Hintergrund und Fragestellung

Das moderne Verständnis des vestibulären Systems lässt keinen Zweifel daran, dass für eine suffiziente Kopf-Körper-Koordination neben der rein intrakraniell-vestibulären Sensorik auch eine extrakraniell-vestibuläre Sensorik für die Orientierung im Raum erforderlich ist.

Die noch offenen Fragen lauten, von wo, wann und wie die extrakraniell-vestibulären Lage- und Beschleunigungssensoren des Rumpfs in ein funktionierendes vestibuläres System mit einbezogen werden.

Eine der wegweisendsten Arbeiten der letzten Zeit wird hierzu aus der Arbeitsgruppe um C. Cullen im Jahr 2012 publiziert [9]. Ihre Forschungsergebnisse an wachen und beidseits labyrinthektomierten Affen zeigen eindeutig, dass extrakranielle Afferenzen der subokzipitalen Propriozeption für die vestibuläre Kompensation der Blickfeldstabilisierung verantwortlich sind. Aufgrund ihrer Ergebnisse kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die subokzipitale Propriozeption als neurovestibuläre Rezeptorsubstitution für das gesamtvestibuläre System zur Verfügung steht.

Sollte dieser Kompensationsmechanismus tatsächlich dem Prinzip einer Rezeptorsubstitution entsprechen, dann kann geschlussfolgert werden, dass in anderen Anforderungssituationen zumindest die grundsätzliche Möglichkeit besteht, extrakraniell-vestibuläre Sensorik auch in physiologische vestibuläre Prozesse zu substituieren. Aspekten der intra- und extrakraniell-vestibulären Rezeptorsubstitution widmet sich die folgende Arbeit.

Betrachtet man modellhaft als einfachste Anforderung der Kopf-Körper-Koordination das Gangbild des Menschen, so ist festzustellen, dass eine enge Verflechtung der intrakraniellen vestibulären Sensorik mit der subokzipitalen Muskulatur der Kopfgelenke vorliegen muss.

Wir haben hierzu Messungen mittels einer mobilen Sensoreinheit der Fa. Bonsai-Systems (c/o ETH Zürich, Zürich, Schweiz) durchgeführt. Dieser kleine und leichtgewichtige Sensor kann an der Stirn eines Patienten befestigt werden (Abb. 1). Diese Miniatursensorik ermöglicht erstmals, in einem transportablen System Winkelbeziehungen und Beschleunigungen der Kopf-Körper-Koordination in Echtzeit graphisch darzustellen und aufzuzeichnen.

Abb. 1
figure 1

Die mobile Sensoreinheit der Fa. Bonsai-Systems (www.bonsai-systems.com)

Die Abb. 2 zeigt eine exemplarische Messung eines Probanden, in der wir dokumentieren können, dass der Kopf beim Schreiten eine Ante- und Retroflexionsbewegung in Abhängigkeit von der Schrittfolge macht. Wir wissen aber auch, dass beim gesunden vestibulären System während des Schreitens ein stabiles Blickfeld vorherrscht. Hierzu müssen kompensatorische Augenrollbewegungen, vermutlich über das vertikale vestibulookuläre System, gegenläufig zur Kopfbewegung erfolgen. Da die okuläre Amplitude nicht beliebig ausfallen kann, muss die Nickbewegung minimiert und optimiert sein. Hier könnte vermutet werden, dass vestibulozervikale Verbindungen die Aufgabe haben, negative wie positive Kopfbeschleunigungen zu dämpfen.

Abb. 2
figure 2

Exemplarische Messung eines Probanden, Dokumentation der Ante- und Retroflexionsbewegung des Kopfs beim Schreiten in Abhängigkeit von der Schrittfolge

Zusammenfassend kann gesagt werden:

Eine gelungene Kopf-Körper-Koordination in der Kopf-Nick-Achse ist dann gegeben, wenn nur minimale Vertikalkorrekturen (!) des Auges für ein stabiles Blickfeld erforderlich sind.

Daraus ergibt sich als Zielfragestellung, ob ein zugehöriger Vertikalnystagmus (zervikotoner Provokationsnystagmus, ZPN) als okulärer Untersuchungsparameter der zervikovestibulären Afferenzen durch unterschiedliche Ante- bzw. Retroflexionspositionen in der Kopf-Körper-Flexion zu erfassen ist.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Um diese Fragestellung richtig beurteilen zu können, sollten, angelehnt an den positiven wie negativen Nickvorgang des Kopfs beim Gehen, die zervikovestibulären Afferenzen in zwei methodischen Annäherungen untersucht werden. Von Interesse waren der Einfluss der Schwerkraft und das Alter auf unseren Zielparameter. Methode 1 wird im Folgenden als Kopfexkursionstest (KET) bezeichnet. Die Untersuchung erfolgte durch passive Auslenkung des Kopfs (Punctum mobile) in Ante- und Retroflexion. Diese Haltepositionen entsprechen grundsätzlich Momentaufnahmen der Nickbewegung. Für die Durchführung benötigte man lediglich einen Hocker. Der Test hat den Vorteil, dass er klinisch einfach durchzuführen wäre. In seinem vestibulären Ansprechverhalten entspricht der KET grundsätzlich einer alltäglichen vestibulären Rezeptorsubstitution, denn intra- wie extrakranielle Vestibularissensoren werden gleichermaßen angesprochen.

Abweichend davon untersucht Methode 2 den Zielparameter nur durch Rumpfexkursionen in gleichen kraniozervikalen Winkeln bei apparativ fixierter Kopf-Null-Position. Diese Testsituation entspricht keiner Alltagssituation, ist aber hoch selektiv für die extrakranielle Rezeptorsituation und wird im Folgenden Rumpfexkursionstest (RET) genannt. Dafür musste eine spezielle Stuhlkonstruktion gebaut werden. Der Rumpfexkursionsstuhl wurde nach dem Pendelprinzip in das metallische Rahmengerüst integriert. Durch das manuelle Betätigen der Schneckenwinde wurde der Stuhl auf einer Schiene bis zu maximal 40° in die Ante- und Retroflexionsposition des Rumpfs gebracht (Abb. 3). In den Hartschalensitz wurde ein 4‑Punkt-Gurt integriert. Diese Methode empfindet den Nickwinkel des kraniozervikalen Winkels nach und hat den Vorteil, dass ein selektives Ansprechen der zervikovestibulären Sensoren sichergestellt werden kann.

Abb. 3
figure 3

Darstellung des Rumpfexkursionsstuhls in Nullposition sowie hellgrau Ante- und Retroflexion

Der Methodenvergleich sollte herausarbeiten, ob tonische zervikookuläre Reaktionen im KET ausreichend exakt auf zervikovestibuläre Sensoren zurückgeführt werden können. Das Videookulographiesystem (3D-VOG) der Fa. SMI (Teltow, Deutschland) diente der Aufzeichnung dreidimensionaler Nystagmusreaktionen. Während der tonisch gehaltenen Position wurden die Augenbewegungen über 90 s aufgezeichnet.

Wir untersuchten randomisiert 100 vestibulär gesunde Probanden in 2 Gruppen. Die beiden Probandengruppen wurden nach Alter und Geschlecht gematcht (Tab. 1). Der Altersmedian der Gesamtstichprobe betrug 39 Jahre und wurde willkürlich gesetzt. Für die Probanden zwischen dem 18. und 39. Lebensjahr (Median Md =25,50) wählten wir die Gruppenbezeichnung Gruppe26. Die Probanden zwischen dem 40. und 66. Lebensjahr (Md =49,50) wurden nachfolgend als Gruppe50 bezeichnet. Die anhand des Anamnesegesprächs, des Dizziness Handicap Inventory (DHI), der manualmedizinischen Untersuchung der Halswirbelsäule und der Gleichgewichtsprüfungen für vestibulär gesund befundenen Probanden wurden in die Studie eingeschlossen. Ein Spontannystagmus (SPN) < 1 der Ruheposition wurde als Ausschlusskriterium gewertet.

Tab. 1 Darstellung der Häufigkeiten horizontaler und vertikaler (Upbeat- und Downbeat-) Nystagmen in den verschiedenen zervikalen Provokationspositionen mit der KET

Die statistischen Analysen der gewonnenen Ergebnisse wurden mithilfe der Software SPSS (Version 15.0, Chicago/IL) generiert. Lagen Normalverteilung und metrische Daten vor wurde der t‑Test angewendet und der Mittelwert („mean”) sowie die Standardabweichung (SD) beschrieben. Bei nicht normalverteilten Parametern sowie ordinalskalierten Daten wurden die parameterfreien Signifikanztests Wilcoxon-Rangsummentest und U‑Test nach Mann-Whitney verwendet. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgte in Form von Tabellen und Box-Whisker-Plots. Die Box-Whisker-Plots wurden mit dem Programm GraphPad Prism erstellt.

Ergebnisse

Der direkte Methodenvergleich der Flexion

In Flexionshaltung unterschieden sich die Nystagmen signifikant zwischen den Methoden (p < 0,001). In dem KET war bei 27 von 100 Probanden ein deutlich höherer Nystagmusscore als im RET zu verzeichnen (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Darstellung des Methodenvergleichs. Methodenvergleich im Sinne des Differenzvergleichs der Provokationsnystagmen im KET (Punctum mobile: Kopf) und im RET (Punctum mobile: Rumpf), mithilfe des Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben durchgeführt; Ergebniserfassung gemäß dem Auswertungsmodell anhand des Nystagmusscores: Maximal war je Proband und je Nystagmusdimension (horizontal und vertikal) ein Score für Flexion von je 6 Punkten zu erreichen; enthalten in diesem Score sind alle Probanden (n =100). (HN Horizontalnystagmus, VN Vertikalnystagmus, Flexion Summe der Ante- und Retroflexion, * p ≤ 0,001)

Für den vertikalen Provokationsnystagmus zeigte sich ein ähnliches Bild: In der Flexion war der Unterschied mit 43 % besonders stark ausgeprägt (p < 0,001; Abb. 4).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die gemessenen Parameter bezogen auf die Methoden einen statistisch signifikanten Unterschied aufwiesen. Bei verändertem Schwerkraftvektor im KET war anhand der Scorepunkte eine signifikant stärkere Nystagmusmodulation zu beobachten als im RET.

Die Altersgruppen im Methodenvergleich

Der Methodenvergleich wurde ebenfalls nach den beiden Altersgruppen getrennt betrachtet. Es sollte beurteilt werden, ob eine der beiden Gruppen (Gruppe26; Gruppe50) maßgeblich an dem Methodenunterschied beteiligt war.

Die Flexion wies in der Gruppe26 keine signifikante Abweichung des Scores der Nystagmusaktivität (HN und VN) zwischen den Methoden auf (p =0,233). Dieses Phänomen ist durch eine hohe Zahl an Bindungen zu erklären (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Darstellung des Methodenvergleichs für Gruppe26. Methodenvergleich im Sinne des Differenzvergleichs der Provokationsnystagmen im KET (Punctum mobile: Kopf) und RET (Punctum mobile: Rumpf), mithilfe des Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben durchgeführt; Ergebniserfassung gemäß dem Auswertungsmodell anhand des Nystagmusscores: Maximal war je Proband und je Nystagmusdimension (horizontal und vertikal) ein Score für Flexion von je 6 Punkten zu erreichen; enthalten in diesem Score sind die Probanden der Gruppe26 (n =50). (Gruppe 26 18.–39. Lebensjahr, HN Horizontalnystagmus, VN Vertikalnystagmus, Flexion Summe der Ante- und Retroflexion, * p < 0,006)

In Gruppe50 ließ sich feststellen, dass die Flexion eine signifikante Provokationsmodulation ausmacht. Dies galt für die horizontale und die vertikale Nystagmusdimension.

Genauer betrachtet, bedeutet dies unter deskriptiven Gesichtspunkten eine Modulation des Horizontalnystagmusscores in der Flexion mit dem KET (durch Kopfauslenkung) in 34 % der Fälle (n =50) gegenüber dem RET (durch Rumpfauslenkung) bei gleichen Kopf-zu-Rumpf-Winkeln (p < 0,001; Abb. 6). Für den Vertikalnystagmus fand sich bei Gruppe50 in der Flexion 32 % (p < 0,001) eine stärkere Nystagmusaktivität im KET gegenüber dem RET (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Darstellung des Methodenvergleichs für Gruppe50. Methodenvergleich im Sinne des Differenzvergleichs der Provokationsnystagmen im KET (Punctum mobile: Kopf) und RET (Punctum mobile: Rumpf), mithilfe des Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben durchgeführt; Ergebniserfassung gemäß dem Auswertungsmodell anhand des Nystagmusscores: Maximal war je Proband und je Nystagmusdimension (horizontal und vertikal) ein Score für Flexion von je 6 Punkten zu erreichen; enthalten in diesem Score sind die Probanden der Gruppe50 (n =50). (Gruppe 50 40.–66. Lebensjahr, HN Horizontalnystagmus, VN Vertikalnystagmus, Flexion Summe der Ante- und Retroflexion, * p < 0,001)

Für die Probanden der Gruppe50 konnten im Vergleich zu jenen der Gruppe26 weniger Bindungen der Nystagmusaktivität im Vergleich der beiden Methoden identifiziert werden. Folglich schien der Nystagmus im alten Kollektiv leichter durch eine Technik modulierbar, während die jungen Probanden in ihrem Ergebnis unverändert blieben.

Der Vertikalnystagmus

Gegenstand unserer Untersuchungen war ferner, ob ein Unterschied in der Häufigkeit des Auftretens einer Schlagrichtung, Upbeat- bzw. Downbeat-Nystagmus, innerhalb des Vertikalnystagmus zu verzeichnen war. Innerhalb des Vertikalnystagmus zeigte sich ein signifikant häufigeres Auftreten von Upbeat-Nystagmen (UBN) im Vergleich zu Downbeat-Nystagmen (DBN) in allen zervikalen Provokationspositionen des KET (p ≤ 0,001; Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Altersgruppenvergleich des UBN und DBN im KET. UBN und DBN im KET mit „Punctum mobile: Kopf“ im Altersgruppenvergleich (Gruppe26; Gruppe50), mit dem U‑Test nach Mann-Whitney für unverbundene Stichproben überprüft; Ergebniserfassung gemäß dem Auswertungsmodell anhand des Nystagmusscores: Maximal war je Proband und je Nystagmusdimension (DBN und UBN) ein Score für Flexion von je 6 Punkten zu erreichen. (Gruppe 26 18.–39. Lebensjahr, Gruppe 50 40.–66. Lebensjahr, Flexion Summe aus Ante- und Retroflexion, UBN Upbeat-Nystagmus, DBN Downbeat-Nystagmus, * Flexion DBN p < 0,001)

Insgesamt war der UBN häufiger als der DBN aufgetreten. Die beiden Alterskollektive unterschieden sich im KET durch Kopfauslenkung jedoch nur in der medianen Häufigkeit des Auftretens von Downbeat-Nystagmen (DBN). In Gruppe50 wurden signifikant mehr DBN als in Gruppe26 nachgewiesen.

Diskussion

Aus Sicht der Autoren erlaubt die in der Einleitung zitierte Arbeit von Cullen et al. erstmalig zu Recht zu behaupten, dass der labyrinthische Streit um die zervikovestibuläre Bedeutung unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zugunsten der zervikalen Befürworter beendet werden kann. Aus Sicht der Autoren gilt nun bis zum Beweis des Gegenteils als geklärt, dass das funktionierende vestibuläre System seine extrakraniell-vestibuläre Lage- und Beschleunigungssensorik des Rumpfs hauptsächlich von subokzipital, aus den Muskeln und Bändern der oberen Halswirbelsäule, rekrutiert. Die Autoren fassen diese Region aus Bändern, Muskeln, Wirbeln und neuronalen Strukturen begrifflich als vestibuläre Kopfgelenke zusammen. Damit werden die übrigen W-Fragen allerdings umso aktueller. Wann und wie werden diese Sensoren zum vestibulären Funktionserhalt gebraucht? Dazu brauchen wir neue Untersuchungsansätze, um eine vestibuläre Rezeptorsubstitution beurteilen zu können.

Wir haben vertikale Nystagmen in zwei unterschiedlichen methodischen Ansätzen (KET, RET) in ante- und retroflektierter Kopf-Hals-Halteposition über 90 s aufgezeichnet.

In dem Rumpfexkursionstest (RET) ist der Rumpf das Punctum mobile. Der Untersuchungsansatz entspricht nicht einer Alltagssituation und ist auch nicht im Rahmen der vestibulären Rezeptorsubstitution zu sehen, sondern ist unter vestibulären Gesichtspunkten als eine rein zervikale und schwerkraftunabhängige Provokationsmethode anzusehen. Im RET erfolgt eine Vertikalnystagmusaufzeichnung bei apparativ fixierter Kopf-Null-Position unter Ante- und Retroflexionspositionen von 40° des Rumpfs.

Es wird keine signifikante Nystagmusmodulation in Abhängigkeit von der Rumpfexkursion oder dem Alter gefunden (p > 0,233). Das heißt, unsere vestibulär und zervikal gesunden Probanden zeigen keine Pathologien in dem Rumpfexkursionstest (RET). Das ist nicht selbstverständlich, denn in der Gruppe50 ist eine altersbedingte Gelenkflächenveränderung der vestibulären Kopfgelenke zu erwarten. Die Auswirkungen in den zervikalen Untersuchungsparametern auf einen selektiv zervikal provozierenden Test sind nicht bekannt. Da die vestibulären Kopfgelenke zumindest palpatorisch als störungsfrei befundet wurden, kann es plausibel sein, dass im RET keine Parameteranstiege zu registrieren sind.

Anders im Kopfexkursionstest (KET). Hier besteht zum RET ein signifikanter Testunterschied (Abb. 4). Wurde der Kopf als Punctum mobile in Ante- und Retroflexion (Vektoränderung der Schwerkraft im Gleichgewichtsorgan) gegenüber dem statischen Rumpf auf Modulationen des Vertikalnystagmus untersucht, so konnte eine signifikante Steigerung der Vertikalnystagmusaktivität im Vergleich zur Baseline (SPN) im KET registriert werden.

In dem schwerkraftabhängigen KET zeigte zudem der Altersgruppenvergleich eine signifikante Steigerung der Vertikalnystagmen in der Gruppe50 (Abb. 6).

Statistisch formuliert heißt das, wir können nur im KET einen stark schwerkraft- und altersabhängig gebundenen Effekt beschreiben.

In Arbeiten von Fernandez et al. und Clarke et al. wird bestätigt, dass die Vektoränderung der Otolithen zur Schwerkraft bei gehaltener Kopfauslenkung einen konstanten Beschleunigungsreiz bedeutet [1, 2]. Pierrot-Deseilligny fand, dass bei Patienten mit zentralvestibulär ausgelösten Vertikalnystagmen durch Änderungen in der Schwerkraft in ihrer Aktivität beeinflusst werden können [8].

In Bezug auf den Alterseffekt stimmen unsere Befunde ebenfalls mit den Erkenntnissen von Ishiyama et al. überein. Die Autoren fanden, dass sich der Bestand an Zellen des Innenohrs mit der Zeit progressiv vermindert [5]. Schweigart et al. untersuchten, ob ein vestibuläres Defizit aufgrund von Alterungsprozessen durch die Propriozeptoren des Nackens auszugleichen sei und stellten fest, dass die Aufgaben ohne propriozeptive Informationen wesentlich schlechter gelöst werden konnten, als mit deren Hilfe [10]. Die Erkenntnisse von Schweigart et al. und Kelders et al. untermauern den Verlust vestibulärer Funktion im Alter [6, 10]. Auch scheint sich die Annahme einer höheren Störanfälligkeit auf die Reizung des peripheren Vestibularorgans, besonders der Otolithen, im älteren Probandenkollektiv zu bestätigen. Der Reaktionsunterschied zwischen den Altersgruppen könnte als eine gesteigerte Sensibilität gegenüber afferenten Reizeinströmen auf den Vestibulariskernkomplex und ein progredienter vestibulärer Funktionsverlust im Alter interpretiert werden [5].

Bei der Analyse der Vertikalnystagmen bestätigten sich Ergebnisse eigener Vorarbeiten, nämlich ein signifikant häufigeres Auftreten von Upbeat-Nystagmen (UBN) im Vergleich zu Downbeat-Nystagmen (DBN; p ≤ 0,001; [3, 4]; Tab. 2).

Tab. 2 Charakterisierung der Gesamtstichprobe und der Altersgruppen

Interessanterweise sehen wir einen Alterseffekt in der Vertikalnystagmusanalyse. Nur in Gruppe50 finden sich im KET signifikant mehr DBN (Abb. 7). Im Alter ist ein verstärktes Auftreten von idiopathischen DBN auch von Wagner et al. beschrieben worden [11]. Die Arbeitsgruppe von Marti et al. beschreibt, dass auch eine statische Kopfauslenkung einen DBN hervorrufen kann [7]. Dies wird von verschiedenen Autoren mit spinozerebellärer Degeneration, Multisystematrophie und degenerativen vaskulären Läsionen erklärt [5, 11].

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein DBN aufgrund seines alters- und schwerkraftabhängigen Effekts am ehesten als vestibulär-degeneratives Zeichen interpretiert werden könnte.

Wie der UBN im KET zu interpretieren ist, ist aufgrund der in der Einleitung dargelegten Grundannahme einer Rezeptorsubstitution zwischen dem Vestibularapparat und den vestibulären Kopfgelenken als schwierig einzustufen. Es wird klar, dass im KET während der 90-sekündigen Kopfflexionshaltung gleichermaßen zervikale wie vestibuläre Sensoren einen adäquaten Reiz für einen UBN erhalten haben. Analysiert man an dieser Stelle den UBN im Altersgruppenvergleich, so lässt sich zeigen, dass der UBN im KET eben keinen Altersunterschied aufweist. Wäre der signifikante UBN-Anstieg auf ein rein vestibuläres Geschehen zurückzuführen, dann wäre naturgemäß mit vestibulären Funktionseinschränkungen zu rechnen, für die es aber keinen Anhalt in den DHI-Scores gibt. Dass sich kein Altersunterschied in unseren UBN-Ableitungen zeigte, verlagert die Interpretation von dem eigentlich zu erwartenden Alterungsprozess – Degeneration von vestibulären Sensorzellverbänden des Vestibularapparats – auf den Abstimmungsprozess der Rezeptorsubstitution. Da der UBN nur in schwerkraftabhängiger Position signifikant auffindbar ist, in der die intra- und extrakraniellen Sensoren ineinandergreifen müssten, kann dies bei fehlender Blickfixierung und intakten Bewegungssegmenten als schwacher Hinweis eines Mismatches innerhalb der vestibulären Rezeptorsubstitution gewertet werden.

Fazit für die Praxis

Aufgrund der täglichen vertikalen Kopf-Körper-Bewegung unserer Patienten müssen wir mehr auf die vertikalen Nystagmen in der täglichen Praxis achten.