Anamnese

Ein 79-jähriger Rentner wurde unserer Klinik im Mai 2011 zur Abklärung einer zunehmenden Appetitlosigkeit und eines unklaren Gewichtsverlusts von 10 kg innerhalb der letzten 3 Monate zugewiesen. Der Patient berichtete bei Aufnahme über bereits bei leichter Anstrengung auftretende körperliche Erschöpfbarkeit sowie subfebrile Temperaturen und Nachtschweiß. Zusätzlich gab er Schmerzen während des Kauens an, die zeitlich mit einer zahnärztlichen Implantatbehandlung einige Monate zuvor korrelierten. Der Patient verneinte Auslandsreisen und hatte keinen Tierkontakt. Die auswärts erhobenen Laborbefunde ergaben eine normochrome, normozytäre Anämie und einen über Wochen konstant gesteigerten Spiegel des C-reaktiven Proteins (CRP).

In der Vorgeschichte des Patienten erwähnenswert sind die Exzision eines Lentigo-maligna-Melanoms (LMM), Clark-Level I, am linken Unterarm (Tiefendurchmesser: 0,15 mm) 2 Jahre zuvor und ein posttraumatisches Subduralhämatom mit neurochirurgischer Ausräumung.

Untersuchungsbefunde

Klinischer Befund

Die körperliche Untersuchung erwies sich als unauffällig. Insbesondere ergaben sich keine pathologischen Befunde im Mund- und Rachenraum. Der periphere Pulsstatus wie auch die orientierende neurologische Untersuchung waren regelrecht.

Aufnahmelabor

Laborchemisch bestätigte sich die schon auswärts diagnostizierte normochrome, normozytäre Anämie mit einem Hämoglobinwert von 10 g/dl (Normbereich: 14–18 g/dl) sowie eine Thrombozytose von 410•109/l (Normbereich: 150–350•109/l). Neben einem CRP-Wert von 80 mg/l (Normbereich: < 5 mg/l) präsentierte sich in der Proteinelektrophorese eine chronische Entzündungssituation mit akuter Komponente. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) zeigte eine Sturzsenkung mit Werten von 70 mm nach 1 h.

Weiterführende Diagnostik und apparative Untersuchungen

Bei unklarem Gewichtsverlust mit B-Symptomatik wurde ein ausführliches Neoplasiescreening durchgeführt. In der Sonographie fanden sich bis auf einzelne scharf begrenzte Leberzysten keine Pathologika. Gastroskopie und Koloskopie ergaben ebenso wie eine Kontrastmittelcomputertomographie (KM-CT) des Thorax und Abdomens Normalbefunde ohne Hinweis auf tumorsuspekte Raumforderungen oder vergrößerte Lymphknoten. Bei Zustand nach LMM ergab eine dermatologische Konsiliaruntersuchung einen unauffälligen Befund ohne Anhaltspunkte für ein Lokalrezidiv. Urologisch und im HNO-ärztlichen Bereich zeigten sich ebenfalls keine Hinweise auf ein Malignom oder entzündliche Fokusse.

Eine transösophageale Echokardiographie ergab keinen Hinweis auf eine Endokarditis. Serologisch fanden sich keine Zeichen einer Infektion mit Epstein-Barr-Viren, Zytomegalieviren, Chlamydien, Coxiellen oder Mykoplasmen. Eine ausführliche Autoimmundiagnostik, einschließlich der Bestimmung von antinukleären Antikörpern (ANA) sowie perinukleären bzw. zytoplasmatischen antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (p-/c-ANCA), erbrachte ebenso wie eine endokrinologische Abklärung der Hypophysenachse bei Zustand nach Subduralhämatomoperation normwertige Befunde.

Im Rahmen des stationären Aufenthalts persistierte die initial beschriebene Symptomatik der Kaubeschwerden. Konsiliarisch erachteten die Kollegen der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie eine kraniomandibuläre Dysfunktion als wahrscheinlich und empfahlen eine weitere ambulante Abklärung.

Schließlich entschlossen wir uns bei persistierenden B-Symptomen mit subfebrilen Temperaturen zur Durchführung einer Positronenemissionstomographie(PET)-CT mit 18F-Fluordesoxyglukose, um eine Neoplasie oder einen entzündlichen Fokus definitiv ausschließen zu können. Hierbei zeigte sich in der PET-Komponente (Abb. 1) eine deutlich vermehrte Glukoseutilisation des arteriellen Gefäßsystems (maximaler „standardized uptake value“: 5) im Bereich der Aorta, der proximalen oberen Extremitäten und der Femoralarterien. Retrospektiv konnten auch im KM-CT des Thorax Wandverdickungen im Bereich des Aortenbogens und in dessen Gefäßabgängen verifiziert werden.

Zusätzlich zeigten sich in der farbcodierten Duplexsonographie (FKDS) der A. axillaris und der A. carotis externa beidseits Zeichen der entzündlichen Gefäßwandverdickung ohne relevante Lumeneinengung, aber mit leichter Flussbeschleunigung (Abb. 2). Somit konnte die Kaubeschwerdesymptomatik des Patienten als Claudicatio masticatoria interpretiert werden.

In Zusammenschau dieser Befunde bestand der hochgradige Verdacht auf eine Riesenzellarteriitis [“giant cell arteritis“ (GCA)] mit Befall der großen thorakalen Gefäße, der Femoralarterien und der A. carotis externa. Die A. temporalis superficialis (ATS) war dagegen nicht befallen.

Abb. 1
figure 1

Positronenemissionstomographie-Computertomographie (PET-CT) des 79-jährigen Patienten mit B-Symptomatik und Kauclaudicatio. a In der PET-CT-Untersuchung imponiert eine erhöhte Glukoseutilisation (maximaler „standardized uptake value“: 5) des arteriellen Gefäßsystems, insbesondere in der Aorta ascendens und descendens sowie in beiden Aa. subclaviae (rechts). b In der isolierten PET-Komponente zeigt sich links der deutlich gesteigerte aortale arterielle Uptake, in der rechten Aufnahme kommt der langstreckige entzündliche Verlauf über den Arcus aortae, beide Aa. subclaviae, Aa. axillares sowie die Femoralarterien zum Ausdruck

Abb. 2
figure 2

Farbcodierte Duplexsonograpie mit Längsschnitt der linken A. axillaris bei dem Patienten mit Riesenzellarteriitis. Typische konzentrische, homogene echoarme Wandverdickung (Pfeil) ohne lumeneinengende Obstruktion. Die echoarmen Wandverdickungen, die prinzipiell eine Stenose verursachen können, werden auch als „Halo-Sign“ bezeichnet

Diagnose

  • Arteriitis mit Befall der großen thorakalen Gefäße, der A. carotis externa sowie der Femoralarterien, Riesenzellarteriitis

Therapie und Verlauf

Nach gestellter Verdachtsdiagnose wurde umgehend eine systemische Glukokortikoidtherapie mit 60 mg Prednisolon p.o. eingeleitet. Die ophthalmologische Vorstellung erbrachte keinen Hinweis auf eine Beteiligung der A. ophthalmica oder eine Visuseinschränkung. Bei klinisch fehlendem Befall der ATS wurde deshalb auf eine Biopsie verzichtet. Nach eingeleiteter Therapie wurde der Patient mit der Empfehlung regelmäßiger Vorstellungen in der angiologischen Ambulanz entlassen.

Erfreulicherweise präsentierte sich der Patient 4 Wochen nach Therapieeinleitung in einem klinisch deutlich verbesserten Allgemeinzustand, was laborchemisch mit einem steigenden Hämoglobinwert um 12 g/dl (Normbereich: 14–18 g/dl), normwertigen Thrombozyten- und CRP-Werten sowie einer rückgängigen BSG korrelierte (Zeitverlauf der Labordaten in Tab. 1). Auch die Claudicatio masticatoria hatte sich vollständig zurückgebildet.

Tab. 1 Zeitverlauf der Labordaten bei Aufnahme, unter und nach laufender Prednisolontherapie. Anstieg des Hämoglobinwerts sowie Normalisierung der Thrombozyten- und CRP-Werte; paralleler Abfall der BSG in normwertige Bereiche

Die Steroiddosis wurde bei weiterer klinischer Besserung schrittweise auf die Erhaltungstherapie von 7,5 mg/Tag reduziert. Darunter trat weder die B-Symptomatik noch die Kauclaudicatio wieder auf. Auch 12 Monate nach Therapiebeginn war der Patient völlig beschwerdefrei. Laborchemisch zeigten sich die Entzündungswerte und der Hämoglobinwert normwertig. Danach erfolgte über 2 Monate die schrittweise Reduzierung der bisherigen Prednisolontherapie mit 7,5 mg/Tag. Seit September 2012 ist der Patient ohne Therapie, befindet sich aber weiterhin in einem klinisch beschwerdefreien Zustand.

Diskussion

Epidemiologie

Gemäß der Klassifikation der Chapel-Hill Consensus Conference zählt die GCA gemeinsam mit der Takayasu-Arteriitis traditionell zu den primären Vaskulitiden der großen und mittelgroßen Gefäße [1]. Von besonderer Bedeutung ist das Manifestationsalter der GCA. Regelhaft wird die Erkrankung bei über 50-Jährigen symptomatisch [2]. Das Durchschnittsalter bei Diagnosestellung liegt etwa bei 70 Jahren. Hohe Prävalenzen (200/100.000) und Inzidenzraten (20/100.000) dieser Vaskulitisform finden sich v. a. in der skandinavischen Bevölkerung sowie bei emigrierten Nordeuropäern [3]. Frauen sind in der Regel 2- bis 3-mal häufiger betroffen als Männer. Ab dem 50. Lebensjahr steigt die Erkrankungswahrscheinlichkeit kontinuierlich an, weshalb mit einer hohen Dunkelziffer mit geschätzten Prävalenzen von bis zu 1/500 gerechnet wird [4, 5].

Klinische Subtypen und Manifestationen

Früher wurde die GCA über die reine kraniale Beteiligung, mit Befall der ATS und entsprechender klinischer Symptomatik, nach ihrem Erstbeschreiber Horton definiert. Dementsprechend entwickelte das American College of Rheumatology (ACR) passende Diagnosekriterien [6].

Heute werden vorrangig 3 klinische Subtypen unterschieden (Tab. 2). Beim „systemischen inflammatorischen Syndrom“ stehen typische Zeichen der B-Symptomatik sowie Arthralgien, Myalgien und generelle Abgeschlagenheit im Vordergrund [7]. Die klassische Arteriitis cranialis betrifft vorwiegend die Seitenäste der Karotiden und kann mit ischämischen Manifestationen der Kopfhaut, der Zunge und des N. opticus einhergehen [8]. Hierbei werden häufig klinische Beschwerden in Form von Kopf- oder kraniofazialen Schmerzen, Visusausfällen und einer Kauclaudicatio angegeben [9]. Als dritter Subtyp imponiert eine GCA mit Befall der großen extrakranialen Gefäße [10]. Unter Beteiligung der A. subclavia, A. axillaris und der Aorta wird diese Ausprägung der GCA klinisch durch stenotische und aneurysmatische Gefäßkomplikationen oder durch Gefäßdissektionen manifest. Häufige Symptome sind dabei [11]:

  • Armclaudicatio,

  • Raynaud-Symptomatik,

  • Parästhesien,

  • periphere Pulsabschwächung und

  • Gangränen.

Tab. 2 Subtypen der Riesenzellarteriitis

Der von uns präsentierte Fallbericht entspricht eindeutig dem dritten Subtyp mit Befall der Aorta sowie der Gefäßabgänge erster und zweiter Ordnung. Die klinisch führende B-Symptomatik ist durch den ausgedehnten Befall der Aorta sowie der Arterien der oberen und unteren Extremitäten bedingt. Die Kauclaudicatio ist Ausdruck der entzündlichen Wandveränderungen der A. carotis externa und ein Zeichen des generalisierten Befalls aller supraaortalen Gefäßäste.

Diagnostisches Stufenprogramm

Die GCA ist eine Erkrankung, deren Verdachtsdiagnose charakteristischerweise durch klinische, laborchemische und diagnostische Befunde untermauert wird. Zu beweisen ist sie allerdings nur mithilfe eines positiven histologischen Biopsats, meist aus der ATS. Da in unserem Fall keine Beteiligung vorlag und eine bioptische Sicherung nur aus größeren Gefäßen möglich gewesen wäre, wurde auf eine Biopsie verzichtet. Die Diagnose wurde hier auf Basis kongruenter Befunde in der PET-CT und nachfolgenden Sonographie gestellt und durch das prompte Therapieansprechen auf die Steroidgabe verifiziert.

Sicher nachweisen lässt sich die Riesenzellarteriitis nur durch eine Biopsie

Der diagnostische Ablauf mit primärer PET-CT und nachfolgender FKDS in diesem Fallbericht ist allerdings im Nachhinein kritisch zu hinterfragen. Nach Ausschluss maligner und relevanter infektiologischer Ursachen steht sicherlich die Differenzialdiagnose einer systemisch-entzündlichen Erkrankung im Vordergrund. In Anbetracht des Patientenalters von 79 Jahren, der typischen Beschwerdesymptomatik und der unspezifischen laborchemischen Entzündungswerte sollte auch an eine GCA gedacht werden.

Die FKDS besitzt bei Befall der kranialen Arterien und der Arterien der oberen Extremitäten weiterhin einen sehr hohen Stellenwert [12]. Sofern die typischen Zeichen der homogenen echoarmen Wandverdickung beobachtet werden, kann mit der FKDS unter laufender Therapie, neben der klinischen und laborchemischen, auch eine kostengünstige und schnell durchführbare diagnostische Verlaufskontrolle erreicht werden [13, 14]. Somit wäre die FKDS auch in unserem Fallbericht das Diagnostikum der ersten Wahl vor der PET-CT gewesen. Allerdings schließt ein normaler FKDS-Befund eine GCA nicht aus, da isoliert auftretende Entzündungen der Aorta nicht erkannt werden können.

In diesem Fall ist die PET-CT, in Bezug auf die Erkennung der Vaskulitis der großen Gefäße im Rahmen einer GCA, ein effektives und sensitives Diagnostikum. Somit stellt sie eine klare Alternative zur KM-CT und Magnetresonanztomographie dar [15, 16]. PET-CT-Studien konnten in > 50% der Fälle eine Beteiligung der großen Arterien bei vorliegender GCA belegen [17]. Dabei ist die Erkennung der subklinischen Inflammation der Aorta und der aortalen Seitenäste in einer initialen Phase der Erkrankung mithilfe der PET-CT wichtig, da sich so potenzielle Komplikationen evaluieren lassen [18].

Fazit für die Praxis

Die GCA mit Befall der großen und mittelgroßen Gefäße ist eine selten diagnostizierte Erkrankung. Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch. Durch eine unspezifische Beschwerdesymptomatik, bestehend aus B-Symptomen, Myalgien und Arthralgien (außer bei der klassischen Arteriitis cranialis), gestaltet sich die Diagnosefindung oft schwierig. Differenzialdiagnostisch muss eine maligne Grunderkrankung ausgeschlossen werden. Letztendlich ist es die Kombination aus klinischen, laborchemischen und diagnostischen Ergebnissen, welche die Diagnose einer GCA bestätigt. Dabei sollte in einem diagnostischen Stufenprogramm die FKDS als primäres Diagnostikum eingesetzt werden. Die PET-CT kann, wie in unserer Kasuistik berichtet, dazu beitragen, einen extrakranialen Befall zu identifizieren.