Es sind nur wenige Studien zur enteralen oder parenteralen Ernährung verfügbar, die den Anforderungen der „evidence based medicine“ gerecht werden. Aus diesem Grund muss eine Standardisierung in vielen Punkten noch auf dem Boden pathophysiologischer Überlegungen erfolgen. Eine wesentliche Grundlage hierfür ist ein genaues Verständnis der Stoffwechselveränderungen bei kritisch kranken Patienten und die Erkenntnis, dass diese einzig dem Ziel dienen, ein Überleben auch bei schweren Erkrankungen zu ermöglichen.

In den letzten Jahren hat sich immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass die metabolischen Folgen einer schweren Erkrankung die gleiche Bedeutung haben wie die hämodynamischen und dass gerade die Langzeitprognose kritisch kranker Patienten durch metabolische Faktoren erheblich beeinflusst wird. Der durch die Katabolie bedingte Verlust an Muskelmasse und Funktionsproteinen führt zu einer verstärkten Anfälligkeit für nosokomiale Infektionen, einer erschwerten Entwöhnung vom Respirator und einer verzögerten Remobilisation.

Aus diesem Grund wird der Ruf nach einer adäquaten Ernährungstherapie immer lauter. Allerdings sieht sich der Kliniker hier mit einer Vielzahl von z. T. widersprüchlichen Empfehlungen konfrontiert. Leider ist in diesem Fall auch die Besinnung auf die zweifelsohne großen Errungenschaften der „evidence based medicine“ (EBM) nicht besonders hilfreich. Zwar können einige Fragen der klinischen Ernährung (z. B. zum Einsatz der „Immunonutrition“) gut mit Hilfe dieser Herangehensweise beantwortet werden, für viele andere aber – und dazu gehört auch die zentrale Frage, wann Ernährung eigentlich sinnvoll ist – stehen bis heute keine adäquaten Studien zur Verfügung. Da „Evidenz“ in Fragen der Ernährung also nur in begrenztem Maße zur Verfügung steht, müssen Standards eben doch primär aus pathophysiologischen Überlegungen geschaffen werden.

Metabolische Veränderungen bei schweren Erkrankungen

Das klinische Bild bei allen schweren Erkrankungen ist geprägt von einer ausgeprägten Proteinkatabolie, einer insulinresistenten Hyperglykämie und einem gesteigerten Energieumsatz. Diese metabolischen Veränderungen entsprechen jedoch einer teleologisch sinnvollen Adaptation. Ihr Ziel ist es, die für den Überlebens- und Heilungsprozess notwendigen Substrate auch ohne exogene Nahrungszufuhr durch den Abbau körpereigener Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Die systemische Entzündungsreaktion (SIRS) induziert eine gesteigerte Synthese von Akute-Phase-Proteinen, eine Bildung spezifischer Antikörper und eine Proliferation immunkompetenter Blutzellen [9]. Um die hierfür notwendigen Aminosäuren bereit zu stellen, wird zum einen die Proteinsynthese in der Muskulatur reduziert und zum anderen der Abbau muskeleigener Proteine eingeleitet [12]. Beide Prozesse korrelieren unmittelbar mit dem Schweregrad der Erkrankung [3].

Dieser Vorgang entspricht somit einem zielgerichteten Transfer von Aminosäuren von den Muskelzellen zur Leber, wo der überwiegende Teil der Proteinsynthese stattfindet. In mehreren Studien [24, 28] konnte gezeigt werden, dass das Ausmaß dieses Aminosäurenflusses positiv mit der Prognose korreliert: Höhere Katabolieraten können durchaus mit einer besseren Prognose assoziiert sein, wenn sie gleichzeitig mit einer höheren Aminosäurenaufnahme im Splanchnikusgebiet verknüpft sind.

Eine weitere Ursache für die erhöhte Proteinkatabolie bei einer schweren Erkrankung ist der Kohlenhydratstoffwechsel [21]. Da die Glykogenspeicher bei Nahrungskarenz spätestens nach 24 bis 36 h erschöpft sind, muss für die Versorgung glukoseabhängiger Organe diese endogen synthetisiert werden. Da eine Glukoneogenese aus Fett biochemisch nicht möglich ist, sondern nur aus glukoplastischen Aminosäuren geschehen kann, müssen ebenfalls Proteine zu diesem Zweck abgebaut werden.

Dieser hohe Preis für die Glukoneogenese erklärt, warum Glukose möglichst sparsam und nur von denjenigen Organen verwendet wird, die auf die Glukoseoxidation angewiesen sind. Dieses Ziel wird durch die Induktion einer Insulinresistenz erreicht: Die glukoseabhängigen Organe, die auf Grund spezifischer Glukosetransporter auch ohne Insulin Glukose in die Zelle aufnehmen können, werden weiter mit Glukose versorgt; die Zellen anderer Organe, z. B. der Muskulatur, die Glukose nur mit Hilfe von Insulin aufnehmen können, werden durch die Insulinresistenz von der Glukoseversorgung ausgenommen.

Folglich müssen die Zellen, die durch die Insulinresistenz von der Glukoseversorgung ausgeschlossen sind, auf die Oxidation von Fettsäuren zurückgreifen. Zu diesem Zweck bewirkt die Stimulation der hormonsensitiven Lipase durch Adrenalin eine vermehrte Lipolyse und Freisetzung von Fettsäuren aus dem Fettgewebe. So konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit einer Sepsis in Abhängigkeit vom Schweregrad eine kontinuierliche Verschiebung von der Glukose- zur Fettoxidation stattfindet [31, 33].

Diese metabolische Adaptation an schwere Erkrankungen durchläuft verschiedene Stadien, die bereits von Cuthbertson et al. [7] sowie Moore et al. [22] in den 40er- bzw. 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts beschrieben wurden. Nach einer kurzen Ebb-Phase, die durch einen reduzierten Stoffwechsel gekennzeichnet ist und überwiegend nur bei Traumapatienten auftritt, folgt die katabole Flow-Phase. Sie ist geprägt durch die Synthese von Akute-Phase-Proteinen und anderen Abwehrproteinen sowie durch den Abbau von dem durch die Infektion oder das Trauma zerstörten Gewebe. Diese energiefordernden Prozesse bewirken einen allmählichen Anstieg des Energieumsatzes mit hoher endogener Substratfreisetzung. Der Gipfel der Energieumsatzsteigerung markiert den Übergang in die anabole Flow-Phase. Diese ist weiterhin durch einen hohen Energieumsatz gekennzeichnet, allerdings reagiert der Körper jetzt wieder auf eine exogene Nahrungszufuhr. Das Ziel dieser Phase ist es, die in der katabolen Flow-Phase eingeleiteten Reparaturvorgänge fortzusetzen und gleichzeitig die in dieser Phase verlorenen Ressourcen durch die Zufuhr von Nährsubstraten wieder aufzufüllen.

Was kann eine Ernährungstherapie bewirken?

Die beschriebenen Stoffwechselveränderungen werden induziert und gesteuert zum einen durch die Stresshormone Adrenalin, Kortison und Glukagon, zum anderen durch die im Rahmen der generalisierten Entzündungsreaktion freigesetzten Zytokine. Vor allem TNF („tumor necrosis factor“)-α und Interleukin-1β korrelieren mit dem Schweregrad der Erkrankung [27, 30]. Durch diese Steuerung werden die Stoffwechselvorgänge von der Nahrungszufuhr abgekoppelt. Unabhängig davon, ob parenteral oder enteral Glukose zugeführt wird, stimulieren Hormone und Zytokine die endogene Glukoneogenese in der Leber ([32]; Abb. 1). Ebenso wird trotz der exogenen Zufuhr von Aminosäuren der Abbau der Muskulatur fortgeführt. Der Grund für dieses anscheinend paradoxe Stoffwechselverhalten liegt darin, dass das Ausmaß der Hormon- und Zytokinfreisetzung allein durch die Entzündungsaktivität bestimmt wird und keiner metabolischen Rückkoppelung unterliegt.

Abb. 1
figure 1

Auswirkungen kohlenhydratbetonter (TPN-G) im Vergleich zu lipidbetonter (TPN-L) parenteraler Ernährung auf verschiedene Parameter des Glukosestoffwechsels. Die endogene Glukoseproduktion bleibt unter beiden Ernährungsformen gleich hoch [32]

Für die Ernährungstherapie schwer kranker Patienten resultiert daraus ein entscheidender Punkt: Die Katabolie kann auch durch eine maximale Substratzufuhr nicht oder zumindest nicht vollständig aufgehoben werden. Die ablaufenden Stoffwechselprozesse sind durch eine Ernährungstherapie qualitativ kaum zu beeinflussen. Die früher regelhaft durchgeführte Hyperalimentation (Energiezufuhr über dem aktuellen Energieumsatz) hat den Patienten nicht nur nicht genützt, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit sogar geschadet [1, 19, 25].

Das Ziel einer Ernährungstherapie in der katabolen Flow-Phase kann deshalb nur sein, eine solche Hyperalimentation zu vermeiden. Stattdessen sollte eher das Immunsystem durch eine entsprechende Substratzufuhr unterstützt werden.

Wenn der Patient die katabole Flow-Phase überlebt und in die anabole Rekonstitutionsphase übergeht, ist die metabolische Situation jedoch völlig anders. Bei sinkender Zytokinfreisetzung nimmt auch die endogene Substratproduktion ab, und eine höhere exogene Substratzufuhr wird wieder möglich und auch nötig. Eine über dem aktuellen Energieumsatz liegende Energiezufuhr ist jetzt sinnvoll, um die in der vorherigen Katabolie verlorenen Ressourcen wieder auszugleichen. Eine weiterhin verminderte Energiezufuhr in dieser Phase würde zu einer zusätzlichen Katabolie führen und die Remobilisation des Patienten erschweren.

Konzept einer kombinierten enteralen und parenteralen Ernährung

Im Nachfolgenden wollen wir ein KonzeptFootnote 1 der kombinierten enteralen parenteralen Ernährung für kritisch Kranke vorstellen, das zudem die Gabe immunmodulierender Substrate mit einbezieht. Wir haben uns dabei bemüht, die verfügbaren Ergebnisse der „evidence based medicine“ zu berücksichtigen und vor allem der Pathophysiologie der veränderten Stoffwechselbedingungen bei schweren Erscheinungsformen von SIRS und Sepsis gerecht zu werden.

Gleichsetzung von enteraler und parenteraler Ernährung

Die in den DGEM-Leitlinien [17] zur enteralen Ernährung für Intensivpatienten global getroffene Empfehlung, dass Patienten, die enteral ernährt werden können, auch enteral ernährt werden sollen, gilt für alle schwer kranken Patienten, da für eine parenterale Ernährung keine Vorteile gezeigt werden konnten [5]. Andererseits ist eine enterale Ernährung aber gerade bei schweren Erkrankungen häufig erschwert oder sogar unmöglich, da diese über die freigesetzten Mediatoren eine funktionelle Störung des gesamten Gastrointestinaltraktes bewirken.

Im Gegensatz zu den kanadischen Leitlinien [14] sind wir der Meinung, dass in solchen sowie in denjenigen Fällen, in denen eine enterale Ernährung aus chirurgischen oder anatomischen Gründen unmöglich ist, eine Ergänzung durch eine parenterale Ernährung vorgenommen werden sollte. Die Metaanalyse von Dahliwal et al. [8], die keinen Nutzen einer zusätzlichen parenteralen Ernährung gezeigt hat, umfasst ausschließlich Studien, in denen eine parenterale Ernährung zusätzlich zu einer tolerierten enteralen Ernährung gegeben wurde. Die Frage, ob bei nicht tolerierter enteraler Ernährung eine parenterale Ergänzung erfolgen sollte, kann mit diesen Daten also nicht beantwortet werden. Wir glauben, dass, wenn selbst die niedrigere Energiemenge, die in der Akutphase einer Erkrankung erforderlich ist (s. u.), nicht durch eine enterale Ernährung vollständig zugeführt werden kann, die Ergänzung durch eine parenterale Ernährung sinnvoll ist, auch wenn dies bisher in keiner Studie untersucht worden ist. Bei kritisch Kranken sollten deshalb parenterale und enterale Ernährung als sich ergänzende Verfahren und nicht als Therapiealternativen verstanden werden.

Bei kritisch Kranken sollten parenterale und enterale Ernährung nicht als alternative, sondern als sich ergänzende Verfahren verstanden werden

Äquivalente Substratzusammensetzung der enteralen und parenteralen Nährlösungen

Durch eine äquivalente Substratzusammensetzung von enteraler und parenteraler Ernährung wird ein problemloser Wechsel zwischen diesen beiden Applikationsformen möglich. Der 50%ige Anteil an Kohlenhydraten sollte ausschließlich aus Glukose oder daraus technisch hergestellten Polysacchariden bestehen. Zu der Mischlösung Glukose/Xylit existieren interessante experimentelle Daten, aber keine klinischen Studien, die den generellen Einsatz rechtfertigen.

Die mit der Ernährung zugeführten Fettsäuren (ca. 40% der zugeführten Energiemenge) haben einen erheblichen Einfluss auf das Immunsystem [6]. In nahezu allen Bereichen üben ω-6- und ω-3-Fettsäuren entgegengesetzte Effekte aus. Die negativen Ergebnisse bei parenteraler Ernährung mit Fett [4], die die Autoren der kanadischen Leitlinie [14] dazu veranlasst haben, Fettemulsionen in der parenteralen Ernährung von Intensivpatienten völlig abzulehnen, sind unserer Meinung nach nicht auf die Wirkung von Fett an sich, sondern auf die immunologischen Effekte der „klassischen“ LCT-Fettemulsionen zurückzuführen. Für den klinischen Einsatz stehen heute folgende Alternativen zur Verfügung:

  1. 1.

    ω-6 + mittelkettige gesättigte Fettsäuren (MCT),

  2. 2.

    ω-6 + ω-3 Fettsäuren (Fischöl),

  3. 3.

    ω-6 + einfach ungesättigte Fettsäuren (Olivenöl),

  4. 4.

    Mischung aus 1.–3.,

  5. 5.

    Mischung aus 1. + 2.

Bisher liegen allerdings keine klinischen Studien vor, die gezeigt hätten, dass eine dieser Mischemulsionen in Bezug auf die Überlebensrate den anderen Emulsionen überlegen wäre. Allerdings konnte in mehreren Studien für mit Fischöl angereicherte Emulsionen eine Verkürzung der Liegezeit nachgewiesen werden [11, 20, 34].

Bei den Standardnährlösungen zur enteralen Ernährung werden heute von den meisten Herstellern ebenfalls deutlich geringere Mengen von ω-6-Triglyzeriden verwendet und stattdessen vermehrt mittelkettige Triglyzeride oder Olivenöl eingesetzt. Für eine mit Eikosapentaen- und γ-Linolensäure sowie mit Antioxidanzien angereicherte Sondennahrung konnte bei ARDS-Patienten sogar eine Verbesserung der Oxygenierung [10, 29] und bei Patienten mit einer Sepsis eine Verbesserung der Überlebensrate [26] gezeigt werden. Eine enterale Immunonutrition, die mit ω-3-Fettsäuren, RNS-Nukleotiden und Arginin angereichert ist, kann bei kritisch Kranken nicht empfohlen werden [16]. Mit einer solchen Sondennahrung konnte zwar in vielen Studien an elektiv operierten Patienten eine signifikante Verkürzung der Liegezeit und eine Senkung der Häufigkeit von Infektionen gezeigt werden (Empfehlung Grad A); bei kritisch Kranken jedoch sollte eine solche Sondennahrung nicht eingesetzt werden [18].

Bei den Aminosäuren besteht zurzeit keine gesicherte Indikation für Lösungen mit einem erhöhten Anteil an verzweigtkettigen Aminosäuren, sodass hier auf eine Standardaminosäurelösung zurückgegriffen werden sollte.

Die enterale oder parenterale Ernährung sollte von einer enteralen und parenteralen Supplementierung mit immunmodulierenden Substraten (insbesondere Antioxidantien und Glutamin) begleitet werden. Glutamin ist zum einen der wesentlichste Stickstofftransporteur; rund 1/3 des gesamten Stickstoffs wird über Glutamin transportiert. Durch die vermehrte Abgabe des Glutamins kommt es während einer Sepsis zur signifikanten Abnahme des intrazellulären Glutaminspiegels. Da andererseits die Expression des zellprotektiven Heat Shock Protein 70 und die Erhaltung des zellulären ATP-Spiegels von der Verfügbarkeit von Glutamin abhängen [35], liegt es nahe, dass eine Supplementierung von Glutamin die Überlebenschance kritisch Kranker verbessern kann. Den Ergebnissen einer 2002 veröffentlichten Metaanalyse [23] nach sollten kritisch kranke Patienten bei parenteraler Ernährung zusätzlich mit Glutamin ernährt werden, da die Glutamingabe zu einer Senkung der Komplikations- und der Mortalitätsrate führt. Dieses kann entweder supplementierend als Dipeptid (Dosis 0,2–0,26 g/kg KG/Tag Glutamin, entsprechend 0,3–0,4 g/kg KG/Tag Dipeptid) gegeben werden, oder es kann eine Aminosäurelösung verwendet werden, die bereits mit einem Glutamindipeptid angereichert ist.

Bei enteraler Ernährung waren die Ergebnisse einer zusätzlichen Glutaminanreicherung bisher allerdings weniger überzeugend, sodass eine enterale Supplementierung bisher nur bei Traumapatienten und bei Verbrennungspatienten empfohlen wurde [18]. Zur Frage, ob der fehlende Effektivitätsnachweis in einigen Studien durch eine zu geringe Dosis enteral applizierten Glutamins bedingt war, müssen die Ergebnisse einer großen laufenden kanadischen Multicenterstudie abgewartet werden [13, 15]. Aus Sicht einiger Experten wird jedoch schon heute eine hoch dosierte Glutamingabe im Bereich von 0,25 bis 0,5 g/kg/Tag für eine Dauer von mindestens 6 Tagen als wirksam angesehen [35].

Die parenterale Supplementierung mit Antioxidantien kann durch die intravenöse Gabe von Selen vorgenommen werden [2]. Auch die enterale Ernährung kann durch eine Mischung von Antioxidantien (Vitamine E, C und β-Karoten) angereichert werden. Den Autoren der kanadischen Leitlinie erschien allerdings die Datenlage noch zu unvollständig, um eine definitive Empfehlung für die enterale Gabe von Antioxidantien abgeben zu können [13].

Gemeinsame Bilanzierung und variable Bestimmung der Energiemenge

Der Energiegehalt einer Sondennahrung beträgt üblicherweise 1 kcal/ml. Dies erleichtert die Berechnung der zugeführten Energiemenge aus der Applikationsgeschwindigkeit: Das Körpergewicht als Zufuhrrate in ml/h entspricht einer Energiezufuhr von 24 kcal/kg KG/24 h und damit in etwa dem Standardgrundumsatz einer Person. Analog dazu sollten die enteralen und parenteralen Nährlösungen einen vergleichbaren Stickstoffträgergehalt von 0,05 g/ml aufweisen, um eine wünschenswerte Zufuhr von 1,2 g/kg KG/24 h zu ermöglichen (ohne den Stickstoffanteil aus der Pharmakonutrition).

Natürlich können die einzelnen Bestandteile der parenteralen Ernährung auch als Einzelinfusionen zugeführt werden. Das Konzept wird jedoch deutlich erleichtert, wenn hierbei ein Dreikammerbeutel zum Einsatz kommt, dessen Energiedichte ebenfalls 1 kcal/ml betragen sollte. Dann können die beiden Zufuhrraten einfach addiert und an das Ernährungsziel angepasst werden.

Das Ernährungsziel ändert sich jedoch mit der Zeit und dem Verlauf der Erkrankung und sollte als Zielfaktor ausgedrückt werden, mit dem die Basisrate von 24 kcal/kg KG/24 h multipliziert wird (Abb. 2): Initial (in der Ebb-Phase) besteht noch eine hohe endogene Substratproduktion, und die von extern zuführbare Menge ist dementsprechend gering. Dies bedeutet, dass in solchen Phasen Zufuhrraten, die im Bereich eines Zielfaktors von z. B. 0,5 (also 30 ml/h bei einem Körpergewicht von 60 kg) oder noch darunter liegen, völlig ausreichen können. In der nachfolgenden katabolen Flow-Phase steigt der Energieumsatz an – bei allerdings immer noch hoher endogener Substratproduktion. Die Ernährung kann jetzt langsam auf 1-mal 24 kcal/kg KG/24 h gesteigert werden (und liegt damit immer noch unter dem aktuellen Energieumsatz).

Abb. 2
figure 2

Schematischer Verlauf von Energieumsatz und zugeführter Energie in den verschiedenen Stoffwechselphasen

Mit dem Abklingen der katabolen Flow-Phase und bei weiterhin hohem Energieumsatz kann die Energiezufuhr dann weiter gesteigert werden. In dieser anabolen Flow-Phase sollte die Energiezufuhr über dem aktuellen Energieumsatz liegen (z. B. 1,4-mal 24 kcal/kg KG/24 h), um in dieser Phase die anabole Tendenz zu verstärken und die vorher durch die endogene Substratproduktion verlorenen Substrate wieder zu ersetzen.

Dieses Schema darf allerdings nicht starr von der Liegezeit abhängig gemacht werden, sondern muss sich eng am Zustand des Patienten orientieren. Entwickelt z. B. ein Traumapatient in der anabolen Flow-Phase eine schwere Sepsis oder einen septischen Schock, bedeutet dies zum einen, dass der Energieumsatz wieder sinkt, und zum anderen, dass die endogene Substratproduktion wieder zunimmt, sodass wiederum nur eine geringere Menge von extern zugeführt werden muss.

Praktische Durchführung

Die praktische Umsetzung des Konzepts entspricht einem „team approach“ von ärztlichen und pflegerischen Aufgaben. Der Arzt entscheidet in Abhängigkeit von der klinischen Situation des Patienten zunächst über den Applikationsweg (gastral, jejunal oder parenteral). Dann folgt die Festlegung des Ernährungsziels, d. h. die Bestimmung des Faktors, mit dem das Körpergewicht zur Ermittlung der Laufgeschwindigkeit multipliziert wird. Die Pflegekräfte steuern die praktische Durchführung anhand der gastrointestinalen und metabolischen Toleranz. Diese sollten alle 4 bis 8 h beurteilt werden und dienen als Grundlage der Entscheidung über die Beibehaltung oder Anpassung des jeweiligen Anteils aus der enteralen bzw. parenteralen Nährlösung.

Die Beurteilung der gastrointestinalen Toleranz bestimmt das enteral zu applizierende Volumen.

Bei einer gastralen Zufuhr steht insbesondere die gastrale Toleranz und bei einer jejunalen Zufuhr vor allem die intestinale Toleranz im Vordergrund. Hierbei ist die gastrale Toleranz durch das gastrale Residualvolumen (GRV) definiert, wobei ein GRV >200 ml als gastrale Intoleranz gewertet wird. Zur Frage, wie bei erhöhten Residualvolumina verfahren wird, sollte jede Intensivstation über ein festes Schema verfügen, das auch den Einsatz von Prokinetika beinhaltet. Intestinale Toleranz definiert sich dagegen durch die klinische Beurteilung von Distension und/oder Druckschmerz im Bereich des Abdomens, auftretende Diarrhöen, Regurgitation und Obstipation. Dabei müssen Regurgitation bzw. anhaltende Obstipation zum Stopp einer enteralen Ernährung führen, während die anderen Kriterien eher die Notwendigkeit einer verminderten Zufuhrrate enteraler Nährlösungen anzeigen. Sollte das mit Hilfe des Zielfaktors modifizierte Ernährungsziel nicht über die enterale Zufuhr erreicht werden, wird mit der supplementierenden parenteralen Ernährung begonnen.

Die Beurteilung der metabolischen Toleranz erfolgt ebenfalls durch die Pflegekräfte. Die Beurteilung umfasst die Blutglukose- (Maximalwert: <110 mg/dl, bei Sepsis <150 mg/dl), die Triglyzerid- (Maximalwert: <400 mg/dl) und die Harnstoffspiegel (Anstieg ≤30 mg/dl/Tag). Während die Glukose in mindestens 4-h-Intervallen (bei instabilem Blutzucker oder Wechsel der Insulindosis unbedingt häufiger) geprüft werden muss, sollten die Harnstoffspiegel 1-mal täglich und die Triglyzeridspiegel mindestens 2-mal pro Woche unter laufender Zufuhr der Ernährungslösungen gemessen werden.

Erhöhte Blutzuckerspiegel werden mit einer kontinuierlichen Insulingabe über einen Perfusor nach einem festen Schema behandelt. Dabei ist der Blutzuckerspiegel bei Nichtdiabetikern zusammen mit den Serumtriglyzeriden ein wichtiger Indikator der endogenen Substratproduktion und sollte auch als solcher genutzt werden. Dies bedeutet, dass bei Patienten die unter kontinuierlicher Insulinzufuhr einen hohen Blutzuckerspiegel entwickeln, die Ernährung reduziert werden muss, oder dass, falls dieser Befund bereits ohne Ernährung besteht, erst einmal auf die Ernährung verzichtet wird. Im umgekehrten Fall gilt, dass eine Steigerung der Energiezufuhr um 10 bis 20 ml/h erfolgen sollte, wenn der Blutzuckerspiegel von etwa 110 mg/dl unter laufender enteraler und/oder parenteraler Ernährung unterschritten wird und die Insulintherapie konstant erscheint (max. 6 IE/h).

Abb. 3, Abb. 4 u. Abb. 5 verdeutlichen das Konzept der Ernährung bei einer 60 kg schweren Patientin mit zunehmender gastrointestinaler Toleranz. Der Einfachheit halber sind diese Abbildungen für eine Ernährungsphase konzipiert, in der der Faktor 1 beträgt. Sie können aber auch mit jedem anderen Faktor multipliziert werden.

Abb. 3
figure 3

Ernährung eines Patienten mit hoher metabolischer und niedriger gastrointestinaler Toleranz

Abb. 4
figure 4

Ernährung eines Patienten mit hoher metabolischer und gastrointestinaler Toleranz

Abb. 5
figure 5

Ernährung eines Patienten mit hoher metabolischer und voller gastrointestinaler Toleranz

Der Anteil der parenteralen Ernährung an der Gesamternährung beträgt initial 67%, d. h. es werden 40 ml/h appliziert. Der Anteil der enteralen Ernährung beträgt nur 33% (20 ml/h). Mit zunehmender gastrointestinaler Toleranz verändert sich das Verhältnis von parenteraler zu enteraler Ernährung, es werden jetzt nur noch 33% der Gesamtenergie (20 ml/h) parenteral infundiert und 67% (40 ml/h) enteral zugeführt. Bei einer weiteren Steigerung der gastrointestinalen Verträglichkeit können schließlich 100%, d. h. die gesamten 60 ml/h, enteral appliziert werden.

Abb. 6 u. Abb. 7 verdeutlichen das Vorgehen bei schwerster metabolischer Intoleranz, die auch durch eine kontinuierliche Insulingabe nicht kompensiert werden kann. In diesem Fall wurde die zugeführte Energiemenge (d. h. bevorzugt die parenterale Ernährung) reduziert: Statt 40 ml/h werden jetzt nur noch 20 ml/h infundiert.

Abb. 6
figure 6

Ernährung eines Patienten mit niedriger metabolischer und niedriger gastrointestinaler Toleranz. Die niedrige metabolische Toleranz wird mit einer kontinuierlichen Insulingabe über einen Perfusor therapiert

Abb. 7
figure 7

Ernährung eines Patienten mit niedrigster metabolischer Toleranz, die auch durch einen Insulinperfusor nicht kompensiert werden kann. Hier wird die Energiezufuhr begrenzt (z. B. durch Reduktion der parenteralen Ernährung von 67% auf 33%

Fazit für die Praxis

Jede kritische Erkrankung verläuft in unterschiedlichen metabolischen Phasen. Mit dem vorgestellten Ernährungskonzept zur kombinierten enteralen und parenteralen Ernährung kann der überwiegende Teil kritisch kranker Patienten ernährt werden. Die Anpassung an die metabolischen Phasen berücksichtigt in der akuten Phase die endogene Substratproduktion und vermeidet damit eine Hyperalimentation. Gleichzeitig erfolgt die Substratauswahl nach immunologischen Gesichtspunkten. Eine äquivalente Zusammensetzung von enteraler und parenteraler Ernährung ermöglicht den problemlosen Übergang zwischen beiden Ernährungsformen.