Zusammenfassung
Stürze im Alter sind ein wichtiges Gesundheitsproblem, das jedes Jahr mindestens ein Drittel aller über 65-Jährigen betrifft. Konsequenzen sind Verletzungen, Sturzangst, ein Verlust der Selbstständigkeit und eine erhöhte Mortalität. Der alternsbezogene Verlust von Muskelmasse und -funktion (Sarkopenie) ebenso wie die Muskelkraft sind Marker des Gebrechlichkeitssyndroms. Zudem sind sie mit der körperlichen Funktionalität assoziiert und Risikofaktoren für Stürze. Ein Sturzscreening sollte mindestens 1‑mal pro Jahr durchgeführt werden. Bei Risikopatienten folgt ein umfassendes Sturzassessment, um das individuelle Risikoprofil zu bestimmen. Körperliches Training von Gleichgewicht und Kraft spielt eine Schlüsselrolle in der Prävention von Stürzen und in der Behandlung von Funktionsverlusten. Bei Risikopatienten sind multifaktorielle Interventionen indiziert. Bei Sarkopenie ist eine ausreichende Versorgung mit Proteinen wichtig, auch eine Supplementierung in Kombination mit Bewegung erscheint sinnvoll.
Abstract
Falls in older adults are a major public health problem, affecting 1 in 3 persons aged 65 and over at least once a year. Consequences of falling include death, injuries, fear of falling, and subsequent loss of independence. The age-related loss of muscle mass and function (sarcopenia) as well as muscle strength are markers of the frailty syndrome. In addition, they are associated with physical function and are a risk factor for falling. Older adults should be screened for falls at least annually. If evaluated as at-risk, a comprehensive falls assessment should be conducted to determine an individual’s risk profile. Physical exercise with balance and strength training play a key role in the prevention and management of functional decline and fall risk. Multifactorial interventions are indicated in at-risk individuals. In sarcopenic individuals, sufficient intake of protein must be taken into account and supplementation in combination with exercise appears to be useful.
Avoid common mistakes on your manuscript.
Lernziele
Nach der Lektüre dieses Beitrags …
-
können Sie die Sarkopenie als Syndrom definieren.
-
sind Sie in der Lage, Veränderungen der Skelettmuskulatur im Alterungsprozess zu benennen.
-
kennen Sie den Einfluss von skelettmuskulären Faktoren auf das Sturzrisiko im Alter.
-
sind Sie mit der entsprechenden Differenzialdiagnostik vertraut.
-
können Sie – basierend auf der Evidenz zur Prävention von Stürzen mit Schwerpunkt auf skelettmuskulären Faktoren – angemessene Therapien veranlassen und koordinieren.
Hintergrund
Das Sturzereignis im Alter
Ein Sturz ist „ein unbeabsichtigtes Ereignis, bei dem der Betroffene auf dem Boden oder auf einer anderen tieferen Ebene aufkommt“ [1]. Mit zunehmendem Alter nimmt die Sturzhäufigkeit zu, sodass in der Altersgruppe der über 80-Jährigen bereits jeder Zweite jährlich stürzt, die Hälfte von ihnen mehrmals [2]. In institutionalisierten Wohnumgebungen, z. B. Pflegeheimen, ist der Anteil Stürzender höher, darin spiegelt sich die Zunahme von Risikofaktoren wider.
Menschen stürzen zwar im gesamten Verlauf der Lebensspanne, die Konsequenzen sind im höheren Alter jedoch beträchtlich schwerer. Im Vergleich zu Gleichaltrigen haben Mehrfachstürzende ein um 60 % erhöhtes Mortalitätsrisiko [3]. Etwa 10 % der Stürze führen zu schweren Verletzungen wie Frakturen und Schädel-Hirn-Traumata [2], hier spielt die hohe Prävalenz der Osteoporose eine wichtige Rolle. Hüftfrakturen nach Stürzen sind mit einer hohen Mortalität und geringen Lebensqualität verbunden. Ein Großteil der Patienten hat nach 12 Monaten in wichtigen Bereichen des funktionellen Status nicht das Ausgangsniveau wiedererlangt, so etwa in den basalen und instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens und in der Gehfähigkeit [4]. Die über 80-Jährigen sind das am schnellsten wachsende Segment der Alterspyramide. In Anbetracht dieses demografischen Wandels wird die Sturzinzidenz stark zunehmen. Bereits jetzt gehen 0,85–1,5 % aller Gesundheitsausgaben auf dieses Problem zurück [5].
Der Muskel im Alter
Die koordinierte Arbeit der Skelettmuskulatur ermöglicht die Durchführung von Alltagsaktivitäten . Zudem gewährleistet sie grundlegende Mobilität und die Durchführung komplexerer Bewegungsmuster, z. B. sportlicher Aktivitäten. Während des Alterungsprozesses kommt es zu signifikanten Veränderungen in Muskelstruktur und -funktion. Die alternsbezogene Muskelatrophie von etwa 40 % zwischen der dritten und der siebten Lebensdekade bezeichnet den generellen Verlust von Muskelfasern sowie den spezifischen Rückgang von schnell zuckenden Typ-II-Fasern durch eine verringerte Muskelproteinbiosynthese [6].
Die Beeinträchtigung der Muskelarbeit hat vielfältige Gründe [7], darunter
-
neurologische wie
-
die Degeneration der neuromuskulären Endplatte und
-
der Verlust von motorischen Einheiten;
-
-
endokrine (verringerte Produktion des „insulin-like growth factor“ 1);
-
inflammatorische (hohe Zytokinspiegel, z. B. von Interleukin-6);
-
ernährungsbezogene (Mangelernährung);
-
angeborene (z. B. hereditäre Einschlusskörpermyopathie) und
-
verhaltensbezogene (geringe körperliche Aktivität).
Entsprechend lässt die Muskelkraft im Alter schneller nach, als sich durch die Reduktion der Muskelmasse erklären lässt. Während die Sarkopenie originär auf den Verlust der Muskelmasse im Alter bezogen wurde, hat sich daher in den vergangenen Jahren immer mehr durchgesetzt, dass es sich um ein Syndrom handelt, das durch einen progressiven und generalisierten Verlust der Muskelmasse und -kraft charakterisiert ist und mit einem Risiko für negative Folgen, z. B. Mobilitätsbehinderungen, einhergeht [8]. Der Anteil der sarkopenen Senioren in Deutschland wird bei den über 70-Jährigen auf 5 % geschätzt, bei den über 80-Jährigen auf 10 % [9]. Aufgrund einer Vielzahl verwendeter Definitionen berichten vereinzelte Studien auch von einem Anteil sarkopener Personen über 50 %. Die Kachexie ist von der Sarkopenie insofern verschieden, als es sich um ein metabolisches Syndrom handelt, bei dem die Inflammation eine stärkere Rolle spielt, einhergehend mit Katabolie und meist nicht effektiver nutritiver Therapie [10].
Folge dieser alternsbezogenen skelettmuskulären Veränderungen sind funktionelle Einschränkungen, z. B. Gangunsicherheiten und Probleme bei Transfers, wie etwa beim Aufstehen. Wichtige Parameter der körperlichen Funktion hängen stark von der Schnellkraft (Kraft pro Zeit) ab [11], die durch den vermehrten Ab- und Umbau von Typ- II-Fasern doppelt so stark abnimmt wie Maximalkraftleistungen. Auch beim Erhalt des dynamischen Gleichgewichts kommt der Schnellkraft eine bedeutende Rolle zu, da im Falle eines Gleichgewichtsverlusts eine schnelle korrektive Bewegung notwendig ist.
Skelettmuskuläre Faktoren und Sturzrisiko
Sarkopenie, Muskelmasse und Stürze
Die Betrachtung der Originalstudien zum Thema ergibt ein sehr inkonsistentes Bild, primär aufgrund methodischer Differenzen, insbesondere der Anwendung verschiedener Sarkopeniedefinitionen und Stichprobengrößen. Definitionen, die in mehreren Studien Anwendung fanden, ergaben zum Teil widersprüchliche Resultate. Jedoch erscheint, verglichen mit der singulären Muskelmassebestimmung, die Kombination von Masse und Muskelfunktion insgesamt besser für die Diskriminierung von Stürzenden und Nichtstürzenden geeignet, auch in Bezug auf die Größe des Zwischengruppenunterschieds. Die Sarkopenie, wie sie von der European Working Group on Sarcopenia in Older People (EWGSOP) definiert wird, ist relativ konsistent mit einem erhöhten Sturzrisiko assoziiert [8].
Auch die Bestimmung von Muskelmasse und -größe ohne die Anwendung von Schwellenwerten kommt zu keinen eindeutigen Ergebnissen. Einige Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein größerer Muskelquerschnitt im hohen Alter mit einem reduzierten Gleichgewicht – einer größeren Körperschwankung – und mit vermehrten Stürzen verbunden ist [12]. Dahingegen war eine höhere Muskeldichte als Parameter der Muskelqualität mit einer reduzierten Schwankung verbunden. Diese Ergebnisse zeigen, dass Muskelmasse und -größe für sich genommen nur eingeschränkt für die Bestimmung des Sturzrisikos geeignet sind und dass andere Parameter der Muskelfunktion bedeutsamer sind.
Muskelfunktion als Risikofaktor für Stürze
Eine Muskelschwäche der oberen oder unteren Extremitäten ist ein Risikofaktor für Einfach- und Mehrfachstürze sowie Stürze mit Verletzungen, einschließlich Frakturen [13, 14]. Dass auch die Muskelschwäche der Arme (Handkraft/Greifkraft) das Risiko zu stürzen erhöht, weist darauf hin, dass Muskelkraft ein wichtiger Marker der Funktionalität ist. Oft vernachlässigt ist die wichtige Funktion der Muskulatur der oberen Extremitäten und des Rumpfs bei der Wiedererlangung des Gleichgewichts durch schnelles Greifen von Objekten. Von Bedeutung ist sie auch in Bezug auf die Reduktion der mechanischen Kraft während des Sturzereignisses [15]. Für die Prädiktion des Risikos von Mehrfachstürzen ist die aufgabenspezifische Muskelarbeit der unteren Extremitäten wichtiger [13]. Verglichen mit mehreren Sarkopenieoperationalisierungen war die Bestimmung der Kraft der Knieextensoren genauer, bei niedrigeren Kosten und unter Einsatz von weniger Ressourcen [16].
Der primäre Mechanismus, mit dem die Muskelkraft das Sturzrisiko beeinflusst, ist der stabilisierende Einfluss auf das statische und dynamische Gleichgewicht [17]. Einiges weist zudem darauf hin, dass eine Schwäche der distalen Beinmuskulatur das Risiko zu stolpern erhöht, während eine Schwäche der proximalen Muskeln zu einer eingeschränkten Fähigkeit führt, das Gleichgewicht nach einer Störung wiederzuerlangen [14]. Da beim geriatrischen Patienten oft beides auftritt, führt die reduzierte Muskelkraft zu einem starken Anstieg des Sturzrisikos.
Die sogenannten „bed rest studies“, bei denen gesunde Probanden immobilisiert wurden, haben aufgezeigt, dass sich selbst bei gesunden älteren Menschen innerhalb von 10 Tagen die Muskelmasse um 1,5 kg und die Kraft um etwa 16 % verringert, einhergehend mit einer um 30 % reduzierten Muskelproteinbiosynthese [18].
Gebrechliche Menschen sind aufgrund einer reduzierten funktionellen Reserve stärker dem Risiko einer Dekonditionierung ausgesetzt. Immobilität, z. B. durch Hospitalisierung, führt zu einer schnellen Abnahme der Restkapazität, verbunden mit weiteren funktionellen Defiziten. Stärker betroffen sind Muskeln der unteren Extremitäten sowie posturale Muskelketten. Die Dekonditionierung betrifft multiple Organsysteme, darunter die Knochen, und erhöht das Frakturrisiko. Auch die im Alter reduzierte körperliche Aktivität führt zu einem Abbau von Muskelmasse und -kraft. In diesem Zusammenhang zeigen Daten des Robert Koch-Instituts, dass sich nur etwa 14 % der 70- bis 79-Jährigen gemäß den Empfehlungen 2,5 h/Woche mit moderater Intensität bewegen (höhere Altersgruppe nicht vertreten; [19]).
Diagnostik
In Deutschland ist weder die Sturz- noch die Sarkopeniediagnostik Standard in der klinischen Praxis. Aufgrund der multiplen intraindividuellen und umweltbedingten Ursachen von Stürzen existieren keine Tests bzw. Testbatterien, die das Sturzereignis klar vorhersagen können. Zu den wichtigsten Risikofaktoren von Stürzen gehören: [20]
-
Muskeldefizite
-
Stürze in der Vergangenheit
-
Gang- und Gleichgewichtsstörungen
-
visuelle Einschränkungen
-
Gelenkerkrankungen
-
Depression
-
kognitive Einschränkungen
Aber auch andere Probleme des geriatrischen Patienten, wie Polypharmazie, Inkontinenz und Multimorbidität, sind mit Stürzen assoziiert. Mit zunehmender Anzahl der Risikofaktoren steigt auch das Sturzrisiko (0 = 8 %; ≥4 = 78 %; [21]).
Erhebung des Sturzrisikos
Daher sollte bei Personen über 65 Jahre mindestens einmal jährlich ein kurzes Screening durchgeführt werden, in dem nach Stürzen sowie Gang- und Gleichgewichtsproblemen gefragt wird (Abb. 1). Stürze in der Vergangenheit gelten als zuverlässiger Risikofaktor für zukünftige Stürze, besonders wenn sie sich mehr als einmal ereignet haben. Die Erhebung von Stürzen basiert bei selbstständig lebenden älteren Menschen auf einem retrospektiven Selbstbericht und unterliegt damit Ungenauigkeiten. Bei kognitiv eingeschränkten Personen sollte sie über Stellvertreterberichte erfolgen, beispielsweise durch Angehörige oder Pflegeheimangestellte.
Bei Einfachstürzenden sollte eine kurze Evaluation von Gang und Gleichgewicht vorgenommen werden, so etwa mit dem „timed up-and-go test“ und der Berg Balance Scale (Tab. 1). Bei erhöhtem Risiko (≥2 Stürze, auffälliger Befund) erfolgt ein multifaktorielles Sturzassessment (Abb. 1), in dem durch die Testung bekannter Risikofaktoren das individuelle Risikoprofil bestimmt wird. Im Rahmen dieses Assessments sollten auch Krafttests durchgeführt werden.
Sarkopeniediagnostik
Seit Oktober 2016 gibt es eine Ziffer für Sarkopenie in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10; M 62.84). Der SARC-F ist als fragebogenbasiertes und damit ressourcenminimiertes Screeninginstrument vorgeschlagen worden (Tab. 2). Mit einer hohen Spezifität ist er gut für den Ausschluss einer Sarkopenie geeignet [22]. Für eine genauere Diagnostik wird auf den Algorithmus der EWGSOP verwiesen (Abb. 2), der die objektive Messung der Muskelmasse und -kraft sowie der Ganggeschwindigkeit beinhaltet [8].
Bestimmung der appendikulären Muskelmasse
Für die Bestimmung einer geringen appendikulären Muskelmasse (populations- und geschlechtsspezifische unterste 20 % der aufaddierten Muskelmasse von Armen und Beinen) wird die Dualröntgenabsorptiometrie (DXA) empfohlen (Abb. 2). Als (tragbare) Alternative kann die Bioimpedanzanalyse (BIA) herangezogen werden.
Ganggeschwindigkeit
Die Ganggeschwindigkeit ist ein funktioneller, zum Teil von muskulären Faktoren abhängiger Parameter. Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen den hohen diagnostischen und prognostischen Wert dieses einfach zu erhebenden Parameters auf, auch für die Prädiktion von Stürzen [23]. Eine Mindestdistanz von 4 m bei selbst gewählter Ganggeschwindigkeit sollte gemessen werden.
Kraftmessung
Die Messung der Kraft kann direkt oder indirekt erfolgen. Während der direkten Messung wird selektiv die Kraftfähigkeit eines Muskels bzw. einer Muskelgruppe getestet. Funktionelle Tests, wie das Aufstehen von einem Stuhl, lassen indirekte Rückschlüsse auf die Kraft der involvierten Muskelgruppen zu, schließen jedoch auch andere Fähigkeiten mit ein, z. B. das Gleichgewicht. Die Handkraftmessung kann mit einem Dynamometer oder Vigorimeter vorgenommen werden, mit Schwellenwerten von <30 kg für Männer und <20 kg für Frauen [8]. In Bezug auf das erhöhte Sturzrisiko erscheint jedoch die Kraftmessung der unteren Extremitäten relevanter; die Schwellenwerte für die Maximalkraft der isometrischen Knieextension (Abb. 3) betragen <23,6 kg bei Männern und <15,2 kg bei Frauen [16].
Auch die Fähigkeit des 5‑maligen Aufstehens von einem Stuhl mit verschränkten Armen in einer Zeit von unter 12 s hat sich als geeigneter funktioneller Test des Sturzrisikos herausgestellt [24].
Begrenzte Evidenz deutet zudem darauf hin, dass die Schnellkraft der unteren Extremitäten besser geeignet ist, Stürzende von Nichtstürzenden zu unterscheiden, als traditionelle Maximalkraftmessungen [25]. Trotz ihrer funktionellen Relevanz gibt es weder ausreichend Studienergebnisse noch Schwellenwerte der Schnellkraft für die klinische Diagnostik.
Therapie
Bei Hochrisikopatienten, zu denen gebrechliche Personen mit Sarkopenie gehören, sollte entsprechend dem Assessment versucht werden, individuelle Risikofaktoren zu optimieren (Abb. 1). Hierzu zählen Monointerventionen , wenn einzelne Faktoren ursächlich für das Sturzrisiko sind, z. B. Herzschrittmacher bei Patienten mit einem hypersensitiven Karotissinus. Meist sind aber multifaktorielle Interventionen notwendig, die in der Regel eine Bewegungskomponente einschließen. Auch Personen ohne erhöhtes Risiko sollte man im Rahmen der Sturzprävention ein geeignetes Bewegungsprogramm empfehlen.
Bewegungsprogramme
Hauptbestandteil eines erfolgreichen Programms ist ein anspruchsvolles Gleichgewichtstraining [27]. Kraftkomponenten, die vor allem als funktionelles Training durchgeführt werden, sollten aufgrund des Einflusses auf die posturale Stabilität integriert werden. Das gezielte (isolierte) Training spezifischer Muskeln bzw. Muskelgruppen sollte zum Einsatz kommen, wenn diese durch Verletzung oder Immobilisation geschwächt sind. Ein gezieltes Training des schnellen Schreitens („stepping“) reduziert das Sturzrisiko um 50 % [28], wahrscheinlich auch durch die Verbesserung der aufgabenspezifischen Schnellkraft.
Bewegungsprogramme können zu Hause und in der Gruppe durchgeführt werden. Ein Beispiel für ein effektives, nicht supervidiertes Trainingsprogramm zu Hause ist das Otago Exercise Programme, mit dem Gleichgewicht und Kraft funktionell trainiert werden. Wie sich gezeigt hat, kann es Stürze und Verletzungsfolgen verhindern und die Funktion verbessern [29].
Die Trainierbarkeit des muskulären Systems und die Toleranz eines hochintensiven Trainings sind bis ins höchste Alter gegeben – mit Zugewinnen an Kraft und einhergehender Funktionalität [30]. Kraft- und Vibrationstraining führen auch bei Hochbetagten zu einer Muskelhypertrophie [31]; das Training der Schnellkraft ist aber besser geeignet, um funktionelle Translationen zu erzielen [32]. Allerdings erscheint die Effektivität eines Bewegungstrainings bei vorgebrechlichen (pre-frail) Personen höher als bei stärker Betroffenen, weswegen eine möglichst frühe Diagnostik vorgenommen werden sollte [33].
Ernährung
Unterstützend spielt auch die Ernährung eine wichtige Rolle in der Behandlung der Sarkopenie. Aufgrund einer anabolen Resistenz im hohen Alter kommt es zu einem Ungleichgewicht von Muskelauf- und Muskelabbau. Daher muss besonders auf die bedarfsgerechte Energie- und Proteinzufuhr geachtet werden (1,2 g/kg bei gesunden Senioren; [34]). Eine Supplementierung von Molkenprotein und Vitamin D unterstützt die Muskelhypertrophie und -funktion bei sarkopenen alten Menschen [35]. Die Supplementierung von Vitamin D sowie die körperliche Aktivierung sind auch im Rahmen der Osteoporosebehandlung und -prävention und damit in der Vorbeugung von sturzbedingten Frakturen wichtig.
Aktivierung und Mobilisierung
Des Weiteren ist eine möglichst frühe Aktivierung bzw. Mobilisierung nach Immobilisation notwendig, um dem vermehrten Abbau von Muskelmasse und -kraft vorzubeugen und bestehende Funktionsreserven zu erhalten und aufzubauen.
Weiterführende Informationen im Internet
-
Weiterführende Informationen zum Thema Stürze im Alter: http://www.cdc.gov/homeandrecreationalsafety/falls/
-
Bundesinitiative Sturzprävention (einschließlich Download des Empfehlungspapiers): http://www.dtb-online.de/portal/gymwelt/aeltere/sturzprophylaxe/bundesinitiative-sturzpraevention.html
-
Deutsche Übersetzung des Otago Exercise Programme: https://www.physio-akademie.de/fileadmin/user/franzi/pdf/Menue_7_Service_u_Downloads/Otago-Uebungsprogramm.pdf
-
Empfehlungspapier der European Working Group on Sarcopenia in Older People (EWGSOP) zur Sarkopenie: http://ageing.oxfordjournals.org/content/39/4/412.long
Fazit für die Praxis
-
Skelettmuskuläre Faktoren sind mit dem Sturzrisiko im Alter verbunden. Der Muskelfunktion kommt dabei eine größere Rolle zu als der Muskelmasse.
-
Durch eine frühzeitige Diagnose und Therapieeinleitung kann der Funktionsverlust reduziert werden. So lassen sich auch Stürze und deren Folgen verhindern.
-
Jährlich sollten ein Screening mit Markerfragen und gegebenenfalls eine Gangevaluation erfolgen. Die weiterführende Diagnostik erfolgt über ein multifaktorielles Sturzassessment zur individuellen Risikobestimmung. Das schließt unter anderem die Muskelkraft und -funktion sowie gegebenenfalls die Muskelmasse ein.
-
Personen ohne erhöhtes Risiko sollte die Teilnahme an einem kombinierten Gleichgewichts- und Krafttraining empfohlen werden.
-
Hochrisikopatienten profitieren von einem individualisierten, in der Regel multifaktoriellen Therapieansatz basierend auf dem Assessment. Auch hier stellt das körperliche Training der Funktion eine zentrale Komponente dar. Eine Supplementierung von Protein kann die Muskelproteinbiosynthese bei unterversorgten Personen unterstützen.
Literatur
Lamb SE, Jørstad-Stein EC, Hauer K et al (2005) Development of a common outcome data set for fall injury prevention trials: The prevention of falls network europe consensus. J Am Geriatr Soc 53:1618–1622
Rubenstein LZ, Josephson KR (2002) The epidemiology of falls and syncope. Clin Geriatr Med 18:141–158
Sylliaas H, Idland G, Sandvik L et al (2009) Does mortality of the aged increase with the number of falls? Results from a nine-year follow-up study. Eur J Epidemiol 24:351–355
Magaziner J, Simonsick EM, Kashner TM et al (1990) Predictors of functional recovery one year following hospital discharge for hip fracture: A prospective study. J Gerontol 45:M101–M107
Heinrich S, Rapp K, Rissmann U et al (2010) Cost of falls in old age: A systematic review. Osteoporos Int 21:891–902
Nair KS (2005) Aging muscle. Am J Clin Nutr 81:953–963
Benichou O, Lord SR (2016) Rationale for strengthening muscle to prevent falls and fractures: A review of the evidence. Calcif Tissue Int 98:531–545
Cruz-Jentoft AJ, Baeyens JP, Bauer JM et al (2010) Sarcopenia: European consensus on definition and diagnosis: Report of the european working group on Sarcopenia in older people. Age Ageing 39:412–423
Kemmler W, Teschler M, Goisser S et al (2015) Prevalence of sarcopenia in Germany and the corresponding effect of osteoarthritis in females 70 years and older living in the community: Results of the FORMoSA study. Clin Interv Aging 10:1565–1573
Evans WJ, Morley JE, Argiles J et al (2008) Cachexia: A new definition. Clin Nutr 8:793–799
Reid KF, Fielding RA (2012) Skeletal muscle power: A critical determinant of physical functioning in older adults. Exerc Sport Sci Rev 40:4–12
Anderson DE, Quinn E, Parker E et al (2016) Associations of computed tomography-based trunk muscle size and density with balance and falls in older adults. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 71:811–816
Moreland JD, Richardson JA, Goldsmith CH et al (2004) Muscle weakness and falls in older adults: A systematic review and meta-analysis. J Am Geriatr Soc 52:1121–1129
Horlings CG, Van Engelen BG, Allum JH et al (2008) A weak balance: The contribution of muscle weakness to postural instability and falls. Nat Clin Pract Neurol 4:504–515
Maki BE, Mcilroy WE (2006) Control of rapid limb movements for balance recovery: Age-related changes and implications for fall prevention. Age Ageing 35(Suppl 2):ii18–ii12
Menant JC, Weber F, Lo J et al (2016) Strength measures are better than muscle mass measures in predicting health-related outcomes in older people: Time to abandon the term sarcopenia? Osteoporos Int 28(1):59–70. doi:10.1007/s00198-016-3691-7
Wu G (1998) The relation between age-related changes in neuromusculoskeletal system and dynamic postural responses to balance disturbance. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 53:M320–326
Kortebein P, Ferrando A, Lombeida J et al (2007) EFfect of 10 days of bed rest on skeletal muscle in healthy older adults. JAMA 297:1769–1774
Krug S, Jordan S, Mensink GBM et al (2013) Körperliche Aktivität Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsbl 56:765–771
Deandrea S, Lucenteforte E, Bravi F et al (2010) Review article: Risk factors for falls in community-dwelling older people: „A systematic review and Meta-analysis“. Epidemiology 21:658–668
Tinetti ME, Speechley M, Ginter SF (1988) Risk factors for falls among elderly persons living in the community. N Engl J Med 319:1701–1707
Cao L, Morley JE (2016) Sarcopenia is recognized as an independent condition by an international classification of disease, tenth revision, clinical modification (ICD-10-CM) code. J Am Med Dir Assoc 17:675–677
Menant JC, Schoene D, Sarofim M et al (2014) Single and dual task tests of gait speed are equivalent in the prediction of falls in older people: A systematic review and meta-analysis. Ageing Res Rev 16:83–104
Tiedemann A, Shimada H, Sherrington C et al (2008) The comparative ability of eight functional mobility tests for predicting falls in community-dwelling older people. Age Ageing 37:430–435
Skelton DA, Kennedy J, Rutherford OM (2002) Explosive power and asymmetry in leg muscle function in frequent fallers and non-fallers aged over 65. Age Ageing 31:119–125
Lord SR, Menz HB, Tiedemann A (2003) A physiological profile approach to falls risk assessment and prevention. Phys Ther 83:237–252
Sherrington C, Tiedemann A, Fairhall N et al (2011) Exercise to prevent falls in older adults: An updated meta-analysis and best practice recommendations. N S W Public Health Bull 22:78–83
Okubo Y, Schoene D, Lord SR (2016) Step training improves reaction time, gait and balance and reduces falls in older people: A systematic review and meta-analysis. Br J Sports Med. doi:10.1136/bjsports-2015-095452
Thomas S, Mackintosh S, Halbert J (2010) Does the „Otago exercise programme“ reduce mortality and falls in older adults? A systematic review and meta-analysis. Age Ageing 39:681–687
Fiatarone MA, Marks EC, Ryan ND et al (1990) High-intensity strength training in nonagenarians. Effects on skeletal muscle. JAMA 263:3029–3034
Stewart VH, Saunders DH, Greig CA (2014) Responsiveness of muscle size and strength to physical training in very elderly people: A systematic review. Scand J Med Sci Sports 24:e1–e10
Steib S, Schoene D, Pfeifer K (2010) Dose-response relationship of resistance training in older adults: A meta-analysis. Med Sci Sports Exerc 42:902–914
Faber MJ, Bosscher RJ, Chin APMJ et al (2006) Effects of exercise programs on falls and mobility in frail and pre-frail older adults: A multicenter randomized controlled trial. Arch Phys Med Rehabil 87:885–896
Kiesswetter E (2015) Optimierte Ernährung bei Sarkopenie. Ars Med 2015:6–11
Bauer JM, Verlaan S, Bautmans I et al (2015) Effects of a vitamin D and leucine-enriched whey protein nutritional supplement on measures of sarcopenia in older adults, the PROVIDE study: A randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Am Med Dir Assoc 16:740–747
Panel on Prevention of Falls in Older Persons AGS, British Geriatrics S (2011) Summary of the updated american geriatrics society/british geriatrics society clinical practice guideline for prevention of falls in older persons. J Am Geriatr Soc 59:148–157
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
D. Schöne, E. Freiberger und C.C. Sieber geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Additional information
Redaktion
G. Hasenfuß, Göttingen
H. Lehnert, Lübeck
E. Märker-Hermann, Wiesbaden
J. Mössner, Leipzig (Schriftleitung)
A. Neubauer, Marburg
CME-Fragebogen
CME-Fragebogen
Die Operationalisierung der Sarkopenie nach der EWGSOP beinhaltet:
Muskelmasse, Muskelquerschnitt und Fasertyp
Fasertyp, Muskelquerschnitt und Muskelfunktion
Muskelquerschnitt, Muskelfunktion und Muskelleistungsfähigkeit
Muskelmasse, Muskelfunktion und Muskelkraft
Muskelleistungsfähigkeit, Fasertyp und Muskelmasse
Gängigen Konsensusdefinitionen zufolge, was ist Sarkopenie? Ein Syndrom gekennzeichnet durch …
einen Verlust an Muskelmasse und eine Verringerung des Muskelquerschnitts.
eine Verringerung des Muskelquerschnitts und Veränderung des Fasertyps.
einen progressiven und generalisierbaren Verlust von Muskelmasse.
einen progressiven und generalisierbaren Verlust von Muskelmasse und -kraft.
einen progressiven und generalisierbaren Verlust von Muskelfasern und -masse.
Welche Veränderungen finden mit dem Alterungsprozess im Skelettmuskel statt? Es findet eine altersbezogene Muskelatrophie von ca. 40 % zwischen dem …
dritten und siebten Lebensjahrzehnt statt.
fünften und siebten Lebensjahrzehnt statt.
vierten und siebten Lebensjahrzehnt statt.
vierten und sechsten Lebensjahrzehnt statt.
dritten und fünften Lebensjahrzehnt statt.
Welche Veränderungen finden mit dem Alternsprozess im Skelettmuskel statt?
Es kommt zu signifikanten Veränderungen der Muskelstruktur und -funktion durch Verlust der Motoneuronen.
Es kommt zu Veränderungen von Muskelmasse besonders in den Armen mit Auswirkungen auf das Gleichgewicht.
Es kommt zu Veränderungen von Muskelmasse und -funktion besonders in der Rumpfmuskulatur
Es kommt zu Veränderungen von Muskelmasse durch die Schnellkraft.
Es kommt zu Veränderungen von Muskelmasse besonders in der Rumpfmuskulatur mit Auswirkungen auf das Gleichgewicht.
Der Einfluss von skelettmuskulären Faktoren auf das Sturzrisiko im Alter …
ist bedingt durch den Verlust der Muskelmasse mit einhergehenden Funktionsdefiziten.
ist bedingt durch den Verlust von Muskelkraft und -funktion.
ist bedingt durch den Abbau der Kraftausdauer mit einhergehenden Funktionsdefiziten.
ist bedingt durch den Abbau verschiedener morphometrischer und funktioneller Parameter.
ist bedingt durch den Abbau der Muskeldichte mit einhergehenden Funktionsdefiziten.
Das Sturzrisiko im Alter wird durch folgende Veränderungen in der Skelettmuskulatur beeinflusst:
Mangelernährung und Reduktion der Handkraft
Neurologische Degeneration und inflammatorische Prozesse
Geringe Aktivität und Reduktion der Handkraft
Reduktion der Kraftausdauer und inflammatorische Prozesse
Reduktion der Muskelmasse und Handkraft
Bitte benennen Sie die entsprechende Differenzialdiagnostik bezogen auf das Fallbeispiel: Während des jährlichen Sturzscreenings berichtet ein 80-jähriger Patient von einem Sturz vor etwa sechs Monaten. Wie gehen Sie weiter vor?
Sie veranlassen die Testung des 5‑maligen Aufstehens vom Stuhl sowie die Handkraftmessung.
Sie veranlassen den „timed up-and-go test“ sowie die Handkraftmessung.
Sie evaluieren Gang und Gleichgewicht.
Sie fragen den Patienten nach Stürzen im vergangenen Jahr.
Sie veranlassen die Erstellung eines Risikoprofils über die Bestimmung möglichst vieler Risikofaktoren.
Eine 70-jährige Patientin kommt mit einer Prellung des Handgelenks aufgrund eines Sturzes zu Ihnen. Wie gehen Sie weiter vor?
Sie fragen die Patientin nach Stürzen im vergangenen Jahr und veranlassen die Testung des 5‑maligen Aufstehens.
Sie veranlassen die Testung des 5‑maligen Aufstehens vom Stuhl sowie die Handkraftmessung.
Sie empfehlen der Patientin die Teilnahme an einem Bewegungsprogramm.
Sie veranlassen ein multifaktorielles Sturzassessment zur Abklärung des Risikoprofils.
Sie bandagieren das Handgelenk und empfehlen Ruhe.
Welche Inhalte sollte eine angemessene Therapie zur Sturzprävention bei folgendem Fallbeispiel enthalten? Eine 75-jährige Patientin mit Osteoporose hat Probleme mit dem Aufstehen und geht unsicher. Seit einem Sturz in diesem Jahr hat sie ihre Aktivitäten eingeschränkt. Ein multifaktorielles Sturzassessment hat keine weiteren Auffälligkeiten gezeigt.
Sie reviewen den Medikamentenplan der Patientin und verschreiben der Patientin Vitamin D.
Sie verschreiben der Patientin Vitamin D und Kalzium sowie Bewegungstherapie mit dem Schwerpunkt auf einem anspruchsvollen Gleichgewichts- und Krafttraining.
Sie reviewen den Medikamentenplan als Arzt.
Sie fragen die Patientin nach körperlicher Aktivität und verschreiben ihr Bewegungstherapie.
Sie empfehlen der Patientin das Otago-Programm mit einem anspruchsvollen Gleichgewichts- und Krafttraining.
Ein 80-jähriger Patient kommt nach akutem Sturzereignis zu Ihnen in die Praxis, aber Sie stellen keine Verletzungen fest. Durch das multifaktorielle Sturzassessment werden die fortgeschrittene Cataracta senilis sowie eine Schwäche der Beinmuskulatur als Risiken identifiziert. Was sind Ihre nächsten Schritte?
Sie veranlassen die Behandlung des Katarakts durch einen Augenarzt und geben dem Patienten eine evidenzbasierte Broschüre zur Prävention von Stürzen mit.
Sie veranlassen die Behandlung des Katarakts durch einen Augenarzt und empfehlen ein erneutes Assessment nach einem Jahr.
Sie verschreiben Bewegungstherapie mit dem Schwerpunkt auf einem anspruchsvollen Gleichgewichts- und Krafttraining.
Sie veranlassen die Behandlung des Katarakts durch einen Augenarzt.
Sie veranlassen die Behandlung des Katarakts durch einen Augenarzt und verschreiben Bewegungstherapie mit dem Schwerpunkt auf einem anspruchsvollen Gleichgewichts- und Krafttraining.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Schöne, D., Freiberger, E. & Sieber, C.C. Einfluss der Skelettmuskulatur auf das Sturzrisiko im Alter. Internist 58, 359–370 (2017). https://doi.org/10.1007/s00108-017-0212-5
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00108-017-0212-5