Die Definition, wer ein „älterer Patient“ ist, hat sich geändert und ändert sich immer noch. Nimmt man das chronologische Alter, so zeigt sich über die Zeit eine Verschiebung der Definition, was „alt“ ist, in Richtung einer höheren Anzahl von Lebensjahren. Dies ergibt sich aus der erfreulicherweise kontinuierlichen Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung von etwa 3 Monaten pro kalendarischem Jahr, für die der medizinische Fortschritt zu etwa 50% verantwortlich ist.

Casanova schrieb mit 49 Jahren noch in seinen Memoiren: „Mit meinen 49 Jahren schien mir, ich dürfe nichts mehr von einem Glück erhoffen, das ein erklärter Feind des Alters ist...“ Die Rolling Stones – Mick Jagger ist ja gut 60-jährig – wurden während ihrer Tournee letztes Jahr in Norwegen durch den Geriater Paal Naals in Bergen betreut, weil der sich so gut mit den in zunehmendem Alter häufigen Stürzen auskenne.

So bestimmen Altersbilder in einer Gesellschaft, medizinischer Fortschritt und Erhalt der Funktionalität, wie wir Alter und damit den älteren Patienten definieren. Sicherlich sind Multimorbidität und die damit meist verbundene Polypharmazie Zustände, die bei älteren Patienten oft vergesellschaftet auftreten und die für die Betreuung spezifische Kenntnisse aus dem Fachbereich der Geriatrie bedingen. Die auf diesem Umstand basierende Definition des geriatrischen Patienten wird in diesem Beitrag ausgeführt.

Wichtig erscheint aber hier erwähnt zu sein, dass die Betreuung älterer Patienten als Hauptzielgröße den Erhalt der Funktionalität, der möglichst großen Selbständigkeit und damit verbunden der Lebensqualität hat. Dazu bedarf es einer Priorisierung bei Multimorbidität, welche immer in einem multidisziplinären Team zu erfolgen hat. Die Altersmedizin setzt hier auf Stärkung noch vorhandener Ressourcen und ist deshalb weniger defizitorientiert als andere Fachbereiche der Medizin.

Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG), die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Geriatrischer Einrichtungen (BAG) haben 2007 gemeinsam eine Definition des geriatrischen Patienten ausgearbeitet ([1]; Tab. 1).

Tab. 1 Definition des geriatrischen Patienten

Altern als physiologischer Vorgang

Mit zunehmendem chronologischen Alter nehmen unabhängig von parallel vorhandenen Erkrankungen die funktionellen Reserven ab. Dies gilt für praktisch alle Organsysteme. Man kann dies unter dem Begriff „normales Altern“ subsumieren. Krankheiten addieren sich auf diese an sich altersphysiologischen normalen Veränderungen, die dann für den Betroffenen belastend werden, wenn sie ihn in seiner Funktionalität limitieren. Hier optimierend einzugreifen ist Hauptaufgabe der Geriatrie. Gelingt dies, spricht man auch von „erfolgreichem“ Altern. Dies erlaubt auch eine Differenzierung von älteren Menschen von älteren Patienten.

Ganz anders argumentiert die „Anti-Aging“-Medizin. Diese negiert Altern als physiologischen Vorgang. Hier wäre der ältere Patient der, dem es nicht gelungen ist, Altwerden zu verhindern. Dass es sich bei dem hier Erwähnten nicht um semantische Spielereien handelt, meint, dass wir dem älteren Menschen und eben auch Patienten nicht gerecht werden, wenn wir klinische Phänomene als primäre Defizite sehen. Wenn wir demnach Altern als physiologisch betrachten, so wird der ältere Mensch dann zum älteren Patienten, wenn physische und psychische Veränderungen ein Ausmaß erreichen, das mit dem Lebensentwurf dieser Person negativ interferiert. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der ältere Patient in allen Bereichen der Medizin zu betreuen ist. Der demographische Wandel bringt es weiter mit sich, dass die Diagnostik und Therapie Betagter und Hochbetagter (>80 Jahre, so genannte „oldest old“) rasch weiter an Bedeutung zunehmen wird.

Die Anti-Aging-Medizin negiert Altern als physiologischen Vorgang

Aus geriatrischer Sicht addieren sich zur gesamten Palette der inneren Medizin als Spezifika – auch aufgrund ihrer Häufigkeit – die Krankheitsfelder Immobilität, Instabilität, Inkontinenz und intellektueller Abbau hinzu, die gerne als „giants of geriatric medicine“ oder „4 I’s“ subsumiert werden ([2]; Tab. 2). Neu werden als weitere 2 I’s Isolation und iatrogene Komplikationen (meist aufgrund der Polypharmazie) genannt.

Tab. 2 Die „giants“ der Geriatrie (die „4 I“)

Typisch für die Behandlung des älteren Patienten ist auch die Betreuung in interdisziplinären Teams. Der Bedarf der verschiedenen Fachlichkeiten resultiert aus dem geriatrischen Assessment. Das „comprehensive geriatric assessment“ (CGA; [3]) ist quasi das Stethoskop des Geriaters. Mit aus diesen Assessment-Instrumenten resultierenden Interventionen kann die Morbidität und Mortalität bei älteren Patienten evidenzbasiert signifikant gesenkt werden ([4]; s. Beitrag Leischker u. Kolb „Diagnostik- und Therapieziele beim alten Patienten“ in diesem Heft).

Allgemein bedarf der ältere Patient aufgrund seiner Multimorbidität eines betreuenden Arztes, der modern ausgesprochen die Rolle des „gatekeepers“ übernehmen kann. Dies gilt für den ambulanten Bereich, für den akut-stationären, wie auch für die Betreuung in Langzeitpflegestrukturen. Je nach Land und Gesundheitswesen rekrutieren sich diese Ärzte meist aus den Fachbereichen innere Medizin und/oder Allgemeinmedizin. Darauf aufbauend bedarf es dann der Zusatzqualifikation im Fach Geriatrie, um die angesprochenen Aufgaben übernehmen zu können. Dass Deutschland hier im europäischen Vergleich laut WHO-Berichten zu den Schlusslichtern zählt [5], ist leider Fakt und sollte Ansporn sein, dieses Manko im Sinne der Betreuung älterer Patienten rasch aufzuholen. Dazu bedarf es aber des Ausbaus von Lehrstühlen für Geriatrie an den Universitäten sowie eines Facharztes oder Schwerpunkttitels für Geriatrie. Dass sich die Geriatrie aufbauend auf den Internisten hier gut aufgehoben fühlt, ist aus dem Gesagten evident und erfolgreich in vielen Ländern Europas Fakt. Diese wenigen standespolitischen Zeilen dürfen nicht fehlen, wenn wir über die Definition und damit implizit die Betreuung von älteren Patienten sprechen.

„Frailty“: ein, wenn nicht das klinische Syndrom beim älteren Patienten

„Frailty“ stellt ein unabhängiges geriatrisches Syndrom dar, welches den Zustand des älteren Menschen beschreibt, der durch verminderte Belastbarkeit gegenüber externen Stressoren gekennzeichnet ist [6, 7, 8]. Als Beispiele seien hier interkurrente Erkrankungen oder ein notwendiger Wechsel der Wohnsituation genannt. „Frailty“ kann mit dem Verlust der Fähigkeit verbunden sein, wichtige Aktivitäten des täglichen Lebens wahrzunehmen [9]. „Frailty“ als solche ist nicht mit dem Vorliegen einer Behinderung gleichzusetzen. Es handelt sich vielmehr um die Prädisposition für die Entwicklung einer solchen.

Das „Frailty“-Syndrom betrifft nicht jeden älteren Patienten.

Diejenigen jedoch, die es betrifft, sind speziell gefährdet im Hinblick auf einen Verlust der Selbständigkeit, Hospitalisierungen und Mortalität. Diese Patienten benötigen mehr medizinische und soziale Ressourcen, weshalb eine frühzeitige Erkennung wichtig ist, um geriatrisch zentrierte präventive und rehabilitative Massnahmen einleiten zu können. In angloamerikanischen Ländern wird ob dieser Wichtigkeit gerade daran gearbeitet [10, 11, 12], diesem Syndrom auch eine ICD-Nummer zuzuordnen, es also gleichsam als geriatriespezifische Krankheit anzuerkennen.

Es hat verschiedene Versuche gegeben, „frailty“ allgemein gültig zu definieren. Im Bereich der physischen „frailty“ hat sich die Definition von Linda Fried unter Alltagsbedingungen am meisten durchgesetzt ([13], Tab. 3). Diese beinhaltet einen Gewichtsverlust (Sarkopenie), eine verminderte Handkraft, eine verlangsamte Ganggeschwindigkeit, eine rasche Ermüdbarkeit sowie eine verminderte körperliche Aktivität. Beim Vorliegen von 3 dieser Parameter wird die Diagnose „frailty“ gestellt, bei 1 bis 2 dieser Faktoren wird von einem intermediären Zustand ausgegangen, auch „prefrailty“ genannt. Letzterer gehört das spezielle Augenmerk beim älteren Patienten, weil hier präventive Maßnahmen am ehesten greifen mögen. Bei über 80-Jährigen ist von einer Prävalenz von 25 bis 40% auszugehen.

Tab. 3 Physische Zeichen für „frailty“. (Nach [13])

Biologische „Frailty“-Modelle beim älteren Patienten

Über lange Zeit wurden primär hormonelle Veränderungen mit „frailty“ verbunden. Neben Dehydroepiandrosteron (DHEA) als Prohormon der Nebennieren sind dies altersbedingt deaktivierte endogene Hormonsysteme. Deaktiviert in diesem Kontext meint, dass für diese Hormonachsen über die Lebenspanne ein kontinuierlicher Abfall gemessen werden kann. Dies ist das das „Defizitmodell“ von „frailty“ (Tab. 4).

Tab. 4 Das Defizitmodell von „frailty“

Neuer und wohl viel wichtiger ist das Konzept, dass (subklinische) Entzündungszustände Altern und „frailty“ bedingen. Inwieweit hier die Bestimmung des C-reaktiven Proteins als einfacher klinischer Parameter von Hilfe sein kann, ist noch ungelöst [14]. Primär in Verbindung mit „frailty“ gebracht werden aber folgende Substanzen:

  • Interleukin-6 (IL-6; [15, 16]),

  • Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α; [17]),

  • Adhäsionsmoleküle [18].

Die Essenz dieses „Exzessmodells“ liegt darin, dass altersassoziierte Erkrankungen meist eine Entzündungskomponente zeigen (Tab. 5). Exemplarisch seien hier erwähnt:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen,

  • Alzheimer-Krankheit,

  • die meisten Erkrankungen des Bewegungsapparats.

Tab. 5 Krankheiten, die mit oxidativem Stress und chronischer Entzündung einhergehen

Gewichtsverlust durch Abbau von Muskulatur (Sarkopenie) zeigt eine klare Korrelation zum „Frailty“-Syndrom. Es ist nicht Ziel dieses Artikels, näher auf die Pathophysiologie dieser Zustände einzugehen; es sei hier nur erwähnt, dass „frailty“ auch häufig bei adipösen Patienten anzutreffen ist [19]. Man kann aber vereinfacht sagen, dass das „Frailty“-Syndrom einen Eckpfeiler der Definition des älteren Patienten darstellt und dessen Prävention und Therapie fast archetypisch geriatrisches Handeln widerspiegelt. Insofern zeigt es auch auf, dass Geriatrie aus internistischer Sicht Zusatzfaktoren integriert, was den Internisten Hazzard dazu gebracht hat, von der Geriatrie als erste „Supraspezialität“ der inneren Medizin zu sprechen [20], im Gegensatz zu Subspezialitäten wie der Gastroenterologie und Kardiologie.

Fazit für die Praxis

Der ältere Patient (ab 80 Jahren spricht man von den „oldest old“) weist meist eine Multimorbidität auf, die häufig auch eine Polypharmazie impliziert. Ein Spezifikum des älteren Patienten ist die veminderte Reservekapazität in fast allen Organsystemen. „Frailty“ (Gebrechlichkeit) ist das Syndrom, welches die Vulnerabilität des betagten Organismus auf multiple Stressoren benennt. Die „vier geriatrischen I’s“ sind: Immobilität, Instabilität, Inkontinenz, intellektueller Abbau. Häufig existieren mehrere dieser Faktoren parallel. Im Sinne eines holistischen Zugangs zu dieser immer größer werdenden Patientengruppe erweist sich das geriatrische Assessment als zielführend. Das „geriatische Basis-Assessment“ ist auch im niedergelassenen Bereich möglich und wird vergütet. Ziel geriatrischen Handels ist, durch Priorisierung bei bestehender Multimorbidität möglichst Funktionalität zu erhalten, dadurch Selbständigkeit zu erreichen und letztendlich eine befriedigende Lebensqualität zu garantieren. Dies gelingt nur durch die Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team. Der demographische Wandel bringt es mit sich, dass die konservativen wie operativen Fächer sowohl im ambulanten und erst recht im stationären Bereich immer mehr ältere Patienten zu betreuen haben. Die Vermittlung geriatrischen Wissens ist deshalb für eine adäquate Versorgung dieser großen Patientengruppe ein, wenn nicht das gesundheitspolitische Primat für die nächsten Jahrzehnte.