Das Down-Syndrom ist die häufigste numerische Chromosomenaberration beim Menschen. Es tritt bei einem von 700 Neugeborenen auf. In über 90% der Fälle handelt es sich um eine freie Trisomie 21, seltener eine Translokation oder ein „Mosaikbefund“ [25] mit typischen morphologischen und funktionellen Besonderheiten [9, 26] wie z. B. Minderwuchs, Mittelgesichtshypoplasie, muskulärer Hypotonus [26] auch im orofazialen Bereich mit meist offen stehendem Mund und einer Glossoptose. Die Gaumen- und Rachenmandeln sind häufig vergrößert, und es treten vermehrt Atemwegsinfekte auf [9, 26]. Bei den meisten Betroffenen liegt eine geistige Behinderung unterschiedlicher Ausprägung vor, weiterhin eine erhebliche Beeinträchtigung beim Erwerb von Sprache und Kulturtechniken [4].

Ein Kind mit einem Down-Syndrom hat also komplexe Entwicklungsprobleme, welche mehrere medizinische Fachbereiche betreffen. Eine typische Störung im HNO-Bereich ist die persistierende Einschränkung des Hörvermögens. Sie wird in der Literatur mit 40–77% angegeben [2, 3, 5, 25]. Der Zusammenhang zwischen der Sprachentwicklung und dem Hörvermögen von Kindern ist hinlänglich bekannt und gilt auch für Kinder mit Down-Syndrom. Im Einzelfall dürfte es jedoch sehr schwierig sein, im Falle einer syndromassoziierten Schwerhörigkeit eine gestörte Sprachentwicklung ursächlich der Hörstörung oder der dem Syndrom eigenen kognitiven Retardierung zuzuschreiben. Grundsätzlich beeinträchtigt bereits eine geringgradige permanente Schwerhörigkeit die Sprachentwicklung sonst gesunder Kinder [21], und dies dürfte im Falle eines Kindes mit Down-Syndrom von noch nachhaltigerer Bedeutung sein.

Gegenstand dieser Studie ist die Frage nach der Häufigkeit und der Art permanenter Hörstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom. Auf der Basis einer retrospektiven Datenanalyse werden methodische Aspekte insbesondere vor dem Hintergrund der Frage nach Aussonderungsuntersuchungen („Screening“) besprochen.

Patienten und Methoden

Grundlage der Datenerhebung waren die Krankenakten der Kinder und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom, die vom 1.1.2000 bis 30.6.2003 in der Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie des Universitätsklinikums Erlangen vorgestellt wurden. Bei EDV-gestützter Führung der Krankenakten mit einer vollständigen Diagnosekodierung liegen komplette Datensätze aller in diesem Zeitraum vorgestellten Patienten mit einem Down-Syndrom vor.

Einschlusskriterien für die Datenerhebung dieser Studie waren ein Mindestalter von 3 Monaten und ein Höchstalter von 20 Jahren. Im Berichtszeitraum waren dies 115 Patienten im Alter von 3,2±2,9 Jahren (Median 2,3 Jahre) (Abb. 1), davon 53 Mädchen (46%) und 62 Jungen (54%) im Alter zwischen 4 Monaten und 20 Jahren.

Abb. 1
figure 1

Altersverteilung aller Patienten mit Down-Syndrom, die in der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie innerhalb von 42 Monaten vorgestellt wurden. Das Minimum lag bei 4 Monaten, das Maximum bei 20 Jahren

Eine zum Zeitpunkt der Erstvorstellung bereits gesicherte Schwerhörigkeit lag bei 4 Kindern vor, 105 (91,3%) wurden mit dem Verdacht bzw. zum Ausschluss einer Schwerhörigkeit, 6 wegen Sprachentwicklungsauffälligkeiten ohne ausdrücklichen Verdacht auf eine Schwerhörigkeit zugewiesen. Eine Gaumenspalte lag bei keinem der Kinder vor.

In dieser Studie wurden folgende Aspekte erfasst: das Alter der Kinder bei der Erstvorstellung und bei Erstdiagnose der Schwerhörigkeit, ohrmikroskopische sowie audiometrische Befunde. Als „permanente“ Schwerhörigkeit wurde eine Schwerhörigkeit mit einer Dauer von mehr als 3 Monaten angenommen.

Bei der Bewertung der Messung der TEOAE wurden außer der Reproduzierbarkeit und dem Schalldruckpegel der Emissionen auch die Stimulusstabilität und das Restrauschen beachtet.

Ergebnisse

Klinische Befunde

Zu allen Kindern lagen binokularmikroskopische Befunde der Ohren vor. Auffälligkeiten werden in Tabelle 1 dargelegt. Bei 61 Patienten, also bei mehr als der Hälfte des gesamten Kollektivs, ließ sich das Trommelfell nach binokularmikroskopischer Reinigung der Gehörgänge wegen einer Enge des Gehörganges nicht vollständig überblicken.

Tabelle 1 Otoskopische Befunde bei 115 Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom

Eingesetzte audiometrische Verfahren

Die Untersuchung des Hörvermögens erfolgte individuell unterschiedlich mit objektiven und subjektiven Methoden mittels TEOAE (ILO 88, Fa. Otodynamics), BERA (Evoselect, Fa. Madsen Electronics), Tympanometrie (Zodiac 901, Fa. Madsen Electronics) und Reaktions- oder Spielaudiometrie (Auritec AT 900).

Häufigkeit, Art und Ausmaß einer permanenten Schwerhörigkeit

58 Kinder (50%), 23 Mädchen und 35 Jungen, hatten eine permanente Schwerhörigkeit. Davon hatten 48 (82,8%) eine isolierte Schallleitungsschwerhörigkeit, 4 (6,9%) eine kombinierte Schwerhörigkeit, 5 (8,6%) eine isolierte sensorineurale Schwerhörigkeit (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Häufigkeitsverteilung des Auftretens und der Art einer Schwerhörigkeit der 115 Kinder und Jugendlichen mit Down-Syndrom. Bei 50% lag eine permanente Schwerhörigkeit vor, wobei isolierte und kombinierte Schallleitungsschwerhörigkeiten in insgesamt 52 Fällen den Hauptanteil ausmachten, sensorineurale Schwerhörigkeiten in 9 Fällen vorlagen

Eine mittelgradige Schwerhörigkeit (Hörverlust 40–60 dB) war am häufigsten, etwas weniger häufig wurde eine geringgradige Schwerhörigkeit (Hörverlust 15–40 dB) diagnostiziert. Eine hochgradige Schwerhörigkeit (Hörverlust 60–90 dB) lag bei nur einem Kind vor, eine Taubheit wurde bei keinem der Kinder oder Jugendlichen festgestellt. Details sind in Tabelle 2 dargestellt.

Tabelle 2 Ausprägung und Art der diagnostizierten Schwerhörigkeit bei 58 Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom

Bei einem Patienten konnte keine weitere Differenzierung der Schwerhörigkeit stattfinden, da die weitere Untersuchung und Behandlung aus nicht bekannten Gründen abgebrochen wurde.

Alter bei der Erstdiagnose einer permanenten Schwerhörigkeit

Das Alter der Erstdiagnose lag zwischen 4 Monaten und 13;2 Jahren (Abb. 3). Im Durchschnitt wurde die Schwerhörigkeit der Patienten in einem Alter von 4,6±3,4 Jahren (Median 4,3 Jahre) diagnostisch gesichert.

Abb. 3
figure 3

Altersverteilung der schwerhörigen Kinder und Jugendlichen mit Down-Syndrom zum Zeitpunkt der Erstdiagnose: Im Mittel lag diese bei 4,6 Jahren, wobei der Mittelwert durch mehrere ältere Jugendliche erhöht ist. Allerdings ist auch der Anteil der Kinder, bei denen die Schwerhörigkeit wenigstens im 1. Lebensjahr diagnostiziert wurde, mit 16 von 57 Kindern sehr gering

Otoakustische Emissionen als Screening-Verfahren

Die Ergebnisse der Messungen der otoakustischen Emissionen sind in Abb. 4 dargelegt. Bei etwa einem Drittel aller Patienten entsprach die Messung nicht den üblichen Gütekriterien.

Abb. 4
figure 4

Ergebnisse der TEOAE-Messung bei 65 Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom. Bei Patienten mit ohrmikroskopisch diagnostizierter Mittelohrpathologie und pathologischem Tympanogramm oder bekannter Schallleitungsschwerhörigkeiten wurde auf die Durchführung der Messung von otoakustischen Emissionen verzichtet. Bei etwa 1/3 war die Messung beidseits nicht beurteilbar, bei 1/3 war keine ein- oder beidseitige Reproduzierbarkeit gegeben. Zusatzuntersuchungen (BERA in Kombination subjektiver audiometrischer Verfahren) bestätigten eine Schwerhörigkeit bei 11 der 21 auffälligen Messungen (9-mal beidseits, 2-mal einseitig), die die Kriterien des Nachweises von OAE nicht erfüllten (mindestens 60% Reproduzierbarkeit, mindestens 6 dB Schalldruckpegel). Bei einem Patienten mit pathologischem Ergebnis der OAE liegen keine weiteren Angaben zum Hörvermögen vor

Die Überprüfung der Ursache für die falsch auffälligen Ergebnisse der TEOAE in 9 Fällen (Reproduzierbarkeit der TEOAE auf keinem Ohr gegeben, aber Ausschluss einer Schwerhörigkeit mit anderen objektiven und subjektiven Methoden) ergab als mögliche Ursache morphologische Besonderheiten wie enge Gehörgänge bei 4 Kindern, übermäßige Störgeräusche während der Messung durch laute Atemgeräusche bei 2 Kindern und Unruhe bei einem Kind. Bei den beiden restlichen Kindern waren die Ursachen anhand der Aktenlage nicht zu eruieren.

Diskussion

Die Datengrundlage mit einer Anzahl von 115 Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom ist im Vergleich mit der Literatur verhältnismäßig groß: Dort werden Fallzahlen zwischen 16 und 102 berichtet [6, 11, 19, 24, 28]. Insofern darf mit einiger Vorsicht eine verhältnismäßig gute Qualität der Aussage zum Hörvermögen bei Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom unterstellt werden, auch wenn es sich methodisch nur um eine aktengestützte, retrospektive Auswertung von Daten handelt.

Aus anderen methodischen Überlegungen ist jedoch keine Generalisierung der Ergebnisse statthaft: Bundesweit sind die Versorgungsstrukturen uneinheitlich, und es erfolgt nicht prinzipiell eine gezielte audiologische Untersuchung aller Kinder mit einem Down-Syndrom. Die Diagnostik von Hörstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom muss besonderen Anforderungen genügen, denen im niedergelassenen Facharztbereich nicht immer nachzukommen ist. Die hohe Zahl der Facharztzuweisungen in der Studienpopulation belegt zusätzlich eine gewisse Selektion.

Das inhaltliche Konzept der Hördiagnostik nach dem Konsensus-Papier der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie DGPP (http://www.dgpp.de) unterscheidet sich bei Patienten mit Down-Syndrom zwar grundsätzlich nicht von dem bei sonst gesunden Kindern [10, 29, 30], weist aber Besonderheiten auf, die an die Behinderung des Kindes angepasst sind. Hierbei dürften morphologische (Gehörgang) und funktionelle Aspekte (geistige Behinderung) eine vorrangige Rolle spielen. Die audiometrischen Untersuchungsverfahren müssen vor diesem Hintergrund ausgewählt und bewertet werden, was neben dem Zeitbedarf auch besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit Kindern und allgemein mit Behinderten bedarf.

Nach methodischen Kriterien hat die Audiometrie bei Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom keine anderen Ziele als bei anderen Kindern. Sie dient zum einem als Aussonderungsuntersuchung („Screening“) hörgesunder Kinder und im Falle des auffälligen Screenings als Bestimmungsuntersuchung zur Festlegung der Art und des Ausmaßes einer Hörstörung. Als einfache und kostengünstige Hörscreening-Methode hat sich bei Neugeborenen die Messung der transitorischen otoakustischen Emissionen (TEOAE) bewährt [18]. Nachteil dieses Verfahrens ist eine im Vergleich mit der Messung der auditorischen Hirnstammpotentiale größere Zahl an falsch auffälligen Befunden [16, 17].

Auch wenn die Daten zur methodischen Qualität der TEOAE-Messung an Neugeborenen sicher nur bedingt auf ältere Kinder und Jugendliche übertragen werden können, so sind sie beim hier beschriebenen Kollektiv doch ganz offenbar von vorrangiger und ausgesprochen praxisrelevanter Bedeutung. Nach den Ergebnissen dieser Studie kann zwar der Wert der TEOAE-Messung als Screening-Verfahren nicht verworfen werden, es muss aber—auch unter dem Gesichtspunkt einer ökonomischen Sprechstundenplanung—bei Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom mit einer sehr viel höheren Zahl notwendiger Kontroll- bzw. Bestimmungsuntersuchungen gerechnet werden als bei anderen Patienten dieser Altersgruppen.

Prinzipiell kann bei Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom natürlich als Aussonderungsuntersuchung eine Hirnstammaudiometrie (mit Screening-Geräten) durchgeführt werden [14, 23], was möglicherweise aber einen erhöhten Bedarf an Sedierungen bzw. Narkosen begründen würde. Dies würde allerdings bei Vielzahl der Kinder, die auch häufig Erkrankungen der inneren Organe haben, ein zusätzliches Risiko bedeuten. Insofern erscheint das von der berichtenden Abteilung im klinischen Alltag gewählte Vorgehen mit einem sequenziellen Einsatz der unterschiedlichen audiometrischen Verfahren, ggf. an verschiedenen Untersuchungstagen, den Bedürfnissen des Einzelfalls im Alltag am ehesten gerecht zu werden.

Die in dieser Studie gefundene Häufigkeit einer permanenten Schwerhörigkeit ist mit 50% der untersuchten Kinder und Jugendlichen hoch und bestätigt die Angaben in der Literatur [2, 11, 12, 15, 19, 24].

Es handelt sich zumeist um Schallleitungsschwerhörigkeiten, als deren Ursache v. a. sowohl syndromtypische orofaziale Dysfunktionen als auch vergrößerte Adenoide und/oder Tonsillen anzunehmen sind. Ähnlich wie bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten können sie bei Patienten mit Down-Syndrom bei längerer Persistenz gehäuft zu Cholesteatomen führen [4, 8, 11, 13, 15]. Eine Mittelohrfehlbildung kann letztlich nicht ausgeschlossen werden, dürfte aber nach der Literatur beim Down-Syndrom sehr selten sein [1].

Zur Ursache der Schallempfindungsschwerhörigkeiten bei 15,5% der hier beschriebenen Kinder können keine detaillierten Angaben gemacht werden weder über mögliche hereditäre Aspekte noch zur Morphologie z. B. von Innenohrmissbildungen. In der Literatur liegen Daten hierzu nur in Form von Einzelfallbeschreibungen vor, wobei Dysplasien des kochleosakkulären Systems oder andere Entwicklungsstörungen des Innenohres beobachtet wurden [2, 7, 20, 27].

Das Durchschnittsalter der Erstdiagnose der Schwerhörigkeit im hier vorgestellten Patientenkollektiv ist mit 4,6 Jahren hoch, und der Anteil der Kinder, die innerhalb des 1. Lebensjahres als schwerhörig erkannt wurden, ist immer noch erschreckend gering. Dies entspricht auch anderen Daten zum Alter der Erstdiagnose einer Schwerhörigkeit bei behinderten Kindern [22].

Offenbar zeigen Programme zum Neugeborenen-Hörscreening zumindest bei dieser Patientengruppe noch keine Wirkung. Außerdem müssen sie um entsprechende Maßnahmen bei älteren Kindern mit erhöhtem Risiko einer Schwerhörigkeit ergänzt werden. Im Rahmen einer verantwortungsvollen Ausgestaltung der Fürsorgemaßnahmen für Behinderte sollte frühzeitig eine Schwerhörigkeit ausgeschlossen werden, um neben anderen vorhandenen Behinderungen keine zusätzlichen Nachteile für die Kommunikationsfähigkeit zuzulassen. Dies dürfte auch eine genuine Aufgabe des öffentlichen Gesundheitswesens sein, wiewohl auch dort für differenzierte diagnostische und therapeutische Leistungen der Facharztstandard zu fordern ist.

Fazit

Schwerhörigkeiten sind typische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom. Es handelt sich vor allem um Schallleitungsschwerhörigkeiten, aber auch die Zahl von sensorineuralen Schwerhörigkeiten ist gegenüber sonst gesunden Kindern erhöht. Dies unterstreicht die Notwendigkeit des Neugeborenen-Hörscreenings, aber auch der regelmäßigen Hörkontrolle in der weiteren Kindheit und Jugend; denn das Alter der Erstdiagnose permanenter Schwerhörigkeiten ist bei dieser Patientengruppe bedenklich hoch.

Die Diagnostik von Hörstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit einem Down-Syndrom stellt besondere strukturqualitative Anforderungen bedingt durch syndromtypische morphologische und funktionelle Besonderheiten. Die Messung der TEOAE hat eine erhebliche Zahl falsch auffälliger Befunde. Letztlich wird das Hörvermögen bei vielen Kindern und Jugendlichen nur durch eine umfassende pädaudiologische Untersuchung adäquat zu erfassen sein.