Überschießende Gesichtsbewegungen können zur sozialen Stigmatisierung und Isolierung führen. Abhilfe schaffen kann hier die lokale Injektion von Botulinumtoxin, um diese unwillkürlichen Bewegungen zu therapieren.

Blepharospasmus

Definition

Der Blepharospasmus ist gekennzeichnet durch eine unwillkürliche intermittierende Hyperaktivität der Mm. orbiculares oculi [1] und wird zum Formenkreis der Dystonien gezählt. Man spricht von einer fokalen Dystonie, da sich der Blepharospasmus nur auf eine Körperregion begrenzt. Zu dem Formenkreis der fokalen Dystonien gehören auch der Torticollis, oromandibuläre Dystonien, die spasmodische Dysphonie und Gliederdystonien. Der Blepharospasmus lässt sich in einen tonischen Typ und einen Lidöffnungs-Inhibitions-Typ (Lidapraxie) unterteilen. Häufiger betrift die Erkrankung Frauen im mittleren bis hohen Lebensalter.

Symptome/klinisches Bild

Die Symptomatik des Beschwerdebildes ist bei der Mehrzahl der Patienten unterschiedlich stark ausgeprägt und wird von vielen äußeren Situationen im Alltagsleben der Patienten beeinflusst. So verspüren viele Patienten Einschränkungen bei täglichen Tätigkeiten wie Lesen, Fernsehen oder der Verrichtung der Hausarbeit. Dabei kann das Ausmaß der Einschränkung so groß sein, dass aufgrund einer funktionellen Blindheit am Straßenverkehr oder an anderen Aspekten des öffentlichen Lebens nicht mehr teilgenommen wird. Als Folge kann soziale Isolierung eintreten.

Als Folge des Blepharospasmus kann soziale Isolierung eintreten

Ein Großteil der Patienten verspürt unter erhöhter Beanspruchung bzw. Stress, sei es körperlich oder psychisch, vermehrte Beschwerden und erlebt in Ruhe Linderung. Für einige andere hingegen gilt das Gegenteil. Oft berichten die Patienten über gezielte Techniken oder Tricks, wie das Hochheben der Augenbrauen oder Singen, mit denen sie versuchen die Beschwerden zu lindern. Auch helfen sie sich durch aktives Anheben des Augenlides mit den Fingern oder verwenden Triggerpunkte am Kopf zur Symptomlinderung. Das Tragen von Sonnenbrillen hilft vielen Patienten, die erhöhte Empfindlichkeit gegenüber hellem Licht zu mindern.

Diagnostik

Da die Beschwerden nicht stetig vorliegen, kann es dem untersuchenden Arzt schwer fallen, einen Blepharospasmus zu erkennen. So stützt sich die Diagnostik im Wesentlichen auf die gezielte Erhebung der Anamnese. Es gilt herauszuarbeiten, seit wann, wie lange und in welchen Situationen die Symptome auftreten, ob es beeinflussbare Faktoren gibt und auch ob in der Familie ähnliche Erkrankungen vorkommen. Die Patienten berichten gelegentlich über ein initiales Fremdkörpergefühl in Verbindung mit Zuckungen der Augen. Leichter fällt es dem untersuchenden Arzt, wenn er die typischen Lidkrämpfe unmittelbar sehen kann. Dann sind kräftige zumeist symmetrische Augenschließbewegungen zu erkennen, die über den Zeitraum eines normalen Blinzelns wesentlich hinausreichen.

Bildgebende Verfahren wie eine kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT) oder CT sind für die spezifische Diagnosefindung nicht wegweisend. Hingegen sollte eine zusätzliche Konsultation eines Augenarztes stets erwogen werden, um akute oder chronische Augenerkrankungen, insbesondere Erkrankungen der Binde- und Hornhaut, auszuschließen. Nicht selten liegt parallel auch eine Sicca-Symptomatik vor.

Als wichtige Differenzialdiagnose soll an dieser Stelle die okuläre Manifestation einer Myastenie erwähnt werden. Besonders der Blepharospasmus vom „Levator-Inhibitions-Typ“ ist diesen typischen frühen Symptomen der Myastenie ähnlich. In diesem Fall sollte ein Neurologe hinzugezogen werden, um u. a. eine Bestimmung von Azetylcholinrezeptor-Antikörpern und EMG-Ableitungen durchführen zu lassen.

Therapie

Einen kurativen Therapieansatz gibt es bislang nicht. Erste Berichte über die Therapie mit Botulinumtoxin stammen aus dem Jahr 1984 [2]. Seitdem hat sie sich etabliert und ist als lokale subkutane Injektion die derzeitige Therapie der Wahl [3]. Zu den früher getätigten und wesentlich seltener genutzten Therapien zählen oral eingenommene Medikamente, operative Verfahren oder alternative Methoden wie z. B. Neuraltherapie oder Akupunktur [4]. Die medikamentöse Therapie mit Anticholinergika wird wegen der unzureichenden spezifischen Wirkung und ihrem breiten Nebenwirkungsspektrum zunehmend weniger praktiziert.

Da die Ansprechrate auf die Behandlung mit Botulinumtoxin individuell unterschiedlich ist, hat es sich bei uns bewährt, zunächst zurückhaltend zu dosieren und erst später eine eventuelle Dosissteigerung vorzunehmen. Als Injektionsstellen haben sich nasale und temporale Areale des M. orbicularis oculi bewährt. Diese und weitere etablierte Punkte, welche als Injektionsstellen auch beim Spasmus facialis und bei Synkinesien geeignet sind, zeigt Abb. 1.

Die Region kaudal der in Abb. 1 gezeigten Augenpunkte sollte gemieden werden, da sonst ein hängender Mundwinkel droht. Der mediale Unterlidbereich sollte mit einer geringen Dosis versorgt werden, um das Symptom Augentränen zu vermeiden. Um eine Ptose durch Beeinträchtigung des M. levator palpebrae zu vermeiden, sollte die Mitte des Oberlids ausgespart werden. Bei Folgeinjektionen gilt es, weitere typische Nebenwirkungen zu erfragen. Hierzu zählen z. B. ein Trockenheitsgefühl des Auges, bedingt durch zu seltenen Lidschlag, oder auch Tränenträufeln, vermittelt durch die Behinderung des aktiven Tränenabflusses bei einer Injektion zu nahe am Tränengang. Letztlich muss über mehrere Injektionen hinweg ein individueller Injektionsplan in enger Zusammenarbeit mit dem Patienten erstellt werden. Bekannte typische Nebenwirkungen der Botulinumtoxintherapie in Gesicht und Hals zeigt Tab. 1. In einem Dokumentationsbogen wird neben dem Injektionsort auch die Dosis festgehalten (Abb. 2). Durch diese Dokumentationsmethode können Lokalisation und Dosis für jeden einzelnen Injektionspunkt immer nachvollzogen werden.

Abb. 1
figure 1

Typische Injektionspunkte für die Applikation von Botulinumtoxin im Gesicht

Abb. 2
figure 2

Dokumentationsbogen für die Injektion von Botulinumtoxin in die mimische Muskulatur. Die Dosissymbole entsprechen einer bestimmten Menge der Substanz in „Einheiten“. Die hier auf dem Bogen angegebenen Symbole mit den genannten Dosen gelten nicht für das Präparat „Dysport“. Hier kommen dann evtl. Konversionstabellen zum Einsatz

Tab. 1 Mögliche Nebenwirkungen nach Botulinumtoxinapplikation im Gesichtsbereich

Spasmus facialis

Definition

Beim Spasmus facialis kommt es zu tonisch-klonischen Krämpfen der Gesichtsmuskulatur zumeist einer Gesichtshälfte [5]. Diese unwillkürlichen und plötzlich einschießenden Verkrampfungen halten Millisekunden bis Minuten an. Schmerzen oder Dysästhesien treten meist nicht auf. Frauen erkranken häufiger als Männer, und das Alter der Patienten liegt zwischen 40 und 80 Jahren [6].

Ursache des Spasmus facialis ist eine abnorme Erregbarkeit des Nervs

Ursache ist eine abnorme Erregbarkeit des Nervs. Es wird eine Kompression des Nervs an seiner Austrittsstelle aus dem Hirnstamm durch eine Schlinge der A. cerebelli inferior posterior oder der A. cerebelli inferior anterior vermutet. Es wird angenommen, dass es durch die stetige Pulsation und Kompression zu einer Demyelinisierung des Nervs kommt, was die unkoordinierte Erregung des Nervs bedingt [7, 8].

Symptome/klinisches Bild

Die einschießenden Gesichtsbewegungen beginnen oft um das Auge und ziehen von hier nach kaudal über die übrige ipsilaterale Gesichtsmuskulatur bis hin zum Platysma. Daneben kann auch der M. stapedius beteiligt sein, was zu Ohrgeräuschen führt, die synchron zu den Krämpfen verlaufen. Eine Persistenz der Bewegungen kann auch während des Schlafs bestehen.

Die Krämpfe können durch Licht, Stress, psychische Erregung, Müdigkeit und mechanische Irritationen verstärkt oder ausgelöst werden.

Diagnostik

In der Regel reicht die genaue Anamneseerhebung und Beobachtung der Gesichtszüge des Patienten aus, um die Diagnose zu stellen. Hierbei gilt es auch nach früheren Lähmungen des N. facialis, Traumen oder chirurgischen Interventionen zu fragen, um die Erkrankung von anderen, wie z. B. Synkinesien nach einer Fazialisdefektheilung, zu unterscheiden. Um in der Gl. parotis gelegene Neoplasien abzuklären, welche in seltenen Fällen zu einem Spasmus facialis führen, sollte neben der Palpation dieser Region eine sonographische Untersuchung erfolgen. Da die Symptome auch die Kardinalzeichen eines Tumors der Schädelbasis, wie z. B. eines Angioms, oder einer multiplen Sklerose darstellen können, sind diese bedeutsamen Ursachen über eine MRT auszuschließen. Hierbei ist es gleichzeitig möglich, über die Nutzung einer CISS-Sequenz („constructive interference in steady-state“) die Gefäßschlinge sichtbar zu machen. Bei der Diagnosefindung können auch elektromyographische Untersuchungen helfen, da diese typische Erregungsmuster, sog. Burst-Potenziale, aufzeigen. Die Aktivität einer solchen Burst-Entladung dauert 20–100 ms und ist nicht willkürlich in dieser Geschwindigkeit auslösbar.

Therapie

Neurovaskuläre Dekompression als kausale Therapie

Sofern eine Gefäßschlinge nahe des Nervs am Hirnstamm nachgewiesen ist, kann über die Operation nach Jannetta [9] das Gefäß vom N. facialis, z. B. durch die Interposition eines Kunststoffschwamms oder von autologem Muskelgewebe, räumlich getrennt werden, sodass fortan keine „Nervenkompression“ mehr stattfindet. In der Literatur werden die Ergebnisse als gut beschrieben. Man muss jedoch auf die Gefahr der Schwerhörigkeit und des postoperativen Wiederauftretens der Spasmen hinweisen.

Medikamentöse Therapie mit systemisch wirksamen Substanzen wie Carbamazepin oder Gabapentin ist bei mittelschweren bis starken Spasmen häufig nicht ausreichend wirksam.

Es gibt eine symptomatische und hochwirksame Alternative zur systemischen und operativen Therapie. Dies ist die Behandlung mit Botulinumtoxin, welche nicht nur für die Patienten angeboten wird, die die Dekompressionsoperation aufgrund von Narkoserisiken oder wegen des Risikos der Operation selbst nicht durchführen lassen wollen. So hat sich die Injektion der betroffenen Muskelgruppen mit dem Toxin als erfolgreiche Therapie schon seit Jahrzehnten etabliert [10].

Um die zu behandelnden Areale im Gesicht festzulegen, ist der Patient genau zu beobachten. Vorab muss der Patient über die möglichen Nebenwirkungen (Tab. 1) aufgeklärt werden. Ähnlich der Botulinumtoxintherapie des Blepharospasmus sind Injektionen weit medial am Augenwinkel und in der Mitte des Oberlides zu vermeiden. Ebenfalls empfehlenswert ist es, initial mit einer geringen Dosis von 1,25–2,5 IE Botox® pro Injektionspunkt zu beginnen und mit dem Patienten in den folgenden Kontrollterminen den individuellen Behandlungsplan zu erstellen. Hierbei hat sich zur Therapieoptimierung die Anlage von Injektionsschemata um das Auge herum ähnlich wie beim Blepharospasmus bewährt (Abb. 1). Bei Patienten mit einem Spasmus facialis werden auch kaudalere Gesichtspartien behandelt, während dieses beim Blepharospasmus selten ist.

Unter Berücksichtigung der genannten Vorsichtsmaßnahmen stellt die Botulinumtoxininjektion für sehr viele Patienten die schonendste Behandlungsform mit gutem Wirkungserfolg dar. Bei einem hohen Prozentsatz kommt es zu einem ausreichenden Beschwerderückgang und bei bis zu 30% der Patienten sogar zu einem vollständigen Sistieren der Muskelkrämpfe [11, 12].

Synkinesien nach Fazialisdefektheilung

Definition

Unter Synkinesien der mimischen Muskulatur versteht man unwillkürliche Mitbewegungen von Muskelgruppen bei Bewegungen anderer Gesichtspartien [13]. Die Ursachen sind vielfältig. Zum Beispiel können nach einer idiopathischen Lähmung oder einer Zosterparese Synkinesien entstehen. Insbesondere nach Fazalisrekonstruktionen treten sie häufig auf. Hauptsächlich betroffene Muskeln sind der M. orbicularis oculi und der M. zygomaticus major.

Hintergrund der Synkinesien ist eine Fehlaussprossung der sich regenerierenden Nervenfasern

Hintergrund der Erkrankung ist eine Fehlaussprossung der sich regenerierenden Nervenfasern. Die Folge ist eine fehlerhafte Zuordnung zwischen motorischem Kortex und der zugehörigen peripheren Muskulatur. Synkinesien als Zeichen einer Defektheilung treten ab etwa 4–6 Monaten nach dem schädigenden Ereignis ein.

Symptome/klinisches Bild

Der Ausprägungsgrad und die Verteilung der Mitbewegungen sind auch bei den Synkinesien sehr variabel. Die Patienten berichten häufig, dass der im Alltag störende, weil stigmatisierende Effekt der Synkinesien im Vordergrund steht. So kann sich bei Willkürbewegungen des Mundes gleichzeitig das betroffene Auge schließen, was wiederum die Patienten beim Essen und Trinken hindert oder auch vom Lachen abhält. Neben Mitbewegungen im Bereich des Platysmas können sich bei neuer Fehlinnervation der Tränendrüse sog. Krokodilstränen bilden.

Diagnostik

In der Anamnese der Beschwerden ist gezielt nach einer vorangegangenen Lähmung des Gesichts oder Operationen „im Gesicht“ zu fragen. Der elektromyographische Nachweis der pathologischen synchronen Bewegungen stellt eine verlässliche Methode dar, jedoch lässt sich über die gezielte, geschulte Beobachtung der Bewegungen des Gesichts ebenfalls das Ausmaß der Synkinesien gut erfassen. Hierzu fordert man den Patienten auf, die Stirn zur runzeln, die Augen zu schließen, die Nase zu rümpfen und den Mund zu spitzen. Als Differenzialdiagnose gilt es, den Blepharospasmus und der Spasmus facialis abzugrenzen.

Therapie

Gezielte physiotherapeutische Maßnahmen wie ein Biofeedbacktraining haben gerade in der Frühphase der Heilung eine große Bedeutung für das endgültige Ergebnis. Für weitere physikalische Therapienkonzepte wir Elektrostimulation, Massage oder Lymphdrainage gibt es keine Evidenz [14]. Heutzutage stellt Botulinumtoxin zur Behandlung der Synkinesien das Mittel der Wahl dar [15, 16]. Nach Aufklärung des Patienten und Festlegung der Dosierungspunkte mithilfe eines Behandlungsbogens, welcher wieder der exakten Dokumentation dient, erfolgt die Applikation der Medikation. Dabei sind die Injektionspunkte prinzipiell die gleichen wie z. B. für einen Spasmus facialis. Dementsprechend sind die Nebenwirkungen ähnlich. Eine Kombination aus Botulinumtoxininjektion und Biofeedbackrehabilitation kann sich zusätzlich positiv auswirken [17].

Selektive Unterbrechung von Fazialisästen [18] oder Myotomien als operative Therapien, wie sie vor der Botulinumtoxinära angewandt wurden, werden heutzutage nicht mehr oder nur sehr selten getätigt [19].

Fazit für die Praxis

  • Trotz der unterschiedlichen Genese der 3 Erkrankungen ist ihnen gemeinsam, dass sie zu unwillkürlich intermittierenden Gesichtsbewegungen führen.

  • Diese beeinträchtigen die Patienten in vielen alltäglichen Situationen, nicht zuletzt auch durch den stigmatisierenden sozialen Effekt.

  • Die Injektion von Botulinumtoxin in die betroffenen Muskelpartien stellt eine wenig invasive, effektive und nebenwirkungsarme symptomatische Therapie dar.