M. Fabry zählt zu den lysosomalen Speicherkrankheiten, welche genetisch bedingt sind. Diesen Speicherkrankheiten liegt jeweils ein spezieller lysosomaler Funktionsdefekt zugrunde. Folge davon ist, dass es in den Lysosomen zu einer Anhäufung von Substanzen kommt, die normalerweise vom Stoffwechsel abgebaut werden. Die meisten dieser Erkrankungen werden autosomal-rezessiv vererbt, M. Fabry und das Hunter-Syndrom (Mukopolysaccharidose Typ II) werden hingegen X-chromosomal vererbt.

Bei M. Fabry (auch M. Anderson-Fabry) besteht ein Mangel an α-Galaktosidase A. Das dafür kodierende Gen liegt auf dem langen Arm des X-Chromosoms (Xq22.1). Durch den Mangel an α-Galaktosidase A kommt es zu einer zunehmenden Anhäufung von neutralen Glykosphingolipiden und α-Galaktosyl-Abbauprodukten wie Globotriaosylceramid (Gb3, auch Ceramidtrihexosid), welche zu einer selektiven Schädigung der renalen, glomerulären und tubulären Epithelzellen, der Myokardzellen und der valvulären Fibrozyten, der Neuronen der dorsalen Wurzelganglien und des autonomen Nervensystems sowie der endothelialen glatten Muskelzellen der Blutgefäße führen.

Typisches Merkmal im Frühstadium sind Schmerzen besonders in den Akren und Angiokeratome. Die ersten Symptome treten meistens in der Kindheit oder Pubertät auf. Später führt die Erkrankung zu Niereninsuffizienz, Kardiomyopathie oder zerebralen Insulten [2].

Hörverluste bei M. Fabry wurden bisher v. a. für männliche Patienten beschrieben [1, 3, 4, 5, 6]. MacDermot et al., Hajioff et al. und Germain et al. nahmen z. B. nur männliche Patienten in ihre Studien auf. Die Angaben über Hörverluste bei M. Fabry divergieren stark. Germain et al. berichten über eine Gruppe, in der 22,7% der Patienten unter einer progredienten Hörstörung, 31,8% unter einem plötzlichen Hörverlust und 22,7% unter einem Tinnitus litten. In einem anderen Patientenkollektiv von 98 Patienten zeigten sich bei 78% Veränderungen im Audiogramm, 38% klagten über Tinnitus [5]. 80% der 15 Patienten von Hajioff et al. wiesen einen ein- oder beidseitigen Hörverlust auf.

Interessant scheint die Tatsache, dass in den erwähnten Studien ausschließlich Männer untersucht wurden, wohl weil lange Zeit angenommen wurde, dass heterozygote Frauen nur Genträger seien. Eine neuere Untersuchung von Mehta et al. berichtet von audiologischen Symptomen wie Tinnitus und Hörverlust bei 57% der Männer und 47% der untersuchten Frauen, ohne näher auf den Hörverlust einzugehen.

Wir konnten 43 Frauen und 29 Männer untersuchen und gingen auch der Frage nach, ob der Hörverlust bei Frauen geringer ist. Interessant schien uns auch, ob Patienten und das Ausmaß des Hörverlustes sowie der übrigen Symptome des M. Fabry korreliert sind.

Patienten und Methoden

Von 2002 bis 2004 wurden 72 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 32,8 (SD=17,3) Jahren untersucht. Der jüngste Patient war 4 Jahre alt, der älteste 72 Jahre. Von den Patienten waren 43 (59,7%) weiblich und 29 (40,3%) männlich.

Die Patienten wurden in Altersgruppen eingeteilt. Gruppe 1 umfasst die Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahre mit 8 weiblichen und 6 männlichen Patienten. Das Durchschnittsalter für die Mädchen betrug 10, für die Jungen 13 Jahre. Die 2. Gruppe beinhaltet die 18- bis 35-Jährigen, davon waren 16 weiblich und 11 männlich, der Altersdurchschnitt betrug bei beiden Geschlechtern 28 Jahre. Die 3. Gruppe bestand aus den 36- bis 55-Jährigen mit jeweils 11 Frauen (Durchschnittsalter 46) und Männern (Durchschnittsalter 44). In der letzten Gruppe finden sich die über 55-Jährigen wieder mit einem Durchschnittsalter von 65 Jahren (8 Frauen), der einzige Mann war 68 Jahre alt.

Anamnestisch wurden die Patienten zu Hörverlust, Tinnitus und Schwindel befragt, anschließend wurden sie HNO-ärztlich untersucht mit Ohrmikroskopie, Rhinoscopia anterior und posterior, Mundinspektion und Laryngoskopie. Die audiologische Diagnostik umfasste eine Tonaudiometrie, eine Sprachaudiometrie (Freiburger Sprachverständnistest nach DIN 45 621) sowie im Bedarfsfalle eine Tympanometrie. Bei Vorliegen von Schwindelbeschwerden wurde unter der Frenzel-Leuchtbrille nach einem Spontan-, Provokations- oder Blickrichtungsnystagmus gefahndet, außerdem wurden die vestibulospinalen Reaktionen mittels Unterberger-Tretversuch bzw. Romberg-Stehversuch getestet. Bei auffälligen Befunden erhielten die Patienten eine weiterführende Schwindeldiagnostik mit kalorischer Prüfung.

Mit Einführung des Mainz Severity Score Index (MSSI) wurde ein Instrument beschrieben, um einerseits den Schweregrad anhand von Symptomen und klinischen Befunden, z. B. Vorhandensein von Angiokeratomen, Grad der Herzinsuffizienz usw., zu bestimmen, aber auch, um Verbesserungen unter der Enzymersatztherapie zu verifizieren [10]. Schwerhörigkeit geht bisher nicht in den MSSI ein. Werte bis 20 sprechen für eine milde, von 20–40 für eine mittelgradige und über 40 für eine schwere Ausprägung der Erkrankung. Der MSSI wurde, wie von Whybra et al. [10] ausführlich beschrieben, für einen Großteil der Patienten bestimmt und mit den Hörverlusten verglichen.

Ergebnisse

Die durchschnittliche Hörschwelle aller Patienten ist in Abb. 1 dargestellt. Dabei zeigte sich ein zu den höheren Frequenzen hin zunehmender Hörverlust bis maximal 85 dB bei 8 kHz links. Eine wesentliche Schallleitungskomponente lag nicht vor.

Abb. 1
figure 1

Dargestellt ist der durchschnittliche Hörverlust (für die Luftleitung) aller Patienten mit Standardabweichung, (Kreise rechts, Quadrate links)

Nur bei 8 (10,8%) Patienten zeigte sich eine geringe Schallleitungsschwerhörigkeit. Bei einem Patienten mit einer chronischen Otitis media epitympanalis auf der linken Seite zeigte sich eine maximale Schallleitungskomponente von 40 dB. Bei den übrigen Patienten betrug die Schallleitungskomponente zwischen 15 und 25 dB.

Wertet man 20 dB Luftleitungshörschwelle noch als normalhörend, so zeigte sich bei insgesamt 37 (51,4%) der Betroffenen [davon 22 Frauen (59,5%) und 15 Männern (40,5%)] ein Hörverlust von mindestens 25 dB in mindestens einer der Frequenzen zwischen 0,25 und 8 kHz. In unserem Kollektiv litten also 51,2% der untersuchten Frauen und 51,7% der Männer unter einem Hörverlust. Charakteristischerweise kommt es zu einem Hochtonabfall (Abb. 2), der bei einem Patienten 85 dB bei 8 kHz erreichte.

Abb. 2
figure 2

Der durchschnittliche Hörverlust der Männer (Quadrate) und der Frauen (Rauten) mit Standardabweichung

Vergleicht man die Hörschwellen in den verschiedenen Altersgruppen (Abb. 3), so war festzustellen, dass der Hörverlust sehr ähnlich wie bei der Normalpopulation in der 4. Lebensdekade zunimmt (Abb. 3e, f). Hier zeigte sich außerdem ein stärkerer Hörverlust bei den Männern im Vergleich zu den Frauen. Signifikant schlechter hörten die Männer in den Frequenzen 2, 4 und 8 kHz (t-Test: p<0,05 bei 2 kHz, p<0,0001 bei 4 und 8 kHz). Zur Orientierung wurde in die Diagramme ebenfalls die „statistische Verteilung von Hörschwellen als eine Funktion des Alters“ nach DIN EN ISO 7029 für das jeweilige Durchschnittsalter und Geschlecht eingezeichnet. Größte Abweichungen zeigen sich bei den Männern, hier dargestellt für ein Durchschnittsalter von 44 Jahren (Abb. 3f).

Abb. 3
figure 3

Hörverlust der einzelnen Altersgruppen (a–h): Der Hörverlust ist jeweils zusammengefasst für beide Seiten (schwarze Linie mit Kreisen) dargestellt. Die durchgezogene Linie stellt den durchschnittlichen Hörverlust nach DIN EN ISO 7029 dar. + signifikant verschieden, p<0,05; * p<0,001

Bei 62 Patienten wurde eine Sprachaudiometrie durchgeführt. Im Mittel wurde ein Hörverlust für Sprache (50%iges Zahlenverständnis) von 28,6 dB rechts und 29 dB links ermittelt. Bei 60 dB wurden im Mittel auf der rechten Seite 98%, auf der linken 97% Einsilber des Freiburger Sprachverständnistests verstanden.

Über Tinnitus klagten insgesamt 61,5% der M.-Fabry-Betroffenen, wobei dieser bei 32% nur gelegentlich auftrat. Bei den Patienten, bei welchen der Tinnitus dauerhaft vorhanden war, war er gut kompensiert; sie empfanden dadurch subjektiv keine Beeinträchtigung ihres täglichen Lebens

Ein Drittel der Fabry-Patienten klagte über gelegentlich auftretenden Schwindel. Abweichungen von über 45° im Unterberger-Tretversuch fanden sich bei 6 Patienten, ein Spontan- bzw. Provokationsnystagmus konnte bei 4 Patienten beobachtet werden. Ein Patient erlitt 1986 einen Ausfall des linken Gleichgewichtsorgans und zeigte seither auch einen Hörverlust links bis 30 dB bei 8 kHz. Bei den meisten Patienten waren die Schwindelbeschwerden eher kreislaufbedingt mit typischen Symptomen.

Von den Patienten (18,05%) waren 13 Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 17 Jahren, davon 8 Mädchen und 5 Jungen. Mit einer Ausnahme hörten die Kinder und Jugendlichen gut. Bei einem 15-jährigen Mädchen konnte allerdings ein Hörverlust von 30 dB rechts und 25 dB links bei 4 kHz gemessen werden, die Knochenleitung für 4 kHz lag rechts bei 20 und links bei 15 dB (Abb. 4). Ein 8-jähriger Junge und ein 10-jähriges Mädchen klagten wenigstens zeitweise über Tinnitus, wobei das Mädchen auch über selten auftretenden Schwindel klagte.

Abb. 4
figure 4

Hörverlust eines 15-jährigen Patienten für Luft- und Knochenleitung (Kreise rechts, Quadrate links, unterbrochene Linien Knochenleitung rechts und links)

Insgesamt wurde bei 58 Patienten der MSSI [10] bestimmt. Der Mittelwert betrug 20,22 (SD: 11,56), wobei die Werte zwischen 0 (Minimum) und 48 (Maximum) schwankten . Betrachtet man nun den MSSI bei den Patienten, welche an einer Schwerhörigkeit leiden (er wurde bei 28 von 37 bestimmt), so erhält man einen Mittelwert von 25,71 (SD: 9,5; in Abb. 5 dargestellt), das Minimum lag bei diesen Patienten bei 9 und das Maximum bei 48.

Abb. 5
figure 5

Vergleich des Mainz Severity Score Index (MSSI) aller M. Fabry-Patienten (hellgrau) zu denen, die eine Schwerhörigkeit aufweisen (dunkelgrau), jeweils mit Standardabweichung

Bei 19 dieser Patienten lag der MSSI über 20 und bei einem Patienten über 40. Bei den 19 Patienten mit einem MSSI zwischen 20 und 40 war die Schwerhörigkeit größer als bei den Patienten mit einem MSSI unter 20 (Abb. 6). Bei dem Patienten mit einem MSSI von 48 bestand auf der linken Seite eine chronische Otitis media, rechts verlief der Hörverlust nahezu pankochleär bei 15–20 dB. Es fanden sich jedoch auch 11 Patienten mit einem MSSI zwischen 20 und 40 und einen Patienten mit einem MSSI über 40 ohne Schwerhörigkeit. Bezogen auf die unterschiedlichen Altersgruppen zeigt sich ein stetiger Anstieg des MSSI bis zu einem Maximum von 34 in der Altersgruppe 3 (36–55 Jahre) der männlichen Patienten (Abb. 7). Der MSSI ist in dieser Altersgruppe im Vergleich zum MSSI der Frauen signifikant höher (p<0,005).

Abb. 6
figure 6

Hörverlust der Patienten, die schwerer (MSSI >20<40; Rauten) oder leichter (MSSI <20; Quadrate) von M. Fabry betroffen sind

Abb. 7
figure 7

MSSI bezogen auf die verschiedenen Altersgruppen. Hellgrau weibliche Patienten, dunkelgrau männliche Patienten. Jeweils eingezeichnet die Standardabweichung, welche bei der letzten Säule fehlt, da in dieser Gruppe nur ein männlicher Patient ist

Diskussion

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine der größten Kohorten-Studien an Fabry-Patienten. Es zeigte sich, dass etwa die Hälfte der an M. Fabry erkrankten Patienten unter einem Hörverlust leiden, unabhängig vom Geschlecht. Bei Frauen ist der Hörverlust aber geringer ausgeprägt, bei 2–8 kHz ist der Hörverlust der Männer etwa 10 dB größer. Bezogen auf die unterschiedlichen Altersgruppen konnte ein signifikant schlechteres Hörvermögen in der Gruppe der 36- bis 55-jährigen Männer in den Frequenzen 2–8 kHz gezeigt werden. In den übrigen Altersgruppen zeigte sich jeweils ebenfalls ein schlechteres Hörvermögen der Männer gegenüber den Frauen.

Eine stärkere Betroffenheit des männlichen Geschlechts zeigt sich bei fast allen Symptomen des M. Fabry [7]; sie wird darauf zurückgeführt, dass bei Frauen in der Regel eine höhere Aktivität der α-Galaktosidase vorliegt, weil sie noch ein gesundes X-Chromosom besitzen. In dem von uns untersuchten Kollektiv zeigte sich eine stärkere Betroffenheit der höheren Frequenzen, was mit den von Schachern et al. [8] beschriebenen Befunden übereinstimmen könnte, die einen Haarzellverlust v. a. in den basalen Windungen der Kochlea fanden. Deutlich zeigte sich dies auch im Vergleich mit den durchschnittlichen Hörschwellen bezogen auf das Alter nach DIN EN ISO 7029 (Abb. 3).

Germain et al. [3] untersuchten den Zusammenhang zwischen der Nierenfunktion der betroffenen Patienten und ihrem Hörverlust. Es zeigte sich, dass Patienten mit einer stärker beeinträchtigten Nierenfunktion auch einen ausgeprägteren Hörverlust aufwiesen. Dies deckt sich mit Beobachtungen von Stavroulaki et al. [9], die bei Dialysepatienten einen zunehmenden Hörverlust fanden. Wir untersuchten den Zusammenhang der Gesamtausprägung der Symptome von M. Fabry, wie sie durch den MSSI widergespiegelt wird, und dem Hörverlust: es zeigte sich, dass schwerer von M. Fabry betroffene Patienten auch größere Hörverluste aufweisen. Dieser Zusammenhang spiegelt sich ebenfalls bei den unterschiedlichen Altersgruppen wieder. Es zeigte sich ein stetiger Anstieg über die Gruppen, wobei die Werte bei den Männern höher waren als bei den Frauen, signifikant war dieser Unterschied in der 3. Altersgruppe. In der ersten und in der letzten Altersgruppe war der MSSI bei den Männern niedriger, wobei in der letzten Altersgruppe nur ein Mann untersucht wurde.

Vestibuläre Symptome treten bei Patienten mit M. Fabry wesentlich seltener auf als kochleäre. Viele Patienten klagen aber über orthostatisch bedingten Schwindel. In unserem Kollektiv ließ sich nur bei der Hälfte der Patienten, die subjektiv über Schwindel klagten, eine vestibuläre Störung nachweisen, dies waren 8% der untersuchten Patienten. Conti und Sergei [1] berichteten hingegen, dass 4, dies waren 29% ihrer Patienten, Auffälligkeiten in der Vestibularis-Diagnostik zeigten.

In unserem Kollektiv fiel auf, dass schon bei einem 15-jährigen Mädchen ein Hörverlust vorlag, 2 weitere Kinder klagten über Tinnitus und Schwindel. Tinnitus ist im Kindesalter ein selten auftretendes Symptom, sodass bei Kindern, die über Tinnitus klagen, ohne dass sich eine Ursache finden lässt, auch an M. Fabry gedacht werden sollte.

Fazit für die Praxis

Mit der vorliegenden Studie über Patienten mit M. Fabry konnte gezeigt werden, dass heterozygote Frauen ebenso häufig von Hörminderung betroffen sind wie Männer, dass der Hörverlust jedoch geringer ist, insbesondere in der 3.–4. Lebensdekade.

Hörminderung, Tinnitus und Schwindel können schon bei Kindern Ausdruck eines M. Fabry sein, sodass Kinder, die über derartige Symptome klagen, im Einzelfall auch auf M. Fabry hin untersucht werden sollten.