Das gehäufte, gleichzeitige Auftreten von kraniomandibulärer Dysfunktion (CMD) und Tinnitus gab Anlass, kausale Zusammenhänge aufzuspüren [2, 10, 16, 19, 20, 21, 22].

In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie wird darauf hingewiesen, dass zur Tinnitusdiagnostik auch eine Untersuchung des Kauapparates gehört [12].

Funktionstherapeutische Interventionen konnten neben den Kiefergelenkbeschwerden auch den Tinnitus reduzieren. Systematische Auswertungen dieser Studien zeigen jedoch [4] gravierende methodische Mängel. Daher wurde in einer prospektiven, kontrollierten klinischen Studie geprüft, ob zahnärztliche funktionstherapeutische Maßnahmen eine spezifische Wirkung auf chronischen Tinnitus haben.

Patienten und Methode

Im Rahmen der Tinnitussprechstunde des Tinnituszentrums der Charité wurde von Juni 2000 bis Juni 2002 bei 340 Patienten mit chronischem Tinnitus zusätzlich zur audiologischen Diagnostik ein zahnärztliches Screening auf das Vorhandensein von Symptomen einer CMD sowie von CMD begünstigenden okklusalen Störungen durchgeführt (Tab. 1). Es wurden Patienten in die Studie aufgenommen, bei denen mindestens ein Einschlusskriterium des Screenings feststellbar war. Alle Patienten erhielten die Basistherapie der Tinnitussprechstunde (Counseling, Entspannungsübungen, Hörtherapie). 59 von 130 Patienten, welche die Auswahlkriterien erfüllten, gaben ihre Einwilligung zur Studienteilnahme.

Tab. 1 Untersuchungsparameter des Kurzscreenings

Die 59 Patienten wurden in 3 Gruppen aufgeteilt. Die Gruppen 1 und 2 erhielten die funktionstherapeutischen Maßnahmen, Gruppe 3 bildete die Kontrollgruppe. Die Aufteilung in die Gruppen 1 und 2 erfolgte quasi-randomisiert (alternierende Zuteilung), Gruppe 3 rekrutierte sich aus den Patienten, die einer Studienteilnahme einwilligten, denen es jedoch aus logistischen Gründen nicht möglich war, zu den 5 Behandlungssitzungen in die Zahnklinik zu kommen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Studiendesign (TF=Tinnitusfragebogen)

Fragebögen

Um einen Einfluss auf den Tinnitus beurteilen zu können, wurde der Tinnitus-Fragebogen (TF) nach Goebel u. Hiller [8] eingesetzt. Die 52 Fragebogen-Items repräsentieren typische Beschwerden von Patienten mit chronischem Tinnitus. Der TF stellt momentan die beste Methode zur Bestimmung des Tinnitusschweregrades dar [8, 13], da er wissenschaftlich als ausreichend evaluiert gilt. Der TF-Gesamtscore kann Werte zwischen 0 und 84 Punkten annehmen. Für die Interpretation des Gesamtscores schlagen Goebel u. Hiller [8] folgende Einteilung in Tinnitusschweregrade vor (Tab. 2):

Tab. 2 Tinnitusschweregrade

Aufgrund der geringen Patientenzahl wurde in der vorliegenden Studie für die Auswertung eine Einteilung in die 2 Gruppen mit kompensiertem (0–46 Punkte) und dekompensiertem (47–84 Punkte) Tinnitus vorgenommen.

Klinische Untersuchung

Die klinische Funktionsanalyse der Patienten erfolgte nach der klar definierten Vorgehensweise der „Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders“ (RDC/TMD), die von der Arbeitsgruppe um Dworkin erarbeitet wurden [7]. Um das Ausmaß der Dysfunktion bestimmen und in den Gruppen vergleichen zu können, kam der klinische Dysfunktionsindex von Helkimo [9] zur Anwendung. Aus vorhandenen Symptomen einer Kiefergelenkdysfunktion (eingeschränkter Bewegungsspielraum des Unterkiefers, Muskel- oder Kiefergelenkschmerz, Gelenkgeräusche) wird ein Summenwert gebildet: D0 bedeutet hierbei klinische Symptomfreiheit, D1 geringe Dysfunktion, D2 mäßige Dysfunktion und D3 schwere Dysfunktion.

Therapeutische Maßnahmen

Neben der initialen Basistherapie der Tinnitussprechstunde wurden 2 funktionstherapeutische Ansätze verfolgt. Eine als passiv einzustufende Therapiemaßnahme (Äquilibrierungsschiene) wurde mit einer aktiven Therapieform (Selbsttherapie) in einem 2-Perioden-Crossover-Design verglichen. Der Vergleich mit der vorhandenen Kontrollgruppe sollte zeigen, ob die angewendeten Therapien einen Einfluss auf das Symptom Tinnitus haben.

Äquilibrierungsschiene Den Patienten wurde für 6 Wochen das nächtliche Tragen einer Äquilibrierungsschiene verordnet, um über eine Stabilisierung der Okklusion die Relaxierung der Kaumuskulatur und Entlastung der Kiefergelenke zu gewährleisten.

Selbsttherapie Hier wurden Behandlungsmaßnahmen zusammengefasst, die der Patient nach ausführlicher Instruktion selbständig zu Hause durchführte (Wärmebehandlung, Massage der Kaumuskeln, Selbstbeobachtung zur Reduktion unbewusster muskulärer Verspannungen).

Statistische Auswertung

Die jeweilige Testung der Paarvergleiche erfolgte nach dem Abschlusstestprinzip. Damit garantiert die Testprozedur den Gesamtfehler erster Art von 5% (Signifikanzniveau p<0,05).

Quantitative Daten wurden mit dem nonparametrischen U-Test nach Mann und Whitney und dem Kruskal-Wallis-Test auf Unterschiede untersucht. Veränderungen über den gesamten Beobachtungszeitraum wurden mit dem Friedman-Test und dem Wilcoxon-Test analysiert.

Der Vergleich qualitativer Daten erfolgte mit dem χ2-Test; zur Prüfung von Übereinstimmungen in Kreuztabellen kam der κ-Koeffizient zur Anwendung. Der McNemar-Test wurde verwendet, um Veränderungen abhängiger nominaler Daten zu testen.

Bei Crossover-Studien muss ausgeschlossen werden, dass die Wirkungen der einzelnen Therapien nicht durch einen Zeittrend oder einen Nachwirkungseffekt der vorangegangenen Therapie überlagert werden. In einem SAS-Makro nach Brunner wurde unter Benutzung von nichtparametrischen Modellen auf das Vorhandensein dieser Effekte getestet und anschließend der Behandlungseffekt bestimmt.

Ergebnisse

Patientenkollektiv

Der Altersmedian der 59 Studienteilnehmer betrug 51 Jahre (Mittelwert 49 Jahre). Die Altersverteilung variierte von 12 bis 69 Jahre. 76% waren älter als 40 Jahre. 31 der Patienten waren männlich, 28 weiblich.

CMD-Symptome

38% der 340 untersuchten Patienten wiesen ein oder mehrere Symptome einer CMD bzw. eine CMD begünstigende bzw. unterhaltende Okklusionsstörung auf. Unter den Studienteilnehmern zeigten 37% zwei und 24% drei Symptome, davon waren

  • 66% Parafunktionen in der Anamnese,

  • 59% Infraokklusion im Seitenzahngebiet,

  • 54% klinische Hinweise auf Bruxismus,

  • 42% instabile Interkuspidationsposition,

  • 39% Kiefergelenkgeräusche,

  • 27% Palpationsschmerz der Kaumuskulatur.

Klassifizierung nach Helkimo Nach dem klinischen Helkimo-Index galten insgesamt 7 Studienteilnehmer als klinisch symptomfrei. Eine leichte Dysfunktion zeigten 22, eine moderate Dysfunktion 9 Patienten auf. Ein Patient zeigte Symptome einer schweren Dysfunktion.

Klassifizierung nach RDC/TMD Nach den RDC/TMD waren insgesamt 20 Studienteilnehmer als klinisch unauffällig einzuordnen. Sieben Patienten zeigten Symptome der Diagnosegruppe Ia (myofaszialer Schmerz). Insgesamt 10 Kiefergelenke erhielten die Diagnose IIa (Diskusverlagerung mit Reposition) und 4 Kiefergelenke die Diagnose „Arthrose“ aus der Gruppe III.

Tinnitusschweregrad

Der mittlere TF-Gesamtscore betrug bei Studienbeginn 39,0 Punkte (Median 38). Beurteilt man den Tinnitusschweregrad mit Hilfe des globalen Belastungsgrades (leicht, mittel, schwer, sehr schwer), so ergibt sich folgende Verteilung (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Verteilung der Patienten bezüglich des Tinnitusschweregrades (n=59)

Entsprechend der Schweregradeinteilung in ≤46 Punkte und >46 Punkte litten bei Studienbeginn 41 der Patienten an einem chronischen kompensierten (Mittelwert: 29,0) und 18 Patienten an einem chronischen dekompensierten Tinnitus (Mittelwert: 58,5).

Homogenität der Gruppen

Bezüglich der Hauptzielgröße (TF-Gesamtscore) und der Altersverteilung sind die 3 Gruppen als homogen anzusehen.

Veränderungen der Tinnitusbelastung

Gruppe 1 und 2

Nach der ersten Therapiephase ergab sich kein signifikanter Unterschied des Behandlungseffektes der beiden funktionstherapeutischen Maßnahmen (Mann-Whitney-Test: p=0,070). Tendenziell führte die Äquilibrierungsschiene zu einer stärkeren Verbesserung des TF-Gesamtscores.

Bei der Crossover-Auswertung über den gesamten Zeitraum ergibt sich für den Behandlungseffekt der beiden Therapiemittel kein signifikanter Unterschied (p=0,692).

Vergleich aller Gruppen

Die Verlaufsbetrachtungen über den gesamten Zeitraum mit dem Friedmann-Test (Gruppen 1 und 2) und Wilcoxon-Test (Gruppe 3) ergaben keine statistisch signifikanten Verbesserungen der erhobenen Fragebogenwerte. Der Vergleich der Anfangs- und Endwerte des TF-Gesamtscores lieferte ebenfalls keine signifikanten Veränderungen in allen 3 Gruppen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Anfangs- und Endwerte des mittleren TF-Gesamtscores in allen Gruppen

Tinnitusbelastungsänderungen bei kompensiertem und dekompensiertem Tinnitus

Die gezielte Betrachtung der Änderungen der Tinnitusbelastung für die Patienten mit kompensiertem und mit dekompensiertem Tinnitus zeigte folgendes Bild:

Gesamtes Patientenkollektiv Bei Patienten mit chronisch kompensiertem Tinnitus änderte sich die Tinnitusbelastung nicht signifikant (Wilcoxon: p=0,928). Für Patienten mit einem chronisch dekompensierten Tinnitus ist die Reduktion der Tinnitusbelastung jedoch deutlich (p=0,04).

Vergleich funktionstherapeutisch Behandelte/Kontrolle Da sich die Therapieeffekte der beiden zahnärztlich-funktionellen Behandlungen nicht signifikant unterscheiden, werden die Gruppen 1 und 2 für die folgende Betrachtung zusammengefasst und der Kontrollgruppe gegenübergestellt. Für die Patienten mit einem dekompensierten Tinnitus ergibt sich eine Verringerung der Tinnitusbelastung, signifikant ist dies jedoch nur bei denjenigen der Kontrollgruppe (Tab. 3).

Tab. 3 Getrennte Betrachtung kompensierter/dekompensierter Tinnitus; funktionstherapeutisch Behandelte/Kontrollgruppe (Wilcoxon-Test)

Einfluss der Therapie auf die CMD-Symptome

Auswertung des klinischen Helkimo-Index

Überprüft man die Verteilung der Dysfunktionsgrade (D0, D1, D2, D3) für den klinischen Helkimo-Index zu Studienbeginn mit Hilfe des χ2-Tests, so kann eine homogene Verteilung in den Gruppen 1 und 2 festgestellt werden (p=0,512).

Analysiert man nun die Verteilung der ermittelten Dysfunktionsgrade zu Beginn, beim Wechsel und zum Ende der Therapiephase (Abb. 4, Abb. 5) anhand von Kreuztabellen, zeigt sich eine signifikante Besserung der CMD-Symptome in beiden Gruppen, was in einer Einordnung in einen geringeren Dysfunktionsgrad resultiert. Aus Tab. 4 wird deutlich, dass die Besserung der CMD-Symptome in beiden Gruppen während der ersten Behandlungsphase signifikant ist.

Abb. 4
figure 4

Veränderung der Dysfunktionsgrade (Helkimo-Indizes) in Gruppe 1

Abb. 5
figure 5

Veränderung der Dysfunktionsgrade (Helkimo-Indizes) in Gruppe 2

Tab. 4 Unterschiede (McNemar-Test) und Übereinstimmung (κ-Koeffizient) der klinischen Dysfunktionsgrade nach den Therapiephasen

Diskussion

Methodik

Um eine einheitliche Tinnitusdiagnostik zu gewährleisten, wurden ausschließlich Patienten mit chronischem Tinnitus bei der Neuaufnahme im Tinnituszentrum der HNO-Klinik der Charité für die Studie rekrutiert. Kritisch zu betrachten ist die Tatsache, dass die Aufteilung in die 3 Studiengruppen nicht streng randomisiert erfolgte, da so die Gefahr eines systematischen Fehlers besteht. Die Methoden der systematischen Zuteilung werden jedoch häufig als einer randomisierten Zuteilung ebenbürtig angesehen.

Die klinische Funktionsanalyse wurde durch ein und denselben Arzt anhand RDC/TMD [7] durchgeführt. Die klar definierte Untersuchungsanweisung führt zu einer guten bis exzellenten Reliabilität bei der Befundung der somatischen Parameter [24].

Um den Schweregrad der diagnostizierten CMD dokumentieren und Therapieeffekte quantitativ beschreiben zu können, wurde der klinische Dysfunktionsindex nach Helkimo [9] eingesetzt. Dieser Index ist im europäischen Raum weit verbreitet, seine Aussagekraft ist jedoch als kritisch einzustufen, da die Kombination der unterschiedlichen Symptome eine willkürliche Wertung und Skalierung der Einzelsymptome liefert. Dennoch wurde dieses Messinstrument verwendet, da er auch leichte Dysfunktionen erfasst. Die Klassifizierung der Gruppen 1 und 2 nach RDC/TMD trägt der Tatsache Rechnung, dass dieses System sich international am stärksten durchsetzt und so eine Vergleichbarkeit mit anderen bzw. zukünftigen Studien möglich ist. Außerdem ist die Behandlungsbedürftigkeit besser „ablesbar“. Ein Messen von Therapieeffekten war für unser Vorhaben mit dieser Klassifizierung jedoch nicht möglich, da Einzelsymptome (z. B. Druckdolenzen in der Kaumuskulatur ohne Schmerz in der Anamnese) als „klinisch symptomfrei“ gelten.

Bei der Auswertung des TF wurde nur der Gesamtscore herangezogen. Es wurden Patienten in die Studie eingeschlossen, die ein oder mehrere CMD-Symptome und/ oder eine Okklusionsstörung aufweisen, unabhängig von deren Behandlungsnotwendigkeit. Streng genommen hätten nur die 7 Patienten mit der RDC/TMD-Diagnose Ia einer funktionstherapeutischen Behandlung bedurft, da das Symptom „Schmerz“ bei der Indikation zur weiterführenden Diagnostik und Therapie die entscheidende Rolle spielt. Da jedoch die durch Linderung oder Elimination einzelner CMD-Symptome bzw. durch Ausschaltung okklusaler Disharmonien mögliche Beeinflussung der Tinnitusbelastung untersucht werden sollte und die Wirkweise von Äquilibrierungsschienen und der beschriebenen Selbsttherapie zudem reversibel ist, wurde die Anwendung dieser Therapiemittel als vertretbar eingestuft.

Patientenkollektiv

Geschlechts-/Altersverteilung

Das Verhältnis Männer zu Frauen war ausgeglichen, was den Ergebnissen von Bush [3] und Coles [5] entspricht; andere Studien zeigen jedoch die Häufung von Tinnitus unter Frauen [15] oder Männern [18].

Die Studienteilnehmer waren im Mittel 51 Jahre alt, etwa 75% der Patienten waren älter als 40 Jahre. Lenarz [11] beschreibt eine ähnliche Altersverteilung.

Prävalenz der CMD-Symptome

Da keine Kontrollgruppe ohne das Beschwerdebild des chronischen Tinnitus mitgeführt wurde, ist die Beurteilung der gefundenen Prävalenzen für einzelne CMD-Symptome nur im Vergleich mit den Ergebnissen aus anderen epidemiologischen Untersuchungen möglich. So gingen auch Rubinstein et al. [21] in ihrer Untersuchung zur Prävalenz von Funktionsstörungen bei Tinnituspatienten vor und fanden eine höhere Prävalenz von klinischen Zeichen einer CMD (84% vs. 61%), vor allem von Muskelverspannungen der Kau- und Gesichtsmuskulatur und vermehrt Hinweise auf vorliegende Parafunktionen.

Auch Peroz [17] erhielt in den Untersuchungen eine signifikant höhere Prävalenz von Druckdolenzen in der Kaumuskulatur (92,5% vs. 71,4% in der Kontrollgruppe), von klinischen Anzeichen von Parafunktionen und von Disharmonien der Okklusion.

Beim Vergleich mit den Ergebnissen der genannten Studien konnte bei den Studienteilnehmern der vorliegenden Arbeit ein wesentlich häufigeres Vorkommen von Disharmonien der Okklusion gefunden werden, Muskelverspannungen nicht so häufig (27%). Insgesamt zeigte sich jedoch keine erhöhte Prävalenz von CMD-Symptomen und Okklusionsstörungen (39% von insgesamt 340 Untersuchten).

Diese Beobachtungen werden von Vernon et al. [23] gestützt. Sie konnten in ihren Untersuchungen nur bei wenigen Tinnituspatienten CMD-Symptome finden. Außerdem analysierten sie Daten von 1002 Tinnituspatienten aus der von Meikle u. Griest seit 1982 in den USA geführten Datenbank [14] und eruierten nur bei 7% dieser Patienten CMD-Symptome.

Testergebnisse

Veränderungen der Tinnitusbelastung

Die Ausgangswerte für die Tinnitusbelastung (mittlerer TF-Gesamtscore von 39; Gruppe mit kompensiertem Tinnitus: 29; Gruppe mit dekompensiertem Tinnitus: 58,5 Punkte) war vergleichbar mit denen der Untersuchung von Goebel u. Hiller [8]. Bei der Betrachtung aller 59 Studienteilnehmer als Patientenkollektiv ergab sich während des 3-monatigen Beobachtungszeitraums eine signifikante Reduktion der subjektiven Tinnitusbelastung bei den chronisch dekompensierten Patienten. Diese Tatsache korreliert mit den Ergebnissen der Untersuchungen Mazurek et al. [13], die ebenfalls bei schwerer betroffenen Patienten eine höhere und bei leichter Betroffenen eine geringere Reduktion im TF-Gesamtscore finden konnten.

Teilt man die Gruppe der Patienten mit kompensiertem bzw. dekompensiertem Tinnitus noch einmal auf in funktionstherapeutisch Behandelte und Kontrollgruppe, zeigt sich nur bei Patienten der Kontrollgruppe mit chronisch dekompensiertem Tinnitus eine signifikante Reduktion der Tinnitusbelastung.

Demnach können Ergebnisse verschiedener Untersuchungen über den Einfluss funktionstherapeutischer Maßnahmen auf das Tinnitusgeschehen, die teilweise von beachtlichem Erfolg hinsichtlich der Linderung bzw. sogar einer Elimination der otologischen Symptome über den Behandlungszeitraum berichten [3, 20], mit vorliegenden Studienergebnissen nicht bestätigt werden. Die wissenschaftliche Aussagekraft der Mehrzahl dieser Studien ist aufgrund zahlreicher methodischer Mängel stark eingeschränkt [5].

Auch Chole u. Parker [5] postulierten, dass die Versuche, Tinnitus mit zahnärztlichen okklusalen Therapiemaßnahmen zu behandeln, bislang auf keiner wissenschaftlichen Grundlage beruhten. Dies kann durch vorliegende Ergebnisse untermauert werden.

Einfluss der Therapie auf die CMD-Symptome

Die relaxierende und schmerzlindernde Wirkung dieser wissenschaftlich anerkannten Maßnahmen der Initialtherapie von kraniomandibulären Dysfunktionen [1] wurde bestätigt, die CMD-Symptome besserten sich signifikant (vor allem Muskelverspannungen). Der Unterschied der angewendeten funktionstherapeutischen Maßnahmen bezüglich ihres Behandlungseffektes erwies sich als nicht signifikant.

Zusammenhänge zwischen CMD und Tinnitus

Ätiologische Zusammenhänge zwischen CMD und Ohrgeräuschen werden seit mehreren Jahrzehnten in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Entwicklungsgeschichtliche, anatomische, neuromuskuläre oder psychologische Ätiologiemodelle wurden zur Sprache gebracht und größtenteils widerlegt.

Vermutete anatomisch-mechanische Zusammenhänge [6] können anhand der Datenlage der vorliegenden Studie auch nicht bestätigt werden. Die deutlich erhöhte Prävalenz von Disharmonien in der Okklusion und ihre funktionstherapeutische Harmonisierung durch die Schienentherapie hatten keinerlei Einfluss auf die Tinnitusbelastung.

Untersucher der Prävalenz von CMD bei Tinnituspatienten stellten eine signifikant höhere Prävalenz von Muskelverspannungen in der Kau- und Gesichtsmuskulatur fest und hielten somit neuromuskuläre bzw. funktionelle Zusammenhänge für wahrscheinlich [17, 21]. Dass diese muskulären Verspannungen jedoch als ätiologische Ursache zu werten sein könnten, muss anhand der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit verneint werden. Durch die funktionstherapeutischen Maßnahmen wurden Muskelverspannungen signifikant reduziert und hätten demnach auch zur Reduktion der Tinnitusbelastung führen müssen.

Beide Beschwerdekomplexe zeigen mögliche gemeinsame prädisponierende Faktoren auf der psychosozialen Ebene, was durch erhöhtes Vorkommen von Angstzuständen und Depressionen in diesen Patientengruppen gekennzeichnet ist. Ob jedoch der Tinnitus als Stressfaktor für die Entstehung bzw. Unterhaltung von Parafunktionen verantwortlich ist oder die CMD-Symptome als Stressfaktor zur Chronifizierung des Tinnitusgeschehens wirken können, kann nicht eindeutig geklärt werden.

Schlussfolgerungen

  • Die funktionstherapeutischen Maßnahmen haben keine spezifische Wirkung auf die Tinnitusbelastung. Demnach sind neuromuskuläre Zusammenhänge als unwahrscheinlich einzuordnen.

  • Die gefundenen Ergebnisse sollten aufgrund der geringen Anzahl der Studienteilnehmer nicht überbewertet werden. Dennoch deuten sie auf eine eher zufällige Koinzidenz der beschriebenen Symptomenkomplexe hin.

Fazit für die Praxis

Eine generelle Funktionsdiagnostik bei Tinnituspatienten und die Therapie solitär vorhandener CMD-Symptome ohne Schmerzsymptomatik oder Limitation der Unterkieferbeweglichkeit können aufgrund der Datenlage nicht empfohlen werden.