Bei der lokalen Therapie können im Vergleich zur systemischen Therapie höhere Wirkstoffspiegel im Innenohr erreicht werden. Denn dabei wird die Blut-Labyrinth-Schranke umgangen und ein systemischer enzymatischer Abbau oder eine Inaktivierung der Wirkstoffe vermieden. Weitere Vorteile der lokalen Therapie sind eine gezielte Ansteuerung des Innenohrs, eine Reduzierung von systemischen Nebenwirkungen und kleinere benötigte Wirkstoffmengen. Die gegenwärtig hauptsächlich eingesetzte lokale Therapieform ist die intratympanale Applikation, bei der die therapeutische Substanz durch das Trommelfell in das Mittelohr injiziert wird. Diese Methode basiert auf der Idee, dass die Wirkstoffe anschließend weiter die Rundfenstermembran und das Ringband im ovalen Fenster passieren können und in das Innenohr gelangen.

Indikationen

Hörsturz

Der Pathomechanismus des Hörsturzes ist unbekannt. Als mögliche Ursachen werden zum einen virale Infektionen und deren hervorgerufene Immunantworten, zum anderen Beeinträchtigungen in der Blutversorgung des Innenohrs und damit einhergehende Störungen der Homöostase vermutet [1]. Zur lokalen Therapie werden gegenwertig v. a. Glukokortikosteroide eingesetzt wie Dexamethason oder Methylprednisolon [2, 3]. Eine kürzlich erschienene Studie testete jedoch den Wachstumsfaktor IGF-1 zur Behandlung von resistentem Hörverlust [4].

Während die intratympanale Applikation von Glukokortikosteroiden bei primärer Therapie des Hörsturzes gegenüber denen der systemischen „niedrig“ dosierten Behandlung gleichwertig, also gleich wirksam oder gleich nicht wirksam, scheint, führt dagegen bei sekundärer Therapie (d. h. bei ungenügender Erholung des Hörverlusts nach erfolgter niedrig dosierter systemischer Therapie) die intratympanale Therapie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einer Hörschwellenverbesserung als eine Placebo- oder Nulltherapie [5, 6]. Über den Zeitpunkt der Reservetherapie sowie das geeignetste Medikament und Dosierungsschema können derzeit noch keine konkreten Empfehlungen gegeben werden, da die Zahl der Patienten in den einzelnen Studien zu gering, das „Bias“ z. T. hoch und die Therapieschemata uneinheitlich sind. Bei einer primären kombinierten intratympanalen und systemischen Therapie ist die Anzahl der Studien noch sehr gering und das „Bias“ in diesen Studien ist hoch.

M. Menière

Die Ursache des M. Menière ist nicht vollständig bekannt. Die Pathophysiologie ist jedoch eng mit einem endolymphatsichen Hydrops assoziiert [7]. Während zur Therapie der Schwindelsymptome eine intratympanale Applikation von Aminoglykosiden die gängige klinische Praxis darstellt [8], existieren auch klinische Studien, in denen mit Glukokortikosteroiden sowohl die Schwindelsymptomatik als auch ein assoziierter Hörverlust therapiert wird [9, 10].

Autoimmunbasierter Hörverlust

Ursächlich für den autoimmunbasierten Hörverlust werden Autoimmunantworten angenommen, die bis heute aber kaum verstanden sind. Als Therapie werden systemisch Kortikosteroide wie Prednison gegeben [11]. Als weitere mögliche Therapeutika werden lokal applizierte TNF-α-Inhibitoren oder monoklonale Antikörper gegen TNF-α gehandelt [12].

Ototoxizität

Therapien mit Aminoglykosiden, Cisplatin oder Bestrahlung des Kopf- und Nackenbereichs weisen als Nebenwirkung eine hohe Ototoxizität auf. Als Ursache wird die Einleitung von apoptotischen Prozessen in den Haarzellen vermutet, ausgelöst durch oxidativen Stress. Dieser wird verursacht durch eine Überlastung des natürlichen antioxidativen Systems, wenn eine hohe Anzahl an freien Radikalen gebildet wird [13, 14]. Im Fall der Bestrahlung sind ebenfalls die Spiralganglien und Zellen der Stria vascularis betroffen [15]. Zur Protektion der Haarzellen bei der Aminoglykosid- und Cisplatintherapie werden ebenfalls Glukokortikosteroide, aber auch Antioxidanzien und Apoptoseinhibitoren getestet [16, 17]. In tierexperimentellen Studien werden außerdem Platinbinder zur Reduzierung der Nebenwirkungen der Cisplatinbehandlung erprobt, welche ein geeigneter Kandidat für die lokale Therapie wären, um eine lokal begrenzte Aufhebung der Cisplatinwirkung im Innenohr zu erreichen [15].

Akutes akustisches Trauma

Die wesentlichen Pathomechanismen beim akuten akustischen Trauma sind oxidativer Stress und Exzitotoxizität. Als mögliche Therapeutika werden in tierexperimentellen Studien Glukokortikosteroide, Antioxidanzien, aber auch Wachstumsfaktoren und Apoptoseinhibitoren getestet [15]. Apoptoseinhibitoren wie AM-111, welche in tierexperimentellen Studien vielversprechende Ergebnisse erbracht haben, wurden bereits in klinischen Pilotstudien getestet [18]. Komplexe Moleküle wie AM-111 können aufgrund der Labyrinth-Blut-Schranke und des enzymatischen Abbaus systemisch nur sehr ineffizient verabreicht werden und sind daher ein idealer Kandidat für die lokale Therapie [15].

Cochleaimplantat

Die Eröffnung der Cochlea bei einer Cochleaimplantat(CI)-Operation ermöglicht die direkte Applikation von therapeutischen Substanzen wie Glukokortikosteroiden oder Wachstumsfaktoren in die Scala tympani. Ziel einer solchen Therapie ist es z. B., die hervorgerufene lokale Immunantwort im Innenohr durch das Operationstrauma zu unterdrücken, welche ein verstärktes Gewebewachstum induzieren kann und zu einer fibrösen oder knöchernen Einkapselung des Elektrodenträgers führt. Eine Erhöhung der Impedanz der Elektroden ist die Folge, was zu einem erhöhten Stromverbrauch des Implantats führt und den Grad der frequenzspezifischen Stimulation herabsetzt [19].

Zusätzliche Bedeutung bekommt die Therapie bei der Rehabilitation von Patienten, die noch ein Resthörvermögen im Tieffrequenzbereich besitzen und nur im Hochtonbereich mittels CI rehabilitiert werden sollen. Um die verbleibenden Haarzellen vor dem Operationstrauma und induzierter Immunantwort zu schützen, werden Glukokortikosteroide während der Operation entweder an das runde Fenster oder direkt in die Scala tympani appliziert [20].

LADME-Prinzip

Die in der Klinik verwendeten Applikationsprotokolle, Dosierungen und Applikationsformen sind fast ausschließlich empirisch gestützt. Das Verständnis der Pharmakokinetik im Innenohr ist bis heute begrenzt, jedoch für die Entwicklung einer rationalen Pharmakotherapie des Innenohrs bei lokaler Applikation essenziell. Das LADME-Prinzip („liberation, absorption, distribution, metabolism, elimination“: Freisetzung, Absorption, Verteilung, Metabolismus, Elimination) beschreibt die pharmakokinetischen Prozesse von systemisch applizierten Substanzen.

Es ist jedoch hilfreich, dieses Modell auf die lokale Therapie des Innenohrs zu übertragen, um die Prinzipen der Pharmakokinetik des Innenohrs zu beschreiben und die verschiedenen Applikationsformen zu vergleichen (Abb. 1). Bei der lokalen Medikamentengabe an das Innenohr mittels intratympanaler Applikation werden die Wirkstoffe im Mittelohr freigesetzt und hauptsächlich über die Rundfenstermembran absorbiert und ins Innenohr aufgenommen. Anschließend verteilen sich die Wirkstoffe in den Skalen der Cochlea und dem Gewebe, werden evtl. metabolisiert und schließlich wieder eliminiert, vorwiegend durch Diffusion in Blutgefäße und Zerebrospinalflüssigkeitsräume

Abb. 1
figure 1

LADME-Prinzip, übertragen auf die lokale Medikamentengabe an das Innenohr mittels intratympanaler Applikation. CSF Zerebrospinalflüssigkeitsräume, M Metabolismus. Erläuterung s. Text

Freisetzung

Freisetzung beschreibt die Abgabe der therapeutischen Substanz durch eine Trägersubstanz oder einen Applikator. Neben der einfachen intratympanalen Injektion einer Lösung in das Mittelohr kann das Medikament kontinuierlich über Kathetersysteme direkt an das runde Fenster appliziert werden. Oder die Substanz wird von im Mittelohr platzierten Trägersubstanzen, wie Hydrogele oder abbaubare Polymere, sukzessive abgegeben. Je nach Verwendung der verschiedenen Applikationsmethoden werden unterschiedliche Freisetzungskinetiken erreicht [21].

Absorption

Absorption beschreibt die Aufnahme der Medikamente aus dem Mittelohr in das Innenohr, wobei prinzipiell 3 Eintrittswege denkbar sind: die Rundfenstermembran, das ovale Fenster (Ringband und/oder Steigbügelfußplatte) und die knöcherne Kapsel der Cochlea. Die Rundfenstermembran kann von kleineren Molekülen wie Kortikosteroiden oder Aminoglykosiden passiert werden. Experimente zeigen allerdings, dass nur ein sehr kleiner Teil der im Kontakt zur Rundfenstermembran stehenden Substanzen diese auch tatsächlich überquert und in die Scala tympani gelangt. In tierexperimentellen Studien liegen die Maximalwerte zwischen 1,4 und 2,9 % der applizierten Konzentration für Glukokortikoide [22, 23]. Die in klinischen und tierexperimentellen Studien gefundene große Variabilität in den Wirkstoffspiegeln in der Perilymphe sind am ehesten auf Unterschiede in der Permeabilität der Rundfenstermembran, deren Ursache in einer Variabilität in der Dicke der Membran liegen könnte [22, 24], und auf unterschiedliche Eliminationshalbwertszeiten zurückzuführen. Von klinischer Bedeutung ist zudem, dass ungefähr bei einem Drittel der Bevölkerung die Rundfenstermembran mit falschen Membranen bedeckt ist, bei denen es sich entweder um Bindegewebe oder Fettgewebe handelt [15, 25]. Daher ist eine endoskopische oder mikroskopische Inspektion der Rundfenstermische der „blinden“ intratympanalen Injektion vorzuziehen [26].

Die Kontaktzeit des Wirkstoffs mit der Rundfenstermembran ist der wichtigste Faktor, welcher den Substanzdurchsatz bestimmt. Mit längeren Verweildauern können höhere Wirkstoffspiegel in der Cochlea und kleinere Varianzen in den Konzentrationen erreicht werden [22]. Wenn die applizierten Wirkstoffe mit dem ovalen Fenster in Kontakt stehen, können die Substanzen das Innenohr auch über dieses erreichen und direkt in die Scala vestibuli übertreten [27]. In tierexperimentellen Studien an Kleinsäugern konnte zudem ein Eintritt von intratympanal applizierten Substanzen über die knöcherne Hülle der Cochlea beobachtet werden. Jedoch ist anzunehmen, dass dieses aufgrund der massiveren knöchernen Hülle der Cochlea beim Menschen keine Rolle spielt [21].

Verteilung

Verteilung beschreibt die Mechanismen, mit denen sich die Wirkstoffe innerhalb der Cochlea in den einzelnen Skalen sowohl verteilen als auch zwischen ihnen wechseln und wie die Substanzen aus den flüssigkeitsgefüllten Bereichen in das umliegende Gewebe gelangen. Experimente zeigen, dass sich die Perilymphe nur sehr langsam von der Basis der Scala tympani über den Apex hin zur Basis der Scala vestibuli bewegt – mit Fließgeschwindigkeiten von wahrscheinlich weniger als 0,1 nl/min [28].

Substanzen, die über das runde Fenster in die Scala tympani eintreten, werden sich hauptsächlich per Diffusion in der Cochlea verteilen. Diffusion ist ein nichtlinearer Prozess, und die Wirkstoffe werden sich auf kurzer Distanz an der Basis der Cochlea schnell verteilen, aber würden lange benötigen (Stunden bis Tage), um die Regionen am Apex der Cochlea zu erreichen. Tatsächlich erreichen die Substanzen diese Regionen jedoch kaum, weil sie während der Diffusion entlang der Scala tympani fortwährend in das umliegende Gewebe diffundieren. Die Halbwertszeit von Dexamethason in der Scala tympani beträgt beispielsweise nur 22 min und ist damit kurz im Verhältnis der benötigten Diffusionszeit [28]. Daraus resultieren hohe Konzentrationsgradienten innerhalb der Cochlea, die in tierexperimentellen Studien an Kleinsäugern nachgewiesen werden konnten. Für Dexamethason wurde beispielsweise ein 1000-facher basal-apikaler Konzentrationsunterschied gemessen. Aufgrund der längeren Cochlea beim Menschen sind die Wirkstoffgradienten noch weitaus stärker ausgeprägt, weshalb sich eine Therapie der apikalen Regionen problematisch gestaltet [21].

Über die Erhöhung der basalen Konzentration durch längere Applikationszeiten kann bewirkt werden, dass die Wirkstoffgradienten in höhere Windungen der Cochlea hinein reichen. Eine weitere Möglichkeit, die Gradienten zu beeinflussen, besteht in der Verlängerung der Halbwertszeit der eingesetzten Substanz. Insbesondere für Medikamente mit einem engen therapeutischen Bereich stellen die Wirkstoffgradienten jedoch ein Problem dar.

Neben der longitudinalen und radialen [29] Verteilung können Wirkstoffe in der Scala tympani an der Basis über den Modiolus (über die Canaliculi perforantes) in den Rosenthal-Kanal gelangen und von dort aus das Corti-Organ und in einem geringeren Maße die Spiralganglien erreichen [30, 31].

Metabolismus

Metabolismus beschreibt die Konvertierung von applizierten Substanzen von einer Form in eine andere, z. B. eine Medikamentenvorstufe (Prodrug) in die biologisch aktive Substanz. Bezüglich des Metabolismus von applizierten Substanzen an das Innenohr liegen kaum Daten vor. Es ist gezeigt worden, dass bei Applikation von Dexamethasonphosphat dieses im Innenohr in die aktive Form Dexamethason gespalten wird [23, 32].

Elimination

Die Elimination spielt für die Wirkstoffverteilung in der Cochlea eine entscheidende Rolle. Sie beschreibt die Entfernung des aktiven Wirkstoffs aus dem Innenohr. Über die einzelnen Eliminationsvorgänge ist ebenfalls sehr wenig bekannt. Eine der Hauptfaktoren scheint jedoch die direkte oder indirekte Diffusion der Wirkstoffe über Gewebe in größere flüssigkeitsgefüllte Räume zu sein wie Blutgefäße oder Zerebrospinalflüssigkeitsräume [21]. Zudem konnten in der Labyrinth-Blut-Schranke Multidrugtransporter identifiziert werden, welche therapeutische Substanzen aus dem Innenohr in den Blutkreislauf schleusen könnten [33]. Ergebnisse einer neueren Studie deuten darauf hin, dass der Elimination von Dexamethason in den Skalen des Innenohrs kein anteiliger enzymatischer Abbau zugrunde liegt, wie man ihn beispielsweise in der Leber findet [34].

Lokale Applikationsstrategien

Intratympanale Applikation

Die intratympanale Injektion eines gelösten Wirkstoffes ist die am einfachsten durchzuführende und risikoärmste Applikationsmethode. Nachteilig ist die kurze Verweildauer des Medikaments am runden Fenster, weil nach Beendigung der Behandlung (je nach Protokoll 10–45 min) die injizierte Lösung u. a. schnell wieder durch die Eustachische Röhre abfließt. Um einen direkten Kontakt der Injektionslösung mit der Rundfenstermembran zu gewährleisten, sollten vor der Applikation falsche Membranen identifiziert werden. Insgesamt lässt sich der Kontakt des Wirkstoffes zum runden Fenster aber nur schlecht kontrollieren, was zu großen Variabilitäten in den Wirkstoffkonzentrationen im Innenohr führen kann. Zusammen mit der relativ kurzen Applikationszeit ist davon auszugehen, dass die Substanzverteilung nicht in höhere Windungen der Cochlea reicht [15, 35].

Um höhere Medikamentenspiegel in der Cochlea und eine bessere Kontrolle über die Wirkstoffkonzentration im Innenohr zu erreichen, werden zum einen reservoirbasierte Applikationen und zum anderen Kathetersysteme verwendet. Zu den reservoirbasierten Applikationsstrategien gehört die Nutzung von abbaubaren Hydrogelen oder Polymeren als Trägersubstanz für den eingesetzten Wirkstoff. Die Hydrogele (z. B. Gelfoam®, hyaluronsäurebasierte Gele, chitosanbasierte Gele) können mittels intratympanaler Injektion appliziert werden und sind in der Lage, eine therapeutische Substanz kontinuierlich über Stunden bis Tage an das runde Fenster abzugeben.

Einige Geltypen (z. B. Polaxamer) können bei Raumtemperatur in flüssiger Form appliziert werden und nehmen erst bei Körpertemperatur im Mittelohr ihren Gelzustand an. Abbaubare Polymere (z. B. PLGA) können direkt auf das runde Fenster platziert werden, was eine relativ kontrollierte Medikamentenabgabe ermöglicht, jedoch einen operativen Eingriff erfordert [36]. Ein Problem der reservoirbasierten Applikation besteht darin, dass der Wirkstoff nicht gleichmäßig durch die Trägersubstanz über die Zeit abgegeben wird, meistens verbunden mit einer anfänglichen übermäßigen Freisetzung („burst release“). Insbesondere bei den Polymeren kommt es zu einer zweiten Phase starker Freisetzung, wenn das Polymer vollständig zerfällt. Durch Modifikation der chemischen Zusammensetzung wird versucht, die Freisetzungskinetik der Trägersubstanzen weiter zu verbessern und eine gleichmäßigere sowie längere Applikationsdauer zu erzielen [15, 35].

Die andere Strategie, eine höhere und gleichmäßigere Medikamentenverteilung im Innenohr zu erreichen, ist die Verwendung von Kathetersystemen. Zu diesen zählt der MicroWick, ein Docht, der vom Gehörgang über ein Paukenröhrchen durch das Trommelfell direkt in die Rundfensternische platziert wird und in den Gehörgang applizierte Medikamente an die Rundfenstermembran transportieren kann. Dies soll eine relativ gleichmäßige Wirkstoffkonzentration am runden Fenster bei häufiger Applikation als Selbstmedikation des Patienten über einen längeren Zeitraum ermöglichen, ist aber pharmakokinetisch bisher nicht untersucht worden. Ein anderes Applikationssystem, der Rundfenstermikrokatheter, wird über einen operativen Eingriff direkt vor die Rundfenstermembran in die Rundfensternische platziert und in einem Knochenkanal unter dem Anulus nach außen geführt [37].

Intralabyrinthäre Applikation

Die intralabyrinthären Applikationen über die Steigbügelfußplatte in das Vestibulum, die Bogengänge und den Saccus endolymphaticus sind aufgrund der assoziierten Risiken derzeit nur Gegenstand der Forschung [21, 38]. Der Vorteil einer Injektion in den Saccus endolymphaticus läge in einem direkten Zugang zum Endolymphraum und zur apikalen Grenzschicht der Stria vascularis, ohne dass die therapeutischen Substanzen zuvor Barrieren wie das runde Fenster überwinden müssen. Sehr nachteilig an dieser Methode ist eine relativ lange Diffusionsstrecke über den Ductus endolymphaticus.

Intracochleäre Applikation

Eine intrachochleäre Applikation direkt in die Skalen der Cochlea wird gegenwertig nur im Rahmen von CI-Operationen durchgeführt. Bei der intrachochleären Injektion müssen die Wirkstoffe keine Barrieren überqueren und sind daher annähernd zu 100 % im Innenohr verfügbar. Tierexperimentelle Studien haben gezeigt, dass nach einer direkten Applikation von Dexamethason durch das runde Fenster in die Scala tympani deutlich höhere Substanzkonzentrationen, geringere individuelle Schwankungen sowie deutlich homogenere Verteilungen mit flacheren Konzentrationsgradienten erreicht werden können. Damit ist es möglich, auch in höheren Windungen der Cochlea noch signifikante Wirkstoffmengen zu erzielen [39].

Im Rahmen der Hörrehabilitation mit einem CI entsteht die Option, den Elektrodenträger als Medikamentenapplikator zu verwenden. Dazu kann der Elektrodenträger mit einem Wirkstoff benetzt oder beschichtet sein. Auch kann der Wirkstoff in das Material des Elektrodenträgers eingearbeitet sein oder in einem Lumen vorliegen und über Poren abgegeben werden. Zudem ist es vorstellbar, das Lumen an ein Kathetersystem anzuschließen, um es wieder befüllen zu können. Eine solche Anwendung könnte dazu dienen, Kortikosteroide an die Cochlea abzugeben, um inflammatorische Prozesse und eine Gewebeeinkapselung des Elektrodenträgers zu unterdrücken. Außerdem könnten neurotrophe Wachstumsfaktoren ein Degenerieren von Spiralganglien verhindern und sogar ein Auswachsen von Dendriten in Richtung der Elektroden induzieren [21, 35].

Ausblick

Kortikosteroide sind die am meisten verwendeten Substanzen bei der lokalen Therapie zur Innenohrschwerhörigkeit. Jedoch spielen auch Apoptoseinhibitoren und Wachstumsfaktoren eine immer größere Rolle. Durch ein besseres Verständnis der Physiologie des Innenohrs und deren Genetik werden in Zukunft immer mehr spezifische Enzym- oder Kanalinhibitoren Verwendung finden [40]. Aufgrund der Nutzung komplexerer und auch toxischer Substanzen (z. B. virale Vektoren) in zukünftigen Therapien wird eine lokal begrenzte und selektive Applikation immer wichtiger werden und damit die Bedeutung der lokalen Therapie weiter steigen [41].

Wegen ihrer hohen Sicherheit und der relativ einfachen Handhabung wird die intratympanale Applikation weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Und es werden weitere Versuche unternommen, die Methode zu optimieren. Im Vordergrund stehen dabei die Erhöhung der Bioverfügbarkeit der applizierten Substanzen im Innenohr und eine bessere Kontrolle der Dosierung. Für diese Aufgaben ist ein besseres Verständnis der Pharmakokinetik im Innenohr erforderlich.

Da sich vermutlich nicht alle Probleme der intratympanalen Applikation lösen lassen werden, wie etwa die Ausbildung von Konzentrationsgradienten im Innenohr, wird es parallel Anstrengungen geben, sichere Wege einer intralabyrinthären bzw. intracochleären Applikation zu entwickeln. Zudem wird für komplexere Wirkstoffe in zukünftigen Therapien die Passage über die Rundfenstermembran ein immer größeres Hindernis darstellen. Auch die steigenden Kosten für solche Substanzen werden dabei eine Rolle spielen. Es wird demzufolge angestrebt, möglichst kleine Mengen zu verwenden. Für eine zukünftige klinische Anwendung von Gen- und Stammzelltherapien ist die Entwicklung von sicheren intralabyrinthären bzw. intrachochleären Applikationswegen ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um die notwendige Effizienz gewährleisten zu können [42, 43].

Fazit für die Praxis

  • Im Zuge eines besseren Verständnisses der Innenohrphysiologie werden neue Substanzen für die Behandlung der Innenohrschwerhörigkeit in Tierexperimenten und in klinischen Studien getestet.

  • Die intratympanale Applikation, einschließlich ihrer verschiedenen Applikationsstrategien, ist gegenwärtig die sicherste Methode zur Medikamentengabe an das Innenohr und bietet daher experimentellen klinischen Raum.

  • Eine intracochleäre Applikation ist aktuell nur im Rahmen einer CI-Operation durchführbar und vertretbar. Es ist aber zu erwarten, dass diese in der Zukunft eine größere Rolle spielen wird.