Zusammenfassung
Wenngleich die Tuberkulose im Kindesalter in Deutschland inzwischen eine seltene Infektionskrankheit geworden ist, werden die Kinderärzte auch in Zukunft, aufgrund von Bevölkerungsmigrationen aus Hochprävalenzländern, mit diesem Krankheitsbild konfrontiert sein. Gezielte Präventionsmaßnahmen sollen dazu beitragen, ein Wiederaufleben der TB in Deutschland zu vermeiden. Eine wichtige ärztliche Aufgabe besteht v. a. darin, die Tuberkulose weiterhin in die Differenzialdiagnostik einzubeziehen. So gilt es besonders, latente Infektionen mittels Infektionsanamnese, Tuberkulinhauttestung und ggf. neuen In-vitro-Testverfahren zu detektieren und bei Indikation zu behandeln. Manifeste Tuberkulosen müssen dem Standard entsprechend kombiniert therapiert werden. Eine Differenzierung von Umweltmykobakteriosen („nontuberculous mycobacteria“: NTM) und Tuberkulose, z. B. bei der zervikalen Lymphadenopathie, ist notwendig, da sich das therapeutische Vorgehen bei beiden Krankheiten wesentlich unterscheidet. Umweltmykobakteriosen scheinen bei Kindern hierzulande insgesamt zuzunehmen.
Abstract
In Germany, the incidence of childhood tuberculosis (Tb) continues to decline. Nevertheless, pediatricians are still be confronted with Tb due to migration from high incidence countries. Measures are needed to prevent the revival of Tb in Germany. This mainly involves the detection and treatment of latent Tb-infection by infection history, tuberculin-skin testing and, if necessary, interferon-gamma assays. The inclusion of Tb in the differential diagnosis of unclear lung disease is therefore important. Active disease has to be treated by combined chemotherapy as recommended. On the other hand, there seems to be an increase in infections with non-tuberculous mycobacteria (NTM). The therapy in NTM-infection differs from that in Tb, therefore differentiation between Tb and NTM-infections, for example in cervical lymphadenopathy, is important.
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Mit den modernen antituberkulotischen Therapieregimes ist eine Ausheilung der Lungentuberkulose bei Kindern heute fast immer möglich. Aufgrund der günstigen epidemiologischen Entwicklung der TB in Deutschland (s. Beitrag von W.H. Haas et al. in diesem Heft) haben sich in den letzten Jahren die Empfehlungen zur Prävention geändert [36]. Die BCG-Impfung z. B. wurde 1998 gänzlich ausgesetzt [40]. Dennoch bleibt die Tuberkulose auch hierzulande, besonders vor dem Hintergrund der Bevölkerungsmigration, weiterhin eine ernst zu nehmende Infektionskrankheit [43]. Ziel präventiver Maßnahmen bleiben die rechtzeitige Diagnose von tuberkulösen Primärinfektionen bzw. deren Therapie.
Pathogenese
Die Infektion mit M. tuberculosis erfolgt auch im Kindesalter fast ausnahmslos aerogen. Infektionsquellen sind in den meisten Fällen Erwachsene mit offener Lungentuberkulose. Das Erkrankungsrisiko infizierter Kinder ist besonders im Säuglings- und Kleinkindesalter hoch (etwa 30–40%) [12]. Kinder selbst sind jedoch aufgrund der geringen Keimzahl und -dichte bei Primärtuberkulose selten infektiös (paucibazilläre Tuberkulose).
Nach Deposition der 2–5 µm großen, vorwiegend durch Husten infektiöser Patienten generierten Aerosolpartikel („droplet nuclei“) in den Alveolen beginnt die immunologische Auseinandersetzung des Wirtsorganismus mit den Mykobakterien in den Alveolarmakrophagen und im lymphatischen Gewebe der Lunge. Auch eine Prozessierung von Antigenen durch im Respirationsepithel vorkommende M-Zellen ist möglich [30]. Nach Präsentation von M.-tuberculosis-Antigenen wird die spezifische zelluläre Wirtsimmunität stimuliert. Dabei werden verschiedene Lymphozytensubpopulationen aktiviert und zur Proliferation angeregt. Im Zuge dieser Aktivierung werden unterschiedliche Zytokine, insbesondere γ-Interferon und TNF-α sezerniert. Letzterer ist wesentlich an der Granulombildung beteiligt.
Am Ort der Infektion und der Vermehrung der Mykobakterien findet die Phagozytose durch Makrophagen statt. In diesen können die Mykobakterien sehr lange persistieren (latente Infektion). Als immunologisch-pathologisches Substrat können sich dabei auch schon früh kleinste Epitheloidzellgranulome entwickeln, die bildgebend noch nicht zu erfassen sind [1, 42]. Die latenten Primärinfektionen (latente Tb-Infektion: LTBI) verlaufen klinisch meist völlig inapparent und können lebenslang in dieser Form bestehen bleiben. Allerdings kann auch direkt im Anschluss an die Primärinfektion eine klinisch manifeste Organtuberkulose entstehen. Radiologisch sind dann typische Veränderungen sichtbar, z. B. im Sinne eines Primärkomplexes im Bereich der Lungen (Abb. 1). Selten kann es im Rahmen der Primärinfektion auch zu einer Frühgeneralisation, z. B. als Meningitis tuberculosa oder Miliartuberkulose, kommen. Eine ingestive Primärinfektion im Bereich des Gastrointestinaltrakts, verursacht durch M. bovis, ist heute in Industrieländern selten geworden [7].
Bei etwa 10% der latent infizierten Gesamtpopulation kommt es im Lauf des Lebens zu einer Reaktivierung.
Es liegt dann eine postprimäre Tuberkulose vor (Abb. 2). Auch in diesen Fällen sind eine hämatogene und/oder lymphogene Streuung, z. B. in die Meningen, die Knochen, die Nieren, die ableitenden Harnwege und die peripheren Lymphknoten, sowie eine miliare Aussaat möglich [39]. Den zeitlichen Ablauf, wann nach Primärinfektion einzelne tuberkulöse Organmanifestationen auftreten können, hat Wallgren bereits 1948 beschrieben (Abb. 3) [44].
Einen sehr seltenen Sonderfall stellt die konnatale Tuberkulose dar [32]. Für einen Fetus, dessen Mutter während der Schwangerschaft an Tuberkulose erkrankt, besteht die Gefahr, dass er bei Vorliegen einer spezifischen Plazentitis hämatogen mit Erregern der Mutter infiziert wird. Der tuberkulöse Primärkomplex ist dann in der Regel in der Leber des Neugeborenen zu finden [19].
Bei einer subpartalen Infektion des Kindes, z. B. bei Vorliegen einer Urogenitaltuberkulose der Mutter, kann es durch Aspiration zu einer primären Infektion der Lunge des Kindes kommen, die schnell zu einer lebensbedrohlichen disseminierten Tuberkulose führen kann.
Mehr Informationen zur Pathogenese sind im Beitrag von T. Ulrichs und S. Kaufmann in diesem Heft zu finden.
Prävention und Diagnostik
Die BCG-Impfung wird aufgrund der ungünstigen Nutzen-Risiko-Relation seit März 1998 von der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) nicht mehr empfohlen [40]. Weltweit wird momentan die Forschung für einen neuen, wirksameren Tuberkuloseimpfstoff vorangetrieben, jedoch wird es noch erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, bis ein solcher allgemein eingesetzt werden kann [28].
Daher stellen die frühe Diagnose der Infektion und deren Behandlung eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen für Kinder dar. Den Kinderärzten obliegt es, auf infektionsanamnestische Hinweise zu achten, um ggf. individuell die gezielte Tuberkulintestung zur Detektion der tuberkulösen Primärinfektion einzusetzen und präventive medikamentöse Maßnahmen einzuleiten.
Indikation zur Testung
Bei aktueller Tuberkuloseexposition sollten die betreffenden Kinder sofort getestet werden. Sowohl tuberkulinpositive als auch -negative Kinder erhalten eine vorbeugende Behandlung. Tuberkulinnegative Kinder müssen nach 3 Monaten erneut getestet werden (Tabelle 2).
Kinder, die bei einem längeren Aufenthalt in einem Hochprävalenzland engen Kontakt mit der dortigen Bevölkerung hatten, sollten sofort nach ihrer Rückkehr und bei primär negativem Testergebnis erneut nach 3 Monaten getestet werden [21, 43]. Außerdem sollten Kinder mit erhöhtem Infektionsrisiko, z. B. häufigem oder ständigem Kontakt zu Risikopopulationen (Tabelle 1), gezielt, ggf. jährlich, getestet werden (Tabelle 2) [33].
In den USA erhobene Daten zeigten, dass man mit einem epidemiologischen Fragebogen zumindest diejenigen Kinder charakterisieren kann, die nicht getestet werden müssen (negativer prädiktiver Wert 99,8%) [33]. Folgende Fragen haben bei dieser Untersuchung zur Evaluation der Testindikation gedient:
-
Hat Ihr Kind Kontakt zu infektiöser Tuberkulose gehabt?
-
Ist jemand aus Ihrer Familie, Ihr Kind eingeschlossen, in einem Hochprävalenzland geboren oder hat sich (innerhalb der letzten 2 Jahre) für längere Zeit dort aufgehalten?
-
Hat Ihr Kind regelmäßig Kontakt zu Risikopopulationen?
-
Hat Ihr Kind eine HIV-Infektion oder einen Immundefekt?
Diese infektionsanamnestischen Fragen sollten für die Auswahl der zu testenden bzw. nicht zu testenden Kinder genutzt werden: Eine Testung sollte, v. a. im Kleinkindesalter, dann erfolgen, wenn zumindest eine der genannten Fragen positiv beantwortet wird; werden alle 4 Fragen verneint, ist keine Testung erforderlich. Es ist empfehlenswert, dass dieser Fragenkatalog einmal pro Jahr vom Kinderarzt abgefragt wird. Damit kann individuell eine gezielte Testung erfolgen.
Die früher übliche flächendeckende Regeltestung der Kinder wird aktuell in Deutschland nicht mehr empfohlen [24].
Noch BCG-geimpfte Kinder ohne Risiko können, lediglich zur Dokumentation des Tuberkulinstatus, z. B. im 6. und im 13. Lebensjahr getestet werden.
Tuberkulinhauttestung
Methode der Wahl ist das Verfahren nach Mendel-Mantoux. Dabei werden mittels einer Tuberkulinspritze 0,1 ml der Testlösung an der Volarseite des Unterarms streng intrakutan injiziert. Das Testergebnis ist nach 72 h abzulesen. Dabei ist die Größe der Induration auszuwerten (Dokumentation im Impfpass); eine Rötung allein hat keinen diagnostischen Wert. Die Standardtestdosis beträgt in Deutschland 2 Tuberkulineinheiten (Tuberkulinunits: TU) gereinigtes Tuberkulin (2 TU RT23, Staatliches Seruminstitut Kopenhagen) und entspricht damit in der Bioäquivalenz dem früher verwendeten GT 10 (Chiron Behring) [22].
Bei der Beurteilung des Tuberkulintestes ist zu bedenken, dass es einerseits falsch-negative Testreaktionen geben kann, so z. B. nach Lebendimpfungen (Masern, Röteln, Mumps, Varizellen), bei und nach akuten Virusinfektionen, bei Immundefekten, bei malignen Erkrankungen sowie bei Sarkoidose. Auch bei Meningitis tuberculosa und Miliartuberkulose kann eine Anergie vorliegen [16, 39]. Andererseits können aufgrund von Kreuzreaktionen, verursacht durch Infektionen mit Umweltmykobakterien (z. B. M. avium), positive Testreaktionen auftreten, die fälschlich als durch M. tuberculosis verursacht interpretiert werden können [37, 13]. Zur präziseren Detektion einer Tb-Infektion werden daher unterschiedliche Interventions-Cut-Offs (s. unten) angewendet, abhängig von der jeweiligen epidemiologischen Situation und dem Alter des Kindes.
Bakteriologische Diagnostik
Bei Verdacht auf eine Lungentuberkulose sind zum Nachweis von M. tuberculosis Nüchternmagensaftuntersuchungen bzw. Untersuchungen von provoziertem Sputum erforderlich [46]. Der färberische Nachweis säurefester Stäbchen im Direktpräparat (Ziehl-Neelsen-Färbung) gelingt im Kindesalter (paucibazilläre Formen) seltener als bei Erwachsenen. Bei der postprimären Tuberkulose, die häufig erst in der Adoleszenz auftritt, gelingt der Erregernachweis häufig bereits aus dem nativem Sputum.
Nach wie vor stellt der kulturelle Nachweis von M. tuberculosis den Goldstandard der Tuberkulosediagnosik dar.
Mittels moderner Flüssignährmedien können die Kulturergebnisse bereits nach 10–14 Tagen vorliegen. Bei kulturellem Nachweis von M. tuberculosis sollte grundsätzlich eine Resistenzbestimmung erfolgen.
Zusätzliche molekularbiologische Untersuchungen (NAT: Nukleinsäureamplifikationstechniken), wie die Polymerasekettenreaktion (PCR), können schnell verfügbare Hinweise auf eine Infektion mit M. tuberculosis liefern.
Bildgebung
Bei einem positiven Tuberkulinhauttest und entsprechendem Verdacht (z. B. Infektionsanamnese) ist eine Röntgenuntersuchung des Thorax in 2 Ebenen erforderlich. CT- und MRT-Untersuchungen sind v. a. bei speziellen Indikationen, wie bei extrapulmonalen Manifestationen, angezeigt [5].
Röntgenologisch stellt sich die Primärtuberkulose der Lunge im klassischen Fall als Primärkomplex dar (Abb. 1). Der dabei vorhandene Primärherd kann jedoch nur für kurze Zeit nachweisbar sein; lediglich die Hiluslymphknotenvergrößerung persistiert, sodass die Primärtuberkulose radiologisch meist als Hiluslymphknotentuberkulose imponiert.
Ein untypisches Röntgenbild der Lunge schließt jedoch bei entsprechendem Verdacht eine Lungentuberkulose nicht sicher aus. Vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern können die röntgenologischen Befunde anfänglich uncharakteristisch sein.
Bei der postprimären Tuberkulose fehlt eine lymphadenogene Beteiligung; vielmehr zeigen sich Parenchymveränderungen meist im Sinne von Einschmelzungsherden bzw. Kavernen. Diese finden sich überwiegend in den Lungenoberlappen (Abb. 2).
Immunologische TB-in-vitro-Vollbluttests
Hinsichtlich dieses Themas sei auch auf den Beitrag von A. Detjen et al. in diesem Heft verwiesen.
Seit 2004 sind EU-weit 2 neue In-vitro-Vollbluttests zur Tuberkuloseinfektionsdiagnostik zugelassen, zum einen ein ELISA-Test (Quantiferon Tb-Gold-Test), zum anderen ein Elispot (T-SPOT.TB). Beide weisen nach bisheriger Datenlage eine relativ hohe Sensitivität und Spezifität auf [20, 29]. Vor allem in Niedrigprävalenzländern sind sie in dieser Hinsicht dem Tuberkulinhauttest überlegen. Sie sind allerdings — ebenso wie der Tuberkulinhauttest — wenig sensitiv bei Lymphopenie bzw. bei zellulärem Immundefekt und bei immunsuppressiver Therapie [9].
Bei beiden Tests werden nach Stimulation von Vollblut (16–24 h) mit hochspezifischen M.-tuberculosis-Antigenen [ESAT6 („early secreted antigen target“), Molekulargewicht (MG) 6000, und CFP 10 („culture filtrate protein“), MG=10.000) die γ-Interferon-Bildung bzw. die Zahl der γ-Interferon bildenden T-Lymphozyten gemessen. Dies setzt ein entsprechend ausgerüstetes und erfahrenes Labor voraus. Außerdem sind zeitnahe Untersuchungen nach Blutabnahme notwendig, da bei beiden Tests vitale Zellen Voraussetzung für die Untersuchung sind. Die Verfahren sind zudem deutlich teurer als der konventionelle Tuberkulinhauttest [34]. Diese neuen Tests können, zusätzlich zum Tuberkulinhauttest, bei folgenden Indikationen sinnvoll sein:
-
Akut lebensbedrohliche Tuberkuloseformen (z.B. Meningitis tuberculosa)
-
Verdacht auf Tuberkulose bei kutaner Anergie oder Hypergie
-
Differenzialdiagnostische Problemfälle
-
Vor Organtransplantationen
-
Vor Einsatz von Biologicals (z. B. Etanercept, Infliximab)
-
Neugeborene mit Verdacht auf Exposition
-
Latente TB-Infektion (LTBI)
-
Diskriminierung von Infektionen mit nichttuberkulösen Mykobakterien (Tuberkulinhauttest positiv, In-vitro-Tests negativ) bzw. mit M. tuberculosis (Tuberkulinhauttest positiv, In-vitro-Tests positiv)
In jedem Fall sollten eine sorgfältige Infektionsanamnese und eine daraus resultierende Indikation zur gezielten Tuberkulinhauttestung die primären Standardmethoden zur Detektion einer tuberkulösen Infektion bleiben.
Der Tuberkuloseschnelltest (TB-ST) von DiaVita scheint aufgrund einer unzureichenden Sensitivität insbesondere für die Detektion einer latenten tuberkulösen Infektion ungeeignet zu sein [14].
Chemoprävention und Interventionskriterien
Eine erstmalig positive Tuberkulinhautreaktion nach gezielter Testung erfordert obligat den röntgenologischen Ausschluss einer Tuberkulose und zusätzlich eine Umgebungsuntersuchung. Sofern bei positivem Tuberkulintest radiologisch eine TB ausgeschlossen werden kann, ist in den in Tabelle 3 dargestellten Fällen dennoch eine Intervention mittels Chemoprävention erforderlich, d. h. die vorbeugende Behandlung noch gesunder, aber bereits infizierter Kinder (latente tuberkulöse Primärinfektion ohne nachweisbaren Organbefund). Die genannten Interventions-Cut-Offs entsprechen weitgehend denen, die in Industrieländern mit niedriger Tuberkuloseprävalenz aktuell empfohlen werden [3].
Eine Chemoprävention wird im Kindesalter nach wie vor mit INH als bevorzugtem Chemotherapeutikum durchgeführt. Die Dosierung beträgt 200 mg/m2 KO, alternativ kann auch nach Körpergewicht dosiert werden (Tabelle 4). Die Therapie dauert 9 Monate [3].
Inzwischen sind andere, so genannte Kurzzeitchemopräventionsregimes bei Erwachsenen geprüft worden [11]. Da es jedoch für diese in Bezug auf das Kindesalter keine ausreichenden Effektivitätsdaten gibt, kommen solche alternativen Regimes nur in besonderen Fällen in Betracht: bei INH-Unverträglichkeit oder bekannter INH-Resistenz der Infektionsquelle, z. B. Rifampicin anstelle von INH für 6 Monate [3, 25, 26].
Chemoprophylaxe
Sie wird bei aktuell TB-Exponierten, aber noch tuberkulinnegativen Kindern als vorbeugende Behandlung durchgeführt. Die Kinder erhalten zunächst für 3 Monate INH in der angegebenen Dosierung. Anschließend muss eine Tuberkulinnachtestung erfolgen. Bei negativem Ergebnis wird die INH-Chemoprophylaxe beendet. Bei positivem Ergebnis ist von einer Infektion auszugehen. Es müssen dann radiologisch (Thoraxröntgen in 2 Ebenen) eine aktive Tuberkulose ausgeschlossen und die INH-Gabe um weitere 6 Monate im Sinne der Chemoprävention verlängert werden (Abb. 4).
Chemoprävention/-prophylaxe bei resistenter Tuberkulose der Infektionsquelle
Bei Einzel- bzw. Multiresistenz der Infektionsquelle müssen sich Prävention bzw. Prophylaxe nach dem jeweiligen Resistogramm richten. Bei Einzelresistenzen kann ein alternatives Antituberkulotikum (z. B. Rifampicin bei INH-Resistenz) zur Prävention benutzt werden. Bei Multiresistenz sollten 2 wirksame Medikamente über zumindest 6 Monate verabreicht werden [8, 35]. Im Vergleich zur konventionellen Chemoprävention liegen allerdings für das Kindesalter keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten für die Chemoprävention bei Multiresistenz der Infektionsquelle vor.
Klinik
Eine klinische Symptomatik der primären Tuberkulose im Kindesalter fehlt anfangs oft. Selbst im fortgeschrittenen Stadium können die Symptome wenig charakteristisch sein (B-Symptomatik): Husten, Inappetenz, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, subfebrile Temperaturen, allgemeine Abgeschlagenheit. Schwere klinische Verläufe, u. a. verbunden mit Hämoptoe, schwerer Anämie und Untergewicht, sind in Mitteleuropa selten geworden.
Die Miliartuberkulose ist Ausdruck einer disseminierten hämatogenen Aussaat und imponiert klinisch durch schwere Krankheitssymptome mit erheblicher Beeinträchtigung des Allgemeinzustands, Fieber, Inappetenz, Gewichtsverlust, Husten und Atemnot. Sie kann, unbehandelt, zur respiratorischen Insuffizienz führen.
Die Meningitis tuberculosa gehört besonders im Säuglings- und Kleinkindesalter zu den lebensbedrohlichen Tuberkuloseformen. Sie beginnt zunächst unspezifisch mit Symptomen wie Irritabilität und Wesensveränderung. Im weiteren Verlauf treten meningitische Symptome, schwere Störungen des Allgemeinzustands und Fieber auf. Unbehandelt kann die Meningitis tuberculosa zum Koma und Tod führen.
Der Tuberkulintest kann bei Miliartuberkulose und Meningitis tuberculosa in bis zu 40% der Fälle negativ ausfallen [16].
Schwere Verlaufsformen der Tuberkulose treten bei genetisch determinierter erhöhter Suszeptibilität oder bei Immundefekten häufiger auf (s. Beitrag von M. Knackstedt et al. in diesem Heft) [4, 6].
Die postprimäre Lungentuberkulose mit z. B. kavernösen Lungenveränderungen zeigt häufiger eine Symptomatik mit Husten, Gewichtsverlust, Anämie, Nachtschweiß und in fortgeschrittenen Fällen auch mit Hämoptoe.
Extrapulmonale Formen kommen bei etwa 20% der Kinder mit Tuberkulose vor und manifestieren sich häufig als periphere Lymphadenopathie, vorwiegend im Halsbereich. Insbesondere bei Einschmelzungstendenz kann die Haut miteinbezogen sein (Skrophuloderm). Andere seltene extrapulmonale Organtuberkulosen (z. B. unter Beteiligung von Knochen, Gelenken, Meningen und/oder Nieren) zeigen jeweils organbezogene Symptome.
Neugeborene mit einer konnatalen Tuberkulose sind grundsätzlich lebensbedrohlich erkrankt.
Sie fallen u. a. durch eine klinische Symptomatik wie bei einem Surfactantmangelsyndrom mit respiratorischer Globalinsuffizienz auf. Außerdem bestehen meist eine Hepatosplenomegalie und ein prolongierter Icterus neonatorum.
Therapie
Kinder mit gesicherter Tuberkulose werden mit einer antituberkulotischen Dreifachkombination behandelt, die einen bakteriologisch sterilisierenden Effekt hat [41].
Als First-line-Antituberkulotika stehen Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Pyrazinamid (PZA), Ethambutol (EMB) und Streptomycin (SM) zur Verfügung (Dosierungen s. Tabelle 4). Bei nachgewiesener Resistenz der Keime muss die Kombinationstherapie verlängert (s. unten) und modifiziert werden z. B. durch Einsatz von Second-line-Antituberkulotika, wie u. a. Protionamid, Capreomycin, Cycloserin, p-Aminosalizylsäure, Quinolon oder Linezolid (Tabelle 5). Die Behandlung solcher Fälle sollte stets nur in einem erfahrenen Zentrum erfolgen [10, 12, 24, 26]. Insbesondere für die multiresistenten Tuberkulosen werden in weiterer Zukunft neue wirksame Medikamente zur Verfügung stehen [31].
Generell sind bei der kombinierten antituberkulotischen Chemotherapie Laborkontrollen, v. a. Blutbild, Serumtransaminasen, Harnsäure (bei PZA-Gabe), Kreatinin und Harnstoff (bei SM-Gabe), zumindest nach 2, 4 und 8 Wochen erforderlich, um unerwünschte Arzneimittelwirkungen möglichst frühzeitig zu erkennen. Bei Gabe von SM sollten 4-wöchentlich HNO-ärztliche Untersuchungen (Audiometrie), bei Gabe von EMB, ebenfalls 4-wöchentlich, ophthalmologische Untersuchungen (Farbsehprüfung) erfolgen.
Grundsätzlich werden bei der Meningitis tuberculosa und der Miliartuberkulose bereits initial Steroide eingesetzt; bei Perikarditis, Pleuritis und Lymphadenitis tuberculosa fakultativ [2, 38].
Nach Ende der jeweiligen Therapie ist eine jährliche radiologische und klinische Kontrolle für 2 Jahre sinnvoll.
Unkomplizierte Primärtuberkulose
An ihr erkrankte Kinder mit röntgenologischem Nachweis eines Primärkomplexes bzw. einer Hiluslymphknotenvergrößerung werden mit der Standarddreifachtherapie, bestehend aus INH, RMP und PZA, für 2 Monate behandelt. Anschließend erfolgt eine Zweifachtherapie mit INH und RMP für weitere 4 Monate (Gesamtbehandlungszeit 6 Monate) [3, 10, 41]
Komplizierte Primärtuberkulose
Finden sich z. B. Einschmelzungen, spezifische Pneumonien, Belüftungsstörungen, verursacht durch Lymphknoteneinbruch, oder Pleuritiden wird mit einer Dreifachtherapie unter Verwendung von INH, RMP und PZA für 2 Monate und anschließend 2fach für 7 Monate mit INH und RMP behandelt (Gesamtbehandlungszeit 9 Monate) [3, 10].
Postprimäre Tuberkulose
Die Therapie entspricht der einer komplizierten Primärtuberkulose.
Verdacht auf resistente Tuberkuloseerreger
Es wird eine initiale antituberkulotische Vierfachtherapie mit INH, RMP, PZA und EMB (bzw. SM) bis zum Erhalt der Resistenzbestimmung empfohlen. Je nach deren Ergebnis muss das Therapieregime ggf. modifiziert werden, wobei möglichst 3 wirksame Medikamente eingesetzt werden sollten [17]. Die Gesamtbehandlungsdauer verlängert sich dann auf 18–24 Monate [10].
Miliartuberkulose und Meningitis tuberculosa
Sie werden mit einer initialen Vierfachkombination, bestehend aus INH, RMP, PZA und SM bzw. EMB, für 2–3 Monate behandelt. Anschließend erfolgt eine Weiterbehandlung mit INH und RMP bis zum Ablauf von zumindest 9–12 Monaten Gesamtbehandlungszeit [3, 10]. Die zusätzliche Gabe von Prednisolon bei der Miliartuberkulose (2 mg/kg/Tag) bzw. Dexamethason (0,6 mg/kg/Tag) bei der Meningitis tuberculosa in absteigender Dosierung ist dabei für wenigstens 6 Wochen notwendig [38, 39].
Periphere Lymphknoten-, Abdominal- und Knochentuberkulose
Die Therapie entspricht der der komplizierten Primärtuberkulose, bei klinischer Indikation kann sie jedoch auch länger dauern, ggf. ist die Miteinbeziehung von Steroiden erforderlich [26]. Andere Fachdisziplinen sollten entsprechend hinzugezogen werden.
Lymphknoten- bzw. Knochentuberkulose müssen oft chirurgisch angegangen werden
Die periphere Lymphknotentuberkulose, z. B. Halslymphknotentuberkulose, wird bei erheblicher Ausdehnung aus diagnostischen und therapeutischen Gründen einer operativen Behandlung (Lymphknotenexstirpation) zugeführt. Ebenso ist bei der Spondylitis tuberculosa bzw. Knochentuberkulose neben der Chemotherapie meist eine frühzeitige chirurgische Intervention erforderlich [27]. Eine chirurgische Intervention bei der Abdominaltuberkulose ist in der Regel nur bei Komplikationen notwendig.
Konnatale Tuberkulose
Sie wird sofort wie eine Miliartuberkulose behandelt. Bereits bei Verdacht muss bis zum Ausschluss einer Tuberkulose zumindest 3fach kombiniert antituberkulotisch behandelt werden.
Fazit für die Praxis
Mit der weiteren Abnahme der Inzidenz der Tuberkulose wird hierzulande damit zu rechnen sein, dass in die Lücke tuberkulöser Primärinfektionen Umweltmykobakterieninfektionen rücken [37]. Eigene Untersuchungen zeigten, dass u. a. bei der zervikalen Lymphadenopathie das Verhältnis zwischen Infektionen mit M. tuberculosis und solchen mit Umweltmykobakterien (überwiegend M. avium) in den 1990er Jahren schon bei 2:1 lag [18]. Nach neuesten Daten aus den Niederlanden und aus Deutschland beträgt diese Häufigkeit im Kleinkindesalter jetzt bereits 1:1 [15, 45]. In die Interpretation von positiven Tuberkulintestergebnissen sind deshalb jeweils aktuelle epidemiologische Gesichtspunkte einzubeziehen. Entscheidend ist dabei die exakte Erhebung der Infektionsanamnese. Damit werden einerseits eine Überdiagnostik und -behandlung vermieden, andererseits das Risiko minimiert, Kinder, die tatsächlich mit M. tuberculosis infiziert sind, zu übersehen. In Zweifelsfällen bzw. bei vital bedrohlichen Erkrankungen sollten auch die neuen In-vitro-Diagnostika (γ-Interferon-Tests) zusätzlich Anwendung finden.
Wegen der globalen epidemiologischen Gesamtproblematik der Tuberkulose ist es notwendig, v. a. Kinderärzte wieder mehr als bisher auf diesem Gebiet fortzubilden.
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Magdorf, K. Tuberkulose im Kindesalter. Monatsschr Kinderheilkd 154, 124–132 (2006). https://doi.org/10.1007/s00112-005-1282-3
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