Für die Behandlung ausgedehnter Vestibularisschwannome bleibt die operative Behandlung ohne Alternative. Gerade Patienten mit großen Tumoren sind dabei einem relevanten Risiko für eine postoperative Fazialisparese ausgesetzt. Die intraoperative Funktionsüberwachung (Monitoring) hat das Ziel, dieses Risiko zu senken. Mittels verschiedener Techniken sollen der N. facialis intraoperativ identifiziert, potenziell schädigende operative Manöver angezeigt und intraoperativ eine prognostische Einschätzung hinsichtlich der späteren Fazialisfunktion ermöglicht werden.

Postoperative Fazialisparese

Gerade bei ausgedehnten Tumoren kann der in der Tumorkapsel verlaufende N. facialis ausgedünnt und breit aufgespannt sein. Moderne Operationsmikroskope und die Entwicklung entsprechender mikrochirurgischer Expertise machten es möglich, diese feinsten Strukturen zu präparieren und in ihrer Kontinuität zu erhalten. Leider geht damit nicht immer die funktionelle Erhaltung einher.

Die Tumorgröße spielt hier eine große Rolle: Je größer die Tumoren sind, desto höher ist das Risiko für eine postoperative Fazialisparese auch bei erfahrenen Operateuren [32]. Eine unbeabsichtigte scharfe Durchtrennung des Nervs kommt dabei nur äußerst selten vor; in aller Regel ist der Nerv anatomisch erhalten [32]. Hinsichtlich der tatsächlichen Schädigungsmechanismen ist von kumulativen Verletzungen der Nervenintegrität sowie der Mikrozirkulation durch Zug, Druck und thermische Reize auszugehen. Ereignisse und v. a. operative Manöver, die mit solchen Schäden assoziiert sind, sollen durch das intraoperative neurophysiologische Monitoring möglichst in Echtzeit erkannt werden, um den kumulativen Schaden zu begrenzen.

Mit der Tumorgröße steigt das Risiko für eine postoperative Fazialisparese

Die Paresen werden klinisch nach House u. Brackmann (HB) in 6 Grade eingeteilt [11]. Klinisch besonders bedeutsam ist der Sprung von HB3 zu HB4, da bei Letzterem der Lidschluss nicht mehr möglich ist. Als Folge sind Reizungen oder gar Ulzerationen der Cornea möglich, die bis zur Erblindung führen können [26].

Neurophysiologische intraoperative Funktionsüberwachung

Ziele und Methoden

Bereits um 1980 wurden Techniken des neurophysiologischen Monitorings in die operative Behandlung von Vestibularisschwannomen eingeführt [4, 12, 13, 16, 17, 20, 21]. Mittels dieser Techniken sollen im Idealfall die 3 Ziele der intraoperativen Funktionsüberwachung erreicht werden:

  • sichere Identifikation des N. facialis und „Mapping“ seines Verlaufs im Op.-Situs,

  • Anzeige potenziell schädigender Ereignisse mit Gefahr der Funktionsverschlechterung,

  • Ermöglichung einer intraoperativen Prognose der postoperativen Fazialisfunktion.

Die beiden ältesten Techniken, nämlich die Beurteilung des „freilaufenden Elektromyogramms“ (EMG) [20, 21, 30] und die Beurteilung der direkten elektrischen Stimulation[4, 12, 17, 33], wurden in den letzten 10 Jahren durch Techniken des mittels Computeralgorithmen prozessierten EMG [2224, 28, 29] und durch die motorisch evozierten Potenziale (MEP) des N. facialis [1, 5, 7, 15] ergänzt. Im vorliegenden Artikel wird erörtert, welche dieser Techniken geeignet sind, die 3 Ziele der intraoperativen Funktionsüberwachung zu erreichen. Für sämtliche Techniken gilt, dass sie unter intraoperativer Verwendung von Relaxanzien grundsätzlich nicht sinnvoll eingesetzt werden können. Auch geht man davon aus, dass volatile Anästhetika das intraoperative neurophysiologische Monitoring motorisch evozierter Potenziale dosisabhängig negativ beeinflussen können; eine gesicherte Studienlage für diese Anwendung am N. facialis existiert allerdings nicht.

Elektrische Direktstimulation

Mittels eines Handstimulators (Abb. 1) kann der N. facialis intraoperativ direkt elektrisch gereizt werden [4, 13, 16, 33]. In den genannten Studien wurden verschiedene Techniken zu Stimulation (konstante Spannung oder konstante Stromstärke, monopolare oder bipolare Stimulation, Stimulationsfrequenzen von 1–30 Hz, Rechteckimpulse 50–200 µs) verwendet und untersucht, ohne dass eine allgemeine Überlegenheit einzelner Verfahren herausgearbeitet werden konnte. Bei niedrigen, schwellenwertnahen Intensitäten (z. B. 0,05–0,1 mA bei bipolarer Stimulation mit einer Frequenz von 30 Hz und Rechteckimpulsen in einer Breite von 50 µs) ist es mit dieser Methode möglich, die Position und den Verlauf des N. facialis millimetergenau zu bestimmen (Ziel I). Das Verfahren erlaubt eine frühzeitige Identifikation des N. facialis auch dann, wenn der Nerv dünn ausgewalzt oder der Situs, etwa bei Rezidivsituationen, narbig verändert ist. Zu beachten ist, dass nach Auffinden des Nervs mit zunächst etwas höherer Stimulationsstärke diese zur genaueren Darstellung und Verfolgung des Nervs schwellenwertnah abgesenkt werden sollte, um Fehlaktivierungen durch Volumenleitungseffekte (v. a. bei monopolarer Stimulation) zu vermeiden.

Abb. 1
figure 1

Intraoperativer Situs mit dargestellter Tumoroberfläche vor Volumenverkleinerung. Stimulationsinstrument zum Absuchen der Tumoroberfläche vor Inzision der Kapsel deutlich sichtbar

Neben diesem Lokalisationsaspekt hat man immer wieder versucht, das Antwortverhalten des N. facialis auf elektrische Direktstimulation für prognostische Aussagen zu nutzen (Ziel III). So wird etwa das Verhältnis aus der proximalen und der distalen Stimulationsantwort quantifiziert und mit den postoperativen klinischen Symptomen korreliert [33].

Die Stimulation ist diskontinuierlich und erlaubt daher keine zeitnahe Warnung

Dabei ergeben sich mehrere Probleme. Zum einen gelingen proximale und distale Stimulation häufig erst dann, wenn der Tumor bereits entfernt ist, da die Tumormasse sowohl den Zugang zum Fundus des Meatus acusticus internus als auch zur Wurzelaustrittszone am Hirnstamm verlegt. Damit handelt es sich eher um eine gegen Ende der Operation erfolgende – „end-operative“ – als um eine intraoperative Form der Prognostik. Zum anderen ist die Stimulation diskontinuierlich, da der Stimulator ein eigenes Instrument ist, zu dem aktiv gewechselt werden muss (es gibt zwar auch elektrifizierte, für die Präparation geeignete Instrumente, die sich aber, wohl aufgrund der Handhabbarkeit, nicht durchsetzen konnten, [13]). Das Erreichen von Ziel II, also die zeitnahe Warnung vor möglichen Gefahren, entfällt damit.

Selbst wenn diese Einschränkungen keine Gültigkeit hätten, sind die prognostischen Fähigkeiten der Direktstimulation nur von mäßiger Güte. Eine Studie einer erfahrenen Gruppe mit hoher Fallzahl resümierte ein Jahrzehnt an Erfahrungen mit der Methode und errechnete einen positiv prädiktiven Wert von nur 46 % für die Direktstimulation[33]; d. h., dass 54 % der so ausgelösten Alarme falsche Alarme sind.

Motorisch evozierte Potenziale

Der Umstand, dass mit der Methode der motorisch evozierten Potenziale (MEP) ein Monitoring des N. facialis möglich ist, bevor dieser intraoperativ visualisiert wird, stellt einen großen Vorteil gegenüber der Direktstimulation dar. Die Publikationen zu diesem Thema entstammen sämtlich einem neurochirurgischen Kontext, wohl da die Technik sich vom hier üblichen Monitoring langer Bahnsysteme ableitet. Während die motorisch evozierten Potenziale (MEP; Abb. 2) für das Monitoring der motorischen Zentralregion und der Pyramidenbahn [3, 18, 19, 3537] inzwischen Teil der Routine geworden sind, ist ihre Übertragung auf den Bereich der motorischen Hirnnerven noch nicht standardisiert [31]. Dabei bestehen verschiedene Beschränkungen technischer, praktischer und möglicherweise auch physiologischer Natur, die diese Übertragung zumindest behindern.

In Abb. 2 ist das motorisch evozierte Potenzial (MEP) des N. facialis dargestellt. Erkennbar ist das aus 5 steilen Wellen bestehende Stimulationsartefakt bei Train-of-Five-Stimulationstechnik. Der erste Peak des eigentlichen, aus mehreren Wellen bestehenden Signals findet sich bei 13,8 ms; es stellt eindeutig eine zentrale und keine periphere Antwort dar. Formal wird beim MEP die Latenz von Stimulationsbeginn bis Beginn des ersten Peaks aus der Grundlinie gemessen. Da beim Fazialis-MEP aufgrund der kurzen Strecke bis zur Gesichtsmuskulatur die Latenzen meist kurz sind (~12 ms) und es zu Überschneidungen mit den Ausläufern des Stimulationsartefakts kommen kann, wird in der Klinik der Autoren beim Fazialis-MEP bis zum ersten Peak gemessen.

Abb. 2
figure 2

Motorisch evoziertes Potenzial des N. facialis, abgeleitet vom M. orbicularis oris. x-Achse Zeitachse, 50 ms, y-Achse 1 mV. Erläuterung s. Text

Mindestens ein ipsilateraler Extremitätenmuskel sollte zur Kontrolle mit abgeleitet werden

Zunächst ist zu erwähnen, dass sich aus der kurzen Distanz zwischen Reizort (transkraniell über der motorischen Zentralregion [1]) und Ableitort (meist EMG aus den Mm. orbicularis oculi und oris) Probleme ergeben. Die Gesichtsmuskulatur wird durch die elektrische Reizung häufig direkt aktiviert, was die Stimulationsantwort maskieren kann [15]. Um systemische Ursachen einer erfolglosen Stimulation auszuschließen, sollte immer mindestens ein ipsilateraler Extremitätenmuskel als Kontrolle mit abgeleitet werden. Ferner ist für die Wertung der evozierten Potenziale immer die Kenntnis von Spontanaktivität zum Ableitezeitpunkt erforderlich, da solche Aktivität u. U. eine eigentlich nicht vorhandene Stimulationsantwort vortäuschen kann.

Vor allem bei Operationen in halbsitzender Lagerung entsteht durch den Liquorverlust eine Luftsichel zwischen Kalotte und Hirn, die als elektrischer Isolator wirkt. In der Folge muss häufig mit hohen Intensitäten stimuliert werden [14]. Dies wiederum kann zu ausgeprägten Patientenbewegungen führen, da die Muskulatur (z. B. Platysma und Kopf-/Nackenmuskulatur) aktiviert wird. Eine mikrochirurgische Präparation am N. facialis, v. a. wenn sich dieser massiv durch Tumor bedrängt zeigt, ist unter solchen Bedingungen erschwert. Wenn das Verfahren nur bei unterbrochener Präparation genutzt wird, um die funktionelle Integrität des N. facialis zu prüfen, spielt das natürlich kaum eine Rolle. Ein eigentliches Monitoring stellt diese Herangehensweise dann aber nicht dar.

Die bislang genannten Probleme führen in letzter Konsequenz dazu, dass bei einem Teil der Patienten das MEP-Monitoring des N. facialis technisch nicht durchführbar ist. So wird in einer Arbeit berichtet, dass bei 11 von 68 Patienten (16,2 %) keine verwertbaren MEP ableitbar waren [15]. Bei weiteren 14 (!) Patienten konnten die MEP nicht sinnvoll bis zum Ende des Eingriffs gemessen werden. Man darf annehmen, dass der Grund hierfür in zumindest einigen Fällen Patientenbewegungen gewesen sein dürften; die konkreten Gründe für die Ausfälle werden in der Publikation nicht erläutert. Auch einer weiteren, häufig zitierten Arbeit zu Fazialis-MEP ist zu entnehmen, dass in 8,6 % der Fälle bereits initial keine MEP ableitbar waren und dass bei weiteren 9,4 % der Patienten mit grundsätzlich ableitbaren MEP aufgrund von Direktantworten das Monitoring abgebrochen werden musste [5]. Daraus ergab sich eine „Ausfallquote“ dieses Monitorings von insgesamt 18 %.

Doch auch wenn korrekt abgeleitete Fazialis-MEP in einem gegebenen Fall technisch möglich sind und die Bewegungseffekte sich unter Quasi-Echtzeitbedingungen in einem vertretbaren Rahmen bewegen, haftet an Fazialis-MEP der gleiche Makel wie an der Beurteilung der Direktstimulation: Falsch-positive Befunde spielen eine große Rolle, sodass der positiv prädiktive Wert unbefriedigend niedrig ausfällt. Bei jeweils ausschließlicher Berücksichtigung von Vestibularisschwannomen errechnet man diesen Wert für die Fazialis-MEP anhand publizierter Daten verschiedener Gruppen im Bereich zwischen 53 und 61 % [1, 5, 7, 15]. Auch hier ist also fast jeder zweite Alarm ein falscher Alarm.

Freilaufendes EMG

Von den zuvor beschriebenen Techniken unterscheidet sich das freilaufende EMG v. a. dahingehend, dass es sich nicht um ein evoziertes Signal handelt. Stattdessen wird mit unterschiedlicher Kanalzahl und Elektrodenmontage [6, 9, 10, 16, 27] das „rohe“ EMG beobachtet und die „spontane“ Aktivität beurteilt. Die Beobachtung erfolgt entweder rein akustisch über einen Lautsprecher (was durch den Operateur selbst erfolgen kann) und/oder visuell auf einem Bildschirm (Abb. 3), welcher die EMG-Kanäle in Echtzeit darstellt und der von einem Assistenten abgelesen werden muss.

Die Abb. 3 zeigt ein frei laufendes Fazialis-EMG. In den Kanälen 4–6, welche den M. nasalis überwachen, ist ein hochamplitudiger Burst sichtbar, der eine „harmlose“ Kontaktaktivität darstellt. Die Kanäle 7 und 8 (sowie in sehr geringer Amplitude 9) zeigen einen kurzen, hochfrequenten A‑Train, der in der Echtzeitsituation des Monitorings leicht übersehen werden kann.

Abb. 3
figure 3

Darstellung eines 2 s breiten Bildschirmausschnitts des in 9 Kanälen gemessenen, frei laufenden Fazialis-EMG. Erläuterung s. Text

Dabei ist das spontane EMG des narkotisierten Patienten zunächst einmal, vom unvermeidlichen Grundrauschen abgesehen, ein Nulllinien-EMG [20, 21, 30]. Wenn hingegen beim narkotisierten Patienten Aktivität stattfindet, dann liegt dieser praktisch immer eine Manipulation der entsprechenden neuralen Strukturen zugrunde [30]. Streng genommen liegt also ein „chirurgisch evoziertes“ Potenzial vor.

Initial entstand eine große Menge schwer vergleichbarer Nomenklaturen hinsichtlich dieser Aktivitätsmuster [6, 9, 20, 21]. Erst nach detaillierter visueller Analyse komplett aufgezeichneter Datensätze gelang eine Einteilung, welche phasische Kontaktaktivität („Spikes“ und „Bursts“) von für Sekunden bis Minuten (im Einzelfall gar Stunden!) weiter laufenden Mustern, den „Trains“ unterschied [30]. Besondere Bedeutung wurde hierbei dem „A-Train“ beigemessen. Dieser stand als einziges Muster immer in einem direkten Zusammenhang mit einer Manipulation des N. facialis. Überdies korrelierte sein Auftreten mit der Inzidenz einer postoperativen Fazialisparese, was ihn von jedem anderen beobachteten Muster unterschied. A‑Trains seien dabei vergleichsweise niederamplitudige (meist <250 µV) und hochfrequente (60–210 Hz), monotone und teilweise mehrere Sekunden andauernde Muster von charakteristischer Morphologie [30].

Für ein Mapping (Ziel I) ist das freilaufende EMG ungeeignet

Das freilaufende EMG kann somit Ziel II erreichen: A‑Trains können in Echtzeit an ihrem charakteristischen Aussehen bzw. Lautsprechergeräusch erkannt werden und zeigen mutmaßlich eine aktuell stattfindende, potenzielle Schädigung an. Der Operateur wird in die Lage versetzt, sofort reagieren und ggf. seine Präparation anpassen zu können.

Für ein Mapping (Ziel I) ist das freilaufende EMG ungeeignet. Die EMG-Montage ist jedoch mit derjenigen für die elektrische Direktstimulation identisch, sodass meist beide Methoden simultan zur Verfügung stehen.

Ziel III besteht in der intraoperativen Prognostik. Diese ist nur mit Einschränkungen möglich. Romstöck et al. beschrieben zwar eine Tendenz zu schwereren postoperativen Paresen bei Patienten mit einer größeren Zahl von A‑Trains, konnten aber – möglicherweise methodisch bedingt – keinen statistisch signifikanten Zusammenhang finden [30].

Prozessiertes EMG

Wie unter Abschnitt „Freilaufendes EMG“ ausgeführt ist eines der wesentlichen Probleme des freilaufenden EMG die schiere Datenmenge. Häufig wird ein Multikanal-EMG gemessen. Um differenzierte Aussagen hinsichtlich der Signalqualität (A-Trains?) zu ermöglichen, muss dies auch in einer vergleichsweise hohen zeitlichen Auflösung geschehen, sodass eine „Bildschirmbreite“ allenfalls einem Zeitintervall von wenigen Sekunden entsprechen kann. Viel Zeit bleibt für die Beurteilung also nicht.

Aus diesen Limitationen ergibt sich der Wunsch nach einer automatisierten Analyse des freilaufenden EMG, wobei möglichst die relevante Aktivität, nämlich die A‑Trains, erfasst, vom übrigen Signal getrennt und quantifiziert werden sollten.

Vorerfahrungen in der automatisierten Biosignalanalyse existieren hauptsächlich im Bereich der EEG-Analyse. Nach der Art des zu untersuchenden Signals unterscheiden sich EMG und EEG zwar stark; Überschneidungen zwischen beiden Welten gibt es aber beispielsweise in der Spike-Suche in der Epileptologie [8]: Spikes sind wie A‑Trains klar umschriebene, diskrete Ereignisse.

Unter Bezugnahme auf diese Techniken aus der Biosignalanalyse des EEG wurde nach 2000 ein spezieller Algorithmus entwickelt, der die unter bestimmten Kriterien (Frequenz, Rhythmus) aus „Spikes“ zusammengesetzten A‑Trains automatisiert identifizieren kann [23]. Dieses System wurde in der Folge für die Verwendung im OP unter Echtzeitbedingungen angepasst [22]. Das so entstandene „prozessierte EMG des N. facialis“ ist aktuell lediglich als Prototyp erhältlich und noch nicht frei auf dem Markt verfügbar.

Unter Anwendung dieses Systems wurde mehrfach eine klare Korrelation zwischen der Quantität von A‑Trains, bezeichnet als „traintime“ oder „Trainzeit“, und dem postoperativen funktionellen Ergebnis gezeigt [2224]. Dieser Zusammenhang wird umso klarer, je mehr EMG-Kanäle in die Analyse eingehen und je größer und repräsentativer dementsprechend die Stichprobe des EMG wird [29]. Auf der Basis dieses Zusammenhangs wird intraoperativ die Quantität der A‑Trains nicht nur mit einer Zahl, sondern anhand eines intuitiven „Ampeldiagramms“ angezeigt (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Screenshot des prozessierten EMG mittels „Ampel“. Rechts Rohsignal (9-kanaliges Fazialis-EMG) mit A‑Trains verschiedener Amplituden in den Kanälen 1–3 sowie 5 + 6 . Links quantifizierter Trainzeit-Wert von 0,78 („gelb“) als aktuelles Monitoringergebnis

Die visuell postoperativ quasi „händisch“ errechnete Trainzeit korrelierte hoch signifikant mit der automatisiert erfassten Trainzeit der „Ampel“, wobei beide Maßzahlen in gleicher Weise geeignet waren, Aufschluss hinsichtlich der postoperativen Fazialisparese zu gewinnen [24].

Während die Korrelation zwischen Trainzeit und dem postoperativen funktionellen Ergebnis für die Gesamtheit der Patienten statistisch hoch signifikant imponierte, fanden sich Schwächen in der Prognostik des Einzelfalls. Zwar kann ausgesagt werden, dass die Abwesenheit von A‑Trains praktisch immer mit einem sehr guten postoperativen Ergebnis vergesellschaftet ist. Sobald aber A‑Trains auftreten, besteht grundsätzlich ein Risiko für auch schwere postoperative Defizite, wobei dieses Risiko mit steigender Menge von A‑Trains, also mit der Trainzeit, kontinuierlich ansteigt [24]. Die „Ampel“ besitzt also nicht nur eine klare Grün- und Rotphase, sondern auch eine lange Gelbphase mit langsam steigendem Risiko für eine postoperative Verschlechterung. Ignoriert man diesen kontinuierlichen Verlauf und berechnet anhand der publizierten Daten für die Ampel mittels fester Grenzwerte [22, 23] den positiven prädiktiven Wert der Methode wie unter Abschnitt „Elektrische Direktstimulation“ und „Motorisch evozierte Potenziale“, so ergibt sich ein Wert von 64 %. Dies liegt in einem ähnlichen Bereich wie entsprechende Werte für das Fazialis-MEP und auch die Direktstimulation.

Auch der N. intermedius führt motorische Fasern und innerviert Teile der Gesichtsmuskulatur

Hauptursache sind falsch-positive Fälle; diese Patienten weisen eine gute Fazialisfunktion, gemessen an ihrer Trainzeit, auf. Eine erste Hypothese zur Erklärung dieser Fälle nimmt Bezug auf den teilweise ungewöhnlichen anatomischen Verlauf des N. facialis [34]. So stellte sich heraus, dass Patienten, bei denen intraoperativ der N. intermedius als eigenständig im Situs verlaufender Nerv identifiziert wurde, zusätzliche A‑Trains auftreten, die keine funktionelle Verschlechterung nach sich ziehen [25]; anatomische Studien ergaben, dass der N. intermedius entgegen der etablierten Lehrbuchmeinung auch motorische Fasern führt, welche Teile der Gesichtsmuskulatur innervieren [2]. Werden die Patienten mit einem solchen eigens laufenden N. intermedius nun aus der Statistik herausgenommen, so verbessert sich die Korrelation zwischen A‑Trains und postoperativer Klinik signifikant [25]. Vermutet wird, dass die motorischen Fasern in diesem Nerv bei der Operation manipuliert werden und dabei A‑Trains erzeugen, die sich gewissermaßen als „laute Minderheit“ gebärden und irrtümlich eintretende Schäden anzeigen. Weitere Studien werden zeigen müssen, ob diese Hypothese sich so bestätigen lässt.

Verlässlichkeit der Funktionsüberwachung

Wie beschrieben, verfolgt die intraoperative Funktionsüberwachung des N. facialis 3 Ziele.

Ziel I (Auffinden und Verfolgen des Nervs) ist für eine sichere Operation von großer Bedeutung und nur mit der elektrischen Direktstimulation zu verwirklichen.

Ziel II (Anzeige einer potenziellen Schädigung) erfordert Echtzeitfähigkeit und kontinuierliche Verfügbarkeit der Methode. Diese Eigenschaften besitzen in erster Linie das freilaufende EMG und das prozessierte EMG. Der Umstand, dass die Menge von A‑Train-Aktivität in sämtlichen publizierten Serien klar mit dem postoperativen funktionellen Ergebnis korreliert ist, erlaubt den Rückschluss, dass es sich bei A‑Trains um ein schadenanzeigendes Muster handelt. Wenn A‑Trains auftreten, kann ein sofortiges Feedback an den Operateur gegeben werden, der das Monitoringereignis in Bezug zu einzelnen operativen Schritten und Manövern setzen und diese im weiteren Verlauf meiden kann.

Ziel I ist nur mit der elektrischen Direktstimulation zu verwirklichen

Die elektrische Direktstimulation kann das Ziel II nicht erreichen. Das Fazialis-MEP hingegen kann grundsätzlich so betrieben werden, dass es nahezu echtzeitfähig wird. Problematisch sind die technischen Randbedingungen; hervorzuheben sind hier Patientenbewegungen und jene Fälle, in denen gar keine Fazialis-MEP erhältlich sind. Hauptvorteil der Fazialis-MEP, v. a. gegenüber dem prozessierten EMG, ist der Umstand, dass es kommerziell über zahlreiche Anbieter verfügbar ist, was auf das prozessierte EMG noch nicht zutrifft.

Um das Ziel II erreichen zu können, sollte nach Auffassung der Autoren mindestens eine der ausgeführten Methoden (freilaufendes EMG, prozessiertes EMG oder Fazialis-MEP) vorhanden sein.

Ziel III (Prognostik) kann aktuell von keiner der zur Verfügung stehenden Methoden wirklich zufriedenstellend erreicht werden. Immerhin kann ausgesagt werden, dass alle Methoden nur sehr geringe Falsch-negativ-Quoten aufweisen. Somit wird ein Patient mit unauffälligem Monitoringverlauf fast immer eine gute postoperative Fazialisfunktion aufweisen. Im Alarmfall bewegt man sich bei positiv prädiktiven Werten von 46–64 % aber quasi im Bereich des Münzwurfs. Ein funktionelles Defizit ist dann möglich, aber nicht sicher. Für die Überwachung des freilaufenden EMG und das prozessierte EMG gilt immerhin nachweislich [24], dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Defizits mit steigender Anzahl beobachteter A‑Trains zunimmt; bei sehr großer A‑Train-Quantität steigt diese Wahrscheinlichkeit dann allmählich zur Beinahe-Sicherheit.

Um bei der Ampelallegorie zu bleiben: Bei Grün kann klar weiter gefahren werden, bei Rot nicht. In der langen Gelbphase allerdings liegt es allein in der Verantwortung desjenigen, der am Steuer sitzt, ob er die Fahrt fortsetzt, Gas gibt oder bremst. Die Verantwortung hierfür kann nicht auf das Monitoringteam delegiert werden. Entsprechende Entscheidungen bleiben vielmehr in der Verantwortung des Chirurgen und müssen stets die individuelle Situation des Patienten und alle Rahmenbedingungen mit einbeziehen.

Anwendungsbeispiel

Der folgende Abschnitt stellt die Abläufe des maximalen intraoperativen Monitorings des N. facialis dar, wie sie in der Einrichtung der Autoren bei Operationen an Vestibularisschwannomen üblich sind. Dabei werden sämtliche Methoden eingesetzt, die aktuell zur Verfügung stehen (Tab. 1).

Maximales intraoperatives neurophysiologisches Monitoring ist die Anwendung sämtlicher Modalitäten

In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass keinerlei national oder international definierte Standards über Art und Umfang eines Monitorings bei der operativen Behandlung von Vestibularisschwannomen existieren.

Tab. 1 Übersicht über die vorhandenen Monitoringverfahren mit ihren Vor- und Nachteilen

Aufbau

Die Mm. orbicularis oculi et oris sowie die paranasale Muskulatur werden jeweils mit 4 parallel im Abstand von etwa 4 mm eingestochenen und überlappend verschalteten Nadelelektroden versehen. Es resultieren pro Muskel(gruppe) jeweils 3 EMG-Kanäle.

Diese werden in Echtzeit mit einer Zeitachse von 2,5 s auf einem Bildschirm dargestellt und von einer medizinisch-technischen Assistentin (MTA) beurteilt. Jeweils ein Kanal des M. orbicularis oris und M. obicularis oculi wird zusätzlich akustisch in Echtzeit dargestellt. Parallel erfolgt im Hintergrund eine automatisierte Prozessierung des EMG und Darstellung der Trainzeit (Abb. 4).

Für das Monitoring der Fazialis-MEP werden Korkenzieherelektroden kontralateral zur operierten Seite an C3 (C4) sowie an Cz (internationales 10/20-System) eingebracht. Die Stimulation erfolgt mit konstanter Spannung bis maximal 400 V; für das Monitoring wird dann mit motorischer Schwelle von +20 % bei einer Reizfolgefrequenz von 0,5 Hz stimuliert. Verwendet wird eine Stimulation mit Train of Five mit 500 µs Pulsbreite und 500 Hz innerhalb des Stimulus. Abgeleitet wird über Brückenschaltungen von jeweils einem Kanal der Mm. orbicularis oculi und oris; zusätzlich erfolgt eine Kontrolle über ein Elektrodenpaar im Thenar kontralateral. Nach Aufbau des Set-up wird eine periphere Reizantwort mittels Einzelreiz und anhand der gemessenen Latenzen ausgeschlossen. Das Monitoring erfolgt v. a. über die Amplituden der Fazialis-MEP; eine reproduzierbare Amplitudenminderung um >50 % gegenüber Ausgangswert gilt als Warnkriterium.

Für die Direktstimulation des N. facialis wird eine bipolare Stimulation mit konzentrischer Stimulationselektrode an einem Handstimulator verwendet. Fixiert sind die Breite des Rechteckpulses (50 µs) sowie die Stimulationsfrequenz (30 Hz). Es wird konstante Stromstärke verwendet. Für das Mapping des Operationssitus wird initial eine Stromstärke von 0,1 mA eingestellt; nach erfolgreicher Identifikation des Nervs wird auf 0,05 mA reduziert, um möglichst selektiv zu sein und keine Schädigung des Nervs über die applizierte Ladungsdichte zu riskieren. Der Stimulationserfolg wird im freilaufenden EMG (akustisch und visuell) dargestellt; auf Zuruf kann durch die MTA eine exakte Messung der Amplitude erfolgen.

Intraoperatives Monitoring

Die durchgehende Verwendung von Fazialis-MEP ist davon abhängig, wie stark die durch die Stimulationen verursachte Patientenbewegung ausfällt. Sollte diese die Präparation beeinträchtigen, werden MEP nur punktuell und auf Zuruf gemessen.

Als Ausgangswert (Baseline) für die Fazialis-MEP werden die Stimulationserfolge nach Duraeröffnung und Ablassen von Liquor aus der Cisterna magna verwendet.

Vor scharfer Eröffnung der Tumorkapsel und Beginn der Volumenverkleinerung mit dem CUSA erfolgt stets ein Mapping der gesamten sichtbaren Tumoroberfläche mit dem Handstimulator bei 0,1 mA, um einen atypischen Verlauf des Nervs auszuschließen. Im Rahmen der Präparation der Tumorkapsel wird immer wieder zum Stimulator gewechselt, um den Nerv rechtzeitig zu identifizieren. Angesichts der anatomischen Position eines erfolgreich stimulierten Nervs und der Kanäle, in denen sich eine Stimulationsantwort zeigt, wird überdies zwischen dem eigentlichen N. facialis und dem N. intermedius differenziert.

Sobald es entweder zu A‑Trains kommt oder die Fazialis-MEP eine eindeutige Amplitudenminderung zeigen, wird die Präparation sofort unterbrochen und nach Ursachen geforscht. Reaktionen auf solche „Monitoringereignisse“ können Präparationspausen, Spülung mit isotoner Lösung, Spülung mit Nimodipin, Auflegen von nimodipingetränktem Gelita (blutstillender Gelatineschwamm) oder eine Änderung des Präparationswinkels und/oder -orts sein.

In kritischen Phasen der Präparation werden immer wieder die prinzipielle proximale Stimulierbarkeit des N. facialis kontrolliert sowie sein Verlauf im Operationssitus mittels direkter Stimulation nachvollzogen.

Falls die „Ampel“ des prozessierten EMG den roten Bereich erreicht oder die Fazialis-MEP auf <50 % des Ausgangswerts abfallen, wird unter Berücksichtigung von Patientenalter und im Vorfeld mit dem Patienten besprochenen Erwartungen sowie unter Abwägung einer möglichen Intermediusbeteiligung an der Genese der A‑Trains über eine Fortführung der Präparation oder einen Abbruch der Operation entschieden.

Fazit für die Praxis

  • Für die intraoperative Funktionsüberwachung des N. facialis stehen 4 Methoden zur Verfügung:

    • elektrische Direktstimulation,

    • Beurteilung des freilaufenden Elektromyogramms (EMG),

    • motorisch evozierte Potenziale (MEP) des N. facialis,

    • prozessiertes Elektromyogramm (EMG).

  • Ein Mapping, also Auffinden und Verfolgen des N. facialis, ist ausschließlich mit der elektrischen Direktstimulation möglich.

  • Potenziell schädliche Ereignisse können am besten mit echtzeitfähigen Methoden angezeigt werden, z. B.mit freilaufendem sowie prozessiertem EMG; mit Abstrichen können auch die MEP nahezu echtzeitfähig werden.

  • Ein System, das eine sichere intraoperative Prognostik erlaubt, existiert derzeit nicht.

  • Bei allen verfügbaren Modalitäten sind falsch-negative Ergebnisse (kein Alarm, schwere Parese) sehr selten.

  • Falsch-positive Ergebnisse (Alarm ausgelöst, aber keine schwere Parese) kommen aus unbekannten Gründen mit allen verfügbaren Methoden häufig vor.