des ELFRA-2 für 3-jährige Kinder ein. Eine reliable Einschätzung des Wortschatzes über eine Befragung von Eltern ist in Anbetracht der großen Anzahl der von 3-jährigen Kindern benutzten Wörter nicht mehr möglich [17]. Dieser Fragebogen beinhaltet deshalb keine Einschätzung des Wortschatzes, sondern in erweiterter Form Fragen zu grammatischen Fähigkeiten (Syntax, Morphologie). Kinder, die auf der Syntax- und/oder der Morphologieskala einen Wert unterhalb einer Standardabweichung (bezogen auf die im Handbuch angegebenen Werte) erreichten, wurden von uns als sprachauffällig klassifiziert.
Ergebnisse
Wie häufig auf den einzelnen ELFRA-2-Skalen kritische Werte unterschritten wurden, geht aus Abb. 1 hervor. Einen Wortschatz unter 50 Wörtern hatten 20 der 149 Kinder (13%). Sie wurden somit als sprachlich verzögert klassifiziert. Das 2. Kriterium zur Einstufung als Risikokind (Wortschatz zwischen 50 und 80 und Nichterreichen der kritischen Werte für Syntax und Morphologie) traf für keines der von uns untersuchten Kinder zu. Hinsichtlich der Geschlechtsverteilung zeigte sich ein deutliches Überwiegen der Jungen: 16% der Knaben und nur 11% der Mädchen waren als „late talkers“ anzusehen. Die kritischen Werte für Syntax und Morphologie wurden etwas häufiger als der für den Wortschatz unterschritten.
Vorhersagekraft des ELFRA-2
Ein Vergleich des Sprachentwicklungsstandes im Alter von 2 und 3 Jahren ergab, dass zwischen den Sprachparametern mittlere Korrelationen bestanden. Der produktive Wortschatz im Alter von 24 Monaten korrelierte mit dem Syntax- (rsp=0,53) und dem Morphologiewert (rsp=0,44) mit 36 Monaten hochsignifikant.
Die meisten Kinder (134 von 149) wurden zu beiden Zeitpunkten übereinstimmend als auffällig bzw. unauffällig beurteilt. Die Gesamttrefferquote betrug 90%, und die Übereinstimmung der Klassifikation in sprachauffällig vs. sprachunauffällig im Alter von 24 und 36 Monaten war hoch signifikant (χ2-Test: p=0,001). 125 der 136 mit 3 Jahren unauffälligen Kinder waren auch mit dem ELFRA-2 als sprachlich altersgerecht entwickelt eingestuft worden. Dies entspricht einer Spezifität von 92%. Von den 13 mit 3 Jahren sprachgestörten Kindern waren 9 bereits mit dem ELFRA-2 als „late talkers“ klassifiziert worden. Daraus ergibt sich eine Sensitivität von 69%.
Zur Abschätzung der Vorhersagekraft eines Verfahrens eignet sich der RATZ-Index (relativer Anstieg der Trefferquote gegenüber der Zufallstrefferquote). Dieser ist ein Maß für den Informationsgewinn, der erreicht wird [7]. Bei einem RATZ-Index unter 33% gilt die prognostische Validität als unbefriedigend, bei einem Index zwischen 33 und 66% als gut und bei einem Wert über 66% als sehr gut. Wie aus Abb. 2 hervorgeht, ist die Vorhersagekraft aller ELFRA-2-Skalen als gut zu bewerten. Die beste prognostische Validität hat ein Unterschreiten des kritischen Werts auf der Skala Wortschatz. Auf diesem Kriterium beruht die ELFRA-2-Klassifikation in unauffällige und verzögerte Sprachentwicklung.
Prädiktoren für die Sprachentwicklung von „late talkers“
Wie Tab. 1 zeigt, hatte fast die Hälfte der „late talkers“ auch noch mit 3 Jahren Sprachprobleme, während die anderen den Sprachrückstand innerhalb 1 Jahres weitgehend aufgeholt hatten. Für die Betreuungspraxis bedeutsam ist, ob sich vorhersagen lässt, bei welchem Kind die Sprachauffälligkeit persistiert und bei welchem nicht. Wenn dies gelingen würde, könnte bei Kindern mit günstiger Prognose abgewartet und bei denen mit ungünstigem Verlauf gezielt eine Sprachtherapie eingeleitet werden. Wir überprüften deshalb einzelne Sprachparameter und soziodemografische Daten hinsichtlich ihrer prädiktiven Aussage für die weitere Sprachentwicklung. Als Prädiktoren für eine günstige Prognose erwiesen sich ein aktiver Wortschatz über 25, eine Benutzung von 2-Wort-Sätzen und unter den soziodemografischen Daten „Mutter mit Abitur“ (Abb. 3). Die Aussagekraft dieser Prädiktoren ist aber relativ gering und ermöglicht in der Praxis keine ausreichend treffsichere Vorhersage. Keine Prädiktoren sind das Geschlecht des Kindes, die Berufstätigkeit der Mutter, der Schulabschluss des Vaters sowie Geschwisteranzahl und Stellung in der Geschwisterreihe.
Akzeptanz des Fragebogens von Seiten der Eltern
Um zu klären, ob der Einsatz des ELFRA-2 von Eltern akzeptiert wird und ob diese eine routinemäßige Anwendung bei der U7, wie sie im Handbuch empfohlen wird, befürworten, enthielt der von uns verschickte Fragebogen auch Fragen nach der Meinung der Eltern. Über die Hälfte der Eltern befürworteten einen generellen Einsatz des ELFRA-2 bei der U7. Die Frage, ob es möglich wäre, den Fragebogen im Wartezimmer auszufüllen, bejahten allerdings nur die Eltern jedes 4. Kindes (Abb. 4). Dabei spielt die zum Ausfüllen benötigte Zeit vermutlich eine wesentliche Rolle. Nur etwa die Hälfte der Eltern gab an, dass 10–20 min ausreichten. 1/3 benötigte 20–30 min und etwa 15% über 0,5 h. Eltern sprachauffälliger Kinder brauchten deutlich weniger Zeit als die der sprachlich gut entwickelten, da sie nur wenige Wörter ankreuzen können und der Fragebogen nach der Wortliste beendet wird, wenn das Kind noch keine 2-Wort-Sätze bildet.
Diskussion
Unter den von uns untersuchten Kindern wurden mit dem ELFRA-2 zum Zeitpunkt der U7 13% als „late talkers“ eingestuft. Dies entspricht den üblichen Angaben in der Literatur. In der Stichprobe, an der die Normierung des ELFRA-2 vorgenommen worden war (n=140), waren es 14% bei ähnlich deutlichem Überwiegen der Jungen. Vergleichbar fanden Horwitz et al. [4] mit dem CDI 13% „late talkers“ bei 18–23 und 15% bei 24–29 Monate alten Kindern.
Im ELFRA-Handbuch werden signifikante Korrelationen zwischen den Sprachparametern im Alter von 2 und 3 Jahren als Beleg für die prognostische Validität des Screenings angeführt. Die berichteten Korrelationen liegen im mittleren Bereich und entsprechen den von uns gefundenen Werten. Etwas niedrigere Zusammenhänge (r=0,43) wurden für den CDI mitgeteilt [10].
Wie zuverlässig Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen erkannt werden, ist solchen Daten aber nicht zu entnehmen. Darüber geben Sensitivität und Spezifität besser Auskunft. Wie unsere Ergebnisse zeigen, ist der Prozentsatz korrekter Zuordnungen hoch und Kinder, die später eine Sprachstörung zeigen, werden relativ selten übersehen. Sensitivität (69%) und Spezifität (92%) sind insgesamt zufrieden stellend, sodass sich der Fragebogen als zeitökonomisch einsetzbares Screening zur Erfassung von sprachlichen Risikokindern anbietet. Für den LDS wurde über eine vergleichbare Sensitivität (67%) und Spezifität (94%) berichtet [12].
Nicht alle „late talkers“ bleiben längerfristig sprachauffällig. Von den mit 2 Jahren durch den ELFRA-2 als sprachretardiert klassifizierten Kindern zeigten in unserer Studie ungefähr die Hälfte 1 Jahr später keine wesentlichen Sprachprobleme mehr. Diese Gruppe repräsentiert die so genannten Spätentwickler („late bloomers“). Die Kinder beginnen spät mit dem Sprechen und zeigen mit 2 Jahren eine deutliche Verzögerung hinsichtlich des Sprechalters. Sie holen den Sprachrückstand dann aber innerhalb des 3. Lebensjahres weitgehend auf. Im Portland Language Development Project [9] und der Pennsylvania Study [13] wurde unter den mit 2 Jahren sprachretardierten Kindern ein vergleichbarer Anteil an „late bloomers“ gefunden. Um unter den „late talkers“ diejenigen Kinder mit einer echten Sprachstörung zu erkennen, versuchten wir, Prädiktoren zu identifizieren. Dabei ergab sich, dass bei Kindern mit einem besonders ausgeprägten Sprachentwicklungsrückstand (Wortschatz unter 25, keine 2-Wort-Sätze) und solchen von Müttern ohne höhere Schulbildung besonders häufig mit einem Persistieren der Sprachretardierung zu rechnen ist. Diese Prädiktoren lassen sich im Gruppenvergleich gut belegen; sie erlauben aber im Einzelfall keine ausreichend zuverlässige Vorhersage.
Da derzeit im Alter von 2 Jahren zwischen Spätentwicklern und sprachgestörten Kindern kaum unterschieden werden kann, wird bei Sprachentwicklungsverzögerungen in der Praxis immer noch viel zu häufig zum Abwarten geraten. Ein solches Vorgehen ist heute aber nicht mehr vertretbar, da in den letzten Jahren durch Längsschnittstudien gezeigt wurde, dass die langfristigen Entwicklungschancen von „late talkers“ deutlich eingeschränkt sind [18] und durch eine Frühförderung signifikante Sprachfortschritte erreicht werden können. Die Frühförderung durch Spezialisten für Kommunikationsstörungen kann in Form einer gezielten Sprachtherapie des Kindes oder ausschließlich als Anleitung der Eltern zu sprachförderndem Verhalten erfolgen. Eine Elternanleitung in Eltern- bzw. Eltern-Kind-Gruppen ist mit relativ niedrigen Kosten verbunden und bei „late talkers“ zudem vergleichbar effektiv wie eine Behandlung des Kindes selbst [6, 16]. Wie sehr der frühe Spracherwerb von Umwelteinflüssen abhängt und somit von einer gezielten Förderung profitieren kann, konnte durch Zwillingsstudien verdeutlicht werden. Etwa 50–80% der Varianz des Wortschatzes und der Fähigkeit zur Bildung von 2- bis Mehrwortsätzen ist im Kleinkindalter durch Umwelteinflüsse zu erklären, und nur 10–30% sind genetisch determiniert [20].
Für die Praxistauglichkeit eines Screenings ist es nicht unerheblich, ob dieses von den Betroffenen akzeptiert wird. Eine Befragung der Eltern hat ergeben, dass diese einem generellen Einsatz bei der U7 überwiegend positiv gegenüber stehen. Auch der für eine Befragung ungewöhnlich hohe Rücklauf spricht dafür, dass Eltern an Informationen über den Sprachentwicklungsstand ihres Kindes sehr interessiert sind. Eine generelle Einführung des ELFRA-2 in die Praxis wird aber auf Probleme stoßen, da das Ausfüllen etwa 15–30 min dauert und im Wartezimmer kaum realisierbar ist. Die Entwicklung einer Kurzfassung, wie sie für den CDI bereits existiert [2], ist dringend erforderlich.
Fazit für die Praxis
Der ELFRA-2 ist als brauchbares Screeninginstrument zur Erfassung von Sprachentwicklungsverzögerungen in der Sprachproduktion anzusehen. Spätere Sprachentwicklungsstörungen können relativ gut vorhergesagt werden. Die Auswertung des Bogens benötigt nur 5–10 min und kann nach kurzer Einweisung auch von Nichtfachleuten ohne spezifische Ausbildung vorgenommen werden. Damit steht für die kinderärztliche Praxis ein effektives und zeitökonomisches Sprachscreening zur Verfügung, das zur routinemäßigen Anwendung bei der U7 empfohlen werden kann. Eltern von „late talkers“ könnten so gezielt durch Spezialisten für Kommunikationsstörungen zu sprachförderndem Verhalten angeleitet und Kinder mit schweren Sprachauffälligkeiten auch frühzeitig sprachtherapeutisch behandelt werden. Erste Erfahrungen sprechen dafür, dass dies eine Manifestation von Sprachentwicklungsstörungen verhindern kann.
Interessenkonflikt
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Literatur
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Sachse, S., Pecha, A. & von Suchodoletz, W. Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen. Monatsschr Kinderheilkd 155, 140–145 (2007). https://doi.org/10.1007/s00112-006-1314-7
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