Thrombotische Mikroangiopathien (TMA) sind histopathologisch durch Gefäßverschlüsse in der Mikrozirkulation charakterisiert, die durch fibrin- und thrombozytenreiche Thromben verursacht werden. Diese können systemisch oder nur intrarenal auftreten und führen klinisch zu einer Thrombozytopenie, einer mikroangiopathischen mechanischen Hämolyse mit erhöhter Laktatdehydrogenase, erniedrigtem Haptoglobin und Nachweis von Fragmentozyten sowie zu Organschäden an perfusionssensiblen Organen, wie der Niere und dem zentralen Nervensystem. Es werden drei Hauptformen unterschieden [1]. Dies sind die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), das Shiga-Toxin-induzierte hämolytisch-urämische Syndrom (STEC-HUS), welches früher auch als typisches HUS, diarrhöassoziiertes HUS (D+HUS) oder Enterohämorrhagische-Escherichia-coli(EHEC)-HUS bezeichnet wurde, und das atypische HUS (aHUS).

Eine TTP kann durch Bestimmung der ADAMTS13-Aktivität diagnostiziert werden. Liegt diese über 10 %, ist die Differenzialdiagnose weitgehend ausgeschlossen [2]. In der Regel handelt es sich um eine erworbene TTP, die durch einen Autoantikörper verursacht wird. Nur ganz selten (<5 %) liegt ein genetischer Defekt vor, der zu einer verminderten ADAMTS13-Aktivität führt. Ein STEC-HUS sollte durch die Untersuchung einer Stuhlprobe ausgeschlossen werden. Mit dieser sollten eine kulturelle Anzucht und eine Polymerase-Kettenreaktion oder ein „enzyme-linked immunosorbent assay“ (ELISA) erfolgen, um Shiga-Toxin-produzierende Escherichia-coli-Stämme nachzuweisen. Sind die genannten Schritte vollzogen, kann die Diagnose aHUS gestellt werden.

Im Jahr 1981 wurde eine Verbindung zwischen genetischen Veränderungen des Komplementsystems und HUS beschrieben und die zugrunde liegende Ursache des HUS darin vermutet [3]. Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte konnte dies bestätigen und hat ergeben, dass eine Überaktivierung des alternativen Wegs der Komplementkaskade für die Ausbildung der TMA bei aHUS verantwortlich ist [4].

Für die langfristige Therapieplanung ist eine genetische Diagnostik zu empfehlen

Eine genetische Diagnostik ist in der Akutphase nicht hilfreich, da nur bei etwa der Hälfte der Patienten eine Mutation nachweisbar ist und eine genetische Diagnostik Zeit benötigt sowie aktuell keine therapeutischen Konsequenzen bei der initialen Diagnosestellung und Therapieentscheidung hat. Für die langfristige Therapieplanung und Prognoseabschätzung ist eine genetische Diagnostik jedoch zu empfehlen [5], wenn nicht sogar notwendig. Über die wichtigsten Erkenntnisse zur Rolle von Genmutationen bei aHUS wird im Folgenden berichtet.

Pathophysiologie

Die pathophysiologische Grundlage der oben beschriebenen TMA ist eine Überaktivität des alternativen Wegs des Komplementsystems. Das Komplementsystem hat sich während der Evolution frühzeitig gebildet (Abb. 1). Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es nicht zwischen selbst und fremd unterscheiden kann. Kommt es etwa zu einer Infektion, attackiert das Komplementsystem in der Blutzirkulation die Bakterien. Damit die Endothelzellen nicht ebenfalls geschädigt werden, haben sich Schutzmechanismen entwickelt. Es existieren sowohl zirkulierende Faktoren, unter anderem Komplementfaktor H (CFH) und I (CFI), als auch endothelgebundene Oberflächenmoleküle, unter anderem Membrankofaktorprotein (MCP) und Thrombomodulin, die verhindern, dass es zu einer Schädigung der Endothelzellen nach Komplementaktivierung kommt.

Abb. 1
figure 1

Komplementsystem. Das Komplementsystem kann auf drei verschiedenen Wegen aktiviert werden. Diese sind der klassische Weg, der Lektinweg und der alternative Weg. Alle drei Aktivierungsmöglichkeiten stellen eigenständige, aber partiell überlappende Prozesse dar. Die Nomenklatur der beteiligten Enzyme orientiert sich an den zugehörigen Aktivierungswegen. Zum klassischen Weg gehören die Bestandteile C1–C9. Einige Proteine werden durch ihre Spaltung aktiviert. Das hieraus resultierende kleinere Fragment wird mit dem Suffix „a“ und das größere mit dem Suffix „b“ versehen. Zusätzliche Bestandteile des alternativen Wegs werden Faktoren genannt und mit einem Buchstaben versehen (beispielsweise Faktor B). Weitere Erläuterungen s. Text. CFH Komplementfaktor H; CFI Komplementfaktor I, MAC „membrane attack complex“ (membranangreifender Komplex); MASP MBL-assoziierte Serinprotease; MBL mannanbindendes Lektin; MCP Membrankofaktorprotein

Das Komplementsystem kann auf drei verschiedenen Wegen aktiviert werden. Diese sind der klassische Weg, der Lektinweg und der alternative Weg. Alle Aktivierungswege münden in der Bildung einer C3-Konvertase, welche die gemeinsame Endstrecke des Komplementsystems initiiert. Die Aktivierung des alternativen Wegs erfolgt durch die spontane Hydrolyse einer instabilen Thioesterverbindung, die C3 in eine aktive Form (C3H(2)O) überführt [19]. Durch die Hydrolyse ändert C3 seine Konformation und C3H(2)O hat eine freie Bindungsstelle für das Plasmaprotein Faktor B. Faktor B bindet an C3H(2)O und wird wiederum von dem Plasmaprotein Faktor D gespalten. Ein Teil von Faktor B (Faktor Bb) verbleibt an C3 und bildet eine C3-Konvertase. Die gebildete C3-Konvertase kann wiederum C3 in C3a und C3b spalten. Die auf dem alternativen Weg gebildete C3-Konvertase ist relativ instabil (Halbwertszeit etwa 90 s) und wird durch die Anlagerung des Plasmaproteins Properdin stabilisiert.

Wie beschrieben gibt es drei verschiedene Wege, eine C3-Konvertase zu bilden. Jedes daraufhin gebildete C3b kann wiederum mit Faktor B und Faktor D neue Konvertasen bilden und somit über einen sich selbst verstärkenden Prozess die Aktivität des Komplementsystems weiter erhöhen. Dieser Prozess führt dazu, dass die Oberfläche, die zur Aktivierung der Kaskade geführt hat, schnell mit C3b besetzt werden kann (Opsonisierung). Die hohe Dichte von C3b erhöht die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Anlagerung von C3b an eine der C3-Konvertasen.

Die C4b-2b-3b- oder C3b-Bb-3b-Komplexe haben eine höhere Spezifität für C5 und werden deshalb C5-Konvertasen genannt. C5 wird von diesen in C5a und C5b gespalten. C5b leitet die Bildung des membranangreifenden Komplexes (MAC) ein. Es lagert sich mit C6 und C7 zusammen und bildet einen Komplex, der über eine Membranbindungsstelle verfügt und über diese an die Membran des Pathogens oder der Körperzelle bindet. Durch die Anlagerung von C8 können mehrere C9-Moleküle an den Komplex binden und eine Pore in der Zellmembran formieren. Diese Pore führt zur Lyse der angegriffenen Zelle. Körpereigene Zellen sind durch verschiedene Mechanismen gegen einen Anlagerung von C3b (Opsonisierung) und Bildung einer C5-Konvertase geschützt. Die wichtigsten Faktoren sind CFH, CFI und MCP sowie deren Interaktion mit der Glykokalyx.

Weniger als die Hälfte der Genmutationsträger erkranken an einem aHUS

Bisher sind in mehr als 10 verschiedenen Komplementgenen Mutationen nachgewiesen worden. In der Regel reicht aber die Genmutation allein nicht aus. So beträgt die Penetranz selbst bei einer schweren CFH-Mutation nur 30–50 %, das heißt, weniger als die Hälfte der Genmutationsträger erkranken an einem aHUS. Daher wird vermutet, dass zusätzliche Faktoren benötigt werden, um ein aHUS auszulösen (Abb. 2). Auslösende Ereignisse werden bei 39–70 % der Betroffenen beschrieben. Zu ihnen zählen unter anderem Infektionen, Malignome, Chemotherapie und Schwangerschaft [6].

Abb. 2
figure 2

Die Two-Hit-Hypothese bei aHUS. Genetische Veränderungen sind wichtig für die Entstehung eines aHUS, allein aber nicht ausreichend. So liegt die Penetranz bei unter 50 %, das heißt, weniger als die Hälfte der Personen mit einer aHUS-Mutation werden erkranken. In der Regel wird ein Auslöser benötigt, der zu einer Endothelschädigung und nachfolgenden Komplementaktivierung führt. Liegt eine schwere Mutation vor, reicht wahrscheinlich eine nur geringe zusätzliche Komplementaktivierung aus. aHUS Atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom; C3 Komplementfaktor 3; CFB Komplementfaktor B; CFH Komplementfaktor H; CFHR1 Fusionsprotein zwischen einem CFH Molekül und einem CFHR1 (complement factor H-related proteins 1) oder zwischen zwei CFHR Proteinen; CFI Komplementfaktor I; MCP Membrankofaktorprotein

Genetik des atypischen hämolytisch-urämischen Syndroms

Der alternative Weg des Komplementsystems wird bei Gesunden durch membranständige und frei im Blutplasma befindliche Proteine reguliert. Mutationen in Genen der Regulatorproteine und der Komplementkaskade können in 40–60 % der von aHUS Betroffenen gefunden werden (Tab. 1). Erfolgt eine genetische Untersuchung bei einem Patienten mit aHUS, sollen alle bekannten aHUS-Gene untersucht werden. Wir lassen bei allen Patienten mit aHUS die Gene mittels „next generation sequencing“ analysieren. Zur Detektion von Deletionen oder Duplikationen, wie sie sich häufig in den Complement-factor-H-related-protein(CFHR)-Genabschnitten (s. unten) ereignen, ist zusätzlich eine „multiplex ligation-dependent probe amplification“ (MLPA) erforderlich.

Tab. 1 Genmutationen und ihre klinischen Auswirkungen

Komplementfaktor H

Faktor H ist ein 155 kDa schweres Serumglykoprotein und besteht aus 20 Einheiten, die je etwa 60 Aminosäuren umfassen. Diese werden als Complement-control-protein(CCP)-Einheiten bezeichnet. Faktor H dient Faktor I als Kofaktor bei der Spaltung von C3b, konkurriert mit Faktor B um die Bindung an C3b, beschleunigt den Abbau der C3-Konvertase, erkennt spezifische Markerproteine an körpereigenen Zellen und bindet dort initial angelagertes C3b. Dies verhindert eine weitere Anlagerung von C3b. Währenddessen wird die Aktivierung des alternativen Wegs auf nicht geschützten Oberflächen fortgesetzt.

Für den zuletzt genannten Schutzeffekt sind vor allem die C‑terminalen CCP-Einheiten 19–20 verantwortlich. Hier befinden sich Bindungsstellen für C3b und Polyanionen wie Heparin und Glykosaminoglykan. Der effektive Zellschutz ist bedingt durch eine 10-fach höhere Affinität zu C3b, wenn Faktor H an eine körpereigene Zelle gebunden ist. Dies zeigen auch Experimente mit genetisch veränderten Mäusen, die nur eine verkürzte Form von Faktor H synthetisieren können (CCP-Einheiten 16–20 fehlen). Diese entwickeln spontan ein aHUS [7]. Werden die Mäuse wiederum mit C5-defizienten Mäusen gekreuzt, entwickeln sie kein aHUS. Dies zeigt die Bedeutung der Endstrecke der Komplementkaskade für die Ausbildung des aHUS.

Faktor H wird, genau wie Faktor I, Faktor B und C3, in der Leber synthetisiert. Daher kann eine Lebertransplantation oder eine kombinierte Leber- und Nierentransplantation zur Heilung eines aHUS führen. Dieser Eingriff geht jedoch mit einer hohen Komplikationsrate einher und wird daher nur selten durchgeführt.

CFH ist das am häufigsten von Mutationen betroffene Gen unter aHUS-Patienten

Das für Faktor H codierende Gen CFH ist das am häufigsten von Mutationen betroffene Gen unter aHUS-Patienten. Im Durchschnitt kann bei 25 % der Betroffenen eine Mutation gefunden werden (Tab. 1). Bei familiär auftretendem aHUS kann sogar in 40 % der Fälle eine CFH-Mutation nachgewiesen werden. Die meisten bekannten Mutationen betreffen die C‑terminalen CCP-Einheiten 19 und 20. Dies zeigt deren Stellenwert für den Schutz von Nierenzellen gegenüber dem Komplementsystem. Gefundene Mutationen sind meist heterozygot und führen nicht zu einer quantitativen Verminderung von Faktor H.

„Complement factor H-related protein“

Neben Faktor H gibt es weitere, diesem sehr ähnliche Proteine, die der sogenannten Faktor-H/CFHR-Genfamilie angehören. Diese besteht aus dem „factor H-like protein 1“ (FHL-1) sowie fünf „complement factor H-related proteins“ (CFHR1–5). Die Gene dieser Proteine liegen im Regulation-of-complement-activation(RCA)-Gencluster, der sich auf Chromosom 1q32 befindet [8]. FHL-1 geht aus einer anderen Splice-Variante des CFH-Gens hervor und hat für das aHUS keine weitere Bedeutung. Die fünf CFHR-Proteine können jedoch in der Krankheitsentwicklung von aHUS eine Rolle spielen und werden deshalb genauer beschrieben.

CFHR1–5 sind Plasmaproteine und ähnlich wie Faktor H aus einer verschiedenen Anzahl CCP-Einheiten aufgebaut. Das komplette Segment des CFHR-Gens weist große DNA-Abschnitte auf, die in ihren Sequenzen zu einem hohen Grad identisch sind. Diese repetitiven Abschnitte begünstigen das Auftreten von nichthomologer Rekombination, was zu einer Umlagerung von Chromosomenabschnitten führt. Diese Rekombinationen können zum Verlust von einzelnen oder mehreren CFHR-Genen führen sowie zu neuen Genkompositionen, die in einigen Fällen auch Faktor H einschließen [8]. Alle fünf CFHR-Gene weisen in den N‑terminalen CCP-Einheiten große Sequenzidentitäten auf (36–94 %) und die letzten beiden CCP-Einheiten aller CFHR-Gene sind in ihrer Sequenz sehr ähnlich zu den CCP-Einheiten 19 und 20 von Faktor H (36–100 %). Diese Ähnlichkeiten der Gensequenz deuten darauf hin, dass die Proteine der Faktor-H/CFHR-Genfamilie ähnliche Funktionen haben.

Faktor H/CFHR-Hybrid-Protein

Auch wenn die genauen Funktionen der CFHR-Proteine noch ungeklärt sind, können Veränderungen in CFHR-Genen die Entstehung eines aHUS begünstigen. Durch die hohe Sequenzidentität begünstigt, kann es zu Umlagerungen zwischen CFHR-Genen und dem CFH-Gen kommen, die zur Ausbildung von Hybridgenen und korrespondierenden Hybridproteinen führen. Die relevantesten Hybridproteine für das aHUS sind zusammengesetzt aus Faktor H und CFHR1 oder CFHR3 [8].

Faktor-H-Autoantikörper

Bei etwa 20–40 % der Kinder und 3 % der Erwachsenen können Faktor-H-Autoantikörper (FHAAK) gefunden werden. In Indien wurden in einer pädiatrischen aHUS-Gruppe sogar bei 56 % der Betroffenen FHAAK gefunden [9]. Homozygote Deletionen von CFHR1 und CFHR3 sind häufig mit deren Entstehung vergesellschaftet, aber auch eine kombinierte Deletion von CFHR1 und CFHR4 kann zur Ausbildung von FHAAK führen [8]. Beide Erkenntnisse lassen schlussfolgern, dass das Fehlen von CFHR1 zur Bildung von Antikörpern prädisponiert. Antikörper richten sich hauptsächlich gegen die CCP-Einheit 20 von Faktor H.

Faktor I

Faktor I ist eine im Serum vorkommende Serinprotease, die in Anwesenheit eines Kofaktors C3b spaltet und hierdurch ein wichtiger Regulator des Komplementsystems ist. Als Kofaktor für die Spaltung von C3b dienen MCP, CFH und Komplementrezeptor 1 (CR1; [10]).

Das für Faktor I codierende CFI-Gen liegt auf Chromosom 4q25 und ist bei etwa 7 % (4–13 %) der Patienten mit aHUS von einer Mutation betroffen. Die Mutationen erstrecken sich auf das gesamte Gen, betreffen aber am häufigsten den katalytischen Bereich und resultieren in den meisten Fällen in einem quantitativen Defekt. Bis auf eine Ausnahme sind alle bekannten Mutationen heterozygot aufgetreten [11]. Auffallend ist, dass bei Betroffenen häufig zusätzlich zur CFI-Mutation eine weitere Mutation im MCP-, CFH-, Komplementfaktor-B(CFB)- oder CFHR1-Gen gefunden wird [11]. Dies unterstützt die Hypothese, dass mehrere Faktoren notwendig sind, um ein aHUS zu entwickeln, und dass eine heterozygote CFI-Mutation nur einen davon darstellt.

Membrankofaktorprotein

MCP ist ein membranständiger Regulator des Komplementsystems, der auf allen Körperzellen mit Ausnahme von Erythrozyten exprimiert wird [12]. Das extrazelluläre Segment besteht aus 4 CCP-Einheiten. Diese sind besonders wichtig für die Aktivität als Kofaktor von Faktor I, denn hier befinden sich Bindungsstellen für C3b, C4b und Faktor I. Das MCP-Gen liegt im RCA-Cluster auf Chromosom 1q32; Mutationen finden sich bei etwa 10 % (5–15 %) der Patienten mit aHUS. Etwa ein Viertel davon ist homozygot. 75 % der mutierten Proteine werden nicht exprimiert, der Rest wird zwar exprimiert, hat jedoch eine reduzierte oder keine Funktion. Bislang sind über 50 Mutationen bekannt, die zu aHUS führen. Die meisten betreffen die 4 extrazellulär liegenden CCP-Einheiten. Typischerweise kommt es bei MCP-Mutationen insbesondere im Kindesalter zu Rezidiven, die aber meist relativ mild verlaufen.

C3

Neben Regulatoren des Komplementsystems kann auch C3 von Mutationen betroffen sein. Diese können bei etwa 5 % (2–8 %) der von aHUS Betroffenen gefunden werden. Derzeit sind etwa 50 verschiedene Mutationen bekannt, die vor allem die Bindungsstellen von Faktor H und MCP betreffen [13]. Dies führt zu einer verminderten Bindung an Faktor H und MCP, was eine verminderte proteolytische Inaktivierung von C3b zur Folge hat. Aus diesem Grund werden diese Mutationen als Gain-of-function-Mutationen bezeichnet. Eine Mutation im C3-Gen geht in den meisten Fällen (70–83 %) mit einem verminderten Serum-C3-Spiegel einher, der wiederum mit der Schwere der Krankheit korreliert.

Therapeutische Konsequenzen

Die Information über das Vorliegen einer Mutation ist weder für die Diagnosestellung noch für die Entscheidung über eine Therapie mit Eculizumab wichtig. Eculizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der an C5 bindet. Die Bindung blockiert die Spaltung von C5 und somit die komplette Endstrecke des Komplementsystems. Der bei aHUS beschriebenen Überaktivität des Komplementsystems kann somit entgegengewirkt werden. Aktuell wird empfohlen, nach der Diagnose eines aHUS möglichst schnell die Behandlung mit Eculizumab zu beginnen [1].

Nach Aussetzen einer Therapie mit Eculizumab ist eine engmaschige Überwachung erforderlich

Eculizumab verursacht hohe Therapiekosten von etwa 500.000 bis 600.000 € pro Jahr und Patient und ist zusätzlich mit einem geringen Risiko einer Meningokokkeninfektion von etwa 1 %/Jahr assoziiert. Daher haben sich mehrere Arbeitsgruppen mit der Frage beschäftigt, ob eine lebenslange Therapie, die derzeit im Beipackzettel empfohlen wird, wirklich erforderlich ist. In mehreren Fallserien von einzelnen Krankenhäusern konnte gezeigt werden, dass Eculizumab bei über 50 % der Patienten erfolgreich abgesetzt werden konnte. Dabei fiel auf, dass insbesondere bei Patienten ohne Mutationsnachweis ein Absetzen der Medikation erfolgreich war. Das Rezidivrisiko lag bei 0 bis <10 % [14,15,16]. Dagegen kam es bei etwa 40–50 % aller Patienten mit einer CFH-Mutation zu einem Rezidiv.

Aufgrund dieser Datenlage ist es sicherlich gerechtfertigt, bei Patienten ohne Mutation oder „nur“ mit Polymorphismen einen Auslassversuch zu unternehmen, sofern nicht klinische Faktoren dagegen sprechen. Zu diesen Faktoren zählen mehrere Rezidive, eine stark eingeschränkte Nierenfunktion und eine extrarenale Manifestation. Auch nach unserer eigenen Erfahrung ist dies ohne größere Gefährdung der Patienten möglich. Wenn die Therapie mit Eculizumab abgesetzt wird, ist aber eine engmaschige Überwachung der Patienten erforderlich, um bei einem Rezidiv umgehend mit der Therapie neu beginnen zu können.

Nierentransplantation

Eine TMA kann nach einer Nierentransplantation neu oder als Rezidiv im Transplantat auftreten, nachdem vorhergehende aHUS-Episoden eine Nierentransplantation nötig gemacht haben.

Die Erstmanifestation einer TMA nach einer Nierentransplantation kann durch Immunsuppressiva oder durch humorale Abstoßungsreaktionen ausgelöst werden. Auch hier gibt es häufig genetische Veränderungen in Komplementgenen. Bei 29 % (7 von 24) der Patienten, bei denen eine neu aufgetretene TMA nach Nierentransplantation festgestellt wurde, konnten Mutationen im CFH- oder CFI-Gen nachgewiesen werden [17]. Auch bei diesen Patienten sollte somit immer eine genetische Diagnostik erfolgen.

Der prophylaktische Einsatz von Eculizumab vor einer Transplantation hat sich bewährt

Lange Zeit galt das aHUS als Kontraindikation für eine Nierentransplantation, da die Rezidivrate sehr hoch war und es häufig zu Organverlusten kam (50 % Organverluste nach 5 Jahren; [18]). Mittlerweile ist bekannt, dass die der Krankheit zugrunde liegende Mutation das Risiko für ein Rezidiv im Transplantat stark beeinflusst (Tab. 1). Der prophylaktische Einsatz von Eculizumab vor einer Transplantation hat sich bewährt und sollte bei Hochrisikopatienten mit CFH-Mutation, CFHR-Fusionsprotein, C3-Gain-of-function-Mutation oder CFB-Mutation standardisiert eingesetzt werden [1].

Um diese Patienten identifizieren zu können, sollte vor jeder Transplantation eine genetische Untersuchung des Empfängers erfolgen. Bei Lebendspenden eines Verwandten sollte auch dieser genetisch untersucht werden, um auszuschließen, dass der Spender auch Träger der krankheitsverursachenden Mutation ist. Wenn ja, scheidet er als Spender aus, da er selbst ein erhöhtes aHUS-Risiko hat und eine Einzelniere ein potenziell aggravierender Faktor wäre.

Fazit für die Praxis

  • Mutationen im Komplementsystem finden sich bei 40–60% aller aHUS Patienten.

  • Die Penetranz liegt unter 50 %, zusätzlich ist meist eine Komplementaktivierung nötig.

  • Mehr als 10 beteiligte Gene wurden identifiziert.

  • Die Genetik wird nicht für die Diagnose benötigt, ist jedoch hilfreich beim langfristigen Management der Patienten.

  • Hochrisikomutationen sind Mutationen in CFH, CFHR-Fusionsproteine und Gain-of-function-Mutationen in CFB und C3.

  • Bei Hochrisikopatienten ist das Absetzen einer Komplementblockade mit einem Rezidivrisiko von 30–50 % assoziiert.

  • Patienten mit aHUS, aber ohne Mutation haben ein geringes Rezidivrisiko nach Absetzen einer Komplementblockade.

  • Bei verwandten Lebendspendern muss eine genetische Testung erfolgen, wenn beim Empfänger eine Mutation nachweisbar ist.